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Mikroben: Gut leben im Endlager

Die Suche nach einem Endlager für radioaktiven Abfall geht weiter. Die Lebensgemeinschaften unter Tage könnten den Betreibern Probleme bereiten - oder ihnen helfen.
Atommüllfässer

In der Mine Königstein in der Sächsischen Schweiz hängen ganz besondere Stalaktiten von der Decke. Denn die vermeintlichen Tropfsteine bestehen nicht wie in vielen anderen Höhlen aus Kalkstein, sondern aus lebenden Zellen. In bis zu 45 Zentimeter langen Filmen hängen Bakterien von der Decke, die sich in einer auf den ersten Blick lebensfeindlichen Umgebung offenkundig wohl fühlen: Sie leben in saurem Wasser, das voller Salze steckt und in dem reichlich Uranverbindungen vorkommen. Königstein ist nicht irgendeine Mine, sondern ein ehemaliges Uranbergwerk, dessen Geschichte 1963 begann.

Damals wurde in der Nähe der Ortschaft Königstein eine Uranlagerstätte entdeckt, in der 30 000 Tonnen des für Kernkraftwerke und Atombomben benötigten Erzes im Sandstein der Sächsischen Schweiz steckten. Wurde das radioaktive Schwermetall ab 1967 noch konventionell abgebaut, stellten die Betreiber 1984 auf ein chemisches Verfahren um. Durch Bohrlöcher pressten sie verdünnte Schwefelsäure in den Sandstein oder füllten sie in dort gesprengte Kammern. Später wurde die Flüssigkeit zusammen mit den so aus dem Gestein gelaugten Uranverbindungen an die Erdoberfläche gepumpt. Dort gewann man das Uran in einer Aufbereitungsanlage aus der Lösung und leitete den Rest wieder in das Gestein zurück – eine weltweit eingesetzte Methode.

Mehr als 50 Millionen Tonnen Gestein wurden in Königstein mit dieser Wasser-Schwefelsäure-Mischung gelaugt. Ein Teil der verdünnten Säure blieb in den Poren stecken und löste auch dann noch Uran und andere Schwermetalle heraus, als das Bergwerk nach der Wende 1990 geschlossen wurde. Hätten die Betreiber damals die Pumpen abgestellt, wären die Stollen unkontrolliert vollgelaufen. Dieses Wasser hätte schließlich Uran- und Schwermetallverbindungen aus dem Sandstein ins Grundwasser oder in Bäche, Flüsse und Seen an der Oberfläche spülen können.

Elixier Flutungswasser

Um eine solche Umweltkatastrophe zu vermeiden, begann die für das Stilllegen der Urananlagen in der ehemaligen DDR zuständige bundeseigene Wismut GmbH daher 2001 damit, die Stollen kontrolliert und langsam mit Wasser zu fluten. Zusammen mit der ohnehin aus dem Gestein sickernden Flüssigkeit wird dieses Wasser von der tiefsten Stelle des Bergwerks an die Oberfläche gepumpt. Dort trennt eine Aufbereitungsanlage die reichlich gelösten Uranverbindungen ab, bevor das gereinigte Wasser in die Elbe geleitet wird.

Tunnel im schwedischen Versuchsendlager Äspö | Leben findet an den extremsten Orten statt – so auch in den Granitstollen des schwedischen Versuchsendlagers Äspö. Ihre Energie gewinnen die Organismen etwa aus der Verstoffwechslung von Eisen.

Im Jahr 2008 stiegen dann Evelyn Krawczyk-Bärsch und Thuro Arnold vom Institut für Ressourcenökologie des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) mit weiteren Wissenschaftlern in das Uranbergwerk, um das Flutungswasser zu untersuchen. 20 bis 30 Zentimeter dicke, schleimige Biofilme aus Bakterien schwammen dort in den Flutungskanälen, von der Decke hingen besagte Stalaktiten, von deren Spitzen Wasser auf den Boden tropfte. Tatsächlich werden sie im wissenschaftlichen Englisch »snottites« genannt, abgeleitet von »snot« für »Nasenschleim«. Dieser Schleim lebt nach den Analysen der HZDR-Forscher in sehr saurem Wasser, das jede Menge Metalle enthält, unter denen Eisen und natürlich Uran dominieren. Selbst das vorhandene Arsen macht ihnen nichts aus. Die Biofilme wiederum bestehen aus sehr vielen unterschiedlichen Mikroorganismen wie Bakterien, Algen und Amöben bis zu Hefen und anderen Pilzen.

