Artenschutz: Eine Ikone stirbt aus
Der Biologe Luis Zambrano begann seine Karriere in den späten 1990er Jahren und träumte von einem Job weit weg von jeglicher Zivilisation, bei dem er in entlegenen Ecken des Yukatan in Mexiko vielleicht sogar neue Tierarten entdecken könnte. Falsch gedacht. Stattdessen fand er sich 2003 in dem verdreckten und verfallenen Kanalsystem des Distrikts Xochimilco in Mexiko-Stadt wieder und zählte Amphibien. Die Arbeitsstelle hatte natürlich auch Vorteile: Sie war nur wenige Minuten von seinem Zuhause entfernt und betraf den Axolotl (Ambystoma mexicanum), der in Mexiko echten Ikonenstatus genießt und weltweit wohl der bekannteste aller Salamander ist. Doch trotzdem sehnte Zambrano das Ende dieses ersten Jahres herbei.
»Ehrlich gesagt habe ich das Projekt von Anfang an gehasst«, erzählt er. Und zwar »weil ich es einfach nicht geschafft habe, irgendetwas zu fangen«. Schließlich gelang es ihm doch. Und was er da so fing, überraschte ihn und sollte den weiteren Verlauf seiner Karriere gründlich verändern. In den ersten glaubhaften Studien aus dem Jahr 1998 wurde die Zahl der Axolotl in Xochimilco auf etwa 6000 pro Quadratkilometer geschätzt. Schon zwei Jahre später fand Zambrano, heute Professor an der UNAM, der Universidad Nacional Autónoma de México, dass die Zahl auf etwa 1000 Tiere pro Quadratkilometer gesunken war. Im Jahr 2008 waren es dann nur noch 100, und heute sind es weniger als 35 Tiere pro Quadratkilometer, nicht zuletzt wegen Umweltverschmutzung und invasiven Räubertieren.
Inzwischen ist der Axolotl auch in seinem letzten natürlichen Lebensraum, dem Kanalsystem von Mexiko-Stadt, vom Aussterben bedroht. Während es in freier Wildbahn nur noch ein paar hundert Exemplare gibt, leben weltweit in privaten Aquarien und Forschungslabors Tausende dieser Art, und es werden sogar so viele gezüchtet, dass einige Restaurants in Japan sie schon frittiert auf den Teller bringen.
»Der Axolotl ist ein echtes Überlebensparadoxon«, sagt der Ökologe Richard Griffiths von der University of Kent in Canterbury im Vereinigten Königreich, der Zambrano ins Projekt geholt hatte. »Er ist wahrscheinlich die weltweit häufigste Amphibie in Tierhandlungen und Labors, wohingegen er in freier Wildbahn fast verschwunden ist.«
Das stellt Biologen aber nun vor ein Problem. Die Physiologie des Axolotls ist deshalb einmalig, weil die Tiere in der bemerkenswerten Lage sind, abgetrennte Gliedmaßen zu regenerieren. Deshalb werden sie auch als wichtiges Labormodell für alles Mögliche von Gewebereparatur über Entwicklungsbiologie bis hin zur Krebsforschung genutzt. Nachdem die in Gefangenschaft vorhandenen Exemplare aber jahrhundertelang immer nur untereinander gepaart wurden, sind die Populationen anfällig für Krankheiten geworden. Die genetische Vielfalt der Tiere in freier Wildbahn geht aber auf Grund der schrumpfenden Zahlen zunehmend verloren, und es wird immer schwieriger, die Biologie der einmaligen Amphibien weiter aufzuklären.
