Direkt zum Inhalt

Beninbronzen: Die metallenen Chroniken der Kriegerkönige

Die Beninbronzen sind ein Symbol für die Raubkunst der Kolonialzeit. Doch die Stücke waren einst mehr als das: Sie bildeten das kultische Archiv des Königreichs Benin.
Kriegerkönig

Der König von Benin ist unverkennbar: Ihm steht das Zeremonialschwert zu, das Eben mit breiter Klinge. Zudem trägt er eine Kappe und ein Hemd aus feuerroten Korallenperlen. Eine lange Kette aus demselben Material ist mehrfach um seinen Hals gelegt. Mit diesen und weiteren Insignien ist der König, der Oba, auf dutzenden Bildern aus Metall abgebildet. Die so genannten Beninbronzen aus dem einstigen westafrikanischen Königreich genießen seit einigen Jahren große Bekanntheit. Die enigmatischen Stücke waren zu hunderten und fast immer unrechtmäßig von Museen weltweit erworben worden – und jüngst, nach jahrzehntelangen vergeblichen Rückgabeforderungen, haben einige Sammlungen begonnen, Exponate zu repatriieren. Deutschland will sich dem Vorhaben 2022 anschließen.

Im Königreich Benin hatten die Objekte feste Funktionen. Sie stellten ehemalige Herrscher dar, die mit ihrem metallenen Konterfei auf Ahnenaltären verehrt wurden. Reliefs hingen im Palast und dienten als »historisches Archiv«, wie der Afrikaforscher Leonhard Harding schreibt: Die Stücke »sollten die Legitimität und Kontinuität der herrschenden Dynastie demonstrieren«. Die symbolträchtig gewordene Hofkunst war demnach Teil einer Königskultur, die jahrhundertelang die Geschicke ihres Landes bestimmte. Erstmals im 15. Jahrhundert kamen die Menschen von Benin mit Europäern in Kontakt, bis ebensolche ihnen im späten 19. Jahrhundert ein jähes und brutales Ende bereiteten.

Wer überlieferte die Geschichte der Könige?

Die Heimat der Beninbronzen lag nicht im heutigen Land mit Namen Benin, das bis 1975 noch Dahomey hieß. Das Königreich befand sich mehrere hundert Kilometer östlich davon – in der heutigen Edo-Provinz im Süden Nigerias an der östlichen Guineaküste. Was dort in den vergangenen Jahrhunderten geschah, tradierten die Herrscher in mündlichen Erzählungen und Liedern, die professionelle Chronisten am Königshof vortrugen. Schriftlich aufgezeichnet wurden die Geschichten erstmals im 20. Jahrhundert. Allen voran war es der nigerianische Historiker Jakob Uwadiae Egharevba, der von den 1920er Jahren bis zu seinem Tod 1980 viele Schilderungen des Oba und seiner Würdenträger zusammentrug und editierte. Frühere Beschreibungen und Berichte stammen ausschließlich von europäischen Händlern, Missionaren und Gesandten.

Schenkt man der mündlichen, oft widersprüchlichen und mythologisch befrachteten Überlieferung Glauben, entstand das erste Kleinreich namens Igodomigodo schon um die Zeitenwende. Begründer sei ein gewisser Igodo gewesen. Er schuf die Ogiso-Dynastie. Ogiso galt als Titel des Königs, der so viel wie »Herrscher des Himmels« bedeutete. Gemäß den Erzählungen war das Geschlecht der Ogiso bis etwa 1200 an der Macht und zählte bis dahin 32 Regenten. Dann soll Folgendes geschehen sein: Die lokale Bevölkerungsgruppe der Edo bat das Herrscherhaus des benachbarten Königreichs von Ife um Unterstützung. Man wolle die Ogiso loswerden. Daraufhin entsandte das Herrscherhaus von Ife den Prinzen Oranmiyan nach Benin. Der Prinz heiratete dort die Prinzessin Erimwinde. Sie gebar den ersten Regenten des Königreichs Benin, Eweka I.