Besonders häufig fanden die Forscher Ferrovum-myxofaciens-Bakterien, die gern in saurem Wasser vorkommen. Sie setzen zur Energiegewinnung Eisen mit Sauerstoff um. Die von den Bakterien hergestellten Eisenverbindungen färben den von der Decke hängenden und langsam fester werdenden Schleim in einem kräftigen orangebraunen Farbton.

Die Forscher vermuten, dass die Mikroorganismen die Gifte in ihrer Umwelt ausfiltern. Diese Erkenntnis aber lenkt den Blick auf die Endlager in verschiedenen Weltregionen, in denen möglichst für immer hoch radioaktive Abfälle aus Kernkraftwerken und anderen Einrichtungen gelagert werden sollen. Könnten auch dort Mikroorganismen eine Rolle spielen? Und falls ja, welche?

Helfer im Endlager?

Unter einer Insel vor der Schärenküste im Südosten Schwedens untersuchen Wissenschaftler und Ingenieure im Untertagelabor Äspö, welche Prozesse einige hundert Meter unter der Oberfläche ein Endlager für hoch radioaktive Abfälle in Granitgestein beeinflussen. »Selbst in 700 Meter Tiefe haben unsere schwedischen Kollegen in den 1990er Jahren an den Wänden des Granitgesteins Mikroorganismen gefunden, die auch in dicken Filmen an den Wänden wachsen«, erinnert sich Evelyn Krawczyk-Bärsch vom HZDR-Institut für Ressourcenökologie. Diese Organismen sind offensichtlich quicklebendig: »Wenn wir den Schleim von den Wänden der Klüfte kratzen, um ihn in unseren Dresdner Labors zu untersuchen, wächst in der Tiefe die Schicht in wenigen Wochen wieder nach«, erklärt die Forscherin weiter.

Auch in anderen Formationen, die für ein Endlager in Frage kommen, gedeiht das Leben. So findet Henry Moll vom HZDR-Institut für Ressourcenökologie die Mikroorganismen auch in dem Tongestein, in dem möglicherweise das Schweizer Endlager entstehen soll. Und selbst in den Salzstöcken in der Nähe von Carlsbad in New Mexico, in denen die USA bereits Abfälle aus ihrem Atomwaffenprogramm eingelagert haben, entdecken die Forscher Mikroorganismen: »Das sind häufig Archaeen, die nicht nur mit hohen Salzkonzentrationen zurechtkommen, sondern gleichzeitig auch hohe Dosen radioaktiver Strahlung gut vertragen«, berichtet Andrea Cherkouk, die ebenfalls am HZDR-Institut für Ressourcenökologie forscht.

In welchem Gestein ein Endlager also auch errichtet werden soll, Mikroorganismen können dort eine Rolle spielen. Kein Wunder also, wenn 15 Forschergruppen aus acht Ländern der Europäischen Union am MIND-Projekt der EU forschen, das vom Juni 2015 bis zum Mai 2019 dieses Leben im Gestein und in möglichen Endlagern untersucht.

Warum gibt es dort Leben?

Die Geologie des Untergrundes von Äspö erklärt ein wenig die Herkunft dieser Mikroorganismen: Als der Granit aus sich abkühlendem Magma kristallisierte, schrumpfte er etwas. Dabei entstanden Spalten und Klüfte, die sich während der Eiszeiten durch das immense Gewicht der aufliegenden Gletscher weiterentwickelten. In diesen Spalten und Klüften fließt häufig Wasser, das bestehendes Leben begünstigt und transportieren kann; zudem finden sich Kohlenstoff, ein paar Spurenelemente und vor allem eine Energiequelle. Im Lauf der Jahrmillionen besiedelten Mikroorganismen daher sehr viele Gebiete im Untergrund.

»Noch zwei Kilometer unter der Oberfläche leben in einem Tausendstel Liter Wasser durchschnittlich hundert Mikroorganismen«, weiß der Mikrobiologe Johannes Raff vom HZDR-Institut für Ressourcenökologie. In 500 Meter Tiefe wimmeln in der gleichen Menge Porenwasser sogar bereits tausend Mikroorganismen. Kein Wunder, dass die Klüfte in Äspö mit einer schleimigen Schicht aus Lebewesen ausgekleidet sind.