Während sich etliche Wissenschaftler im Labor mit dem riesigen und komplexen Genom der Tiere beschäftigen, geben Zambrano und eine Hand voll anderer Forscher ihr Bestes, um die Wildformen zu erhalten. Sie paaren die Tiere und setzen sie dann in bestimmten Teichen und Kanälen in Xochimilco frei, wo sie ihre Entwicklung verfolgen und hoffen, etwas von ihrer natürlichen genetischen Diversität erhalten zu können. Die ganze Tierart zu retten ist zwar schwierig, sollte aber angesichts der Widerstandsfähigkeit der Individuen möglich sein – wenn sich nur die mexikanische Regierung dabei etwas engagieren würde. »In anderen Teilen der Welt sind solche Großprojekte möglich«, stellt Zambrano fest. »Wenn sie es schaffen, warum können wir es dann nicht auch?«
Axolotl werden nie erwachsen
Verglichen mit anderen Salamanderarten der Region haben sich Axolotl erst relativ spät entwickelt und dabei die Ufer des Texcoco-Sees in den Bergen von Zentralmexiko bevölkert. Sie gelten als neoten, weil die erwachsenen Tiere Merkmale der Jungtiere beibehalten. Während andere Salamander sich im Rahmen der Metamorphose in Landtiere verwandeln, bleiben die zarten Kiemen der Axolotl bestehen und die Tiere ihr ganzes Leben lang im Wasser – wie, als wenn sie nie erwachsen würden.
»Ihre erstaunliche Regenerationsfähigkeit macht Axolotl zu einem tollen Modell«
David Gardiner
Im 13. Jahrhundert wurde der Texcoco-See von den Mexica besiedelt, den von den Europäern als Azteken bezeichneten Mittelamerikanern. Diese schufen ein mächtiges Reich und kontrollierten es von einer Inselstadt aus, die sie in der Mitte des Sees errichteten. Nicht nur das Reich der Azteken, sondern auch die Insel dehnte sich immer weiter aus, besonders nach der Eroberung durch die Spanier im Jahr 1521. Heute sind vom Lebensraum des Axolotl im Distrikt Xochimilco im Süden von Mexiko-Stadt nur noch ein etwa 170 Kilometer umfassendes Kanalsystem übrig geblieben.
Die Spezies wäre zu Zeiten der Kolonialherren vielleicht sogar untergegangen, wenn nicht das ungewöhnliche Wachstum der Tiere die Aufmerksamkeit von Europas Wissenschaftlern Ende des 19. Jahrhunderts auf sich gezogen hätte. Etliche Besucher Mexikos brachten Exemplare nach Europa und begannen, sie dort zu züchten. Dabei stellten sich die Tiere als ideal für die Forschung heraus: Sie lassen sich einfach im Labor vermehren, sind sehr widerstandsfähig und leicht zu halten. Außerdem sind ihre Zellen ausgesprochen groß, was Untersuchungen zur Entwicklung vereinfacht. Ihre Eier sind fast 30-mal größer als die des Menschen, und die Neuralplattenzellen – das heißt die Vorläuferzellen von Gehirn und Rückenmark – sind im Axolotlembryo sogar fast 600-mal so groß, wenn man das Volumen betrachtet.
Auch die Pigmentierung schwankt deutlich von einer zur nächsten Zelle, ganz anders als beim Menschen oder sonstigen Tieren, die eher eine einheitliche Färbung der Zellen haben. Auf Grund dieses Phänomens können Forscher gut verfolgen, welches embryonale Gewebe sich in welches Organ entwickelt. Schwierigkeiten bereitet allerdings das riesige Genom des Axolotl, das fast zehnmal so groß ist wie das des Menschen – Analysen werden hier zur echten Herausforderung.
»Für die Genetik ist der Axolotl eigentlich kein guter Modellorganismus; aber seine erstaunliche Regenerationsfähigkeit macht ihn dennoch zu einem tollen biologischen Modell«, schwärmt David Gardiner, der als Entwicklungsbiologe an der University of California in Irvine arbeitet und seit Jahrzehnten an der Regenerationsfähigkeit dieser ungewöhnlichen Schwanzlurche forscht.
Im frühen 20. Jahrhundert schon trugen Axolotl wesentlich zur Aufklärung von Entwicklung und Funktion verschiedener Organe der Vertebraten bei, wie auch beispielsweise der Ursache von Spina bifida beim Menschen, einem Geburtsdefekt mit Fehlbildung der Wirbelsäule. Axolotl waren auch an der Entdeckung der Schilddrüsenhormone in den 1920er Jahren beteiligt. Damals fütterten nämlich ein paar Forscher die Tiere mit Schilddrüsengewebe von Herdentieren. Durch die Hormone in dem Gewebe kam es bei den Axolotl zur Metamorphose und damit zum Verlust der Kiemen und der Larvenhaut.