Gedenkkopf | Das Bildnis zeigt den König von Benin mit der charakteristischen Netzkappe aus Korallenperlen und der mehrfach um den Hals gelegten Korallenkette. Seitlich ragt ein flügelartiger Kopfschmuck empor mit hornähnlichen Fortsätzen. Der 45 Zentimeter hohe Gedenkkopf stand vermutlich auf einem königlichen Ahnenaltar. Kunsthistoriker datieren das Stück im New Yorker Metropolitan Museum of Art ins 19. Jahrhundert.

Mit Eweka änderte sich der Königstitel von Ogiso zu Oba, ebenso hieß das Königreich nun nicht mehr Igodomigodo, sondern Edo, und seine Bevölkerung nannte sich »Ovbi Edo«, »Kinder von Edo«. Igodomigodo lebte allerdings als Bezeichnung eines teilautonomen Territoriums im Oba-Königreich fort.

Eine Rivalität, die bis heute spaltet

Eine andere Sicht auf die Dinge haben die Nachfolger der damals entmachteten Ogiso-Dynastie. In ihren Augen hatten ihr König und Oba Eweka I. eine Art Pachtvertrag geschlossen: Das neue Herrscherhaus war damit verpflichtet, der alten Dynastie Zahlungen zu leisten, damit sie als »Eindringlinge aus Ile-Ife« in Benin bleiben durften. Die Dauerrivalität zwischen dem ehemaligen und dem amtierenden Herrscherhaus reicht bis in die Gegenwart. Als nach dem Tod von Oba Erediauwa im Mai 2016 Kronprinz Ewuare II. den Thron bestieg, protestierte die alte Herrscherfamilie vehement. Sie sah sich als »Ureinwohner und ständiger Grundherr« in den Nachfolgeprozess nicht genügend eingebunden und bestand auf der »Pachtzahlung« des künftigen Oba. Geld war letztlich aber wohl nicht geflossen.

Die Geschichte über die Anfänge der Oba-Dynastie erklärt, warum sowohl die Herrscher von Benin als auch die der benachbarten Yoruba ihren Ursprung auf die legendäre Urstadt Ile-Ife zurückführten. Der Mythos von Ile-Ife besagt nämlich, dass die Söhne oder Enkel des Weltenschöpfers Oduduwa von der heiligen Stadt auszogen, um die verschiedenen Yoruba-Staaten und das Königreich Benin zu gründen.

Zur Regelung seiner Nachfolge schuf der erste Oba Eweka I. einen siebenköpfigen Staatsrat. Die so genannten Uzama Nihinron sollten unter den männlichen Nachkommen oder Verwandten des verstorbenen Regenten den würdigsten Nachfolger bestimmen und dem Herrscher während seiner Amtszeit beratend zur Seite stehen. Sie fungierten demnach als eine Art Kurfürsten. Allerdings versuchten die nachfolgenden Könige, namentlich der vierte Oba Ewedo (er herrschte von zirka 1255 bis 1280), den Einfluss des Adels und des Staatsrats zurückzudrängen. So beschnitt Ewedo, der in der mündlichen Überlieferung als wichtiger Herrscher geschildert wird, die Rechte der Uzama, ferner begründete er eine neue Residenz in Benin-Stadt und ernannte neue Palastämter als Gegengewicht zum Staatsrat. Der Modus für die Wahl des Königs blieb davon aber unangetastet. Ewedo soll dem Land auch den Namen »Ubini« gegeben haben.

Aus der Konsolidierungsphase des Reichs sind diverse Herrschernamen mündlich tradiert, die sich jedoch kaum durch Denkmäler oder andere Quellen verifizieren lassen. Stimmen dürfte allerdings, dass mit Oba Ewuare das Königreich ab etwa 1440 seine größte Ausdehnung erlebte. Ewuares Amtsantritt war vermutlich nicht unblutig vonstattengegangen, wie sein Thronname nahelegt, der so viel bedeutet wie »Der Krieg ist vorbei«. Er ließ nicht nur die Reichshauptstadt ausbauen und befestigen, sondern auch das teils hinzugewonnene Staatsgebiet durch Straßen erschließen. Ewuare legte den Grundstein für das Benin des 15. und 16. Jahrhunderts, das sich zu einem der bedeutendsten und mächtigsten Königreiche Westafrikas entwickelte.