Biofilm in Äspö | Ähnlich wie Stalaktiten in Kalkgestein entwickeln sich auch die »snottites« im Granit. Allerdings bestehen sie aus Lebewesen: Es sind schleimige Biofilme, die von der Decke wachsen.

»Wir arbeiten dort mit Karsten Pedersen von der Chalmers-Universität im schwedischen Göteborg zusammen, der bereits seit den 1980er Jahren Mikroorganismen im skandinavischen Granitgestein untersucht«, erklärt Evelyn Krawczyk-Bärsch. Bis in 700 Meter unter der Oberfläche ist der Mikrobiologe bereits fündig geworden. Genau wie seine Kollegen am HZDR isoliert Karsten Pedersen in den dort gewonnenen Proben zunächst einmal die DNA der Organismen und identifizieren dann über einen Bestandteil der Ribosomen die Arten oder zumindest die Gattung.

Um nachzuweisen, ob der Schleim tatsächlich lebt, müssen die Forscher aber anders vorgehen. Erst wenn sie wie an den Wänden von Äspö Biofilme wachsen sehen oder wenn sie die dort gefundene Bakterien im Labor züchten können, sind die Organismen sicher aktiv und lebensfähig. Die Zucht der Mikroben ist jedoch nicht einfach. »Wir wissen meist nicht, unter welchen Bedingungen sie existieren«, erklärt Andrea Cherkouk. Bei welchen Temperaturen fühlen sich die Bakterien oder Archaeen wohl? Wie sauer kann das Wasser sein, und wie viel Salz darf es enthalten? Kooperieren die Lebewesen, um sich gegenseitig lebensnotwendige Substanzen zu verschaffen? Cherkouk und Co müssen deshalb die Nährmedien für die Mikroorganismen zunächst auf Verdacht herstellen – weshalb die Anzucht nicht immer funktioniert.

Die Unterweltmikroben sind zudem keine Sprinter: Um sich zu vermehren, brauchen sie oft Tage und Wochen. Der Geomikrobiologe Hans Røy von der Universität im dänischen Aarhus hat ausgerechnet, dass die Bakterien 20 Meter unter dem Grund des Pazifiks in bestimmten Regionen satte tausend Jahre brauchen, um sich zu vermehren. Andrea Cherkouk wartet wenigstens nur mehrere Wochen, bis ihre Schützlinge aus dem Salz eines geplanten Endlagers im Labor wachsen. Und die Bakterien wie Paenibacillen, Sporomusa und den Clostridien, die Henry Moll aus dem Ton des geplanten Schweizer Endlagers fischt, verdoppeln ihre Zahl sogar in wenigen Tagen.

Die Besonderheiten der Endlagerbakterien

Die Mikroorganismen im Ton weisen jedenfalls Eigenschaften auf, die für die Endlagerforschung interessant sind: Offensichtlich setzen sich verschiedene Elemente wie Uran, Curium und Plutonium aus radioaktivem Abfall an der Oberfläche der Bakterien relativ rasch fest. »Dabei binden sie vermutlich an Phosphat- oder Carboxyl-Gruppen auf der Zellwand der Mikroorganismen«, erklärt Moll. Das bedeutet jedoch, dass diese radioaktiven Substanzen auf der Oberfläche von Bakterien durch den Untergrund transportiert und an ganz anderen Orten wieder abgelagert werden könnten. Außerdem lagern im Salz lebende Archaeen Uran an und klumpen sich dabei zusammen. In der HZDR-Nachwuchsgruppe »MicroSalt« untersuchen Andrea Cherkouk und ihre Mitarbeiter gerade, wie dieser Vorgang den Transport des radioaktiven Elements beeinflusst. Noch ist allerdings vieles Spekulation, denn erforscht sind diese Vorgänge bislang nicht.

