Artenschutz: "Bereit, ihr Leben zu geben"
Mitten in den Wirren der Kriege im Osten der Demokratischen Republik Kongo überlebt eine Population der vom Aussterben bedrohten Berggorillas. Rund 650 Wildhüter versuchen unter Einsatz ihres Lebens, die Affen und ihre Heimat zu schützen - nur selten erhalten sie mehr als Dank und Anerkennung für ihre Arbeit. spektrumdirekt sprach mit Robert Muir von der Frankfurter Zoologischen Gesellschaft, die sich vor Ort für Mensch und Natur einsetzt.
spektrumdirekt: Mr. Muir, wie steht es derzeit um den Virunga-Nationalpark und seine berühmten Gorillas?
Robert Muir: Die Situation ist momentan extrem beunruhigend, die öffentliche Ordnung ist kürzlich zusammengebrochen. Vor einigen Wochen sind Kämpfe ausgebrochen, als die kongolesische Regierung beschlossen hatte, die Grenze zwischen Kongo und Uganda zu schließen. Sie wird von ruandischen Rebellen der CNDP (National Congress for the People's Defense, eine Miliz der Tutsi-Volksgruppe, Anm. d. Red.) unter der Führung von Laurent Nukunda kontrolliert, die viel Geld durch Gebühren für den Grenzübertritt verdienen.
Die Stadt Goma selbst ist ebenfalls sehr unsicher und die Lage vor Ort sehr schwierig. In der Stadt sind Kämpfe ausgebrochen, UN-Friedenstruppen wurden von der lokalen Bevölkerung attackiert, ebenso jeder andere mt einem Abzeichen der Vereinten Nationen.
spektrumdirekt: Wie steht es um die Ranger? Ihre Arbeit scheint momentan sehr gefährlich. Sind sie noch im Dienst?
Muir: Sie wurden von ihren Außenstationen zurückgezogen und haben im Hauptquartier des Parks Zuflucht gefunden. Vor Kurzem haben wir Ranger, ihre Frauen und Kinder in sichere Regionen evakuiert, da es so aussah, als könnten Gefechte in größeren Arealen des Parks ausbrechen. Das Gebiet ist momentan nicht sicher, und die Bedingungen sind sehr schwierig für alle, die dort arbeiten. Wir hoffen, dass die Kämpfe bald enden, die kongolesische Armee die Rebellen besiegt und damit erstmals seit Langem wieder die Kontrolle über das Gebiet übernimmt.
Ranger des ICCN (Nationalparkservice der Demokratischen Republik Kongo, Anm. d. Red.) sind eigentlich über den gesamten Park stationiert, der etwa 8000 Quadratkilometer umfasst und von ihnen geschützt werden muss. Zum Lebensraum der Berggorillas hatten sie jedoch seit über einem Jahr keinen Zugang mehr, obwohl dieser Sektor nur etwa 250 Quadratkilometer ausmacht. Rebellengruppen kontrollieren ihn seit dem 2. September 2007.
spektrumdirekt: Hat man Ihre Mitarbeiter in der Vergangenheit bereits attackiert?
Muir: Ja, sie wurden schon angegriffen. Sie stehen an vorderster Front dieses Konflikts, und über 150 von ihnen wurden in den letzten 12 Jahren erschossen, während sie auf Patrouille waren. Etwa 15 000 bewaffnete Soldaten und Rebellen befinden sich gegenwärtig im Park und seinem Umfeld – darunter 6000 Mann der kongolesischen Regierungsarmee, 4000 der CNDP, 1500 Mai-Mai (lokale Milizen unterschiedlicher Herkunft und Ziele, Anm. d. Redaktion) und 2000 Mann der FDLR (Democratic Forces for the Liberation of Rwanda, Anm. d. Redaktion), eine Hutu-Miliz, die sich nach dem Genozid in Ruanda und ihrer Flucht in den Kongo gebildet hatte. Auf jedem Quadratkilometer Park stehen durchschnittlich zwei Soldaten oder Rebellen.
spektrumdirekt: Reguläre Truppen und Milizen nutzen den Park also nicht nur als Aufmarschgebiet, sondern leben tatsächlich auch darin?
Muir: Exakt. Der Park ist ein Schlachtfeld. Es gibt dort Rebellenlager und Truppenstützpunkte, und jeder bekämpft jeden. Trotzdem versuchen die Ranger, ihn zu schützen.
spektrumdirekt: Was wird getan, um die Sicherheit Ihrer Leute zu verbessern? Wie werden sie unterstützt?
