Direkt zum Inhalt

Bankraub: Das Desaster von München

Bei einem Bankraub mit Geiselnahme in München setzten zwei skrupellose Räuber 18 Menschen fest. Die Befreiungsaktion endete in einem Fiasko. Heute vor 50 Jahren fiel das Gerichtsurteil gegen einen der beiden Bankräuber.
Nachdem Polizisten die Deutsche Bank in der Münchner Prinzregentenstraße gestürmt hatten, zerrten sie den Bankräuber und Geiselnehmer Dimitri Todorov aus dem Gebäude.
Nachdem Polizisten die Deutsche Bank in der Münchner Prinzregentenstraße gestürmt hatten, zerrten sie den Bankräuber und Geiselnehmer Dimitri Todorov aus dem Gebäude. Damit endete 1971 ein desaströser Polizeieinsatz.

Der 4. August 1971 versprach ein schöner Sommertag zu werden. Bei »Feinkost Käfer« in der Prinzregentenstraße im Münchner Stadtteil Bogenhausen bereiteten sich die Mitarbeiter auf ein denkwürdiges Ereignis vor: An jenem Mittwoch öffnete der Edelgastronom seine Pforten.

Auch den Angestellten eines Unternehmens auf der gegenüberliegenden Straßenseite sollte der Tag in Erinnerung bleiben – aber auf ganz andere Weise. Während bei »Käfer« die Münchner Prominenz auf der Gästeliste stand, bekam die Deutsche Bank kurz vor 16 Uhr zwei ungebetene Besucher.

Dimitri Todorov, 24 Jahre alt und gebürtiger Grazer, und der 31-jährige Hans Georg Rammelmayr, Münchner und gelernter Chemograf, beabsichtigten weder ein Konto zu eröffnen noch einen Kredit zu beantragen, sondern die Tageseinnahmen des Geldinstituts zu rauben und obendrein zwei Millionen Mark vom Staat zu erpressen. Die beiden vorbestraften Kleinkriminellen wollten endlich »richtige Gangster« sein, wie Todorov später in seiner Autobiografie erklärte.

Was sich am 4. August 1971 ereignete

Mit roten Hauben auf dem Kopf und Maschinenpistolen in der Hand stürmten sie unter lautem Geschrei die Bank und brachten 18 Kunden und Mitarbeiter in ihre Gewalt. Damit schrieben sie unrühmliche Kriminalgeschichte, denn ihr Verbrechen gilt als einer der ersten Banküberfälle mit Geiselnahme in Deutschland. Vorbild war den Verbrechern eine ähnliche Tat im französischen Toulouse. In diesem Fall hatte die Polizei die Räuber mit ihrer Beute ziehen lassen.

»Gebt mir ein Gewehr, und ich knalle die Typen ab!«Franz Josef Strauß während der Geiselnahme 1971

Die beiden Münchner Gauner waren offenbar überzeugt, in ihrem Leben nicht mehr viel verlieren zu können, und wollten sich auf einen Schlag viel Geld beschaffen. Todorov stammte aus einem zerrütteten Elternhaus. Seinen bulgarischen Vater lernte er nie kennen, die Mutter schlug sich als Bardame durch. Er brach die Schule ab, ebenso zwei Lehren als Werkzeugmacher und Kaufmann, geriet schnell auf die schiefe Bahn und landete im Gefängnis, wo er Hans Georg Rammelmayr kennen lernte.

Getarnt als »Vergeltungsaktion Elend«

In der Bank wählten sie den jungen Kassierer Ludwig Kelnhofer aus, damit er den Forderungskatalog telefonisch an die Polizei übermittelte. Zwei Millionen Mark Lösegeld und einen BMW als Fluchtfahrzeug verlangten die beiden. Um den Druck zu erhöhen, gaben sie sich als Mitglieder einer Gruppe namens »Rote Front« aus. Sie wollten den Eindruck erwecken, dass eine terroristisch motivierte Organisation hinter dem Überfall steckte. In Zeiten von Studentenrevolten und den Anschlägen der Baader-Meinhof-Gruppe war dies durchaus glaubhaft. Todorov und Rammelmayr machten zudem klar: Wenn das Lösegeld und der Fluchtwagen nicht bis 22 Uhr geliefert würden, starte die »Vergeltungsaktion Elend«.

Tatsächlich explodierte unweit der Bank kurz darauf an einer Oberleitung der Straßenbahn ein kleiner Sprengsatz. Deshalb ging das Gericht später von einem dritten Täter aus, der aber nie gefunden wurde. »Die Studenten bauten Barrikaden, während die Jugend ihren Widerstand durch kriminelle Aktivitäten ausübte.« Diesen Vergleich zog Todorov Jahre später in seiner Autobiografie, um seine kriminellen Aktivitäten als politischen Protest zu beschönigen.

Es existierten keine Einsatzpläne

Der unvermittelte Großeinsatz brachte die Münchner Polizei schnell an ihre Grenzen. Zwar wurden mehrere hundert Beamte aus ganz Bayern in Marsch gesetzt, um das Areal großflächig abzusperren, doch dann herrschte Ratlosigkeit. Einen Banküberfall mit Geiselnahme hatte es noch nie gegeben. Es existierten keine Einsatzpläne für ein solches Ereignis.

