Zika-Epidemie in Rio: Gefährdet das Zika-Virus Olympia?
Großereignisse und Epidemien sind eine schlechte Mischung – ganz besonders, wenn eine bis heute rätselhafte, folgenschwere Krankheit auf das größte Sportfest der Welt trifft. Seit einigen Monaten geht das Zika-Virus in Brasilien um und verursacht schwere Entwicklungsstörungen bei ungeborenen Kindern und anscheinend auch Nervenschäden bei infizierten Erwachsenen. Doch in zwei Monaten sollen die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro beginnen, und Angst greift um sich.
Schon haben mehrere Sportlerinnen und Sportler öffentlichkeitswirksam angekündigt, wegen Zika auf die Spiele zu verzichten. In einem offenen Brief an die WHO-Generalsekretärin Margaret Chan fordern 150 Unterzeichner die Weltgesundheitsorganisation sogar auf, die Olympischen Spiele als Ganzes entweder zu verschieben oder gleich an einen anderen Ort zu verlegen.
Das sei nicht nur nötig, weil die Initiatoren der Aktion viele zusätzliche Krankheitsfälle auf den Rängen wie in den Sportstätten erwarten. Sie sehen zudem eine globale Bedrohung durch die etwa 500 000 Menschen, die zusätzlich in Rio sind: Diese könnten das Virus womöglich in bisher noch nicht betroffene Regionen des Globus tragen. Das Schreiben schließt mit der Unterstellung, die WHO ignoriere die Gefahren, um ihre Partnerschaft mit dem Internationalen Olympischen Komitee nicht zu gefährden.
Interessenkonflikt bei der Weltgesundheitsorganisation
Die Gruppe hat nachvollziehbare Argumente für eine Verlegung. Sie verweist auf die brasilianischen Behörden, die mehr als 30 000 mögliche Zika-Fälle allein in Rio anführen, sowie die Reisewarnungen für Brasilien, die im Rahmen des internationalen Zika-Notfalls gelten. Wie gefährlich das Zika-Virus genau ist, vor allem im Hinblick auf langfristige Hirn- und Nervenschäden, ist bis heute ungeklärt. Gewiss besteht jedoch darüber, dass es auf mindestens einem Weg direkt von Mensch zu Mensch übertragbar ist.
Ein weiteres Problem ist der Überträger des Zika-Virus, die Gelbfiebermücke Aedes aegypti. Die fühlt sich in dicht besiedelten Gebieten besonders wohl. Ihr reichen Pfützen, Regentonnen oder Wasserlachen in alten Autoreifen, um Nachwuchs zu produzieren. Noch Mitte des 20. Jahrhunderts war die Gelbfiebermücke in weiten Teilen Brasiliens ausgerottet; seit ihrer Rückkehr jedoch ist sie nicht mehr in den Griff zu bekommen. Wohl zu Recht vermuten die Autorinnen und Autoren des Briefs, dass auch eine letzte Offensive gegen den Moskito wenig Effekt haben wird.
Allerdings wird etwas anderes der Mückenpopulation wohl weit stärker zusetzen als jede Last-Minute-Bekämpfungsaktion: der Winter auf der Südhalbkugel. August ist mit etwa 50 Millimetern Niederschlag der trockenste und auch einer der kühlsten Monate in Rio – weit ungünstiger für Zika als die Bedingungen in den regenreichen Sommermonaten, als die Zika-Epidemie für Schlagzeilen sorgte.
Die Viren brauchen durchgehend Temperaturen von 22 bis 24 Grad Celsius, um sich effektiv zu vermehren – Bedingungen, wie sie nur an wenigen Sportstätten herrschen. Langfristige Wettertrends deuten darauf hin, dass die Bedingungen für Denguefieber immerhin in den drei nördlich gelegenen Spielorten Recife, Fortaleza und Natal günstig sein werden. Laut Studien kann auch im trockenen August die Dengue-Inzidenz – und damit die Aktivität der das Zika-Virus übertragenden Moskitos – um den Faktor 20 schwanken. Wie brasilianische Forscher vor ein paar Jahren zeigten, sind die entscheidenden Faktoren dafür Temperaturen und Niederschlag im Juli. Fachleute betonen deswegen, die Empfehlung, Schwangere sollten nicht zu den Spielen reisen, sei unbedingt sinnvoll.
Zu kalt für Zika
Für eine Absage der Spiele sind die Risiken jedoch nach Ansicht der Veranstalter und vieler Seuchenfachleute zu gering. Zumal es ein historisches Beispiel gibt: Bei der Fußballweltmeisterschaft 2014 in Brasilien befürchteten Kritiker eine wahre Dengue-Epidemie, doch die trat nicht ein. Marcelo Nascimento Burattini von der Universität São Paulo und sein Team bezifferten jüngst das Risiko, während der Olympischen Spiele von einer Gelbfiebermücke gestochen zu werden, auf nur etwa vier Prozent.
Die Wahrscheinlichkeit, auf diesem Weg dann auch noch Zika zu bekommen, läge nach dieser Kalkulation bei etwa 1 zu 31 000. Unter den erwarteten 500 000 ausländischen Touristen gäbe es demnach keine zwei Dutzend zusätzlicher Zika-Infektionen. Ein ähnliches Bild zeichnen auch die Statistiken über Denguefieber. Fachleute ziehen diese Daten heran, um die Aktivität der Moskitos einzuschätzen. Überschlägt man anhand der im Brief zitierten Häufigkeiten von Zika-Infektionen und der historischen Daten des Denguefiebers das vermutliche Risiko, kommt man auf größenordnungsmäßig 1 zu 10 000 oder etwa 50 zusätzliche Fälle durch Olympia.
Den Einfluss der kühlen Wintermonate erkennen auch die Autoren des offenen Briefs an. Sie berufen sich als Gegenargument auf die um mehrere hundert Prozent angestiegenen Meldungen von Denguefieber in Rio de Janeiro während der letzten drei Jahre – diese seien ein klares Warnsignal für eine neue Gefahrenlage. Allerdings erwähnen sie nicht, dass der Hauptteil des Anstiegs in den von ihnen zitierten Zahlen zwischen Februar und April 2015 fällt, just als die ersten Meldungen über die Zika-Epidemie die Menschen zu verunsichern begannen; der Verdacht liegt nahe, dass inzwischen einfach mehr Menschen mit Fieber zum Arzt gehen.
Auch die Befürchtung, die Olympischen Spiele könnten das Zika-Virus in die Welt verbreiten, ist wohl überzogen. Zwar erwartet Rio etwa eine halbe Million zusätzliche internationale Besucher durch die Spiele. Das aber ist gar nicht so viel im Vergleich zu den fast drei Millionen Besuchern, die auch ohne Olympia jährlich die Metropole besuchen. Wenn internationaler Tourismus das Zika-Virus aus Rio um die Welt schleppen kann, dann geschah das schon während des Karnevals, als eine Million ausländische Besucher in der Stadt waren – nahe am Höhepunkt der Zika-Saison.
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