Baden-Württemberg: Keltengrab mit seltenem Schatz aus Holz entdeckt
Wenn die Kelten dort, wo heute Süddeutschland liegt, ihre Fürsten zu Grabe trugen, dann sparten sie nicht an Pomp fürs Jenseits. Sie statteten ihre Herrinnen und Herren mit delikatem Goldschmuck aus, gaben ihnen kunstvolle Bronzegefäße mit, feines Keramikgeschirr, Möbel, Wagen, reichlich Wein – und Schweinebraten. All das und Spuren davon haben Archäologen inzwischen häufiger aus dem Boden gehoben, etwa im Hügelgrab von Eberdingen-Hochdorf oder im Bettelbühl-Gräberfeld unweit der einst imposanten Keltenmetropole Heuneburg. Wenn Archäologen im Umfeld jenes Fürstensitzes, der zwischen 620 und 530 v. Chr. im heutigen Baden-Württemberg florierte, ein bislang unbekanntes Keltengrab entdecken, dann sind die Erwartungen groß. Welche Preziosen mögen im Inneren schlummern?
So auch in der Kleinstadt Riedlingen, wo Archäologen auf die Überreste eines großen 2600 Jahre alten Grabhügels unweit der Donau gestoßen sind und ihre Entdeckung nun der Öffentlichkeit vorstellten. Doch: Kein Gold, keine Bronze und kein Bernstein – am Fundort zwischen Ulm und Ravensburg fehlt jede Spur vom gewohnten Prunk der frühkeltischen Hügelgräber des 7. und 6. Jahrhunderts v. Chr. Bei den Ausgräbern macht sich deshalb keine Enttäuschung breit, im Gegenteil, das Grab hat sich als wahrer wissenschaftlicher Schatz erwiesen. Denn die Grabkammer aus Holz ist vollständig erhalten.
Gut drei Dutzend Eichenbohlen, aus denen Boden, Wände und Decke gezimmert wurden, haben die Jahrhunderte unbeschadet überdauert. »Das war auch für uns überraschend, die Holzerhaltung ist absolut ungewöhnlich«, sagt Grabungsleiter und Landesarchäologe Dirk Krausse vom Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart (LAD). Vor allem die Decke sei eine Rarität. Wie die frühen Kelten die Dächer ihrer Elitegräber konstruierten, war bisher ein Rätsel. Zudem: Statt Goldschmuck und Prunkgeschirr »ist für uns die Datierung wichtig«, erklärt Krausse. »Die Ausstattung solcher Gräber kennen wir schon ganz gut von anderen Fundorten.« Denn aus dem Alter und der Lage der Riedlinger Grablege schöpfen die Fachleute neue Erkenntnisse über die keltischen Machtverhältnisse der bekannten Heuneburg.
Erst ein Grabhügel, dann eine Richtstätte?
Dass in dem Acker bei Riedlingen alte Überreste verborgen liegen, sei schon länger bekannt, berichtet Krausse. Im Gelände zeichnet sich eine Erhebung ab, die in der Umgebung als Hochgericht oder Galgenberg bekannt ist. Die historische Deutung dazu lautet, dass die Riedlinger im Mittelalter auf dem Hügel zu Gericht saßen und die Verurteilten an Ort und Stelle aufknüpften. Doch als die Archäologen 2023 zu graben begannen, legten sie nicht die Überreste mittelalterlicher Hingerichteter frei, sondern wenige Skelettteile eines Mannes aus der Hallstattzeit. Das ist jene Phase zwischen 800 und 450 v. Chr., als die frühen Keltenkulturen von Höhensiedlungen aus, den so genannten Fürstensitzen, die Region samt ihren Handelswegen kontrollierten.
Am Galgenberg deckten die Ausgräber schließlich eine vier auf dreieinhalb Meter große Grabkammer auf, die einst unter einem stattlichen Erdhügel lag. Ungefähr 65 Meter dürfte der Tumulus durchmessen haben, schätzungsweise mehr als sechs Meter ragte er über die Donauebene. Damit war die prominente Erhebung weithin sichtbar – und lockte nachweislich Grabräuber. Die menschlichen Knochen fischten die Archäologen nämlich aus einem Schacht, den unerwünschte Besucher dereinst von der Seite in den Grabhügel und eine Kammerwand getrieben hatten. Danach war noch einmal jemand durch die Decke eingestiegen
Dass die wertvollen Beigaben längst verschwunden sind, »war eigentlich keine Überraschung, da die meisten hallstattzeitlichen Gräber beraubt sind«, sagt Krausse. »Aber in diesem Fall war die Beraubung ziemlich gründlich.« Bis auf diverse Holzobjekte, zahlreiche Nägel und ein komplettes Schweineskelett ließen die Eindringlinge nichts liegen. Aus dem wenigen schließen die Archäologen, dass in dem Grab typische Beigaben der frühkeltischen Elite lagen: ein vierrädriger, mit Blech beschlagener Wagen, Möbel, Schmuck und ein vielleicht gegartes Schwein als Speise fürs Jenseits.
