Probleme der Laborforschung : Bad Boy Antikörper
Im Jahr 2006 schien der Erfolg für David Rimm zum Greifen nahe. Der Pathologe von der Yale University in New Haven in Connecticut hatte nämlich gerade einen Test zur Prognoseabschätzung bei Hautkrebsbehandlung entwickelt, der vermeintlich Leben retten sollte. Grundlage des Tests waren Antikörper – jene großen, Y-förmigen Proteine, die spezifisch an Biomoleküle binden und diese damit nachweisen. Rimm hatte nun eine Kombination von Antikörpern bestimmt, mit der er Tumorbiopsien anfärben konnte. Anhand der Färbungen wollte er voraussagen, ob ein Patient spezielle, aggressivere Medikamente benötigt, um ein Rezidiv, sprich das erneute Auftreten des Tumors, zu verhindern. Für das Projekt hatte Rimm mehr als zwei Millionen US-Dollar Fördergelder erhalten und wollte den Test noch für die klinische Anwendung weiterentwickeln.
Aber drei Jahre später traten die ersten Schwierigkeiten auf – als er nämlich mit einem neuen Set von Antikörpern die bisherigen Ergebnisse nicht mehr reproduzieren konnte. Die neue Charge der Reagenzien wurde zwar von demselben Unternehmen verkauft und sollte identisch sein mit der alten – aber die Forscher erhielten einfach nicht dasselbe Färbemuster, nicht einmal auf Proben der zuvor bereits untersuchten Tumoren. Rimm musste schließlich sogar seine Arbeiten zum melanomspezifischen Antikörperset aufgeben. "Wir hatten eine Lektion zu lernen: Sei niemals abhängig von bestimmten Reagenzien", sagt er heute dazu. "Das war ein wirklich deprimierendes Labormeeting."
Antikörper gehören in den Biowissenschaften zu den gängigsten Werkzeugen, so genannten Tools, mit deren Hilfe verschiedenste Moleküle identifiziert und isoliert werden können. Allerdings sind sie auch am häufigsten die Ursache für Probleme. Wie bei Rimm kann die Variabilität verschiedener Chargen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen oder – noch problematischer – die unerwartete Bindung an zusätzliche Proteine Schwierigkeiten bereiten. Ganze Projekte werden dadurch zum Kippen gebracht und Zeit, Geld wie auch Probenmaterial verschwendet.
Viele geben den Antikörpern die Schuld an der so genannten "Reproduzierbarkeitskrise" der Forschung. So wird immer deutlicher, dass sich etliche Ergebnisse aus biomedizinischen Experimenten nicht wiederholen lassen und die gezogenen Schlussfolgerungen möglicherweise auf falschen Annahmen beruhen. Schlecht charakterisierte Antikörper tragen wahrscheinlich mehr als andere Tools dazu bei, meint Glenn Begley, der Forschungsvorstand von Tetra Logic Pharmaceuticals in Malvern in Pennsylvania. Er ist auch Autor eines heftig diskutierten Kommentars zur mangelnden Reproduzierbarkeit der Daten aus 47 von 53 wegweisenden Veröffentlichungen der Krebsforschung.
Andere gebrannte Kinder mit schlechten Erfahrungen melden sich nun nach und nach zu Wort. Auch Rimm versucht seit seiner Enttäuschung andere Wissenschaftler zu warnen; er schreibt dazu Reviews, organisiert Webinars und spricht das Problem bei unzähligen Konferenzen an. Zusammen mit seinen Kollegen möchte er einen Standard für Herstellung, Gebrauch und Beschreibung von Antikörpern schaffen – und in der Tat hat sich schon etwas in Richtung Qualitätskontrolle getan.
Doch es ist noch viel zu früh, um von einer echten Bewegung zu sprechen. "Es gibt bereits viele Möglichkeiten, aber niemand nutzt sie, und viele wissen noch nicht einmal davon", sagt Len Freedman, der Leiter der Non-Profit-Organisation Global Biological Standards Institute in Washington D.C., die sich für eine bessere biomedizinische Forschung einsetzt. "Die meisten Anbieter sehen keinerlei Anreize für irgendwelche Veränderungen, obwohl viele Antikörper einfach nichts taugen."
Käufer, seid vorsichtig!
Nehmen wir Ioannis Prassas, der am Mount Sinai Hospital in Toronto in Kanada am Proteom forscht und das Protein CUZD1 zum Nachweis von Pankreaskarzinom (Bauchspeicheldrüsenkrebs) nutzen möchte. Seine Mitarbeiter kauften einen Detektionskit und vergeudeten zwei Jahre, 500 000 Dollar und Tausende von Patientenproben, bevor ihnen klar wurde, dass der Antikörper im Kit überhaupt nicht an CUZD1, sondern an ein ganz anderes Protein namens CA125 bindet. All die Arbeiten um eine viel versprechende Hypothese scheiterten letztendlich an geeigneten Tests, weiß er inzwischen. "Wenn dir jemand einen Assay empfiehlt, dann stürzt du dich darauf und übersiehst völlig, dass all die Versprechungen vielleicht gar nicht stimmen."