Die Ankunft der Europäer

Das Jahr 1485 stellt einen Wendepunkt für die Geschichte von Benin dar. Damals besuchte erstmals ein Europäer, der Portugiese João Afonso de Aveiro, das afrikanische Königreich. Mit ihm setzen die zeitgenössischen Schriftquellen aus Europa ein, während es für die Zeit davor nur mündliche Überlieferungen gibt. Die Portugiesen nannten das Reich Beni oder Benin, wohl in Ableitung von Ubini. Der Herrscher, den die Iberer antrafen und mit dem sie direkte Handelsbeziehungen knüpften, war Oba Ozolua (er regierte ungefähr von 1480 bis 1504). Ozolua trug den Beinamen »n'Ibaromi«, »der Eroberer«. Er, sein Vorgänger Ewuare und die Thronfolger gelten als Kriegerkönige. Sie führten zahlreiche Feldzüge und unterwarfen benachbarte Städte und Provinzen.

Die Portugiesen fanden in Benin ein kulturell hochstehendes und politisch mächtiges Reich vor, das streng hierarchisch gegliedert war. Der Oba an der Staatsspitze war absolutistischer Monarch, dem gottähnliche Eigenschaften zugeschrieben wurden. Die Bevölkerung war ihm offenbar so ergeben, dass sie Menschenopfer vor allem von Sklaven im Rahmen von religiösen Zeremonien hinnahm. Auch für die aufwändigen Bestattungsrituale der Herrscher wurden zahlreiche Menschen getötet. Selbst Mitglieder des Hofstaats mussten ihrem verstorbenen Herrn ins Jenseits folgen.

Vor allem Ozoluas Sohn und Nachfolger Oba Esigie (seine Herrschaftszeit dauerte von 1504 bis 1540) baute die wirtschaftlichen Kontakte mit Europa aus. Doch zuvor hatte sich Esigie offenbar den Thron erkämpfen müssen: Beim Tod seines Vaters herrschte er lediglich über die Reichshauptstadt Benin. Die rund 25 Kilometer nordwestlich davon gelegene Stadt Udo, die an Größe und Bedeutung Benin gleichgestellt war, bildete die Machtbasis seines Bruders Aruaran. Den blutig ausgetragenen Zwist entschied Esigie für sich – dank der militärischen Unterstützung seiner Mutter, Königin Idia. Sie führte für ihren minderjährigen Sohn die Regierungsgeschäfte und setzte schließlich dessen Thronbesteigung durch.

Die Taten der »Warrior Queen« sind noch heute Stoff vieler Legenden in Benin. Esigie schenkte Idia zum Dank nicht nur einen Palast in Uselu, heute ein Stadtteil von Benin-Stadt, sondern er begründete auch die Tradition, der Königinmutter den Titel Iyoba zu verleihen. Das Amt kam mit besonderen Befugnissen – die Iyoba galt als einzige Frau im Land, die bei politischen Entscheidungen mitreden durfte.

Die Kriegerkönige eroberten die Nachbargebiete

Oba Esigie setzte die Expansion des Reichs fort, vor allem nach Westen entlang der Bucht von Benin. Teilweise unterstützten die Portugiesen den Oba mit ihren Soldaten, die mit Armbrüsten und Feuerwaffen gerüstet waren. Benin war aber auch durch den Handel mit Portugal in den Besitz solcher Waffen gelangt, was dem Land einen großen militärischen Vorteil gegenüber den anderen westafrikanischen Staaten einbrachte. Bedeutend für das Königreich war die Eroberung der Hafenstadt Eko, des heutigen Lagos. Letztlich umfasste das Reich ein großes Gebiet zwischen Lagos und dem Fluss Niger. Wie weit es sich während seiner größten Ausdehnung nach Norden ins westafrikanische Hinterland erstreckte, ist unklar. Am Ende dürfte das Reich wohl eine Fläche umfasst haben, die ungefähr den Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg zusammen entsprach.

