Bäume im Stress: »Dieses Jahr sehen wir Ozonschäden überall«
Der Wald in Deutschland ist in keinem guten Zustand: Laut dem Waldschadensbericht der Bundesregierung gelten vier von fünf Bäumen als krank; mancherorts sind ganze Bestände abgestorben. Einer der wichtigsten Faktoren ist die Dürre, die seit 2018 immer wieder Mitteleuropa heimsucht. Doch Trockenstress ist nicht das Einzige, was Buche, Fichte und Co belastet, wie der Schweizer Waldökologe Pierre Vollenweider von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in Birmensdorf im Gespräch mit »Spektrum.de« berichtet.
Herr Vollenweider, hier in Deutschland haben schon viele Bäume ihre Blätter verloren, obwohl es noch sehr warm ist und der Sommer sehr regenreich war. Wie sieht es bei Ihnen aus?
Pierre Vollenweider: Wir sehen hier in Birmensdorf bei Zürich die ganze Palette. Es gibt Entfärbungen, Verfärbungen und auch entlaubte Bäume. Manches davon ist normal für die Jahreszeit, wie zum Beispiel die braune Fruchtbildung in Ahorn- und Hainbuchenarten. Viele Bäume zeigen aber eindeutige Stresssymptome.
Woran liegt das?
Grundsätzlich an den wiederholten Hitzeperioden, die zu erhöhtem Stress und verfrühter Blattverfärbung führen. Im Detail gibt es noch andere Gründe, je nach Baumart und Region. Bei manchen Arten wie der Rotbuche haben wir dieses Jahr ein Mastjahr beobachtet. Zudem tragen die Borkenkäfer mancherorts stark zur Entlaubung der Fichten bei. Auch die Weißtanne zeigt Nadelverfärbungen, die dann abfallen. Das liegt wiederum an anderen Borkenkäferarten.
Anfang September würden die Blätter aber normalerweise noch nicht fallen, oder?
Sicher nicht. Woher rufen Sie an?
Aus Freiburg im Breisgau.
Da müssten die meisten Blätter noch grün sein und an den Bäumen hängen. Häufig sind die Blätter, die schon früh im Jahr durch abiotische Schadfaktoren wie Spätfrost oder biotische Schadfaktoren wie Milben, Insekten und Pilzbefall beschädigt wurden, die ersten, die sich entfärben und abfallen. Auslöser für den frühen Blattfall kann eine Hitzewelle oder eine lange Trockenheitsphase im Sommer sein. Bei langer Trockenheit wie im Jahr 2018 oder teilweise im vergangenen Jahr können die Bäume ihr Laub grün abwerfen. Doch das bedeutet für den Baum einen großen Verlust von Nährstoffen. Dieses Jahr habe ich das nur in Ausnahmefällen beobachtet.
Was haben Sie in diesem Jahr beobachtet?
Im gesamten Nordalpenraum bereitet uns eine Baumart besonders Sorge: die Rotbuche. Die Blätter sind häufig sehr klein, eine Menge Früchte hängen an den Zweigen. Und das geht vermutlich in erster Linie auf die Trockenheit im Jahr 2022 zurück. Die Buche ist dieses Jahr ein besonders großes Sorgenkind.
Das heißt, dass viele Bäume erst verzögert auf die Dürre im vergangenen Jahr reagieren. Trockenheit war in diesem Sommer ja kein großes Thema, höchstens im Juni, oder?
Wir hatten keine so intensive Trockenperiode wie 2022. Aber im Frühjahr, kurz vor dem Blattaustrieb, hat man sich große Sorgen gemacht. Dann kam der Regen. Und nur der Frühsommer fiel zu trocken aus. Aber von Region zu Region gibt es große Unterschiede.
Es gibt noch einen anderen Grund, weshalb sich Blätter verfärben und früher abfallen: Ozon.
Oh ja, und diese Schäden werden von den meisten Leuten übersehen.
Wie lassen sich die Ozonschäden erkennen, und wie groß ist der Schaden aktuell?
Vielleicht kurz zum Hintergrund: In der Schweiz werden die Ozonschäden im Spätsommer in unseren langfristigen Waldökosystem-Beobachtungsflächen begutachtet. Dieses Monitoring besteht in 8 von 19 Dauerbeobachtungsflächen, auf denen die WSL seit 1994 regelmäßig Messungen vornimmt. Die Symptome entwickeln sich im Lauf des Sommers und sind im Spätsommer sehr gut sichtbar. Man erkennt die Schäden an Entfärbungen, Rötungen und braunen, typischerweise bronzeartigen Verfärbungen des Blatts. Manchmal kann man das sogar von Weitem erkennen, und der Schaden macht sich an der Triebspitze im äußeren Kronenbereich bemerkbar. Dieses Jahr sehen wir Ozonschäden überall und in verschiedenen Baum- und Straucharten. Letztes Jahr gab es außergewöhnlich wenige Ozonschäden.
