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Mikrobiologie: Bakterieller Elektroschocker

Was mikroskopisch kleine Wesen mit noch kleinerem Elektro-Spezialwerkzeug tun, um aus exotischem Material lachhaft kleine Energiemengen zu produzieren - es sollte uns interessieren. Zumindest, wenn wir einmal schicke, kleine, nanoelektronische Geräte verdrahten wollen.
<i>Geobacter sulfurreducens</i> bildet Pili
Geobacter ist unsere Freundin. Oder verdiente es zumindest, meinen Mikrobiologen angesichts all der angenehmen Umgangsformen und Vorlieben der Mikrobe. Sie – ein wenig beachtet im Faulschlamm unter Luftabschluss hausendes Wesen – könnte etwa zur Entgiftung von schwermetallverunreinigten Böden herangezogen werden.

Dies ist aber nur eine von einigen Eigenheiten, die dem Keim als allerersten menschlichen Freund Derek Lovley, einen Mikrobiologen der Universität von Massachusetts einbrachte – er und seine Kollegen entdeckten und beschrieben die erste Geobacter'sche in Schlammproben des Potomac-Flusses bei Washington D.C. im Jahr 1987. Seitdem wurde längst klar, dass die kosmopolitische Verwandschaft des kleinen Keims eine Sippe der Extreme ist – zu ihnen gehören etwa jene hitzestabilsten aller Bakterien, die auch bei flotten 121 Grad Celsius noch gemütlich leben und gedeihen. Allerlei sonst bei Bakterien nicht zu findende Kniffe machen im bevorzugten Lebensumfeld Geobacter-Spezies häufig erfolgreicher als ihre Mikroben-Konkurrenz.

Eine weitere überraschende Qualität offenbarte nun auch Geobacter sulfurreducens. Ihr Name ist Programm – die Mikrobe reduziert Schwefel, um Energie zu gewinnen. Dabei ist sie aber nicht zimperlich, sondern kann zu diesem Zweck durchaus auch einmal auf allerlei Eisenoxide zurückgreifen, derer sie im Boden habhaft wird. Egal ob Schwefel oder Eisen-III-Oxid, rein stoffwechseltechnisch macht Geobacter damit im Prinzip nichts wesentlich anderes als wir Menschen mit Sauerstoff: Wir und der Keim übertragen letztlich stetig Elektronen aus einem Nahrungsbestandteil auf unseren bevorzugten elektronenhungrigen Molekülempfänger (eben Sauerstoff bei uns, Eisenoxid oder Schwefel bei Geobacter), wobei verwertbare Energie abfällt, die dann in zelleigener Energiewährung zur späteren Verwendung auf die hohe Kante gelegt wird.

Stoffwechselbiologisch heißt dieser Vorgang "Atmung": Beim Menschen entsteht dabei durch den Elektronenübergang aus Sauerstoff H2O, bei Geobacter aus Schwefel H2S – oder aber aus Eisen-III-Oxid ein Eisen-II-Oxid. Praktisch ist eine solche Eisenveratmung besonders dann, wenn kein Sauerstoff zur Verfügung steht. Praktisch auch für umweltsorgsame Menschen könnte dies noch werden – bislang allerdings noch eher theoretisch –, wenn außer Sauerstoff auch Eisenoxide fehlen, dafür aber in rauen Mengen etwa giftige Uranoxide im Angebot sind, wie eben in stark kontaminierten Böden. Diese können von Geobacter ausnahmsweise auch verwertet und zu schwerlöslichen Verbindungen umgeatmet werden, die dann zumindestens nicht länger im Grundwasser umhergeschwemmt ihr Unwesen treiben können.