Die menschlichen Knochen deuten Krausse und sein Team als Überreste des Bestatteten, den die Grabräuber womöglich auf der Suche nach Wertvollem unsanft auseinanderzerrten. Anthropologe Michael Francken vom LAD untersuchte die wenigen Gebeine. Sie gehörten vermutlich zu einem jungen Mann, der bei seinem Tod zwischen 15 und 20 Jahre alt war.
Aufs Jahr genau datiert
Wann der mutmaßliche Angehörige der keltischen Oberschicht starb, können die Fachleute recht genau festlegen. Etwas außerhalb der Kammer entdeckten sie einen keulenförmigen Gegenstand aus Eichenholz, den Krausse zufolge die Graberbauer zurückgelassen haben. »Es war vielleicht ein Hammer oder das Halbfabrikat eines Spatens«, vermutet der Archäologe. Dendrochronologen stellten fest, dass der Baum, aus dem man das Holzobjekt fertigte, im Jahr 585 v. Chr. geschlagen wurde.
Das Datum fällt in jene Zeit, als die Herren der nahe gelegenen Heuneburg auf dem Höhepunkt ihrer Macht waren. Ihre Siedlung befestigten sie um 600 v. Chr. mit einer für den europäischen Raum bislang einzigartigen Anlage: Aus luftgetrockneten Lehmziegeln errichteten sie eine meterdicke Mauer mit Türmen und tünchten das Bollwerk zur besseren Fernwirkung. Die Idee dazu hatten die frühen Kelten womöglich im östlichen Mittelmeerraum aufgeschnappt.
Dass sie tatsächlich bis dorthin Kontakte pflegten, liegt nahe. Wie Funde belegen, erreichten allerlei Güter die Heuneburg – aus Etrurien, auch aus dem übrigen Italien, aus Griechenland, von der Ostsee sowie aus der westlichen und östlichen Nachbarschaft. Das hatte einen Grund: Wichtige Schifffahrtsrouten für den Fernhandel durchkreuzten die Region um die Heuneburg.
Sogar der griechische Historiker Herodot scheint die Handelsdrehscheibe am Oberlauf der Donau gekannt zu haben, als er im 5. Jahrhundert v. Chr. in seinen »Historien« schrieb: »Der Istros (die Donau) entspringt bei den Kelten und der Stadt Pyrene und fließt mitten durch Europa.« Jenes Pyrene halten Fachleute schon länger für die Heuneburg. Aus Baden-Württemberg fehlen dazu Textzeugnisse, da die Kelten keine Schriften hinterließen.
Fürstengräber derselben Zeit im Bettelbühl
Die Datierung des neu entdeckten Grabes führte die Archäologen noch an einen anderen Ort: ins Gräberfeld Bettelbühl, wenige Kilometer von der Heuneburg entfernt. Bald nachdem der junge Mann von Riedlingen bestattet worden war, entstand im Winter 583/582 v. Chr. dort das Grab der so genannten Fürstin von Bettelbühl. Auch das ergaben Jahrringdaten von Hölzern. Die zeitliche Nähe, aber unterschiedliche Position der beiden Hügelgräber liefert den Forschern genug Stoff, um die Machtverhältnisse in jener Region aufzuklären.
Dabei spielt die Lage der frühkeltischen Fundstätten eine Rolle. Die Elite setzte mit ihnen Marker in die Landschaft und schuf Sichtachsen zwischen Gräbern, Siedlungen und heiligen Plätzen, wie Krausse und seine Kollegen annehmen. So liegt der Fundort bei Riedlingen etwa sieben Kilometer von der Heuneburg entfernt. Ebenso weit ist es bis zum Bussen, der auch als heiliger Berg Oberschwabens firmiert. Vom Grab aus war die Heuneburg in der Ferne jedoch nicht zu sehen, der Bussen hingegen schon. »Das Riedlinger Grab scheint also eher auf den Bussen bezogen zu sein«, so Krausse. Um etwa 1100 v. Chr. ging die Macht in der Region von jenem heiligen Berg aus. Das ergaben Grabungen. Zuvor, ab zirka 1600 v. Chr., lag das Zentrum auf der Heuneburg, das sich danach um 600 v. Chr. dorthin zurückverlagerte.