Das Kompetenzwirrwarr machte sich Oberstaatsanwalt Erich Sechser (1925–2003) zu Nutze. Er übernahm die Einsatzleitung mit der Begründung, dass sowohl polizeiliche als auch »strafprozessurale Verfolgungsmaßnahmen« eine Rolle spielen würden. Polizeipräsident Manfred Schreiber (1926–2015) hatte das Nachsehen. Der Stab um Erich Sechser beschloss kurzerhand, einen harten Kurs zu fahren. In einem Jahr sollten die Olympischen Spiele stattfinden – daher wollte man Abschreckung demonstrieren.

Käfers Lieferung | Zwei Köche des Feinkostlokals bringen einen Korb mit Getränken und Lebensmitteln zur von Räubern besetzten Bank.

Immer mehr Journalisten tauchten auf, Radio und Fernsehen gingen live auf Sendung – ein Novum während eines laufenden Verbrechens in Deutschland. Die Berichterstattung lockte Schaulustige. Mehr als 5000 Menschen drängten sich im Lauf des Abends an den Absperrbändern. Auf Balkonen und an geöffneten Fenstern standen Gaffer, viele mit Feierabendbier und Fernglas in der Hand. Volksfeststimmung kam auf.

Auch die gut Betuchten im »Käfer« genossen bei Häppchen und Sekt den Eventcharakter der Geiselnahme. Zu den prominenten Gästen zählte Franz Josef Strauß (1915–1988), der ausgerufen haben soll: »Gebt mir ein Gewehr, und ich knalle die Typen ab!« Die Polizei arbeitete in den kommenden Stunden fieberhaft daran, das Geld und das Fluchtfahrzeug zu beschaffen, das mit einem Sender präpariert wurde.

Drei Hobbyjäger als Scharfschützen

Zudem versuchte man hektisch, Scharfschützen aufzustellen. Das Problem war jedoch, dass die Polizei über keinerlei ausgebildete Scharfschützen verfügte. In der Not wählte Polizeipräsident Schreiber drei Beamte aus, die einen Jagdschein besaßen und ab und an auf Wild geschossen hatten. In großer Eile übten die drei in einer Kiesgrube bei Riem das Zielschießen.

Das Drama zog sich inzwischen über mehr als sieben Stunden hin. Gegen 22 Uhr wurden Geiseln und Gangster mit Lebensmitteln und Getränken beliefert. Gastrochef Gerd Käfer und mehrere Angestellte brachten die Essenskörbe persönlich zur Bank und stellten sie vor der Tür ab.

Während draußen weiterhin Volksfestatmosphäre bei den Schaulustigen herrschte, wurde auch drinnen die Stimmung unter den Geiseln lockerer. Bier und Sekt waren ohnehin vorrätig, da eine der Angestellten ihren Ausstand feiern wollte. Und in der Käfer-Lieferung fand sich ebenfalls Hochprozentiges. Verkäuferin Friederike Hohlbaum, eine der Geiseln, gab später im Prozess gegen Todorov zu Protokoll, man habe dem Alkohol ordentlich zugesprochen, »weil wir Geiseln uns gesagt haben, betrunken stirbt sich's leichter«.

Räuber und Geisel | Am Eingang der Bank steht der vermummte Hans Georg Rammelmayr. Hinter ihm ist eine Geisel zu sehen. Der Mann, der auf die Tür zugeht, ist der Kassierer Ludwig Kelnhofer. Kurz zuvor hatte dieser die Bankangestellte Ingrid Reppel zum Fluchtwagen geführt.

Geisel und Bankräuber wurden im Fluchtwagen erschossen

Kurz vor 23 Uhr überschlugen sich die Ereignisse. Die 20-jährige Ingrid Reppel meldete sich freiwillig und verließ mit dem Kassierer Ludwig Kelnhofer das Gebäude. Die junge Frau hatte erst vor einem Monat ihre Stelle bei der Bank angetreten. Sie war an den Händen gefesselt, über dem Kopf trug sie eine Sturmhaube. Sie setzte sich mit dem Geldbeutel in den Wagen, den ihr Ludwig Kelnhofer in die Hand drückte. Dann ging er zurück in die Bank.

Kurz darauf trat Hans-Georg Rammelmayr aus dem Gebäude und ging in langsamen Schritten auf das Fluchtfahrzeug zu.

Es war die beste Gelegenheit für die Scharfschützen zuzuschlagen. Acht lange Sekunden passierte nichts. Dann war der Gangster am Auto und setzte sich neben die Geisel. Nun brach das Inferno los. Scharfschützen feuerten auf den BMW. Auch die umherstehenden Schutzpolizisten wurden mitgerissen und schossen. Die unkontrollierte Schießerei durchlöcherte das Fahrzeug. Rammelmayr sank tödlich getroffen zusammen, konnte zuvor noch fünf Schüsse abgeben, von denen drei die Geisel trafen. Ob er Reppels Tod geplant hatte oder aus einem Reflex heraus agierte, bleibt bis heute ungeklärt. Die junge Frau verstarb kurz darauf nach einer Notoperation im Krankenhaus. Da die Gerichtsmediziner später in ihrem Körper fünf Kugeln fanden, musste auch die Polizei sie getroffen haben.

