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Bedrohte Beuteltiere : Sterben die Koalas durch die Feuer aus?

Die jüngsten Waldbrände in Australien haben wohl auch viele Koalas das Leben gekostet und einen Teil ihrer Lebensräume zerstört. Was das für die Zukunft der bedrohten Beuteltiere bedeutet, ist noch unklar.
Verwundeter Koala im Port Macquarie Koala Hospital

Die Bilder sind herzzerrreißend. Sichtlich verstört irrt der Koala auf einer verqualmten Straße herum und tappt schließlich mitten ins brennende Unterholz. Sein Schicksal scheint schon besiegelt zu sein, als er von einer seiner menschlichen Nachbarinnen gerettet wird. Als erste Hilfe gibt es ein paar Schlucke Wasser gegen den quälenden Durst und einige weitere zur Abkühlung ins Fell. Doch die Schreie des verängstigten und offenbar auch verletzten Tieres verraten, dass es damit wohl nicht getan sein wird.

Die verheerenden Buschfeuer, die an der Ostküste Australiens seit Oktober 2019 immer wieder aufgeflammt sind, haben auch eine der Ikonen der dortigen Tierwelt in Mitleidenschaft gezogen. Denn Koalas sind für solche Katastrophen schlecht gerüstet. Als eher gemütliche Baumbewohner stehen sie den Flammen weitgehend hilflos gegenüber. Auf flinken Pfoten wegzurennen, ist nicht ihre Sache. Und die alte Strategie, sich bei Gefahr einfach in die Kronen zurückzuziehen und abzuwarten, hilft in einem derartigen Inferno nicht weiter. Was die Brände für die Zukunft der ohnehin schon gefährdeten Art bedeuten, ist bisher schwer abzusehen.

Wie geht es den Koalas?

Veröffentlicht am: 06.12.2019

Laufzeit: 0:01:09

Sprache: deutsch

Verbrannte Bäume, tote Tiere

Große Waldbrände hat es in ihrer Heimat zwar bereits vorher gegeben. In letzter Zeit aber scheinen diese Katastrophen häufiger und zerstörerischer zu werden. Die Feuer brennen heißer, erreichen auch noch die obersten Wipfel. Und ihre Saison beginnt immer früher. Nach einer ungewöhnlichen Dürre wüteten sie dieses Jahr schon im Oktober, mitten im Südfrühling. Zeitweise standen in einem tausend Kilometer langen Streifen entlang der Ostküste des Kontinents mehr als 100 Gebiete gleichzeitig in Flammen. Und niemand weiß, was auf Feuerwehren und Bewohner im Hochsommer noch zukommt, wenn die Temperaturen steigen und die Trockenheit extremer wird.

Koalabehandlung | Im Port Macquarie Koala Hospital werden durch Feuer verletzte Koalas behandelt.

Die Koalas jedenfalls haben nach Einschätzung von Experten jetzt schon einen hohen Preis bezahlt. In der Region um den Lake Innes südlich von Port Macquarie sind nach einem Blitzschlag zum Beispiel 3000 Hektar naturnahes Buschland in Flammen aufgegangen. »Dieses Feuer hat zu einigen schrecklichen menschlichen Tragödien geführt«, berichtet Bob Sharpham vom Koala Hospital in Port Macquarie . »Außerdem hatte es unserer Einschätzung nach auch katastrophale Auswirkungen auf die Tierwelt und besonders auf die Koalas.« Immerhin galten zwei Drittel der verbrannten Flächen als ausgesprochen wertvolles Koalarefugium, in dem die Tiere weitgehend ungefährdet von Autos, Hunden oder Menschen ihren Geschäften nachgehen konnten. »Die dortige Population ist von nationaler Bedeutung«, betont Bob Sharpham.

Wie sehr sie unter dem Feuer gelitten hat, kann bisher niemand genau beurteilen. Die Mitarbeiter des Hospitals gehen davon aus, dass wohl mindestens 350 Koalas direkt ums Leben gekommen sind. Und wie stark der Lebensraum dauerhaft geschädigt ist, bleibt abzuwarten. Die verschiedenen Arten von Eukalyptusbäumen, die den Tieren Nahrung und Unterschlupf liefern, sind zwar an Feuer angepasst und können nach einem Brand durchaus wieder ausschlagen. Wie viele davon aber die besonders heißen Flammen der jüngsten Katastrophe überstanden haben, muss sich erst noch zeigen.

