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Barbie: Ein (Alb-)Traum in Pink

»Barbie« entwickelt sich zum Kinohit – und verändert womöglich schon jetzt unsere Farbwahrnehmung. Aber ein Leben im rosa Traumhaus ist nicht so attraktiv, wie es für manche scheint, sagt die Hirnforschung.
Barbie-Darstellerin Margot Robbie bei der Vorstellung ihres Films
Die Barbie-Darstellerin Margot Robbie auf einer Werbeveranstaltung für ihren Film in Seoul: Ihre Farbwahrnehmung hat sich zumindest zeitweilig durch die dauerhafte Konfrontation mit Pink etwas verändert.

Viele Kinogängerinnen und Kinogänger können derzeit nicht anders, als die Welt durch eine rosa Brille zu sehen: Der Sommer-Blockbuster »Barbie« hat sich direkt nach der Premiere zu einem Kinohit entwickelt, und Regisseurin Greta Gerwig hat mit dem Film eine visuelle Sensation geschaffen. Die für den Film charakteristische leuchtende Ästhetik – Fans nennen sie »Barbiecore« – ist zu einem Phänomen der Popkultur geworden und taucht die Welt in schillerndes, bonbonfarbenes Rosa: Hot Pink. Und es gibt echte Fans, die auch im echten Leben zu Orten strömen, die mit der legendären Puppe von Mattel verbunden sind, einschließlich einer Nachbildung des Barbie-Traumhauses in Kalifornien, das auf Airbnb aufgetaucht ist.

Angesichts des schreiend pink gefärbten Hauses im Film kann man interessante wissenschaftliche Fragen diskutieren, beispielsweise jene, wie unsere Augen und unser Gehirn Farben wahrnehmen. Angenommen, Barbie wäre eine echte Person, die in diesem Haus aufwächst. Wie wäre es, tatsächlich in einer monochromen rosa Welt zu leben? Ist das tatsächlich so angenehm für die Augen, wie der Film und das Marketing suggerieren?

Wahrscheinlich nicht, sagt Anya Hurlbert, eine Neurowissenschaftlerin an der Newcastle University in England. »Es ist nicht deshalb eine ätzende Welt, weil alles rosa ist«, erklärt sie. »Es ist eine ätzende Welt, weil es nur eine Farbe gibt. Wenn wir eine komplett blaue Welt erschaffen würden, würden wir uns ähnlich fühlen.«

»Wenn Barbie sich unsere Welt ansehen würde, wäre sie überwältigt«Michael Webster, Psychologe

Nach einem Leben in Rosa wäre eine echte Barbie wahrscheinlich völlig unempfänglich für die Farbe. Irgendwann würde uns das auch passieren, dass wir diese Farbe als nichts Besonderes mehr empfinden, sagt Michael Webster, Psychologe an der University of Nevada in Reno. »Wir sehen es nur als auffällig an, weil es sich unterscheidet von der Welt, in der wir leben – aber für jemanden, der in dieser Welt lebt, ist es nicht auffällig«, erklärt Webster. Wenn Barbie ihr ganzes Leben lang nur einer einzigen Farbe ausgesetzt war, würde sie die Welt nicht unbedingt als rosa wahrnehmen, sondern wahrscheinlich eher als grau oder neutral, fügt er hinzu. »Wenn sie sich unsere Welt ansehen würde, wäre sie überwältigt«, sagt Webster.

Farbe hilft dem Gehirn, visuelle Reize zu verarbeiten und die Informationen in der Welt einzuordnen. Die verschiedenen Schattierungen und Töne unterstützen unser Gehirn zum Beispiel dabei, Objekte voneinander zu unterscheiden. Forschende gehen davon aus, dass das Gehirn für die Verarbeitung von Farben genauso viele Kapazitäten aufwendet wie für das Erkennen von Gesichtern.

Barbiecore | So heißt der von Barbie inspirierte pinke Modetrend. Auf Dauer lässt diese Bombardierung mit nur einer Farbe abstumpfen. Unsere Welt wäre für Barbie dagegen ziemlich grün.

