BepiColombo: Ungelöste Rätsel am Merkur
Update: Die Raumsonde ist am 20. Oktober 2018 erfolgreich ins Weltall gestartet.
Wer Merkur sehen will, muss genau hinschauen: Beinahe scheu schiebt sich der Planet wenige Minuten lang über den Horizont, bevor die aufgehende Sonne das winzige Pünktchen hoffnungslos überstrahlt. Wahlweise verbleibt Merkur nach Sonnenuntergang wenige Minuten am Abendhimmel, bevor auch er untergeht. Das Schicksal, sich immer knapp neben dem Rampenlicht aufzuhalten, trägt der seit der Antike bekannte Planet bis heute. Noch 1997 bezeichnete ihn das Magazin »Scientific American« als »vergessenen Planeten«. Wenn am Samstag mit BepiColombo die dritte Raumsonde überhaupt zu ihm aufbricht, dürfte der Planet dem Rampenlicht der Wissenschaft etwas näher kommen – jedenfalls wenn die Sonde nach ihrer siebenjährigen Reise ihr Ziel erreicht haben wird.
BepiColombo ist ein Wagnis: Nie zuvor haben europäische oder japanische Ingenieure eine Raumsonde für die extremen Bedingungen am Merkur gebaut. Zehnmal intensiver als in Erdnähe brennt die Sonne dort. Dazu kreist der Merkur so schnell um die Sonne, dass ein Flug zu ihm mehr Energie erfordert als eine Reise zum Pluto. BepiColombo muss deshalb vielfach Schwung holen, einmal an der Erde, zweimal an der Venus und schließlich noch sechsmal am Merkur selbst, bis die Sonde schließlich am 5. Dezember 2025 in seine Umlaufbahn eintreten soll. Wenige Wochen zuvor soll sich der »Mio« getaufte japanische Magnetospheric Orbiter vom europäischen Planetary Orbiter trennen, die Merkur auf sehr unterschiedlichen Bahnen umkreisen sollen.
Planetenforscher warten schon jetzt ungeduldig, denn der Merkur geriet in den letzten Jahren zum heimlichen Liebling vieler Forscher: Sie wollen hier etwas über die Entstehung der Planeten erfahren, neuerdings gar über mögliches Leben auf exotischen Exoplaneten, die ihre vielfach leuchtschwächeren Sterne ähnlich nah umkreisen wie der Merkur die Sonne.
Vulkane, Krater, Löcher
Der erste Besuch einer Raumsonde deutete zunächst auf einen langweiligen Planeten hin: 1974 flog die NASA-Mission Mariner 10 erstmals an Merkur vorbei. Die Forscher erblickten eine nackte Oberfläche, gezeichnet von Meteoritenkratern und Vulkanen, doch scheinbar seit vier Jahrmilliarden unverändert, kurz: Merkur erschien als geologisch tote Welt wie der Erdmond. Lediglich das von Mariner 10 nachgewiesene Magnetfeld ließ aufhorchen: Dessen Stärke liegt immerhin bei einem Hundertstel des Erdmagnetfelds, was allerdings einem so kleinen Planeten nicht gebührt und was man auf den viel größeren Körpern Mars und Venus vergeblich sucht. Doch der Fund reichte nicht, dem Merkur in den folgenden drei Jahrzehnten mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Der Planet geriet aus dem Blick.
Erst 2004 startete die NASA-Sonde Messenger gen Merkur, die anders als Mariner 10 nicht nur vorbeiflog, sondern 2011 in einen Orbit einschwenkte. Was diese Raumsonde in den folgenden vier Jahren entdeckte, brachte das Bild des geologisch toten und langweiligen Planeten ins Wanken: Während Mariner 10 nicht einmal die Hälfte der Oberfläche fotografieren konnte, offenbarte die neue NASA-Sonde eine zweigeteilte Welt. Merkurs Norden ist seit der Entstehung des Planeten vor 4,5 Milliarden Jahren stark kraterzerfurcht; der Süden muss dagegen von Vulkanen rund 700 Millionen Jahre Jahre später umgestaltet worden sein.
2014 fanden britische Forscher mit Messengers Kamera eine Überraschung: In hoch aufgelösten Bildern der nördlichen Hemisphäre untersuchten sie schon vorher bekannte helle Flecken, die aber nie zuvor so detailliert abgelichtet worden waren. Nun zeigte sich, dass die Flecken eigentlich Löcher in Merkurs Oberfläche sind. Da sie überwiegend in Einschlagkratern und fast nie in Vulkangestein auftreten – und gleichzeitig wiederum viele der Krater überlagern Merkurs-, halten die Forscher sie für ein eher junges Phänomen.
»Wenn sich etwas verändert hat, würde das heißen, dass es heutzutage noch geologische Aktivität auf Merkur gibt«Johannes Benkhoff
Da Merkur sich sehr langsam um seine Achse dreht – nur einmal alle 59 Erdtage –, bleibt die Oberfläche sehr lange dem intensiven Sonnenlicht ausgesetzt, wodurch eventuell schwefelhaltige Mineralien unter der Oberfläche verdampfen und als Gas hervorbrechen können. Diese Hypothese dürfte BepiColombo überprüfen können. Denn wären die Merkurlöcher wirklich ein geologisch junges Phänomen, sollten sie sich seit dem Ende von Messengers Mission 2015 gewandelt haben: »Wenn sich da etwas verändert hat, wäre das natürlich eine kleine Sensation«, sagt der Missionswissenschaftler von BepiColombo, Johannes Benkhoff. »Denn das würde heißen, dass es heutzutage noch geologische Aktivität auf Merkur gibt.«
Neben Löchern im Norden und erkalteten Lavafeldern im Süden fanden Forscher weitere Besonderheiten auf Merkur, die sie bisher kaum zu deuten wissen: Der Durchmesser von Merkur ist seit seiner Entstehung um mindestens fünf Kilometer geschrumpft, was sich vermutlich durch Prozesse in seiner langen Geschichte erklären lassen sollte. Merkurs Oberfläche selbst ist dazu recht dunkel und besitzt vermutlich einen ungewöhnlichen hohen Anteil organischer Verbindungen. An den Polen wies Messenger zudem größere Mengen Wassereis nach, das dort in ständig beschatteten Kratern von der Strahlungswärme der Sonne geschützt und dessen Ursprung bislang nicht völlig geklärt ist.
