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News: Aztekische Angebereien archäologisch analysiert

Dem Sieger eines Krieges gehört die Beute und meist auch das Recht, mit seinem Erfolg zu prahlen. Was aber, wenn die Behauptungen der Sieger nicht stimmen? Ein amerikanischer Anthropologe glaubt nun nachweisen zu können, daß die Berichte der Azteken von der Vernichtung der besiegten Chontal wohl maßlos übertrieben sind. Ausgehend von Aufzeichnungen aus der Zeit nach Ankunft der Spanier, konnte der Wissenschaftler unter Berücksichtigung eigener Funde ein archäologisches Rätsel entwirren. Nachforschungen über den Ursprung dreier gleichnamiger Orte belegen, daß die Chontal auch noch nach Ankunft der Spanier existierten und einen eigenen Herrscher besaßen.
"Erzählungen der Azteken behaupten, daß die Chontal, eine Gemeinschaft, die in der Pufferzone zwischen dem aztekischen und dem Reich der Tarasken lebten, im Jahre 1487 ausgelöscht wurden", berichtete der Anthropologe Jay Silverstein von der Pennsylvania State University beim jährlichen Treffen der Society of American Archaeology 1999 in Chicago. "Aber örtliche Dokumente weisen darauf hin, daß die Chontal immer ihren eigenen Herrscher besaßen, auch unter aztekischer Herrschaft, und daß sie da waren, als die Spanier kamen."

Silverstein, der eine archäologische Ausgrabung etwa 200 Kilometer südwestlich von Mexiko Stadt leitet, versucht die aztekisch-taraskenische Grenze aus der Zeit vor dem Kontakt mit den Europäern zu rekonstruieren. Unter Zuhilfenahme von Dokumenten aus dem 16. Jahrhundert und archäologischer Zeugnisse, konnte er eine Grenzstelle ausfindig machen, an der möglicherweise die Chontal-Festung Oztuma gelegen hat. Verwirrend ist jedoch, daß eine im Jahre 1940 entdeckte Stätte, die ebenfalls als Oztuma identifiziert wurde, aztekisch ist.

Die Dokumente stimmen darin überein, daß die Azteken den chontalischen Stadtstaat von Oztuma zwischen 1469 und 1480 in ihr Reich einverleibten. Außerdem traten die Azteken zu dieser Zeit in einen Krieg gegen ihren westlichen Nachbarn, die Tarasken ein. 1487 krönten die Azteken einen neuen König in Mexiko Stadt, anwesend waren jedoch keine Repräsentanten der Chontal. Aztekische Kundschafter berichteten, daß sich die chontalischen Stadtstaaten Oztuma, Teloloapan und Alahuiztlan im Aufstand befanden. Den Krieg, der dieser Nachricht folgte, verloren die Chontal.

"Zwei Dokumentensammlungen weisen darauf hin, daß die Chontal verloren, aber der zentrale Kern der Dokumente besagt, daß die Azteken die Städte zerstörten und die Chontal durch aztekische Bürger ersetzten, während weitere Aufzeichnungen eine andere Geschichte erzählen", sagt Silverstein. Bei den aztekischen Schriftstücken handelt es sich um eine erzählte Geschichtsschreibung, die nach der spanischen Eroberung von Mexiko Stadt entstanden ist. Die Grenzdokumente sind Teil der Relaciones Geográficas, die aus den Antworten auf standardisierte Fragen (Originalfragebogen, 329 KB) entstanden, die an die unterworfenen Städte in Neu-Spanien gestellt wurden. Die Relaciones weisen Diego Osorio als Gouverneur des Oztuma-Gebietes aus, dessen Vater König zur Zeit der spanischen Eroberung Mexikos im Jahre 1521 gewesen war.

Nach Silverstein sagen die Relaciones jedoch auch aus, daß die Chontal immer einen König besaßen, den sie respektierten, was auf einen chontalischen König deutet. Es existiert jedoch eine gigantische Azteken-Festung – entdeckt und kartographiert um 1940 – und ein tiefer gelegenes Dorf, von dem gesagt wird, daß es sich bei diesen um Oztuma handelt, nachdem die Spanier gekommen waren. Silverstein fand die Festung und den Ort der Azteken, aber anders als die meisten Archäologen annahmen, konnten die geographischen Informationen aus dem 16. Jahrhundert nicht stimmen, wenn es sich hierbei tatsächlich um das Oztuma aus den Relaciones handelt.

Nach einem Gerücht, sollten andere Dokumente in San Simon Oztuma existieren, aber dieser Ort war verlassen. Sie wurden von Silverstein und Kollegen stattdessen in der nahegelegenen Ortschaft Ixtepec aufgefunden. Eine Urkunde aus dem Jahre 1585 trug Don Diego Osorios Unterschrift, was beweist, daß es sich um eine wirkliche Person gehandelt hat. Das läßt vermuten, daß die Chontal die Azteken überlebten. Oberhalb von Ixtepec liegt eine alte Festung, von der Silverstein glaubt, daß es sich um die ursprüngliche Chontal-Festung Oztuma handelt. Ausgrabungen lieferten nur wenig aztekische Tonscherben. Die meisten Funde waren chontalischen Ursprungs.

Es scheint, als ob die Chontal bei Ankunft der Spanier aus ihrer Bergfestung in das Tal von San Simon Oztuma gezogen waren, und die Azteken, die die zehn Kilometer entfernte Festung Oztuma erbaut hatten, in einen Ort namens Acapetlahuaya. Auf diese Weise kamen die Azteken in das Gebiet und errichteten dort eine Festung. Allerdings existierte auch weiterhin die ursprüngliche Chontal-Festung Oztuma. Zusammen mit dem aztekischen Oztuma und einem Ort namens San Simon Oztuma wurden die Dinge allmählich unübersichtlich. "Wenn das chontalische Oztuma als Hauptort in den Relaciones Geografica verwendet wird, machen die Angaben Sinn", sagt Silverstein. "Wir haben eine Reihe von Festungen gefunden, die chontalischen und aztekischen Ursprungs sind und gebaut wurden, um das aztekische Reich vor den Tarasken zu schützen."

Die Chontal teilten bislang das Schicksal vieler Völker, die zwischen zwei Reichen gefangen waren: Sie wurden aus den Geschichtsbüchern gestrichen. Die archäologischen Überreste zeigen jedoch, daß die Chontal eine wichtige Rolle in der Verteidigung des aztekischen Reiches gespielt haben und ihre Identität auch nach Ankunft der Spanier bewahren konnten.

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