Funktionell ausgestorben?

Insgesamt sind das keine guten Nachrichten für Australiens pelzige Sympathieträger. Zumal die Art ohnehin schon ums Überleben kämpft. Auf der Roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN steht sie in der Kategorie »gefährdet«. Und einige Experten halten das noch für untertrieben. So machte die Organisation Australian Koala Foundation (AKF) schon vor den jüngsten Bränden mit der Behauptung Schlagzeilen, die grauen Baumbewohner mit den flauschigen Ohren seien in der gesamten australischen Landschaft »funktionell ausgestorben«.

»Koalas zu zählen, ist brutal schwierig«Alex Greenwood

Diese Umschreibung wird von Biologen und Naturschützern in unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet. Ökologen meinen damit oft, dass eine Tierart so selten geworden ist, dass sie ihre angestammte Rolle im Ökosystem nicht mehr ausfüllen kann. Ein klassisches Beispiel dafür sind Raubtiere wie Wölfe oder Bären, die im 19. und 20. Jahrhundert in vielen Regionen Europas so massiv dezimiert wurden, dass sie die Bestände ihrer Beutetiere nicht mehr regulieren konnten.

»Funktionell ausgestorben« kann aber auch bedeuten, dass eine Art oder Unterart keine Zukunftschancen mehr hat. Zumindest nicht ohne massive Unterstützung. Das trifft zum Beispiel auf das Nördliche Breitmaulnashorn zu, von dem weltweit nur noch zwei bekannte Weibchen leben. Falls es mit den modernsten Methoden der Reproduktionsmedizin und Stammzellforschung nicht doch noch gelingt, ihnen auf künstlichem Weg zu Nachwuchs zu verhelfen, sind die Tage dieser Dickhäuter gezählt. In diesem Sinne ist auch das Statement über die funktionell ausgestorbenen Koalas zu verstehen. »Es ist ein wissenschaftlicher Begriff dafür, dass sie sich wohl nicht mehr erholen können«, schreibt Deborah Tabart von der AKF in ihrem Blog.

Andere Koalafachleute bezweifeln das allerdings. Für einige Regionen stimme diese pessimistische Einschätzung zwar, aber sicher nicht für alle, so der Tenor. Manchen Beständen gehe es sogar recht gut, und bei anderen wisse man es einfach nicht. »Festzustellen, ob jede einzelne der über den Osten Australiens verstreuten Koalapopulationen funktionell ausgestorben ist, würde einen gigantischen Aufwand erfordern«, schreibt Christine Adams-Hosking von der University of Queensland im wissenschaftlichen Onlinemagazin »The Conversation«.

Das Problem ist nämlich, dass man dazu fundierte Daten über die Größe und Entwicklung jedes einzelnen Bestandes bräuchte. Und davon können Wissenschaftler bisher nur träumen. »Koalas zu zählen, ist brutal schwierig«, sagt Alex Greenwood vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin. »Schließlich verbringen sie viel Zeit hoch oben in Eukalyptusbäumen und das oft auch noch in entlegenen Regionen.« Da stehen die Forscher dann vor einem ganz ähnlichen Problem wie bei Faultieren oder etlichen Affen: Man muss die Tiere in den oberen Waldetagen überhaupt erstmal finden.

Koalas gesucht

Im Fall der überwiegend nachtaktiven Koalas macht man sich dazu am besten in der Dunkelheit auf die Suche. Gezielt läuft man dann eine feste Strecke ab und leuchtet unterwegs jeden einzelnen Baum aus verschiedenen Winkeln ab. Das ist etwa dreimal so effektiv wie eine Koalafahndung am Tag, zeigt eine Analyse australischer Forscher. Trotzdem bleibt es ein aufwändiges und teures Unterfangen. Mehr als ein paar Stichproben in kleineren Gebieten sind da bei den meisten Studien einfach nicht drin.