Hatte sich damals ein Machtwechsel vollzogen? Übernahmen die hallstattzeitlichen Herren der Heuneburg das Ruder von den Bussener Fürsten? Sicher klären lässt sich die Frage nicht, aber laut Krausse spricht einiges dafür, dass es keine Machtverschiebungen gab, sondern dieselben Familien über Jahrhunderte die Region kontrollierten und lediglich die Lage ihrer Fürstensitze änderten. So hatten sie ihren bedeutendsten Kultplatz durchgängig aufgesucht.
Erstmals komplette keltische Grabkammer dokumentiert
Auch wenn sich die Geschichte der keltischen Herrschergeschlechter nicht mehr genau nacherzählen lässt, so konnten die Archäologen um Krausse ein anderes Rätsel lösen: wie die Kammerdecken der Gräber konstruiert waren und warum. Denn dank der starken Feuchtigkeit und der luftdichten Lagerung im Boden blieben bei Riedlingen die Hölzer erhalten. Vielleicht befand sich an Ort und Stelle ehemals ein Moor. Das legt jedenfalls die schwarze Färbung des Bodens nahe. Selbst wenn Fachleute den genauen Prozess noch nicht kennen: Der gute Erhalt ist ein Sonderfall.
Aus Süddeutschland sind einige Dutzend hallstattzeitliche Fürstengräber bekannt, aber bislang nur in einem Fall fanden Ausgräber eine Kammer mit intakter Decke, berichtet Krausse. Im Magdalenenberg in Villingen-Schwenningen stießen sie auf eine solche Konstruktion, allerdings schon 1890. Den Balkenbau, der erst Jahre später teilweise konserviert wurde, dokumentierte man damals nur mit wenigen Schwarz-Weiß-Fotografien. Er sieht dem aktuellen Riedlinger Fund ähnlich, an dem sich die Bauweise jedoch genauer studieren lässt.
Für die Riedlinger Kammerdecke schichteten die Erbauer fünf Meter lange Eichenstämme in zwei Lagen übereinander. Dabei lagerten sie die Bohlen der einen Schicht im rechten Winkel zur anderen. In der Mitte der Decke platzierte man zwei weitere Balken, deren Zweck noch unklar ist. Doch wofür diese doppelte Packung? Sollte das stabile Konstrukt das Gewicht des Erdhügels abfangen? »Wir nehmen eher an, dass die beiden Lagen zum Schutz gegen Grabräuber dienen sollten«, erläutert Krausse. »Das war zwar nicht erfolgreich, aber zeigt, dass man keinen Aufwand scheute. Man ahnte wohl schon, dass die Gräber gefährdet sind.«
Als Boden hatten die Handwerker starke Dielen verlegt. Und für die Wände setzten sie jeweils zwei brettartige Bohlen an den Längskanten übereinander, ließen sie an den Ecken überstehen und verschränkten sie dort in Blockbauweise. Von oben in die Decke, an jeder der vier Ecken, schlugen sie zudem Holzpfähle ein. Die Stangen dienten womöglich als Konstruktionshilfe.
Die Grabungen an der Kammer sind noch nicht abgeschlossen. Im Dezember soll es jedoch so weit sein, »es sei denn, da liegt noch etwas ganz Ungewöhnliches«, sagt Krausse. Sicher sei bereits, dass die Eichenbohlen konserviert werden. In ungefähr drei Jahren sollen die Arbeiten abgeschlossen sein. Anschließend wird die Grabkammer in einem neuen Besucherzentrum auf der Heuneburg wieder aufgebaut. Zudem wollen die Fachleute der Identität des Toten näher kommen. Geplant ist dafür eine DNA-Analyse der Knochen.
Auch auf dem Galgenberg bei Riedlingen soll es weitergehen. Als Nächstes wollen Krausse und sein Team den Grabhügel selbst untersuchen. Geophysikalische Karten haben gezeigt, dass im Untergrund weitere Holzfunde oder sogar Gräber zu erwarten sind. Kleinere Bestattungen aus der Hallstattzeit haben die Fachleute im Umfeld der Kammer bereits entdeckt. Ob im Galgenberg vielleicht doch Gold schlummert, ist aber weiterhin nicht so wichtig.
Anmerkung der Redaktion am 24. Oktober 2024: Wir haben den Artikel um Details der Kammerkonstruktion ergänzt.
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