Die meisten Wissenschaftler glauben beim Kauf von Antikörpern einfach, was auf dem Etikett des Röhrchen steht, erklärt Rimm. "Als Pathologe wurde ich nicht darauf getrimmt, erst einmal selbst zu testen, ob ein Antikörper auch wirklich das erkennt, was angegeben ist. Mir wurde nur gezeigt, wie ich ihn bestelle."
Das Immunsystem der meisten Wirbeltiere bildet Antikörper, um Eindringlinge wie Bakterien zu eliminieren; seit den 1970er Jahren werden die Moleküle auch von der Wissenschaft genutzt. Wird ein Protein in ein Kaninchen gespritzt, produziert ein Teil seiner weißen Blutzellen, die so genannten B-Zellen, Antikörper dagegen, die sich dann aus dem Blut des Tiers isolieren lassen. Um einheitlichere Antikörper zu erhalten, können die B-Zellen auch zuerst aus dem Blut abgesammelt, mit immortalisierten Zellen fusioniert und kultiviert werden, um danach zumindest theoretisch unendlich viele gleiche Antikörper zu liefern.
Vor 30 Jahren mussten die Wissenschaftler die Antikörper noch selbst herstellen, die sie für ihre Experimente benötigten – seit Ende der 1990er Jahre übernehmen zahlreiche Firmen diese Arbeit für sie.
So gibt es heutzutage mehr als 300 Unternehmen, die mehr als zwei Millionen Antikörper für die Forschung produzieren, im Jahr 2011 mit einem Marktwert von 1,6 Milliarden Dollar, wie das globale Beratungsunternehmen Frost & Sullivan berichtete.
Verheerende Auswirkungen
Aber die Anzeichen mehren sich, dass die Probleme mit den Antikörpern weit reichende und vielleicht verheerende Auswirkungen auf die Forschung haben könnten. Im Jahr 2009 wurde eine ganze Ausgabe einer Fachzeitschrift den Antikörpern gewidmet, die bei der Untersuchung von G-Protein-gekoppelten Rezeptoren (GPCR) eingesetzt werden. Diese sind wichtige zelluläre Signalproteine und gelten als Angriffspunkte für neue Therapien gegen Erkrankungen von Inkontinenz bis Schizophrenie. Von den untersuchten 49 kommerziell erhältlichen Antikörpern gegen 19 verschiedene Rezeptoren banden die meisten an mehr als ein Protein, so dass sich damit die Rezeptoren letztlich gar nicht eindeutig unterscheiden ließen.
Auch die Epigenetik ist bei ihren Untersuchungen zur Modifikation von Proteinen und deren Einfluss auf die Genregulation stark auf Antikörper angewiesen. Laut einer 2011 veröffentlichten Analyse von 246 hier eingesetzten Antikörpern war ein Viertel davon nicht spezifisch und band an mehr als ein Zielprotein. Vier der untersuchten Antikörper waren zwar sehr spezifisch – banden aber leider nicht an das angegebene Zielmolekül.
Unter den Wissenschaftlern spricht sich oftmals herum, welche Reagenzien problematisch sind, aber das Ausmaß der Schwierigkeiten über die ganze Biologie hinweg war bisher nicht klar. Die vielleicht umfassendste Beurteilung stammt aus einer Veröffentlichung des schwedischen Konsortiums Human Protein Atlas, das Antikörper gegen jegliche Proteine des Menschen herstellen möchte. Von den bisher untersuchten kommerziellen Antikörpern, etwa 20 000 Stück, ließ sich mit nicht einmal der Hälfte die Verteilung eines Proteins in fixierten Gewebeschnitten nachweisen. Deshalb sprechen nun einige Forscher schon davon, dass fast jeder zweite käufliche Antikörper nicht vertrauenswürdig sei.
Aber die Zuverlässigkeit der Reagenzien kann auch von der Art des Experiments abhängig sein. "Unseren Erfahrungen nach sind käufliche Antikörper bei manchen Methoden gut einsetzbar, bei anderen dafür aber völlig unbrauchbar", sagt Mathias Uhlén von der Königlich Technischen Hochschule Stockholm, der dort die Arbeiten des Human Protein Atlas koordiniert.