In den 1980er Jahren entwickelten Wissenschaftler dann ein Axolotl-Modell zur Erklärung, wie Embryozellen verschiedene Formen annehmen können. Laut dem so genannten Cell-State-Splitter-Modell zur embryonalen Zelldifferenzierung teilen sich die Stammzellen des Körpers in Wellen in die spezifischen Gewebe auf. Dabei soll sich der Embryo abwechselnd zusammenziehen und strecken, was die Forscher auch tatsächlich beim Axolotl vorfanden. Später dann, im Jahr 2011, wurde gezeigt, wie Extrakte aus Axolotl-Oozyten ein Tumorsuppressorgen in Brustkrebszellen einschalten und die Zellen so an der Vermehrung hindern kann.
Der faszinierendste Beitrag des Axolotl zur Forschung fällt aber in den Bereich der Regenerationsmedizin: Bei den Tieren wachsen nämlich verloren gegangene Gliedmaßen, Schwänze, Organe, Teile der Augen und sogar des Gehirns wieder nach. Die Ursache hierfür sehen viele Forscher in der Neotenie der Tiere, die verschiedene Eigenschaften aus ihrem Embryonalstadium auch als erwachsene Tiere aufweisen. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass es auch andere Salamander gibt, welche die Fähigkeit zur Regeneration ebenso noch als Adulte besitzen.
Biologen versuchen nun schon seit Jahrzehnten den zu Grunde liegenden Mechanismus zu finden, weiß die Regenerationsforscherin Tatiana Sandoval Guzmán von der TU Dresden. »Wie schaffen das die Tiere? Was haben sie, was wir nicht haben? Oder vielleicht anders herum gedacht: Was verhindert diesen Vorgang in Säugetieren?« Sandoval Guzmán interessiert sich eigentlich für die Regeneration von Knochen und Muskeln; sie hat nun ein etabliertes Labor in Dresden übernommen, um dort mit Hilfe von Axolotl weiter daran zu forschen. Sie ist Mexikanerin und nicht weit von Xochimilco in die Schule gegangen – die Tiere waren damals aber kein Thema, und sie hat sicherlich auch nie gedacht, einmal daran zu forschen – bis sie nach Deutschland kam und sich dafür begeisterte. Inzwischen konnte sie auch zeigen, dass viele Regenerationsformen, beispielsweise unter Beteiligung von Stammzellen aus dem Muskelgewebe, bei Axolotl relativ ähnlich ablaufen wie vergleichbare Mechanismen im Menschen.
Ein Großteil der Forschung über Regenerationsprozesse beschäftigt sich mit dem Blastem, einem verdichteten Bindegewebe, das sich über einer Wunde an verletzten Gliedmaßen bildet. Während im Menschen eine Wunde mit Hautgewebe bedeckt wird, wandeln sich im Axolotl nahegelegene Zellen in Stammzellen um und rekrutieren andere von weiter her, die sich alle nahe der Verletzung ansammeln. Dort bilden die Zellen dann Knochen, Haut und Venen, ganz ähnlich wie bei der Entwicklung des Tiers im Ei. So trägt jedes Gewebe mit seinen eigenen Stammzellen etwas dazu bei.
Bekannt ist nun auch, dass ein Protein namens transformierender Wachstumsfaktor (TGF, transforming growth factor) nicht nur bei der Regeneration im Axolotl, sondern auch bei der narbenfreien Regeneration verletzter Embryos im Mutterleib während des ersten Schwangerschaftsdrittels beteiligt ist. Außerdem können sich bei erwachsenen Mäusen wie auch Menschen die Fingerkuppen regenerieren, auch wenn diese Fähigkeit beim Menschen mit dem Alter verloren geht. All dies legt nahe, dass regenerative Fähigkeiten in Säugern doch irgendwie wiedererweckt werden können.
»Eines Tages wird auch der Mensch sich regenerieren können«, meint Gardiner. Er konzentriert sich in seinen Untersuchungen nicht auf nachwachsende Gliedmaßen, sondern eher auf die Heilung von Lähmungen, das Wachstum gesunder Organe und sogar die Umkehr des Alterns durch den Ersatz geschädigter und ausgelaugter Gewebe. »Und wenn es dazu kommt, dann werden genau diese Modellorganismen ihren Teil dazu beigetragen haben«, sagt er.