Muir: Die Frankfurter Zoologische Gesellschaft versucht beispielsweise zwischen den Rangern und den UN-Friedenstruppen zu vermitteln und Kooperationen zu vereinbaren. Wir haben es jetzt geschafft, dass beide öfter zusammen auf Patrouille gehen – vor allem in jenen Teilen des Parks, die besonders gefährlich sind. Die Vereinten Nationen schicken Blauhelm-Soldaten, die zusammen mit unseren Leuten in diese Ecken vorstoßen: Auf jeden Ranger kommt dann ein Blauhelm-Soldat.
Wir trainieren unsere Mitarbeiter auch und bringen sie mit hochprofessionellen Experten aus Afrika und Europa zusammen, damit sie sich selbst helfen können, wenn sie unter Beschuss genommen werden, in einen Hinterhalt geraten oder ihre Stationen überfallen werden. Ihnen wird beigebracht, wie sie in feindlichem Umfeld handeln können. Jeder Ranger weiß mittlerweile genau, wie er in jeder erdenklichen Gefahrensituationen zu reagieren hat.
spektrumdirekt: Dürfen sich die Ranger wehren, wenn sie angegriffen werden?
Muir: Sie sind bewaffnet und verteidigen sich, wenn man sie attackiert und ihr Leben bedroht ist. Dazu sind sie auch offiziell ermächtigt. Sie versuchen aber, keine Gewalt anzuwenden, wenn es nicht zu ihrem eigenen Schutz absolut notwendig ist.
spektrumdirekt: Was bedeutet den Rangern ihre Arbeit?
spektrumdirekt: Nun könnte man sich vorstellen, dass die Ranger trotzdem priviligiert sind im Vergleich mit den Flüchtlingen, die rund um den Park leben: Sie haben Arbeit und Einkommen. Führt dies zu Problemen zwischen beiden Gruppen?
Muir: Sie haben zwar Jobs, doch wurden sie teilweise über Jahre nicht regelmäßig bezahlt. Ab und zu erhalten sie Zuzahlungen und Unterstützung von Spendern, die ihnen manchmal 30 Dollar für einen Monat zukommen lassen. Das ist natürlich nicht viel Geld, und die Ranger könnten leicht andernorts besser bezahlte Arbeit finden. Die meisten von ihnen bleiben aber trotzdem, weil sie eben daran glauben, was sie tun.
Man darf dabei natürlich ganz und gar nicht vergessen, dass Virunga und der östliche Kongo nicht nur ein ökologisches, sondern auch humanitäres Krisengebiet sind. Die Ranger versuchen deshalb auch, den Park vor der Holzkohle-Mafia zu bewahren: Jeden Sack Holzkohle, den sie konfiszieren, verteilen sie an die Flüchtlinge in den Lager. Allein dieses Jahr haben sie 95 000 Tonnen beschlagnahmt und kostenlos an die Menschen gegeben, um deren Bedarf an Energie zu decken und ihr Los zu erleichtern. Die Ranger sorgen sich wirklich sehr um die Flüchtlinge, die häufig vom gleichen Volk sind und aus der Umgebung des Parks gewaltsam vertrieben worden waren. Sie haben viel Sympathie und Verständnis für diese Menschen.
spektrumdirekt: Wie viel Wald wurde zerstört, um diese Menge an Holzkohle herzustellen?
Muir: Das lässt sich nicht genau sagen. Aber 30 Säcke, von denen jeder etwa 60 bis 70 Kilogramm wiegt, entsprechen etwa drei großen Bäumen.
spektrumdirekt: Was wird noch getan, um das Holzkohleproblem zu entschärfen?
spektrumdirekt: Kommen wir zu den Gorillas, die in der Vergangenheit ebenfalls getötet wurden. Was können Sie zu deren momentanen Situation sagen? Werden sie bejagt?
Muir: Man nimmt sie nicht gezielt ins Visier, doch geraten sie immer wieder in die Schusslinie, wenn Gefechte in ihrem Lebensraum ausbrechen. Die sieben Gorillas, die bislang erschossen aufgefunden wurden, starben jedoch nicht wegen des Krieges. Das hatte vielmehr mit Bestrebungen der Wildhüter zu tun, die Holzkohlemafia in den Griff zu bekommen und zu verhindern, dass der Lebensraum der Affen wie die umliegenden Wälder zerstört werden. Einschlag und Handel haben industrielle Ausmaße angenommen, die jährlich 30 bis 40 Millionen Dollar Einnahmen erlösen.