"Antikörper sind keine Zauberer!"James Trimmer
Forscher sollten am besten vor Beginn ihrer Experimente erst einmal überprüfen, ob der vorgesehene Antikörper überhaupt für die gewünschte Methode und das zu untersuchende Gewebe ausgetestet ist. Doch die Informationen hierüber schwanken von Firma zu Firma extrem, und viele Wissenschaftler bemängeln, dass manche Unternehmen die Daten zur Spezifität oder Chargenvariabilität sogar überhaupt nicht zur Verfügung stellen. Manchmal würden auch Antikörper mit Informationen zu alten Chargen ausgeliefert, die oft dazu noch unter idealen Bedingungen erhoben wurden, welche der typischen Situation im Labor nicht entsprächen. Befragte Produzenten hielten dagegen, sie könnten unmöglich alle ihre Produkte unter jeglichen experimentellen Bedingungen testen; die gelieferten Daten seien aber verlässlich und die Qualität der Antikörper würde ständig in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern verbessert.
Viele Forscher wählen ihre benötigten Reagenzien inzwischen über Google aus. Das mag dazu führen, dass Firmen eher an Strategien zur guten Auffindbarkeit im Internet interessiert sind als an der Optimierung ihrer Reagenzien, sagt Tim Bernard, der Leiter des Biotechnologie-Beratungsunternehmens Pivotal Scientific in Upper Heyford in Großbritannien. Wie der Analyst Christi Bird von Frost & Sullivan aus Washington D.C. meint, ist den Wissenschaftlern auch oft mehr an einer schnellen Lieferung als an geeigneten Validierungsdaten zu den Antikörpern gelegen. "Das ist wie bei Amazon: Alle wollen die Antikörper innerhalb von zwei bis drei Tagen geliefert bekommen, und am besten noch versandkostenfrei."
Wer das Problem mit den Antikörpern kennt, rät zu mehr Vorsicht. "Antikörper sind keine Zauberer. Man kann sie auch nicht einfach auf eine Probe geben und ein hundertprozentig verlässliches Ergebnis erwarten, ohne die Daten einmal kritisch zu überdenken", weiß James Trimmer. Er leitet das Unternehmen NeuroMab an der University of California in Davis, das Antikörper für die Neurobiologie herstellt und wie viele andere Firmen explizit die Methoden benennt, für die ihre Produkte eingesetzt werden können – aber die Forscher halten sich einfach nicht immer daran.
Im Idealfall sollten Forscher keine Antikörper kaufen, für die keine ausführlichen Validierungsdaten vorhanden sind oder falls sie diese nicht selbst erheben wollen (siehe "Schlechte Antikörper"). Rimm hält das für ausgesprochen wichtig und hat deshalb ein mehrstufiges Modell zur effektiven Validierung veröffentlicht, das er jedem Interessierten gerne erklärt. Die Umsetzung ist allerdings extrem zeitraubend und umfasst beispielsweise Kontrollversuche, für die erst Zelllinien mit regulierbarer Expression des relevanten Proteins generiert werden müssen. Trotz all seines Enthusiasmus ist Rimm klar, dass nur wenige Labors alle Einzelschritte durchführen werden.
Manche Wissenschaftler kaufen auch erst einmal mehrere Antikörper von verschiedenen Firmen und testen, welche bei ihnen im Labor am besten funktionieren. Dabei kann dann ein und derselbe Antikörper auch mehrmals vorkommen, weil die großen Unternehmen ihre eigene Produktpalette oft durch den Handel mit Reagenzien von kleineren Produzenten ergänzen und lediglich das Etikett auf dem Röhrchen ändern. Laut Bernard sind von zwei Millionen Antikörpern auf dem Markt wahrscheinlich nur 250 000 bis 500 000 wirklich unterschiedlich.
Viele Forscher verlassen sich also zwangsläufig auf Mundpropaganda oder ziehen Veröffentlichungen zu Rate, so dass natürlich immer wieder dieselben Antikörper eingesetzt werden und später entwickelte, bessere Reagenzien nur selten zum Zug kommen, erklärt der Proteomiker Fridtjof Lund-Johansen von der Universität Oslo. "Es gibt sehr gute Antikörper zu kaufen, aber keiner kennt sie", fügt er hinzu. Lund-Johansen möchte deshalb High-Throughput-Assays entwickeln, in denen sich Tausende von Antikörpern auf einmal direkt vergleichen lassen.
