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News: Bakterielle Egoisten

Auch Bakterien können soziale Systeme bilden und selbstlos sein, was häufig genug das Überleben der Gemeinschaft sichert. Die Myxobakterien sind ein klassisches Beispiel. Aber auch unter ihnen gibt es Störenfriede, die in Notsituationen wie Hunger die Hilfe anderer beanspruchen, ohne sich erkenntlich zu zeigen. Mehr noch, sie überleben auf Kosten ihrer Helfer.
Myxobakterien gehören zu den interessantesten Mikroorganismen. Sie unterscheiden sich von den meisten Bakteriengattungen, weil sie als soziale Wesen zusammenleben. "Gemeinsam sind wir stark", ist anscheinend das Motto dieser Bodenbakterien, Einzelkämpfer gibt es bei ihnen nicht. So leben sie wie in einer Herde und gehen gemeinsam auf Futtersuche. Wenn es gerade nichts zu essen gibt, opfert sich sogar ein Teil der Population, damit der andere überleben kann. Dafür lagern sich alle Individuen zu einem so genannten Fruchtkörper zusammen, in dem die Zellen über chemische Signale kommunizieren und bestimmen, wer sterben muß. Wen das Schicksal ereilt, der gibt sein Zellinneres frei und stellt somit Nahrungsstoffe zur Verfügung. Die Überlebenden brauchen dieses Futter, um sich selber in Sporen umzuwandeln, eine Art Ruhestadium, in dem die Bakterien "Winterschlaf" halten und auf bessere Zeiten warten.

"Selbst in diesem einfachen Sozialsystem gibt es Betrüger", sagt Gregory Velicer. Der Wissenschaftler von der Michigan State University untersucht das Verhalten des Bakteriums Myxococcus xanthus. Unter mehreren Myxococcus-Varianten hat er einige ausgesprochene Schmarotzer gefunden, die sich ohne Rücksicht auf die ehrlichen Organismen durchsetzen (Nature vom 6. April 2000). Diese Varianten unterscheiden sich von den Wild-Typ-Bakterien durch Defekte in den Entwicklungsgenen: Während der Hungerphasen können solche Mutanten weder Sporen noch Fruchkörper ausbilden. Allerdings erlebte das Team um Velicer eine Überraschung, als es Wild-Typ und Varianten von Myxococcus zusammen gab und beobachtete, wie sich die Mischung unter Nahrungsmangel verhält. Die Forscher hatten erwartet, dass die defekten Bakterien zugrunde gehen, aber es geschah genau umgekehrt. Die Varianten konnten die Botschaften der Wild-Typ-Bakterien nutzen, ihre eigene Schwäche dabei ausgleichen und wieder Sporen bilden. Darin waren sie sogar besser als ihre nichtsahnenden Kollegen. "Die Betrüger sporulieren nicht auf gleichem Niveau wie die normalen Zellen, sondern sie bilden mehr Sporen", sagt Velicer.

Die Ergebnisse aus Michigan liefern wertvolle Einblicke, wie Populationen von Myxobakterien sich verhalten und wandeln können. Der Konflikt zwischen den normalen und den abtrünnigen Organismen ist ein "wichtiger Faktor in der Entwicklung aller kooperativen sozialen Systeme", so Velicer. Es gibt immer einen Anteil an hinterhältigen Betrügern, wäre er größer, würde das System zusammenbrechen. Aber während der Evolution hat dieser Anteil an Egoisten wohl ausgereicht, damit aus dem Verband einzelner Bakterien kein vielzelliger Organismus entstand.

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