Bis dahin dürfte der in freier Wildbahn lebende Axolotl allerdings ausgestorben sein. Das gibt Gardiner und Sandoval Guzmán sehr wohl zu denken, weil nämlich die derzeit untersuchten Labortiere immer nur mit sich selbst gekreuzt wurden, sprich Inzuchttiere sind. Mit Hilfe eines so genannten Inzuchtkoeffizienten können die Forscher die Größe eines Genpools bestimmen. So haben eineiige Zwillinge einen Koeffizienten von 100 Prozent und völlig unabhängige Lebewesen einen Wert nahe null. Ein Wert von mehr als zwölf Prozent zeigt eine Population, in der die Individuen überwiegend mit ihren direkten Cousinen gekreuzt sind – was von Ökologen und Genetikern schon als ernsthaft bedenklich eingestuft wird. Die bekanntermaßen durch Inzucht geschwächten und kranken spanischen Könige aus dem Geschlecht der Habsburger des 17. Jahrhunderts hatten einen Koeffizienten von über 20 Prozent. Zum Vergleich dazu: Der Inzuchtkoeffizient der heutigen Axolotl im Labor liegt im Durchschnitt bei 35 Prozent.
»Bei unseren Tieren ist die Regenerationsfähigkeit noch gut erhalten, auch wenn sie schon hochgradig Inzuchttiere sind. Es wird aber unweigerlich immer schwieriger, weil Inzuchtpopulationen sehr krankheitsanfällig sind«, weiß Gardiner. Das hohe Maß an Inzucht ist letztlich auf das Schicksal der Axolotl in Gefangenschaft zurückzuführen. Die meisten Labortiere stammen von einer einzigen Gruppe von 34 Tieren ab, die auf eine vom damaligen Frankreich finanzierte Expedition im Jahr 1863 in Xochimilco zurückgehen. Zu dieser Zeit kam es in ganz Europa zu einem regelrechten Züchtungswahn, getrieben durch das Interesse von Museen und Naturkundlern.
Im Jahr 1935 wurden dann einige der Tiere aus einem polnischen Labor nach Nordamerika gebracht, wo sie letztlich zum Zuchtstamm der University of Buffalo in New York wurden. Die Wissenschaftler kreuzten eine Reihe von Wildtieren ein und vermischten so den Genpool, einmal sogar mit einem Tigersalamander (Ambystoma tigrinum). Die Population aus Buffalo gedieh prächtig und wurde später an die University of Kentucky in Lexington umgesiedelt, die heute als Zentrum der globalen Axolotl-Zucht gilt. Das bedeutet aber auch, dass die heute in den Labors und Aquarien lebenden Exemplare nicht nur Inzuchttiere sind, sondern auch einen Teil Tigersalamander in sich tragen.
»Die Variabilität wurde sicherlich schon anfangs in Europa und später noch einmal stark eingeschränkt«, erklärt der Projektleiter Randal Voss aus Kentucky, der etwa 2000 Adulte und 3000 bis 5000 Larven betreut. Laut Voss nimmt die Zahl der Forschungsprojekte zum Axolotl auf Grund der modernen Genetik und der Stammzellforschung stetig zu. Seine Gruppe veröffentlichte 2015 die ersten Ergebnisse zum Genom, was einer Herkulesaufgabe gleichkam. Die Größe von etwa 32 Milliarden Basen mit entsprechender Komplexität war zu umfangreich für die vorhandene Computerpower seiner Arbeitsgruppe, weshalb die Daten leider noch unvollständig sind. Aber inzwischen arbeiten auch andere Gruppen verschiedener Zentren daran, das Bild zu vervollständigen.
