Hormone: Bei Männern schwanken die Gefühle nicht weniger als bei Frauen
Erleben Frauen häufiger ein Wechselbad der Gefühle? Laut einer neuen Studie gehört diese Theorie ins Reich der Geschlechtermythen. Die Gefühlslage von Frauen schwankt im Mittel nicht stärker als die von Männern, berichtet ein Team um Alexander Weigard von der University of Michigan in den »Scientific Reports«.
Der Psychologe und seine Kolleginnen hatten 142 junge Erwachsene über 75 Tage täglich zu ihrem Befinden befragt. Wie sehr fühlten sie sich glücklich, verärgert, ängstlich oder gereizt? Eine Liste mit zehn positiven und zehn negativen Emotionen wurde abgefragt. Die Forschenden bestimmten die Schwankungsbreite der Gefühle und die emotionale Konstanz über zwei Tage sowie regelmäßig wiederkehrende (»zyklische«) Gefühle. Zur Auswertung berechneten sie den so genannten Bayes-Faktor: Er gibt an, wie wahrscheinlich eine Hypothese im Vergleich zu einer anderen ist. Ein Bayes-Faktor ab 3 gilt als moderater Beleg, ab 10 als starker Beleg.
Ergebnis: Die vorliegenden Daten waren rund dreimal wahrscheinlicher unter der Annahme, es gebe tatsächlich keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Es fanden sich auch nur wenig Hinweise darauf, dass sich Frauen mit natürlichem Zyklus von denen unterschieden, die hormonell verhüteten. Hier passten die Daten ebenfalls besser zu der Annahme, die Frauengruppen erlebten vergleichbare Gefühlsschwankungen. Allerdings schienen Frauen, die triphasische Hormonpräparate einnahmen, emotional etwas »träger« und eher zyklischen, regelmäßigen Schwankungen unterworfen zu sein.
Laut Weigard und seinen Kolleginnen passt das zu früheren Befunden, wonach das emotionale Gefälle bei hormoneller Verhütung schwächer ausfällt als im Verlauf eines natürlichen Monatszyklus. Frauen berichten demnach in den Tagen vor und während der Periode (bei niedrigerem Östrogen- und Progesteronspiegel) vermehrt über eine negative Stimmung.
Lange wurden in der Forschung Weibchen vernachlässigt, weil man befürchtete, zyklische Hormonschwankungen könnten ihr Verhalten beeinflussen und so die Ergebnisse verfälschen. Doch zu Unrecht, wie die Forschungsgruppe berichtet. Eine Metaanalyse über 300 Studien habe kaum Unterschiede zwischen den Reaktionen von männlichen und weiblichen Ratten nachweisen können, weder im Verhalten noch in neurochemischen oder elektrophysiologischen Maßen.
Für ein abschließendes Urteil sei die vorliegende Stichprobe zu klein und zu begrenzt auf junge, weiße Erwachsene mit einem akademischen Hintergrund, schreiben die Forschenden selbst. Es brauche eine breitere Datenbasis und außerdem feinere Messungen, etwa im Stunden- statt im Tagesrhythmus. Kleine Unterschiede zwischen den Geschlechtern wollen sie deshalb noch nicht ausschließen. Ihr Fazit lautet aber: »Wäre der Einfluss der Sexualhormone im Alltag so bedeutsam wie gedacht, dann hätte man deutlichere Unterschiede sehen müssen.«
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