Wie kann das sein? Letztes Jahr gab es mehrere Hitzewellen, in denen die Ozonwerte stark anstiegen.
Zwar gab es hohe Ozonwerte, die Bäume konnten es aber nicht aufnehmen. Das hat mit der Hitze und der Dürre zu tun: Ist es sehr heiß und trocken, schließen die Bäume ihre Spaltöffnungen und nur wenig Ozon wird absorbiert. Deshalb sind Ozonschäden im Mittelmeerraum weniger verbreitet. Bald veröffentlicht eine Forschergruppe aus meinem und anderen europäischen Forschungsinstituten eine Studie, die die Verbreitung und Häufigkeit in Zusammenhang mit der Ozonbelastung in Europa untersucht. Der Studie zufolge hat eine Mehrheit der Laubbaumarten und Büsche in Europa Ozonsymptome in den letzten 15 Jahren gezeigt.
Aber die Ozonwerte sind doch leicht rückläufig, oder?
Das schon, sie sind aber weiterhin auf hohem Niveau. Ozon trägt dazu bei, dass sich die Blätter früher verfärben und sich der Blattfall beschleunigt.
Welche Baumarten zeigen diese Ozonschäden besonders oft?
Bei den Baumarten kann man die Rotbuche, die Hainbuche und die Salweide hervorheben, die auffällige Ozonschäden zeigen. Bei den Büschen würde ich die Haselnuss oder den Roten Hartriegel erwähnen.
Sind die Ozonschäden bei uns in Mitteleuropa am häufigsten?
Für eindeutige Aussagen ist es noch zu früh. Aber es sieht danach aus.
Gibt es Unterschiede zwischen Städten und Waldgebieten?
Pauschal kann man das nicht sagen, und außerdem fehlen uns Daten mit der nötigen Auflösung. Bei Städten schwanken die Ozonkonzentrationen zwischen Tag und Nacht und wegen der vermehrten Aerosole stärker. Ozon ist ein sekundärer Luftschadstoff, er bildet sich aus Vorläuferstoffen, die hauptsächlich der Mensch verursacht. Die Hauptquelle sind die Stickoxide aus dem Straßenverkehr, deshalb gibt es weltweit eine gute Korrelation zwischen dicht besiedelten Regionen und hohen Ozonkonzentrationen.
Viele Bäume zeigen kahle Kronen. Sind das hauptsächlich Ozonschäden? Oder führen Sie diese auf Dürren zurück?
Die beobachteten Schäden können unterschiedliche Ursachen haben. Bei Eschen beispielsweise gehen die Schäden auf einen Pilz zurück, das Falsche Weiße Stängelbecherchen. Der führt zu Eschentriebsterben oder Eschenwelke. Bei anderen Baumarten sehen wir komplexe Gemengelagen. Aber die Hitzeperioden spielen die Hauptrolle in den momentan und allgemein beobachteten Verfärbungen und Blattausfällen.
Setzt der drastische Wechsel zwischen kalter und heißer Luft den Bäumen so sehr zu, dass ihre Blätter früher verfärben und sie sie fallen lassen?
Nicht während des Sommers. Wie gesagt: Hitze stellt das größte Problem dar. Kühlung kann diesen Stress entschärfen, auch wenn es nach einem Gewitter nur kurz frischer wird. Ein Hauptgrund dafür ist, dass kühle und häufig auch feuchte Luft die Saugspannung im Baum reduziert. Mit der Rückkehr der Niederschläge können sich die Bäume dann erholen. Im Herbst können Kälteeinbrüche den Blattfall beschleunigen, besonders wenn es frostig wird.
Kann ein wiederholter Ozonschaden den Baum absterben lassen?
Nein, das haben wir bislang nicht beobachtet. Man rechnet jedoch damit, dass Ozonschäden verschiedene negative Einflüsse auf die Bäume haben. Darunter fallen ein niedriges Holz- und Wurzelwachstum oder eine verringerte Kohlenstoffspeicherung.
Woher weiß der Baum eigentlich, dass es Zeit ist, die Blätter fallen zu lassen?
Das ist eine Kombination aus sinkender Tageslänge und niedrigeren Temperatur. Vor allem kalte Temperaturen und Frost setzen den Blättern zu. Sie verfärben sich dann und fallen schließlich ab.
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