Unser Sehen zu verarbeiten, ist nicht einfach. Das Gehirn muss zwei Dinge unter einen Hut bringen, um eine zusammenhängende Welt zu erschaffen: die Farbe des Objekts, auf das man schaut – zum Beispiel ein Haus oder ein Auto –, und das Umgebungslicht. Sowohl das Objekt als auch das Licht haben eine Farbe, und durch ihr Zusammenspiel entsteht das Kaleidoskop von Farbtönen, das wir sehen.

Die gleiche Farbe sieht immer anders aus

»Die meisten Menschen nehmen ihr Sehvermögen als selbstverständlich hin. Dabei entgeht ihnen, wie unglaublich es ist, dass wir dieses winzige Lichtmuster interpretieren, das in unser Auge fällt, und ihm so viel Sinn abgewinnen können«, sagt Webster. Farben sind jedoch weder statisch noch objektiv. Unser Gehirn passt sich ständig an. Wenn wir zu verstehen versuchen, was Barbie sehen würde, wenn sie in einer rosafarbenen Welt aufwüchse, können wir einen Blick auf den Mars werfen – den Roten Planeten. Laut Websters Forschung würde sich das Sehvermögen eines Menschen, der auf der Erde aufwächst und auf den Mars umzieht, schnell von einer Galerie von Rot- und Orangetönen zu mehr Blautönen verändern, wenn sich sein Gehirn anpasst.

Und es ist unwahrscheinlich, dass eine Person diese Veränderung überhaupt bemerken würde. Die Anpassung an die Farbe ist vergleichbar mit der Anpassung an die Wassertemperatur in einer heißen Wanne: Der Körper gewöhnt sich an die Hitze, sie tritt in den Hintergrund.

»Das ganze Gehirn ist darauf ausgelegt, Veränderungen wahrzunehmen«, sagt Webster. »Ich denke, dass Barbie in ihrer rosafarbenen Welt die gleichen Erfahrungen macht wie Sie und ich in unserer Welt. Aber weil wir in unserer Welt leben, sieht die rosafarbene Welt für uns wirklich toll aus – und weil sie in einer rosafarbenen Welt lebt, würde sie unsere Welt grün finden, das Gegenteil von Rosa.«

Unsere Farbwahrnehmung verändert sich

Der Mensch durchläuft einen ähnlichen Anpassungsprozess durch, ohne es zu merken. Die Linsen in unseren Augen werden schwächer mit dem Alter, weil sie durch die ultravioletten Strahlen der Sonne geschädigt werden. Dies zeigt sich in den späten Arbeiten des Künstlers Claude Monet, bei dem ein altersbedingter grauer Star diagnostiziert wurde, der ihn dazu veranlasste, seine Kunst mit einem Gelbstich zu übermalen. Seine späteren Gemälde enthielten auch mehr Rot- und Brauntöne, so die Meinung einiger Experten.

»Barbies Rosa sieht für Ken vielleicht grün aus. Wir wissen es nicht, und solange beide die gleichen Worte benutzen, um es zu beschreiben, werden wir es nie erfahren«Michael Webster, Psychologe

Die Farbwahrnehmung wird auch von der Kultur beeinflusst: Verschiedene kulturelle Gruppen und Sprachen beschreiben Farbtöne in sehr unterschiedlichen Spektren. Die Wahrnehmungsunterschiede können sogar von Mensch zu Mensch nuanciert sein: Sieht zum Beispiel »Rot« für Sie genauso aus wie das »Rot«, das ich sehe? Das lässt sich nicht in Erfahrung bringen. Viele Fachleute sind jedoch der Meinung, dass es keine Rolle spielt, solange die Menschen das Konzept der Farbe konsequent auf dieselben Objekte anwenden, sagt Webster.