Es sei denn, man setzt auf die Mithilfe der Bevölkerung. So genannte Citizen-Science-Projekte, bei denen alle Interessierten ihre Beobachtungen mit einbringen können, haben auch über das Vorkommen von Koalas schon reichlich Daten geliefert. Mehr als 14 000 Sichtungen kamen zwischen 1997 und 2013 allein im Südosten des australischen Bundesstaates Queensland zusammen. Und im Nordwesten von New South Wales konnten Wissenschaftler auf diesem Weg tatsächlich einen Rückgang der charismatischen Baumbewohner dokumentieren.

Allerdings haben auch solche Bürgerforschungsprojekte ihre Grenzen. Zum einen braucht man dazu genügend Mitstreiter, zum anderen liefern diese dann bevorzugt Informationen aus Siedlungen, von Straßenrändern oder aus anderen gut zugänglichen Gebieten. Entlegene Koalalebensräume dagegen bleiben oft weiße Flecken auf der wissenschaftlichen Landkarte.

Viel praktischer wäre es da, wenn man die Vorkommen der Tiere automatisch erfassen könnte. Und tatsächlich scheint die moderne Technik da einige neue Möglichkeiten zu bieten. So gab es kürzlich viel versprechende Versuche, den heimlichen Baumbewohnern akustisch auf die Schliche zu kommen. Brad Law vom Institut für Forstwissenschaft der Bundesstaates New South Wales in Parramatta und seine Kollegen haben sich dabei die bellenden Rufe zu Nutze gemacht, mit denen Koalamännchen zur Paarungszeit Weibchen und Rivalen zu beeindrucken versuchen. Diese Laute haben sie mit Aufnahmegeräten erfasst und dann von einer Software automatisch identifizieren lassen. Ihrer Erfahrung nach kann man Koalas auf diese Weise selbst in nur spärlich besiedelten Lebensräumen sehr effektiv aufspüren. Schon vier oder fünf Nächte während der Paarungszeit im Oktober und November können dazu genügen.

Auch mit einer Überwachung aus der Luft haben Evangeline Corcoran von der Queensland University of Technology in Brisbane und ihre Kollegen schon erste gute Erfahrungen gemacht. Sie haben Drohnen mit Wärmebildkameras ausgerüstet und damit die Baumkronen in Koalalebensräumen aufgenommen. Das charakteristische Muster, in dem die dort hockenden Beuteltiere ihre Körperwärme abstrahlen, ließ sich dann mit speziellen Algorithmen automatisch identifizieren.

Auf dem Rückzug

Vielleicht kann die Koalaforschung demnächst also auf technischem Weg an präzisere Daten kommen. Noch aber ist das Zukunftsmusik. »Bisher weiß niemand, wie viele Koalas es genau gibt«, sagt Alex Greenwood vom Berliner IZW. »Die Schätzungen gehen da weit auseinander.«

Die Koalaschützer von der AKF zum Beispiel leiten ihre Zahlen aus der Größe und Qualität geeigneter Lebensräume ab. Für ihren »Koala Habitat Atlas« haben sie solche Refugien kartiert und bewertet. Auch das auf den ersten Blick idyllischste Koalaparadies muss allerdings nicht unbedingt auch dicht besiedelt sein. Deshalb haben die AKF-Experten versucht, eine Reihe von weiteren Fragen zu beantworten: Welchen Anteil der vorhandenen Lebensräume haben die grauen Eukalyptusfresser überhaupt besetzt? In welchen Dichten kommen sie in den verschiedenen Lebensraumtypen vor? Und wie groß sind die Flächen, die sie dort beanspruchen? Auf der Basis solcher Informationen haben die Naturschützer versucht, Populationszahlen für die verschiedenen Koalaregionen in den Bundestaaten Queensland, New South Wales, Victoria und South Australia hochzurechnen.