Um die Ranger einzuschüchtern, führten sich die Beteiligten am Holzkohlegeschäft wie Ökoterroristen auf. Sie bedrohen die Wildhüter, dass sie ihnen wirklich wehtun können, wenn sie sich nicht zurückziehen. Diese Leute haben die Gorillas getötet, was wirklich ein Schock war. Doch die Männer des ICCN blieben standhaft und übten trotz des hohen Risikos Gegendruck aus: Ihnen ist es zu verdanken, dass der Park und seien Gorillas nicht als Geisel genommen wurde. Ohne sie gäbe es keinen Wald und kein Schutzgebiet mehr. Gegenwärtig ruhen ihre Bemühungen allerdings wieder, weil die Kämpfe ausgebrochen sind.
spektrumdirekt: Manche der Gorillas sind an den Menschen gewöhnt. Gefährdet sie das während eines Krieges zusätzlich?
spektrumdirekt: Warum wuchs trotz dieser Probleme ihre Zahl in den letzten Jahren?
Muir: In den letzten zehn Jahren nahmen sie tatsächlich zu, und das ist ein sehr ermutigendes Zeichen. Ihre genaue Zahl kennen wir jedoch nicht, und sobald der Krieg endet, müssen wir einen Zensus durchführen. In der Vergangenheit hatten wir allerdings bei Weitem nicht die Schwierigkeiten, denen wir und die Gorillas uns momentan gegenübersehen. Besonders eine instabile Nachkriegsordnung bis zur Wiederherstellung staatlicher Ordnung könnte den Park noch stärker gefährden als alles, was wir bislang während des Krieges erlebten.
spektrumdirekt: Wie sieht es mit anderen Tierarten aus?
Muir: Die bewaffneten Einheiten im Park haben ganze Büffelherden ausgelöscht – innerhalb weniger Minuten töten sie ganz leicht eine komplette Gruppe der Tiere mit ihren Maschinengewehren. Weitverbreitet und häufig ist ebenfalls die Wilderei von Elefanten und Nilpferden, deren Elfenbein und Zähne gegen neue Waffen getauscht werden. Die gesamte Tierwelt wird zur Ernährung und für den Handel genutzt.
spektrumdirekt: Wer kauft das Elfenbein, obwohl dies verboten ist?
Muir: Wir haben die genauen Handelsrouten noch nicht aufgedeckt. Wir nehmen aber an, dass das Elfenbein nach Uganda und in den Sudan geschmuggelt wird. Und von dort nimmt es dann den Kurs nach Osten.
spektrumdirekt: Welchen Problemen sieht sich der Virunga-Park noch gegenüber?
Die örtlichen Gemeinden sehen allerdings oft noch keinen Zusammenhang zwischen diesen Projekten und dem Park selbst. Deshalb beuten sie ihn aus, ziehen auf dessen Gebiet, roden den Wald und betreiben Landwirtschaft. Auch hier versucht der ICCN alles erdenkliche, um das Reservat zu schützen, doch geschieht dies eben unter den schwierigen Bedingungen des Krieges.
spektrumdirekt: Gibt es denn auch Erfolge für die Ranger?
Muir: Das ist schwer zu sagen. Die Holzkohleproduktion ist jedenfalls vor dem neuen Gewaltausbruch zurückgegangen, doch nun kann sie wieder ungehindert stattfinden. Schon kleine Fortschritte sind im Kongo definitiv ein großer Erfolg.
spektrumdirekt: Könnte denn der Tourismus bald wieder aufleben, sobald Frieden herrscht?
Muir: Ich glaube fest daran, dass dieser sehr schnell wieder einsetzen könnte. Momentan bestehen zwar Reisewarnungen, so dass die großen Touranbieter den Kongo momentan nicht auf dem Plan haben. Aber selbst in kurzen Phasen des Friedens kamen immer wieder einzelne Touristen oder kleine Gruppen, die die Gorillas sehen wollten. ICCN plant bereits für die Zeit nach dem Krieg. Sie sind so umsichtig und wollen sicherstellen, dass sofort wieder die hohen Reisestandards gelten, sobald Friede im Park herrscht.
spektrumdirekt: Eine letzte Frage noch. Wie sehen Sie die Zukunft Virungas, seiner Berggorillas und der Wildhüter, wenn Frieden einkehrt?