»Völlig unprofessionell, dilettantisch!«

Journalist Helmut Markwort, damals Chefredakteur der TV-Zeitschrift »Gong«, war ebenfalls vor Ort: »Ich saß hier bei ›Käfer‹ mit amerikanischen Agenten und habe über ›Bonanza‹ verhandelt, als das plötzlich losging«, erinnert er sich in einer ZDF-Dokumentation. Über den Polizeieinsatz sagt er: »Es war eine Ballerei wie im Wilden Westen. Völlig unprofessionell, dilettantisch!« Rundfunkreporter Hans-Dieter Wolff gab später zu Protokoll, dass etwa 150 bis 200 Schüsse abgefeuert wurden. Die Scharfschützen, die in verschiedenen Wohnungen rund um die Bank postiert waren, hatten untereinander keinen Funkkontakt und wurden zudem durch das Blitzlichtgewitter der Fotografen irritiert.

Auch der Sturm auf die Bank, in der sich Dimitri Todorov mit den übrigen Geiseln verschanzt hatte, geriet zum Fiasko: Die Polizei griff gleichzeitig von vorn und vom rückwärtigen Teil des Hauses an. Hinten gab es erhebliche Schwierigkeiten, die Tür aufzubrechen – und im Eingangsbereich hatten die Beamten große Probleme beim Einschlagen der massiven Schaufensterscheibe. Als die Polizisten endlich durch den Hintereingang eindringen konnten, kam es zum Schusswechsel, bei dem niemand verletzt wurde. Todorov versteckte sich unter einem Schreibtisch, warf die Pistole fort und wurde festgenommen.

Zäsur in der deutschen Kriminalgeschichte

Dieser Banküberfall mit Geiselnahme stellte in mehrfacher Hinsicht eine Zäsur in der deutschen Kriminalgeschichte dar und hatte erhebliche Konsequenzen für das Strafrecht und die Polizeiausbildung. So wurde Ende 1971 der Straftatbestand des erpresserischen Menschenraubs und der Geiselnahme stark überarbeitet. Außerdem war der Raubüberfall der Auslöser für die Einführung des »finalen Rettungsschusses« in Bayern. Gemeint ist damit ein gezielter Schuss durch einen Polizisten, um einen Täter zu töten – wenn zuvor alle anderen Mittel der Deeskalation ausgeschöpft wurden. Ebenso regelten die Behörden die Kompetenzen bei solchen Einsätzen neu. Die Führung liegt seitdem immer bei der Polizei und nicht bei der Staatsanwaltschaft. Zudem begann 1972 der Aufbau des Spezialeinsatzkommandos (SEK) in Deutschland.

Prozess | Im Oktober 1972 begleiten Polizisten den Bankräuber Dimitri Todorov im Münchner Gericht.

Vor 50 Jahren, zunächst im April und September 1972 vertagt, begann schließlich im Oktober der Prozess gegen Dimitri Todorov. Das Urteil gegen ihn fiel am 13. Oktober 1972. Freiheitsberaubung, räuberische Erpressung, fünffacher Mordversuch warf ihm die Staatsanwaltschaft vor. Das Schwurgericht verurteilte Todorov schließlich zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Getötet hatte er niemanden. Doch einen guten Monat vor Prozessende hatte sich in München erneut eine Geiselnahme ereignet, die ähnlich dramatisch verlief und desaströs endete: der Anschlag palästinensischer Terroristen auf das israelische Olympiateam am 5. und 6. September 1972. Die Befreiungsaktion der deutschen Polizei im Olympiadorf scheiterte, und später am Fliegerhorst Fürstenfeldbruck kam es auf Grund von Planungsfehlern erneut zu einem unkoordinierten Schießgefecht. Am Ende waren alle elf Geiseln tot, ein Polizist und fünf der Geiselnehmer starben ebenfalls.

Womöglich unter dem Eindruck des Münchner Olympia-Attentats war Todorov hart bestraft worden. Er verbrachte fast 22 Jahre im Gefängnis. In Haft holte er das Abitur nach und studierte mehrere Semester Sozialwissenschaften. 1993 wurde er auf Bewährung entlassen. Sein erster Gang in Freiheit führte ihn in die Filiale der Deutschen Bank, die er damals überfallen hatte. Er wollte ein Konto eröffnen. Der Schalterbeamte, der vor ihm stand, gehörte zu den ehemaligen Geiseln. Dimitri Todorov erhielt kein Konto.

Anmerkung der Redaktion: In der vorherigen Version des Artikels hieß es, der Bankraub in München 1971 sei die erste Tat dieser Art mit Geiselnahme in Deutschland gewesen. Im Jahr 1968 hat in Badenweiler (Baden-Württemberg) jedoch ein Bankräuber den Filialleiter einer Sparkasse als Geisel genommen. Wir haben dies entsprechend im Artikel korrigiert.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.