Tauchen durch das Magnetfeld
All diese geologischen Befunde haben verschiedene Ursachen, die teilweise mit der nahen Sonne zusammenhängen, mit Merkurs Magnetfeld oder die wahlweise tief unter der Oberfläche liegen – und die BepiColombo nun weiter erforschen soll. Die US-Planetologen Catherine Johnson und Steven Hauck schreiben in einer Studie über die Ergebnisse des Vorgängers Messenger: Erst wenn Forscher das Merkurinnere inklusive des Vulkanismus verstanden hätten, könnten sie den Planeten als Ganzes verstehen.
Gerade der planetare Aufbau bereitet den Wissenschaftlern großes Kopfzerbrechen. Merkurs Kern macht mehr als 80 Prozent des Planetenradius aus – verglichen mit 54 Prozent bei der Erde. Dieser Kern dürfte teilweise flüssig sein; anders ist das Magnetfeld des Merkurs nicht zu erklären. Streng genommen aber müsste der Planet in seinem Inneren längst erkaltet sein. Denn seit seiner Entstehung müsste er einen Großteil seiner Wärmeenergie ins All abgestrahlt haben und sein Kern müsste wie der unseres Mondes erstarrt sein. Messengers Magnetometer bestätigte allerdings frühere Indizien dafür, dass Merkur ein echtes Dipolmagnetfeld besitzt, das neben den Gasriesen im äußeren Sonnensystem sonst nur die Erde besitzt. Und in der Erde entsteht dieses Feld durch den so genannten Geodynamo – den inneren festen Erdkern, der sich im äußeren flüssigen Kern dreht.
Aus Messengers Daten konnten Planetologen bislang schon einige Besonderheiten ableiten, die jedoch das theoretische Verständnis des Merkurinneren bislang kaum vorangebracht haben: Das Dipolfeld ist anders als das Erdmagnetfeld nahezu perfekt parallel zu Merkurs Rotationsachse ausgerichtet, dafür aber in der nördlichen Hemisphäre deutlich stärker als im Süden, was unter den Planeten einmalig ist.
Wie genau Merkurs Magnetfeld entsteht, kann allerdings auch mit Messengers Daten bis heute kein Modell nachstellen. Immerhin wird BepiColombo dieses Rätsel deutlich besser untersuchen können als die NASA-Missionen davor: Der Magnetospheric Orbiter »Mio« wird Merkur auf einem elliptischen Orbit umkreisen und dabei das stark vom Sonnenwind verzerrte Magnetfeld durchstreifen, während der Planetary Orbiter auf einer annähernden Kreisbahn neben Merkurs Oberfläche auch das bodennahe Magnetfeld erfassen wird.
Ein Modell für Exoplaneten
Die Planetologen wissen bereits, dass der Sonnenwind Merkurs Magnetosphäre sehr zu schaffen macht: Das planetare Magnetfeld wird massiv verformt und kann den Strom geladener Teilchen in der dünnen Atmosphäre innerhalb von Minuten stark verändern, was bei der Erde im Bereich von Stunden deutlich gemächlicher abläuft. Dazu deuten die Ergebnisse von Messenger darauf hin, dass es Merkurs Magnetfeld nicht immer gelingt, dem Sonnenwind zu widerstehen. Bei ausgewachsenen solaren Teilchenstürmen kann sich das Feld derart stark verformen, dass der Sonnenwind zeitweise sogar den Boden erreicht.
Vor allem die Dynamik in Merkurs Magnetosphäre ist es, die Forscher gespannt auf BepiColombo mit seinem Fokus auf magnetische Effekte blicken lässt. Dazu ist der innerste Planet in den letzten Jahren verstärkt zum Modellplaneten avanciert: Astronomen fanden um ferne Sonnen immer mehr Planeten, deren Eigenschaften sich mit heutiger Teleskoptechnik kaum ergründen lassen. Viele dieser Exoplaneten umkreisen ihren Stern so nah wie der Merkur die Sonne – oder sogar näher. Gerade leuchtschwache Zwergsterne könnten in so einem Abstand für annehmbare Temperaturen sorgen, die auf diesen fernen Welten flüssige Ozeane ermöglichen würden – wenn nicht auch noch der Sonnenwind stören würde, der möglichem Leben gefährlich werden könnte.
Spätestens mit BepiColombos Ankunft dürfte Merkur somit im Rampenlicht planetologischer Forschung angekommen sein. Johannes Benkhoff, der nun seit 15 Jahren bei BepiColombo arbeitet, wurde in der Anfangszeit von seinen Kollegen kaum um die Raumsonde zu einem wissenschaftlich vermeintlich mäßig interessanten Ziel beneidet: »Aber nachdem die Amerikaner einige sehr viel versprechende Ergebnisse gefunden haben, ist Merkur in der Tat ein spannender Planet geworden.«
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