Problematisch ist allerdings die Krankheitsanfälligkeit der Axolotl, weshalb sich die Anzahl der Tiere in Voss’ Tierstall auch schon deutlich reduziert hat. Die Forscher fürchten schon um ihre Projekte und die Tiere. Wenn sie diese bei einer erneuten weltweiten Infektionswelle aufgeben müssten, würde die Forschung um Jahre zurückgeworfen werden. Dazu kommt, dass keiner sicher sagen kann, wie weit die Labortiere schon von ihren in freier Wildbahn lebenden Verwandten entfernt sind und möglicherweise wichtige Elemente des Regenerationsmechanismus verloren haben. »Bei frei lebenden Tiere würden wir vielleicht andere Mechanismen und Gene finden«, erklärt Sandoval Guzmán. »Jeglicher Verlust genetischer Diversität ist auch ein Verlust für die Wissenschaft.«
Doppelte Finger
»Ich kann nicht sagen wie und warum, aber die Axolotl aus Kentucky sind irgendwie anders«, murmelt Arturo Vergara Iglesias, während er in einen Kübel mit Axolotl schaut, die dort faul herumkriechen. »Sie haben viele Missbildungen, zum Beispiel zu viele Finger.« Vergara Iglesias arbeitet als Biologe am CIBAC (Centro de Investigaciones Biológicas y Acuícolas de Cuemanco), einer Axolotl-Zuchtstation in der Nähe von Xochimilco, und versucht dort ein paar Wildtierlinien zu erhalten. Nebenbei züchtet er noch Axolotl und verkauft sie an Labors und Haustierhändler. Er überwacht ein Becken mit Salamandern in einem der uralten schwimmenden Gärten Xochimilcos, auch chinampa genannt, die zur Information für Touristen gedacht sind. Die Tiere im Becken wie auch die von ihm verkauften Tiere wurden aus 32 nicht weit von hier im Wasser gesammelten Exemplaren gezüchtet. In Mexiko wird der Axolotl als Haustier regelrecht verehrt und ist Teil des Nationalstolzes. Er ziert nicht nur unzählige Erinnerungsstücke und Souvenirs, sondern ist auch das offizielle Emoji der Metropole Mexiko-Stadt.
»Der Axolotl ist ein echtes Überlebensparadoxon«
Richard Griffiths
Keiner weiß genau, wie viele Axolotl überhaupt noch in der Wildnis leben. Laut Zambranos letzter Schätzung im Jahr 2014 waren es weniger als 1000 Tiere, vielleicht sogar weniger als 500. Genauer kann er es nicht sagen, weil es ihm in den letzten zwei Jahren nicht gelang, Gelder für die weitere Beobachtung der Populationen gewährt zu bekommen. Dass er auch nicht einmal Geld für eine einfache Zählung auftreiben konnte, bedeutet nichts Gutes für die Bemühungen um den Erhalt der Tiere.
Seiner Meinung nach gibt es zwei große Gefahren für die Axolotl, welche die Politik angehen müsste. Die erste sind eingewanderte Fische, wie der weit verbreitete Karpfen Cyprinus carpio und die Buntbarschart Oreochromis niloticus. Fatalerweise wurden beide in Xochimilco in den 1970er und 1980er Jahren durch Programme der FAO, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, extra eingeführt, um eine bessere Versorgung der lokalen Bevölkerung mit Protein zu erreichen. Zambrano hat die Bereiche dokumentiert, in denen es noch Axolotl gibt. Nun hat er überlegt, ob nicht ein paar lokale Fischer die Räuber – für Geld – dauerhaft aus dem Weg räumen könnten. Mit ein paar hunderttausend Dollar könnte so den Axolotl ein Bereich gegeben werden, in dem sie sich wieder etablieren könnten, auch wenn sicher nicht alle ihre Feinde eliminiert werden können. Wie Zambranos Arbeiten zeigen, sind Axolotl im Eistadium besonders wehrlos gegen Karpfen, die Jungtiere dagegen eher gegenüber Buntbarschen. Wenn sie aber erst einmal eine gewisse Größe erreicht haben, hätten sie durchaus Überlebenschancen.
