Beobachtungsaufruf: Unbekannter Nebel bei Aldebaran?
In der Nacht zum 30. November fotografierte der britische Amateurastronom Maurice Gavin die Umgebung des hellen Sterns Aldebaran. Beim Abgleich seiner Bilder mit Profiaufnahmen fand er auf den frei verfügbaren Archivbildern des Palomar Observatory Sky Survey (POSS) ein rundes, etwa 22 Bogensekunden großes Objekt, das weder auf seinem eigenen Bild zu sehen noch in Katalogen aufgelistet ist. Das Aussehen des Lichtflecks erinnerte ihn an einen Planetarischen Nebel mit Zentralstern. Im betreffenden Himmelsausschnitt sind sonst nur schwache Galaxien mit Helligkeiten von 15 mag und darüber zu erkennen.
Kein Geisterbild
Zunächst lag der Verdacht nahe, es könne sich um ein Geisterbild handeln, also um einen Lichtreflex ausgelöst durch den hellen Aldebaran. Dieser ist aber inzwischen so gut wie ausgeräumt: Das Objekt ist auch auf Durchmusterungsaufnahmen anderer Instrumente erkennbar, etwa denen des 2 Mircron All Sky Survey (2MASS) oder des WISE-Teleskops. Auch auf einer optischen Aufnahme des englischen Amateurastronomen Greg Parker ist es zu sehen, wenn auch nur andeutungsweise. In allen Fällen stimmen Position, Größe, Helligkeit und Form überein – ein instrumenteller Effekt kann damit ausgeschlossen werden. Die genaue Position des Objekts ist 04h36m30s Rektaszension und +16°26'05" Deklination (J2000), es befindet sich etwa neun Bogenminuten südöstlich von Aldebaran (Alpha Tauri).
Planetarischer Nebel oder Galaxie?
Die Natur des Lichtflecks ist noch völlig unklar, dafür wird in Foren wie Cloudynights oder Astrotreff spekuliert: Manche erkennen wie Gavin in dem noch namenlosen Objekt einen Planetarischen Nebel mit Zentralstern, also den Endzustand eines sonnenähnlichen Sterns. Das neblige Leuchten würde in diesem Fall von den abgesprengten Gashüllen der längst vergangenen Sonne stammen, das Objekt selbst wäre Teil unserer Milchstraßengalaxie. Das "Aldebaran-Objekt" wäre dann so etwas wie eine extreme Version des so genannten "versteckten Planetarischen Nebels" Abell 12, der sich im Licht des Sterns My Orionis verbirgt. Statistisch wahrscheinlicher ist eine Hintergrundgalaxie; in diesem Fall wäre das Objekt viele Millionen Lichtjahre entfernt.
Für eine Antwort auf diese Frage werden zusätzliche visuelle wie fotografische Beobachtungen benötigt. Besonders wertvoll sind Spektren des Objekts – sie dürften die Frage "Galaxie oder Nebel?" schnell klären. Zeigt es nämlich ein kontinuierliches Spektrum mit überlagerten Absorptionslinien und messbarer Rotverschiebung, handelt es sich mit ziemlicher Sicherheit um eine ferne Galaxie. Ein Planetarischer Nebel wiese dagegen ein Emissionsspektrum auf, in denen die typischen Nebellinien wie [OIII] (erzeugt durch zweifach ionisierten Sauerstoff) oder Wasserstoff prominent hervorstechen. Visuelle und fotografische Beobachter können testen, ob das Objekt auf einen [OIII]-Filter anspricht.
Amateure als Entdecker
Dass Amateurastronomen bislang unbekannte Deep-Sky-Objekte auf archivierten Aufnahmen entdecken, ist übrigens gar nicht so ungewöhnlich. Erst vor wenigen Jahren gelang dem Österreicher Matthias Kronberger die Entdeckung eines (weiteren) Planetarischen Nebels – dieser trägt nun die Bezeichnung "Kronberger 61". Kronberger ist Mitglied einer internationalen Gruppe von Amateuren, die sich der Suche nach solchen bislang übersehenen Objekten verschrieben hat.
Anders als die meisten dieser "neuen" Nebel liegt die Helligkeit des Aldebaran-Objekts durchaus in einem Bereich, der mit gängiger Amateurausrüstung erreichbar ist, wie Parkers Aufnahme beweist. Dennoch dürften Beobachtungsversuche recht schwierig sein, denn die enorme Helligkeit des nahen, 0,9 mag hellen Aldebaran überstrahlt den Nebel nahezu. Großobservatorien meiden solch helle Sterne, da deren intensives Leuchten die empfindlichen Detektoren beschädigen kann. Es ist kein Zufall, dass das Objekt bislang unentdeckt geblieben ist.
Seine Beobachtung ist eine echte Herausforderung für Amateurastronomen und daher etwas für erfahrene visuelle Beobachter, Astrofotografen und Amateurspektrografen. Immerhin steht Aldebaran derzeit günstig am winterlichen Himmel und ist fast die gesamte Nacht beobachtbar. "Sterne und Weltraum" ist sehr an ihren (positiven wie negativen) Beobachtungsergebnissen interessiert!
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben