Mikrobiologie: Bakterien-Transportsystem im Reagenzglas
Jeden Tag ist der menschliche Organismus dem Angriff verschiedenster Krankheitserreger ausgesetzt – und in den meisten Fällen gelingt es dem Immunsystem, diese Angriffe erfolgreich abzuwehren. Eine Chance haben Bakterien allerdings wenn es ihnen gelingt, die Zellen ihres Wirts gezielt zu manipulieren, um ihr Überleben zu gewährleisten. Zu diesem Zweck schleusen manche Angreifer über ein Transportsystem in der Bakterienmembran gezielt Virulenzfaktoren in die Wirtszelle ein. Einige Bakterien, wie die Erreger von Bakterienruhr, Lebensmittelvergiftung, Typhus und Pest, haben dabei ein besonderes Transportsystem entwickelt, das als als Typ-III-Sekretionssystem bezeichnet wird. Unter dem Elektronenmikroskop sieht dieses Sekretionssystem wie eine Spritze aus, wobei der Spritzenkörper in die Bakterienmembran eingebettet ist und die Nadel nach außen weist. Die Bakterien können mit Hilfe dieser Nano-Spritzen die Virulenzfaktoren direkt in die Wirtszelle injizieren.
Wie die Bakterien diese Nano-Spritze aufbauen, war bisher weitestgehend unbekannt. Ein Team von Max-Planck-Forschern um Michael Kolbe und Adam Lange und weiteren Kollegen haben es jetzt geschafft, grundlegende Mechanismen des Zusammenbaus der Spritze zu entschlüsseln. Diese Analysen waren möglich, weil es den Forschern gelang, den Spritzenapparat im Reagenzglas nachzubauen. Die nähere Untersuchung dieser Vorgänge zeigte, wie die Proteine zu einer Hohlnadel zusammengebaut werden: Das Bakterium synthetisiert die Proteine in seinem Zellinneren, schleust sie durch die Spritze nach außen und setzt sie eines nach dem anderen auf die Spitze der wachsenden Nadel. Auch konnten die Wissenschaftler zeigen, dass die Proteine beim Zusammenbau der Nadel ihre räumliche Struktur ändern, wie Röntgenstrukturuntersuchungen und NMR-spektroskopische Untersuchungen zeigten. Es gelang dem Forscherteam schließlich, die Strukturänderungen während des Nadelaufbaus für jede Aminosäure des Proteins genau zu verfolgen.
Diese Erkenntnisse eröffnen einen Ansatzpunkt für die Entwicklung von Medikamenten, die zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Infektion wirken könnten. Diese Wirkstoffe, Antiinfektiva genannt, könnten bereits den Aufbau der Spritze und das Einschleusen von Virulenzfaktoren in die Wirtszelle verhindern. Dies wäre ein wesentlicher Vorteil gegenüber Antibiotika, die erst durch die Membran in das Zellinnere der Bakterien müssen, um ihre Wirkung zu entfalten. Ein weiterer Nachteil von Antibiotika ist, dass diese nicht zwischen krank machenden und nützlichen Bakterien unterscheiden. Dies führt in der Praxis oft zu unerwünschten Nebenwirkungen. Auch das Problem der Entwicklung von Antibiotikaresistenzen könnte mit solchen Antiinfektiva umgangen werden.
© Max-Planck-Gesellschaft
Die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) ist eine vorwiegend von Bund und Ländern finanzierte Einrichtung der Grundlagenforschung. Sie betreibt rund achtzig Max-Planck-Institute.
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