Durch die westeuropäischen Handelspartner kamen neue Rohstoffe nach Benin, vor allem Messing und andere Metalle, sowie die für die königlichen Insignien wichtigen Korallen, Rosshaar und Textilien. Die Waren führten zu einem vermehrten Wohlstand im Reich und ermöglichten es dem Herrscher, Kunstwerke in nie da gewesener Zahl bei seinen Handwerkern in Auftrag zu geben.

Elfenbeinmaske | Fünf solcher handtellergroßen Masken aus dem 16. Jahrhundert sind überliefert. Das Bildnis der legendären Königinmutter Idia trug der König als Hüftschmuck. Das Diadem auf dem Kopf zeigt abwechselnd typisierte Portugiesen und Schlammfische. Beide galten als Land- und Wasserbewohner, der Fisch überdies als Symbol für die göttliche und irdische Natur des Königs.

Nach übereinstimmender Auskunft der europäischen Reisenden war das gesamte Wirtschaftsleben Benins in Zünfte und Gilden gegliedert, wobei für die Handelsgeschäfte eine spezielle Kaufmannsgilde zuständig war. Einige von deren Mitgliedern erlernten rasch Portugiesisch, um sich gegenüber ihren einheimischen Kollegen einen Vorteil zu verschaffen. Selbst manche Könige beherrschten die Fremdsprache, so auch Oba Esigie, der sie schon als Kind gelernt haben soll.

Europa kaufte Kautschuk, Elfenbein, Gewürze und Sklaven

Der Handel mit den Europäern erreichte ein beträchtliches Volumen: Allein im Jahr 1630 brachte das Schiff »Olyphant« 88 235 Pfund Elfenbein und 1337 Pfund Pfeffer aus Benin in die Niederlande. Die Portugiesen konnten ihr Monopol im Großen und Ganzen bis ins 17. Jahrhundert halten, bis sich zunächst die Niederländer und danach Franzosen und Engländer in das lukrative Geschäft mit Kautschuk, Palmöl, Elfenbein und Gewürzen drängten.

Die anfänglich wichtigste »Handelsware« aus Benin waren Sklaven. Sie kommen bereits in der ersten bekannten Beschreibung der Küstenregion von Guinea vor. Dieser mit Insiderinformationen gespickte und vom portugiesischen Königshaus geheim gehaltene Bericht stammt aus der Feder von Duarte Pacheco Pereira (um 1469–1533). In seiner nüchternen Darstellung »Esmeraldo de Situ Orbis«, die der Geograf und Seefahrer zwischen 1505 und 1508 niederschrieb, liefert Pacheco Pereira Einblicke in die Gesellschaft und die Orte des Königreichs Benin, das er Beny nennt:

»Eine League [zirka 4,8 Kilometer] stromaufwärts münden zwei Nebenflüsse in den Hauptfluss. Wenn man den zweiten von ihnen zwölf Leagues stromaufwärts fährt, findet man die Huguatoo [Gwato] genannte Stadt vor, mit etwa 200 Einwohnern; das ist der Hafen der großen Stadt Beny, die neun Leagues weiter im Landesinneren liegt, mit einer guten Straße [dorthin]. Kleine Schiffe mit 50 Tonnen können bis Huguatoo gelangen. Diese Stadt ist, von Tor zu Tor, ungefähr eine League lang. Sie hat keine Stadtmauern, ist aber von einem großen Graben umgeben, sehr breit und tief, was für ihre Verteidigung genügt. Ich war dort viermal. Ihre Häuser bestehen aus Lehmmauern, die mit Palmwedeln eingedeckt sind. Das Königreich von Beny ist etwa 80 Leagues lang und 40 breit. Es ist üblicherweise im Kriegszustand mit seinen Nachbarn und macht viele Gefangene, die wir für jeweils 12 oder 15 Armreife aus Messing kaufen oder für Armreife aus Kupfer, die sie höher bewerten. Von dort werden die Sklaven zur Festung von São Jorge da Mina [Elmina im heutigen Ghana] gebracht, wo sie für Gold verkauft werden. Die Lebensweise dieser Leute ist voller Missbräuche, Hexerei und Götzendienst, die ich der Kürze halber weglasse.«

Für das 18. Jahrhundert ist bekannt, dass allein über Benin jährlich etwa 35 000 Sklaven verschifft wurden. Als Großbritannien später den Sklavenhandel unterband, führte dies zum wirtschaftlichen Niedergang von Gwato. Der Engländer Richard Francis Burton, der die Region 1862 besuchte, notierte im Jahr darauf für die Hafenstadt »zwischen 20 und 30 Einwohner, zumeist in Ruinen, aber manchmal die Spuren früheren Glanzes zeigend«.