»In den Neurowissenschaften können wir messen, ob das Gehirn aktiv ist. Aber wir haben keine Möglichkeit herauszufinden, welche Farbe man tatsächlich sieht«, räumt er ein. »Barbies Rosa sieht für Ken vielleicht grün aus. Wir wissen es nicht, und solange beide die gleichen Worte benutzen, um es zu beschreiben, werden wir es nie erfahren.«

Was auch immer »Rosa« für Barbie bedeutet: Die Forschung zeigt, dass ein völlig einfarbiges Leben ziemlich eintönig wäre. In einer Studie in der Zeitschrift »Nature Communications« aus dem Jahr 2019 verwendeten die Forscher ein Niederdruck-Natriumlicht, um einen ganzen Raum gelb zu färben. Die Teilnehmer im Raum beschrieben alle Objekte, die ihnen gezeigt wurden, als gelb. Farbe hat in diesem Zusammenhang keine große Bedeutung mehr, sagt Bevil Conway, der Hauptautor der Studie, ein Künstler und Neurowissenschaftler am National Eye Institute und dem National Institute of Mental Health. Die Netzhaut benötigt verschiedene Wellenlängen, um Farbinformationen zu erfassen, und bei der einzigen Wellenlänge des Natriumlichts hatten die Menschen Schwierigkeiten, Farben zu unterscheiden.

Kognition beeinflusst Wahrnehmung

Die einzigen Objekte, die inmitten des gelben Farbenmeers eine unterscheidbare Farbe hatten, waren Fotos von menschlichen Gesichtern, die den Teilnehmern in einem kränklichen Grün erschienen. Es sei unklar, warum die Gesichter so aussahen, obwohl sie unter normalem Licht eigentlich gar nicht grün waren, sagt Conway. Er vermutet, dass sich das Gehirn daran erinnert, wie Gesichter normalerweise aussehen, und die Farbe moduliert – ein klares Zeichen dafür, dass die Kognition die Wahrnehmung beeinflusst.

Es ist unwahrscheinlich, dass eine echte, lebendige Barbie, die im Traumhaus lebt, eine ähnliche Erfahrung machen würde wie die Studienteilnehmer in dem gelb beleuchteten Raum. Aber dieses monochrome Experiment verdeutlicht die subjektive Natur von Farbe und die Tatsache, dass das Leben in einer rosafarbenen Welt vielleicht nicht so viel Spaß macht wie das Betrachten einer solchen auf dem Bildschirm, folgert Conway.

»Farbe ist viel mehr als nur ein visueller Hinweis. Es geht um Identität. Es geht darum, uns selbst und unseren Platz in der Welt zu verstehen«Bevil Conway, Künstler und Neurowissenschaftler

Die Vorstellung von Barbies Leben in Rosa mag magisch erscheinen, »doch ironischerweise fühlt es sich nicht so an, wenn man in eine rosa Welt eintaucht«, sagt er. »Das ist das Rätsel der visuellen Neurowissenschaft, nämlich die Diskrepanz zwischen dem, was auf die Netzhaut trifft, und dem, was das Gehirn daraus macht.«

Die Welt von Barbie und das visuelle Branding des Films zeigen die Bedeutung von Farbe und die Art und Weise, wie sie den Menschen hilft, sich physisch und kulturell in der Welt zurechtzufinden, auch wenn sie ins Extreme geht. »Farbe ist viel mehr als nur ein visueller Hinweis darauf, ob etwas richtig ist oder nicht. Es geht um viel mehr«, sagt Conway. »Es geht um Identität. Es geht darum, uns selbst und unseren Platz in der Welt zu verstehen und unsere Beziehung zu den Dingen in der Welt zu verstehen.«

Der Barbie-Film und die explosionsartige Verbreitung von Barbiecore könnten sich bereits auf unsere Beziehung zur Farbe auswirken. Rosa ist keine natürlich vorkommende Lichtwellenlänge, aber die Werbung für den Film hat es überall verbreitet – auf Teppichen, Crocs, Jogurt, Videospielkonsolen und Plakaten. Vielleicht leben wir ja schon im rosa Traumhaus.

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