Zeit der Antikörpertests
Im letzten Jahrzehnt entstanden verschiedene Projekte, die Informationen zu Antikörpern zugänglicher machen wollen. Das Online-Reagenzien-Portal Antibodypedia vom Human-Protein-Atlas-Konsortium hat mehr als 1,8 Millionen Antikörper katalogisiert und die Validierungsdaten zum Einsatz in verschiedenen Techniken bewertet. Das Portal Antibodies-online bietet seit zwei Jahren ein Programm an, mit dem unabhängige Labors eigene Validierungsstudien selbstständig und meist auf Kosten des Produzenten durchführen können. Bei 275 bisherigen Untersuchungen hat lediglich die Hälfte aller Produkte den erforderlichen Level erreicht und die Auszeichnung "unabhängige Validierung" erhalten. Daneben gibt es weitere Ansätze. So ordnet die Non-Profit-Organisation Antibody Registry den Antikörpern eindeutige Bezeichnungen zu und verlinkt sie mit anderen Quellen, und pAbmAbs arbeitet ähnlich dem Empfehlungsportal Yelp und ruft die Forscher dazu auf, ihre eigene Beurteilung abzugeben.
Bisher konnte sich aber keiner der Ansätze wirklich etablieren; viele der von uns befragten Forscher wussten nicht einmal davon. Der Antikörpermarkt ist inzwischen so überlaufen, dass ein gutes Renommee als Produzent von Qualitätsware bei manchen Firmen schon zum Unternehmensplan gehört. "Bei so viel Konkurrenz müssen sich die Firmen spezialisieren", sagt Bernard. Unternehmen wie Abcam in Cambridge in Großbritannien fordern ihre Kunden dazu auf, ihre eigenen Daten und Beurteilungen auf der Website der Firma zu veröffentlichen. Abcam hat auch das Kundenverhalten analysiert und festgestellt, dass eine Website vor dem eigentlichen Kauf im Schnitt neunmal besucht wird, was für den Wunsch der Kunden nach besserer Information spricht.
Die in San Diego in Kalifornien ansässige Firma Abgent mit ihrer Tochtergesellschaft WuXi AppTec in Schanghai in China testete letzthin ein Jahr lang alle ihre angebotenen Antikörper und entfernte nach Durchsicht der Ergebnisse etwa ein Drittel davon aus dem Katalog. Ob das eine gute Entscheidung war, wird von der Bereitschaft der Kunden abhängen, mehr Geld für bessere Reagenzien auszugeben, sagt der lokale Leiter John Mountzouris. Immerhin gab es seitdem keine Kundenbeschwerden mehr.
Manche Wissenschaftler wünschen sich radikale Veränderungen in dem Business. Im Februar sprachen sich Andrew Bradbury vom Los Alamos National Laboratory in New Mexico zusammen mit mehr als 100 Mitunterzeichnern in "Nature" für einen massiven Wechsel in der Antikörperproduktion und -vermarktung aus. Sie empfahlen, nur noch solche Antikörper einzusetzen, die bis auf die zu Grunde liegende DNA-Sequenz charakterisiert sind und in speziell generierten, rekombinanten Zellen produziert werden. Dies würde zumindest schon einmal einen Großteil der Variabilität vermeiden, die allein durch die Produktion in Tieren entsteht. Das setzt aber den Zugang zu Informationen voraus, die viele Firmen als Betriebsgeheimnis ansehen, und außerdem müsste der Antikörpermarkt mit seinen Millionen von Produkten im Grunde genommen völlig umgebaut werden.
Uhlén, einer der Mitunterzeichner des Kommentars, hält den Plan für ein hehres Ziel. Seiner Meinung nach kostet die von Bradbury gewünschte Herstellungsweise rekombinanter Antikörper 10- bis 100-mal so viel wie die bisherigen Produktionsverfahren und muss dabei nicht unbedingt bessere Antikörper liefern. "Letztlich ist entscheidend, ob ein Antikörper in der Anwendung funktioniert", sagt er. "Auch die DNA-Sequenz sagt im Vorfeld nichts darüber aus." Andere Bemühungen gehen in Richtung schnelle und verlässlichere Produktionswege für Antikörper ohne die Immunisierung von Tieren, beispielsweise durch Expression und Optimierung in Viren.
Der Druck zur Charakterisierung der gegenwärtig verfügbaren Produkte wächst nun langsam. Um die Reproduzierbarkeit von Forschungsdaten zu verbessern, diskutieren Wissenschaftler über ein unabhängiges Gremium und ein Zertifizierungsprogramm für kommerziell erhältliche Antikörper. Mehrere Zeitschriften (einschließlich "Nature") verlangen inzwischen auch eine Erklärung ihrer Autoren, dass die genutzten Antikörper für den Einsatz in der speziellen Methode getestet wurden.
Die Qualität wird sich aber nur äußerst langsam verbessern, meint Trimmer und hofft auf eine positive Feedback-Schleife: Wenn die Forscher von Artefakten anderer erfahren, werden sie auch eher ihre eigenen Ergebnisse hinterfragen und vielleicht mehr Ungereimtheiten erkennen. Immerhin hat die bisher weit verbreitete Unbekümmertheit über die eingesetzten Antikörper abgenommen. "Es tut sich etwas", sagt er. "Wir müssen da am Ball bleiben."
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