Was die Europäer über Benin berichteten

Lange bevor Burton durch Afrika reiste, galt Benin bereits als eines der am besten dokumentierten vorkolonialen Reiche des Kontinents. Einen detaillierten Report verfasste der Niederländer David van Nyendael (1667–1702), der im Dienst der Niederländischen Westindien-Kompanie 1701 vom Oba von Benin empfangen wurde. Seinem Landsmann, dem Mediziner und Geografen Olfert Dapper (1636–1689), ermöglichten es vor allem die Schilderungen jesuitischer Missionare, aber auch die Berichte niederländischer Kaufleute, bereits 1668 eine bebilderte Kompilation über Afrika zu verfassen, die zwei Jahre später in deutscher Übersetzung erschien. Sie gilt noch heute als Standardwerk der frühen Afrikaforschung, obwohl der Autor nie den von ihm dokumentierten Kontinent betreten hatte.

Portugiesen und Manillas | In Benins Bildkunst tauchen die iberischen Händler häufig auf. Meist tragen die bärtigen und langhaarigen Europäer einen Waffenrock und Hut. Unter den Figuren auf diesem Relief sind Manillas aufgereiht, eines der wichtigsten Handelsgüter von Benin. In der Realität waren die Metallringe ungefähr handgroß.

Besonders eindrücklich fällt die Beschreibung der Hauptstadt Benin aus, die laut Dapper den Vergleich mit seiner Heimatstadt Amsterdam nicht zu scheuen brauchte. So ist von einer breiten ungepflasterten Straße die Rede, die sieben- oder achtmal größer als die geschäftige Warmoesstraat in Amsterdam sei und die schnurgerade über vier Meilen hinweg das Stadtgebiet durchquere. Eindrucksvoll seien zudem die umfangreichen Wallanlagen und Mauern, die Benin-Stadt damals umgaben. Bis zur späteren Zerstörung durch die Engländer 1897 galten sie als zweitgrößtes von Menschenhand erbautes Befestigungswerk weltweit, gleich nach der Chinesischen Mauer.

Die Briten eroberten, plünderten und brannten Benin-Stadt nieder

Die »Goldküste« von Guinea und ihr rohstoffreiches Hinterland weckten im 19. Jahrhundert die Begehrlichkeiten des expandierenden britischen Kolonialreichs. Zuletzt war die gesamte Region mit Ausnahme des Königreichs von Benin unter britische Kontrolle geraten. Die Kolonialisten richteten dort die Handelsgesellschaft der »Königlichen Niger-Kompanie« sowie das von England abhängige Territorium »Protektorat Nigerküste« ein, die beide dann um 1900 im »Protektorat Südnigeria« aufgingen. Benin, den letzten noch unabhängigen Staat, haben die Briten 1892 durch Handelsverträge an sich gebunden. Ein Streit um Zölle führte dann dazu, dass sie 1897 Benin-Stadt eroberten, plünderten und niederbrannten.

Dabei raubten die Kolonialisten die Metalltafeln und Gedenkköpfe, die heute als Beninbronzen bekannt sind. Ursprünglich waren die Reliefs an den Säulen und Wänden des Königspalastes befestigt. Die figürlichen Darstellungen dienten der Gilde der Hofchronisten als bildliches Archiv der Landesgeschichte. Dass »darauf ihre Kriegstahten und Feldschlachten seynd abgebildet«, wie Dappers Gewährsleute berichten, ist nur die halbe Wahrheit. Es sind auch historische Persönlichkeiten und Ereignisse wiedergegeben – und immer wieder tauchen die portugiesischen Handelspartner als Motiv auf.

