Kollabierende Ökosysteme: Kettenreaktion verursacht Massensterben von Seesternen
Es begann 2013 vor der nordamerikanischen Westküste. Millionenfach starben Sonnenblumenseesterne und andere Seesternarten – oder vielmehr: Sie lösten sich teilweise einfach in Schleim auf. Ein riesiger Verlust für das Ökosystem. Seitdem haben Wissenschaftler auch in anderen Teilen der Welt derartige Bestandszusammenbrüche beobachtet, deren Ursache lange unbekannt war. Vor allem Viren standen im Verdacht, doch eine Studie von Citlalli Aquino von der San Francisco State University und ihrem Team deutet wieder in eine andere Richtung. In »Frontiers in Microbiology« beschreiben Aquino und Co, wie eine Kombination aus Umweltverschmutzung und Bakterien die Seesterne dahinrafft.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hatten die Bakteriengemeinschaften in lebenden und an der »Seastar Wasting Disease« erkrankten Artgenossen verglichen und dabei wichtige Unterschiede ausgemacht. In den von der Seuche betroffenen Tieren fanden sich besonders viele Bakterien, die mit sauerstoffarmen und besonders nährstoffreichen Bedingungen besonders gut zurechtkommen. Laborexperimente bestätigten diesen Zusammenhang: In sauerstoffarmer Umgebung traten bei 75 Prozent der vorhandenen Seesterne schließlich verschleimenden Gewebeschäden bis hin zum Tod auf. Wurden die Becken dann noch überdüngt oder mit weiteren Algen angereichert, erledigte dies den Rest. Auch Gewebeproben von 2013 verendeten Seesternen zeigten überhöhte Konzentrationen an Stickstoff: ein Zeichen für überdüngte Bedingungen.
Seesterne nehmen Sauerstoff über ihre Papula (Hautkiemen) auf. Ist dessen Konzentration im Wasser zu gering, können die Tiere kaum atmen, geraten in Stress und werden krankheitsanfälliger oder ersticken. Sauerstoffmangel kann zum Beispiel bei Algenblüten auftreten, die wiederum durch eine starke Zufuhr an Nährstoffen angeregt werden, etwa durch Eintrag aus der Luft oder Abwässer. Die toten Seesterne nähren dann weitere Bakterienblüten, wie wiederum Sauerstoff aufzehren. Dadurch entsteht eine Todesspirale für die Seesterne, schreiben die Forscher.
Zusammenbruch des Ökosystems
Dazu passt, dass die meisten Massensterben im Sommer und Herbst auftraten, wenn das Wasser erwärmt ist: In wärmeren Wasser löst sich Sauerstoff schlechter; zudem fördert die Sonneneinstrahlung ebenfalls die Algenblüte. In Australien folgte die hohe Todesrate einer der längsten und stärksten Hitzewellen im Meer, nach der die Seesterne wahrscheinlich ohnehin durch die äußeren Bedingungen gestresst und krankheitsanfälliger waren.
Deshalb sind auch Viren weiterhin nicht als Ursache gänzlich ausgeschlossen: Sie können die belasteten Seesterne dadurch leichter infizieren. Für das Ökosystem hat die Krankheit jedenfalls durchschlagende Folgen. Seesterne leben räuberisch und fressen Seeigel, Schnecken und andere Wirbellose, die sich ohne ihre Gegner stärker vermehren können. An der nordamerikanischen Pazifikküste konnten Seeigel nach dem Ausfall der Sonnenblumenseesterne ungehindert an den Seetangwäldern fressen. In vielen Regionen dezimierte sich dadurch der Bestand an den großen Braunalgen um bis zu 80 Prozent: ein gigantischer Verlust für dieses wichtige und artenreiche Meeresökosystem, dessen zukünftige Folgen noch unklar sind.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.