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Neurologie des Selbstbewusstseins: Außer Kontrolle

Der Mensch unterscheidet sich von den Tieren dadurch, dass er sich seiner selbst bewusst ist. Gelegentlich ist dieses Selbstbewusstsein aber eher hinderlich – dann wird es eben vorübergehend ausgeschaltet.
Stehen wir tatsächlich unter permanenter Kontrolle? Wie ein strenger Torwächter kontrolliert der präfrontale Kortex unseres Gehirns sämtliche Eindrücke, die von unseren verschiedenen Sinnen in unser Bewusstsein vordringen – so zumindest eine gängige Lehrmeinung. Und doch: Widmen wir uns voll und ganz einer Tätigkeit – vollkommen egal ob Arbeit, Sport oder Meditation – können wir so tief darin versinken, dass uns das Bewusstsein schwindet. Dann gibt es nur noch die aktuelle Handlung, das Wissen um uns selbst geht währenddessen vorübergehend verloren. Träumt der Wächter in solchen Situationen? Oder ist er – unserer Wahrnehmung verborgen – still und leise immer noch bei der Arbeit und lässt uns davon nur nichts wissen?

Ilan Goldberg, Michal Harel und Rafael Malach von Weizmann Institute of Science in Israel wollten diese Frage nun klären und sahen dem Wächter per funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRI) auf die Finger. Mit fMRI – sie macht gut durchblutete, also aktive Bereiche im Gehirn sichtbar – wurden bereits die Gehirnareale identifiziert, die sensorischen Input verarbeiten; seit kurzem sind auch die Bereiche lokalisiert, die das Selbstbewusstsein repräsentieren. Goldberg, Harel und Malach interessierte nun die Kooperation der entsprechenden Hirnbereiche.

Zunächst entwarfen sie ein geeignetes Studiendesign, das einen sensorischen und einen introspektiven Teil enthielt. Introspektion wurde als kognitive Leistung gewählt, die eine intensive Beschäftigung mit dem eigenen Ich erfordert.

Neun Testpersonen bekamen eine visuelle und eine auditorische Aufgabe gestellt, bei der jeweils eine rein sensorische und eine introspektive Leistung zu erbringen war. Beim visuellen Test zeigten die Versuchsleiter verschiedene Bilder, die die Probanden im sensorischen Studienteil per Knopfdruck als Tier oder Objekt klassifizieren sollten oder für die sie – die introspektive Aufgabe – angeben sollten, ob das Bild sie emotional berührte oder nicht. Ähnlich der auditive Aufgabenteil: Hier sollten die Probanden für den rein sensorischen Teil angeben, ob das kurze vorgespielte Musikstück mit einer Trompete oder einem anderen Instrument gespielt wurde. Für den introspektiven Teil sollten sie wieder die subjektive empfundene Emotionalität beurteilen. Während die Testpersonen ihre Aufgaben ausführten, beobachteten die Wissenschaftler im Tomografen, welche Gehirnbereiche bei den einzelnen Tests aktiv wurden.

Solange die Probanden eine rein sensorische Aktion – also das Kategorisieren der Bilder oder Musikstücke – ausführten, arbeiteten ausschließlich der sensorische Kortex und angegliederte Bereiche in seitlichen Hirnregionen – egal, ob sie dabei visuelle oder akustische Stimuli verarbeiteten. Knüpften die Testperonen jedoch einen Zusammenhang zwischen dem optischen beziehungsweise akustischen Reiz und ihrem ganz persönlichen emotionalen Eindruck davon, wurde ein Netzwerk im oberen präfrontalen Kortex aktiv. Demnach verarbeiten zwei vollkommen voneinander getrennte Hirnbereiche den sensorischen beziehungsweise den auf das Selbstbewusstsein bezogenen Input.

Als die Testpersonen die sensorische Aufgabe besonders schnell durchführten und sich daher besonders intensiv auf die Aufgabe konzentrieren mussten, stellte der präfrontale Kortex seine Arbeit dagegen komplett ein. Die beiden Hirnregionen kooperieren bei der Reizverarbeitung also nicht etwa miteinander, sondern sind eher Gegenspieler des jeweils anderen Areals.

Die Forscher schließen aus ihren Beobachtungen, dass der präfrontale Kortex eben doch kein strenger Wächter ist, der jeglichen sensorischen Input kontrolliert und ihn dadurch erst zur bewussten Wahrnehmung erhebt. Vielmehr vermuten sie, dass er es dem Menschen ermöglicht, über das Empfundene nachzudenken und es daraufhin zu überprüfen, welche Relevanz es für das Leben der Person haben könnte. Bei konzentrierten Tätigkeiten, die einen sensorischen Input liefern, richtet das Gehirn seine Aufmerksamkeit allein auf diese Information und schaltet kurzerhand das Selbstbewusstsein vorübergehend ab, sodass der Agierende vollständig in sein Tun vertieft sein kann.

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