Als van Nyendael 1701 in Benin-Stadt war, lässt er nichts über die Reliefs verlautbaren. Offenbar waren sie in der Zwischenzeit abmontiert und in einem Depot eingelagert worden. Auch aus diesem Grund dürfte kaum eine der quadratischen Metallplatten jünger als rund 400 Jahre sein. Unabhängig davon nutzten die Könige und die Würdenträger des Palastes sie wohl weiterhin als Staatsarchiv. Wahrscheinlich waren die Stücke dazu in einer sinnvollen Anordnung abgelegt. Die Briten hatten diese Einteilung durch ihre Plünderungen unwiederbringlich zerstört und damit auch die einzigen Aufzeichnungen der sonst mündlich überlieferten Geschichte.

Um ihre Kriegskasse aufzubessern, verkauften die Briten zwischen 1897 und 1900 viele der geraubten Kunstwerke an Sammler und Museen. Was seinerzeit keiner der Käufer berücksichtigte, war der kultur- und religionsgeschichtliche Kontext der Stücke. Anders als etwa die Objekte des alten Ägypten oder der antiken Mittelmeerkulturen, zu denen die einheimische Bevölkerung kaum noch einen ursprünglichen Bezug hatte, besaßen und besitzen die meisten Stücke aus Benin immer noch eine kulturelle Funktion.

So waren die berühmten Bronzeköpfe, ob sie nun konkrete Herrscher früherer Zeiten oder das Königtum an sich repräsentierten, Bestandteile von Ahnenaltären, an denen rituelle Handlungen vollführt wurden. Skulpturen von Hähnen etwa, die auch als lebendige Tiere geopfert wurden, stellten die Königin oder Königinmutter dar. Die Mutter des Thronfolgers trug den Namen »der Hahn, der am lautesten kräht«, wahrscheinlich in Anspielung auf den Einfluss, den sie auf die Politik des Landes nehmen konnte. Zusätzlich waren die Ahnenaltäre mit geschnitzten Elefantenstoßzähnen geschmückt, die laut Leonhard Harding »als Buch der Kultur Benins gelesen werden« können. »Sie dienten dem Gedenken an einen Herrscher und wurden auf einem in Bronze gegossenen Gedenkkopf montiert«, erklärt der Historiker.

Auch Ornamente, die als Teil der Kleidung getragen wurden, sollten eine magisch-religiöse Wirkung entfalten – etwa die Königinnenmasken aus Elfenbein. Bei bestimmten Zeremonien des Ahnenkults heftete man sie als Hüftschmuck an. Sie zeigen das Gesicht der sagenumwobenen Königin Idia, der stellvertretenden Regentin für den zunächst minderjährigen Oba Esigie im 16. Jahrhundert. Nur fünf Exemplare solcher Masken sind bekannt, und alle fünf befinden sich heute in Europa oder Amerika. Für ein Stück, das 1960 von Sotheby's versteigert wurde und bald darauf ins Seattle Art Museum gelangte, sind die genauen »Fundumstände« überliefert: »Von Dr. Robert Allman, dem leitenden Arzt der britischen Strafexpedition, am 16. Februar 1897 aus einer Kiste im Schlafzimmer des Oba im königlichen Palast von Benin-Stadt entnommen.« Auf nicht wesentlich andere Weise gelangten wohl auch die vier Parallelstücke in den Besitz der britischen Invasoren. Immerhin zog das Auktionshaus Sotheby's im Dezember 2010 die Versteigerung der einzigen noch auf dem freien Kunstmarkt befindlichen Elfenbeinmaske zurück.

Metall – eine wichtige Importware

Inzwischen gibt es zahlreiche Forschungsprojekte, die sich den Objekten widmen, beispielsweise eine laufende Kooperation zwischen dem Münchner Museum Fünf Kontinente und der Fakultät für Materialanalysen der Universität Barcelona. Die Wissenschaftler wollen die Metalllegierungen der Beninbronzen bestimmen, um ihr Alter zu ermitteln. Für die Datierung nutzen sie eine radiometrische Methode, die auf dem Zerfall des Bleiisotops 210Pb beruht. Die Experten versuchen so, etwaige Unterschiede zwischen den alten Stücken vor der Eroberung und solchen aus dem 20. Jahrhundert zu ermitteln. Denn die Produktion von Metallarbeiten nach den alten Vorgaben ging auch nach der Absetzung des Oba weiter.