Die zweite Gefahr ist weniger einfach anzugehen. Sobald nämlich ein starker Regen das in die Jahre gekommene Abwassersystem füllt, wird auch jede Menge Abfall des Menschen in den Xochimilco geschwemmt. Die Amphibien, die zumindest teilweise über ihre permeable Haut atmen, reagieren sehr empfindlich auf diese Umweltverschmutzung mit Ammoniak, Schwermetallen und etlichen anderen toxischen Stoffen im Wasser. Die Tatsache, dass überhaupt noch Axolotl in freier Wildbahn leben, zeigt aber auch, wie widerstandfähig die Tiere sind.
Das ist ein schwieriges, aber nicht unlösbares Problem. Bisher gab es leider noch keinerlei Ansätze zur Rettung der Axolotl, mal abgesehen von ein paar halbherzigen Programmen für die Öffentlichkeit und einigen Fotoshootings. Das CIBAC entließ 2013 ein paar tausend Axolotl im Rahmen einer Verhaltensstudie in die Freiheit: Ein Teil der Tiere überlebte und schien sich sogar im Folgejahr zu vermehren. Damit sind die im Labor gezüchteten Salamander vielleicht doch noch im Freien überlebensfähig, zumindest wenn sie zuvor in Gefangenschaft eine gewisse Größe erreichen konnten. Das soll aber nun nicht heißen, dass man in Mexiko einfach Tiere in die Kanäle aussetzen sollte, betonen die beteiligten Biologen.
»Es macht wahrscheinlich nicht viel Sinn, Tiere in freier Wildbahn auszusetzen, wenn wir die Gefahren noch nicht ausschalten können«, erklärt Griffiths. »Das Einzige, das wachsen würde, wären die Fischpopulationen, weil mehr Futter für sie vorhanden wäre.« Als Griffiths im Jahr 2000 nach Xochimilco kam, wollte er ein Zuchtprogramm für Axolotl für die freie Wildbahn aufbauen. Doch er und seine mexikanischen Partner kamen schnell davon ab, als sie das verschmutzte und mit Räubern nur so übersäte Ökosystem sahen. Es ergibt keinen Sinn, Axolotl auszusetzen, wenn das ihren Tod bedeutet. Eine langsame Wiedereinführung von Tieren, wie die des Kleinen Wasserfroschs (Pelophylax lessonae) in Großbritannien oder die eines Riesensalamanders namens Schlammteufel (Cryptobranchus alleganiensis) in den USA, bedarf es eines groß angelegten Managements des gesamten Ökosystems, und dies in Zusammenarbeit mit der Bevölkerung.
»Wenn wir zehn Jahre lang jährlich eine Million Dollar zur Verfügung hätten, könnten wir Xochimilco retten. Eigentlich ist die Summe ja gar nichts, verglichen mit der Menge an Geld, die sonst in der Stadt ausgegeben wird«, fügt Zambrano hinzu.
An einem Nachmittag im Oktober versammelt sich der Forscher mit einer Gruppe von Freiwilligen am Teich nahe dem UNAM-Campus, um zehn im Labor aufgezogene, wilde Axolotl in einen geschützten Tümpel zu entlassen. Wenn die Tiere hier überleben und sich vermehren, könnten sie eines Tages zu einer Art Genbank der Axolotl werden. Zambrano hat hier schon immer wieder einmal in den letzten zwei Jahren Tiere ausgesetzt, um ihr weiteres Verhalten und ihren bevorzugten Lebensraum zu untersuchen. Seinen bisherigen Daten nach scheinen die Salamander die eher schmutzigen Teiche den ganz sauberen vorzuziehen – ein weiteres Zeichen dafür, dass Axolotl in Xochimilco überleben könnten, wenn ein Teil der Gefahren beseitigt würde. Neben dieser Aktion züchtet das CIBAC Wildtyptiere, um die genetische Diversität der Spezies zu erhalten. Wenn die Tiere aber keinen passenden Lebensraum haben, werden sie in freier Wildbahn unweigerlich ausgerottet – egal was sonst passiert. Darin sind sich die meisten Forscher einig.
»Das würde mich dann richtig frustrieren«, schließt Zambrano. »Ich sehe das Ganze nun eher von der anderen Seite – ich versuche mein Bestes zu geben, damit es nicht dazu kommt.«
Der Artikel ist im Original unter »Biology’s Beloved Amphibian – the Axolotl – is Racing Towards Extinction« in »Nature« erschienen.
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