Seit der Ankunft der europäischen Siedler im 18. Jahrhundert sind nach Schätzungen der AKF demnach 80 Prozent des Koalalebensraums auf dem Kontinent verloren gegangen – mit drastischen Folgen. »Wir glauben, dass es in Australien höchstens noch 80 000 Koalas gib«, sagt Deborah Tabart. »Das ist ungefähr ein Prozent der acht Millionen Tiere, die zwischen 1890 und 1927 wegen ihres Pelzes geschossen und nach London geschickt wurde.«

Auf deutlich höhere Zahlen kam dagegen eine Studie, die Christine Adams-Hosking und ihre Kollegen im Jahr 2016 veröffentlicht haben. Dafür hatten 15 ausgewiesene Koalafachleute die regionalen Populationsgrößen und deren Veränderungen abgeschätzt. Aus diesen Vermutungen haben die Forscher dann hochgerechnet, dass es in ganz Australien rund 329 000 Koalas geben könnte. Auch bei dieser Schätzung sind die Unsicherheiten allerdings groß. Es könnten den Kalkulationen zufolge auch nur 144 000 sein. Oder sogar 605 000. Was den Forschern allerdings Sorgen macht, sind die in der Studie berechneten Trends. So hat Australien den Schätzungen zufolge innerhalb von drei Generationen fast ein Viertel seiner Koalas verloren, im Bundesstaat Queensland sogar mehr als die Hälfte.

Ein schleichender Prozess

Es steht also nicht gut um Australiens beliebten Eukalyptusfresser. Trotz aller Unsicherheiten über die genauen Bestandszahlen sind sich Wissenschaftler und Naturschützer in diesem Punkt einig. Die verheerenden Feuer sind dabei nur eine von zahlreichen Schwierigkeiten, mit denen die Koalas seit Jahren zu kämpfen haben.

So verstärkt der Klimawandel nicht nur die Brandgefahr, sondern auch die Dürren, die den für Koalas lebenswichtigen Eukalyptusbäumen zu schaffen machen. Und die extremen Hitzewellen, die den Kontinent im Sommer immer häufiger heimsuchen, verkraften die Tiere nicht gut. »Wir wissen, dass Koalapopulationen in einigen Regionen im Landesinneren von Queensland und New South Wales unter Klimaextremen wie massiven Dürren und Hitzewellen leiden und dass sie um bis zu 80 Prozent geschrumpft sind«, schreibt Christine Adams-Hosking in »The Conversation«.

Zahlreiche weitere Tiere kommen durch Verkehrsunfälle oder Attacken von Hunden und anderen Feinden ums Leben. Die aus Europa eingeschleppten Füchse sind in Australien sogar dazu übergegangen, auf Bäume zu klettern, so dass die Koalas selbst dort nicht mehr sicher sind. »Zusätzlich ist die Art auch durch unter verschiedene Gesundheitsprobleme bedroht«, sagt Alex Greenwood, der am IZW in Berlin die Abteilung für Wildtierkrankheiten leitet. Das Koalaretrovirus zum Beispiel kann Krebs auslösen. Sehr viele Tiere sind zudem mit Chlamydien infiziert – sexuell übertragbaren Bakterien, die zu Blindheit, schweren Blasenentzündungen, Unfruchtbarkeit und zum Tod führen können. »Die beiden Erreger könnten sogar zusammenwirken, um die Gesundheit der Tiere zu schädigen«, befürchtet Alex Greenwood.

Die größten Sorgen aber machen sich Koalaschützer über den Schwund der Eukalyptuswälder, die bis heute oft Siedlungen und Farmland weichen müssen. »Wenn wir diese Lebensräume nicht schützen und wieder vergrößern, werden wir tatsächlich erleben, dass wilde Koalapopulationen funktionell aussterben«, befürchtet Christine Adams-Hosking. Es wird wohl kein Paukenschlag sein, kein einzelner Brand, der das Schicksal der Tierart besiegelt, sondern eher ein schleichendes Verschwinden. Noch sehen Naturschützer die Möglichkeit, den Prozess aufzuhalten. Doch man dürfe diese Chance nicht verpassen, warnt der WWF Australien. Sonst könnten die Koalas um das Jahr 2050 tatsächlich Geschichte sein.

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