Die Gilde der königlichen Bronzegießer fertigt die Skulpturen seit jeher mit Hilfe des Wachsausschmelzverfahrens. Dazu formt der Handwerker, vereinfacht gesagt, das Bildnis in Wachs, ummantelt es mit Ton, brennt das Gebilde und gewinnt so eine Hohlform, die er anschließend mit Metall ausgießt. Hat sich der Guss abgekühlt, wird die Form zerschlagen und die Skulptur nachgearbeitet. Das heißt, jedes Kunstwerk ist ein Unikat, auch wenn sich die Reliefs und Gedenkköpfe motivisch ähneln.

Palastrelief | Zwei Krieger nebst Dienern bewachen einen Zugang zu einem Palastgebäude. An den Säulen hängen Reliefs. Auf dem Schindeldach erhebt sich ein Turm, von dem eine Schlangenskulptur herabhängt. Mit diesen Details beschreibt auch der Gelehrte Olfert Dapper im 17. Jahrhundert den Palast des Königs von Benin. Relief aus Benin im Ethnologischen Museum in Berlin.

Wenn bei den Metallarbeiten aus Benin immer von Bronzen die Rede ist, entspricht das nicht ganz den Tatsachen. Eigentlich bestehen die Reliefs und Porträtköpfe aus einem Gemisch unterschiedlicher Metalle. Die Legierungen änderten sich im Lauf der Zeit – je nachdem, aus welchen Quellen die Könige ihre Rohstoffe bezogen. Auch haben die Handwerker Stücke wieder eingeschmolzen und so die Bestandteile neu vermischt. Tatsächlich enthalten die Werke ziemlich wenig Zinn oder Zink – zu wenig, als dass es sich um echte Bronze (Kupfer-Zinn-Legierung) oder Messing (Kupfer-Zink-Legierung) handeln könnte. Deswegen bezeichnen Wissenschaftler die Objekte auch als Gelbgussarbeiten.

Naturwissenschaftliche Analysen haben zudem ergeben, dass die Anteile der verschiedenen Metalle im Lauf der Zeit variierten. Anfangs scheint die Gießerzunft nur über wenig Rohstoffe verfügt zu haben, nämlich fast nur Kupfer aus der Südsahara mit natürlichen Beimengungen an Zink und Blei. Durch den Handel mit den Portugiesen erschlossen die Künstler neue Rohstoffquellen. Die Legierungen der Gelbgussarbeiten besaßen nun einen kontinuierlich steigenden Zinkgehalt. Die Europäer verhandelten das Metall als normierte Stangen oder in Form von so genannten Manillas (portugiesisch »manilha«, Arm- oder Fußreif), hufeisenförmig gebogenen Ringen. Allein der portugiesische Handelsstützpunkt Elmina im heutigen Ghana soll 302 920 Manillas zwischen 1511 und 1522 verbucht haben. Bis zur britischen Expedition von 1897 durfte nur der Königshof das Metall einführen, danach bis weit ins 20. Jahrhundert diente es in Teilen Benins als Zahlungsmittel und Tauschobjekt.

Die genaue Datierung der Beninbronzen bereitet vielen Expertinnen und Experten noch Kopfzerbrechen. Gerade die Gedenkköpfe lassen sich weder stilistisch noch naturwissenschaftlich einwandfrei datieren, geschweige denn einzelnen Herrschern zuordnen, deren Namen und genaue Regierungsdaten auf Grund der mündlichen Überlieferung überdies oft unsicher sind. Gewiss ist hingegen: Die Kunstwerke aus Benin, die sich in europäischen und amerikanischen Sammlungen befinden, haben eindeutig benennbare Vorbesitzer. Es sind der Staat Nigeria und die Herrscherfamilie der Oba. Für sie ist es verständlicherweise ein untragbarer Zustand, dass praktisch das gesamte nationale Erbe auf Museen außer Landes verteilt ist.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.