Neben dem gegenüber Sauerstoff eher mäßigen Energiegewinn hat ein durchschnittliches Metalloxid allerdings einen nicht unerheblichenNachteil: Es läßt sich von einem lungenlosen Bakterium ziemlich schwer einatmen – oder sonst wie zum Ort der Energiegewinnung transportieren. Kein Wunder, ist doch etwa ein Eisenoxidpartikel schon halb so groß wie ein stattliches Geobacter-Exemplar selbst. Schon vor gut zwei Jahren hatten Lovley und Kollegen allerdings gezeigt, wie Geobacter im Boden trotzdem an seinen energetisch unverzichtbaren Metalloxid-Elektronenakzeptor herankommt: Die Mikrobe entwickelt Schwimmgeißeln und erschnuppert sich ihren Weg entlang der Spuren wasserlöslicher Verbindungen, die beim Metallveratmen anderer Geobacter nebenbei anfallen. Selbst am Ziel angekommen, bilden die Bakterien dann so genannte Pili aus, winzige fadenförmige Anhänge mit nur drei bis fünf Nanometern Durchmesser, mit denen sie sich dann am Metalloxid festklammern.

Die Pili von Geobacter sulfurreducens | Mit gentechnischen Tricks lassen sich Geobacter-Stämme herstellen, di gar keine Pili produzieren (und dann auch kein Eisenoxid veratmen können) – oder aber Stämme mit "Hyperpilie" wie dem gezeigten, bei dem Pili gleich büschelweise entstehen. Die Pfeile deuten auf die Pili.
So dachte Lovley zumindest bis vor kurzem – und muss nun widerufen. Allerdings mit Freuden: Die Pili können viel mehr als nur klammern, so die neuesten Erkenntnisse. Einer Geobacter-Mutante, der die Forscher die Pili- Produktionsbefähigung auf gentechnischem Wege entzogen hatten, gelang es nämlich durchaus, sich am Eisensubstrat festzuklammern. Nur: Verwerten, also veratmen, konnten die Mutanten das Metall nicht länger. Was aber hatten die Pili überhaupt mit der Atmung zu schaffen?

Die Forscher näherten sich den winzigen fadenförmigen Anhängen mit Hilfe eines speziell umgebastelten Raster-Kraftmikroskopes, mit dem sie die elektrische Leitfähigkeit der Pili bestimmen konnten. Dabei zeigte sich, dass die kleinen Anhänge hervorragend elektronenleitende Nanodrähte sind. Andere Anhänge der Bakterien sowie die Pili von nicht näher verwandten Metallreduzierern leiteten dagegen nicht.

Geobacter veratmet Eisenoxid-Partikel | Geobacter transportiert mit Hilfe der Pili Elektronen auf den Elektronenakzeptor am Ende der Eisenatmungskette. Die Eisen-III-Oxide sind als schwarzer Ausfall sichtbar und werden von den Pili (Pfeile) des Bakteriums eng kontaktiert.
Ganz offenbar bilden die Geobacter-Keime Pili in Gegenwart von Metalloxiden zu genau einem Zweck: Sie transportieren mit ihnen Elektronen vom Zellinneren auf das zelläußere Substrat und verlagern so den letzten Schritt der Atmungskette nach draußen – ein Outsourcing, das den Import des zu veratmenden Elektronenakzeptors überflüssig macht. Und eine Struktur, die so noch nie im Bakterienreich beobachtet wurde und "alle unsere bisherigen Konzepte über die Elektronenbehandlung in Bakterien völlig über den Haufen schmeißt", so Lovley.

Überreicht werden den Pili die Elektronen übrigens entweder von im zellinneren Zytoplasma zirkulierenden Proteinen oder den in solchen Elektronentransportvorgängen immer verdächtigen Cytochromen der bakteriellen Membran. Sei dies wie es sei, meinen die Forscher, jedenfalls erweitere Geobacter mit den Leitpili das Spektrum möglicher Veratmungssubstrate deutlich. Entscheidende Vorteile liefert dies etwa in Böden, in denen Eisen-III-Oxide schlecht erreichbar verstreut als Beläge von Ton und anderen körnigen Substraten verteilt sind.

Über dem Boden aber sieht Lovley tatsächlich noch größeres Entwicklungspotenzial für Geobacters Pili – vielleicht, so spekuliert er, sind aneinander gehängte und damit weit verlängerte Pili genau der Stoff, aus dem in Zukunft einmal die im Nanotechnologie-Sektor dringend benötigten Drähte gemacht sein werden. Ähnlich leitfähige und dünne Nanodrähte, die Geobacter-Kolonien im Vorübergehen produzieren, sind vom menschlichen Nano-Ingenieur jedenfalls bislang nur mit enormem Aufwand herzustellen.

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