Die Endlagerforschung tut also gut daran, die Mikroorganismen im Auge zu behalten. Neben den USA, denken auch die Niederlande und Polen über ein Endlager im Salz nach. Die Schweiz, Belgien und Frankreich erkunden Möglichkeiten, ihre hochradioaktiven Abfälle im Tongestein zu deponieren. Am stärksten aber drängt die mikrobiologische Forschung bei einem Endlager in Granitgesteinen. Immerhin könnte der Gneis Skandinaviens weltweit oder zumindest in Europa als erste, endgültige Ruhestätte für hochradioaktiven Abfall in Dienst gestellt werden.

Im Versuchs-Endlager Äspö hat Karsten Pedersen das Bakterium Pseudomonas fluorescens isoliert, und HZDR-Forscherin Evelyn Krawczyk-Bärsch züchtet diese Mikroorganismen in Form von Biofilmen in ihrem Labor in Dresden-Rossendorf. Diese Bakterien kommen sehr gut mit Uran zurecht und bilden in ihren Zellen daraus das Mineral Kalzium-Uranylphosphat. In dieser Form können Organismen Uran praktisch nicht mehr aufnehmen: Es wird ihnen daher kaum mehr gefährlich.

Neptunium unschädlich machen

In den Biofilmen an den Wänden von Äspö lebt zudem Gallionella ferruginea: ein weiteres Bakterium, dass Energie aus der Eisenoxidation gewinnt. Dabei fallen große Mengen Ferrihydrit aus. »Dieses Ferrihydrit bietet viele Stellen, an denen sich Uran und andere radioaktive Elemente wie Neptunium binden können«, erklärt Evelyn Krawczyk-Bärsch die nächste Reaktion. Auf diese Weise nimmt das Ferrihydrit aus einer Lösung fast vollständig alle Uran(VI)- und Neptunium(V)-Verbindungen auf, die besonders giftig sind, und macht sie so viel ungefährlicher.

Noch steht die Forschung aber ganz am Anfang. Offene Fragen sind etwa: Welche Mikroorganismen spielen im Endlager noch eine Rolle? Was machen die Gallionella ferruginea-Bakterien, wenn der gesamte hochradioaktive Abfall unter Tage ist, das Endlager geschlossen wird und der für diese Organismen lebenswichtige Sauerstoff irgendwann aufgebraucht sein wird?

Die starke Strahlung scheint jedoch kein Problem zu sein: »Deinococcus radiodurans verträgt zum Beispiel eine Dosis von 10 000 Gray, während ein Mensch bereits bei einem Tausendstel dieses Werts nach höchstens zwei Wochen stirbt«, so HZDR-Forscher Johannes Raff. DNA-Schäden reparieren diese Mikroben viel schneller als in anderen Organismen reparieren.

Drohen Risiken im Endlager

Solche Organismen müssen noch nicht einmal direkt radioaktive Substanzen aufnehmen und in gefährliche oder weniger gefährliche Verbindungen umbauen, um ein Endlager zu beeinflussen. »So können Bakterien als Reaktion auf Stress oder zu ihrem eigenen Schutz auch verschiedene Substanzen abgeben, die dann mit den Produkten im Endlager reagieren«, erklärt Vinzenz Brendler. Der HZDR-Forscher denkt dabei an Moleküle wie Oxalsäure, Zucker oder Phosphate, die radioaktive Metalle wie Uran, Plutonium, Americium und andere in sogenannten »Komplexen« fest binden. In dieser Form kann das Wasser im Untergrund diese Substanzen transportieren und Organismen können sie aufnehmen.

Vorsicht ist deshalb bei der Endlagersuche geboten – auch hierzulande. »Wir müssen natürlich berücksichtigen, dass Mikroorganismen eine Rolle spielen«, erklärt der Vorsitzende der Entsorgungskommission Michael Sailer, der gleichzeitig Sprecher der Geschäftsführung des Öko-Instituts in Freiburg ist. So können Mikroben Gase wie zum Beispiel Wasserstoff freisetzen, die mit der Zeit einen enormen Druck entwickeln können.

Andere Substanzen aus Mikroorganismen wie die Oxalsäure, die dem Rhabarber seinen scharfen, beißenden Geschmack gibt, können eventuell Materialien angreifen, die im Endlager verwendet werden und dort zum Beispiel Metalle korrodieren. »Auch mit dieser Korrosion müssen die technischen Systeme im Endlager umgehen können«, sagt Michael Sailer. Die Festlegung auf ein Endlager scheint also noch ein bisschen schwieriger geworden zu sein.

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