Muir: Die Zukunft Virungas könnte großartig sein. Er hat das Potenzial zu einem der fantastischsten Nationalparks der Erde. Es gibt dort aktive und schlafende Vulkane, unglaubliche Landschaften, Gletscher, Felsen, Sümpfe, Wälder – er ist wohl eine der vielfältigsten Regionen des Planeten. Und er ist wohl der einzige Platz weltweit, wo drei Arten an Menschenaffen leben: Berggorillas, Flachlandgorillas, Schimpansen. Außerdem kommt das endemische Okapi dort vor.
Sobald es die Bedingungen zulassen und ein ordnungsgemäßes Parkmanagement stattfindet, kann der Tourismus wieder aufgenommen werden. Und dann dürfte Virunga wieder ein extrem schönes Reiseziel werden. Wir müssen eben einigermaßen durch diese unruhige Phase gelangen, widerständig bleiben und die kongolesischen Wildhüter unterstützen, wo es nur geht. Ich hoffe, wir sehen bald besseren Zeiten entgegen.
spektrumdirekt: Mr. Muir, vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für Sie und Ihre Kollegen im Kongo.
Robert Muir: Die Situation ist momentan extrem beunruhigend, die öffentliche Ordnung ist kürzlich zusammengebrochen. Vor einigen Wochen sind Kämpfe ausgebrochen, als die kongolesische Regierung beschlossen hatte, die Grenze zwischen Kongo und Uganda zu schließen. Sie wird von ruandischen Rebellen der CNDP (National Congress for the People's Defense, eine Miliz der Tutsi-Volksgruppe, Anm. d. Red.) unter der Führung von Laurent Nukunda kontrolliert, die viel Geld durch Gebühren für den Grenzübertritt verdienen.
Vor einer Woche wurde dann von der CNDP ein Waffenstillstand erklärt, damit humanitäre Hilfsmaßnahmen anlaufen konnten – er hielt zwei Tage. Anschließend kam es wieder zu Gefechten, die sich in der Zwischenzeit noch intensiviert haben. Die Kongolesen haben Panzer und schwere Artillerie ins Kampfgebiet gebracht. Es sieht nun ganz danach aus, dass es vorerst keine weiteren Gespräche über einen Waffenstillstand oder gar Friedensabkommen geben wird. Das kongolesische Militär wird wohl versuchen, die Rebellen außer Landes zu drängen, und die Kämpfe dürften andauern, bis eine Seite siegreich ist.
Die Stadt Goma selbst ist ebenfalls sehr unsicher und die Lage vor Ort sehr schwierig. In der Stadt sind Kämpfe ausgebrochen, UN-Friedenstruppen wurden von der lokalen Bevölkerung attackiert, ebenso jeder andere mt einem Abzeichen der Vereinten Nationen.
spektrumdirekt: Wie steht es um die Ranger? Ihre Arbeit scheint momentan sehr gefährlich. Sind sie noch im Dienst?
Muir: Sie wurden von ihren Außenstationen zurückgezogen und haben im Hauptquartier des Parks Zuflucht gefunden. Vor Kurzem haben wir Ranger, ihre Frauen und Kinder in sichere Regionen evakuiert, da es so aussah, als könnten Gefechte in größeren Arealen des Parks ausbrechen. Das Gebiet ist momentan nicht sicher, und die Bedingungen sind sehr schwierig für alle, die dort arbeiten. Wir hoffen, dass die Kämpfe bald enden, die kongolesische Armee die Rebellen besiegt und damit erstmals seit Langem wieder die Kontrolle über das Gebiet übernimmt.
Ranger des ICCN (Nationalparkservice der Demokratischen Republik Kongo, Anm. d. Red.) sind eigentlich über den gesamten Park stationiert, der etwa 8000 Quadratkilometer umfasst und von ihnen geschützt werden muss. Zum Lebensraum der Berggorillas hatten sie jedoch seit über einem Jahr keinen Zugang mehr, obwohl dieser Sektor nur etwa 250 Quadratkilometer ausmacht. Rebellengruppen kontrollieren ihn seit dem 2. September 2007.
spektrumdirekt: Hat man Ihre Mitarbeiter in der Vergangenheit bereits attackiert?
Muir: Ja, sie wurden schon angegriffen. Sie stehen an vorderster Front dieses Konflikts, und über 150 von ihnen wurden in den letzten 12 Jahren erschossen, während sie auf Patrouille waren. Etwa 15 000 bewaffnete Soldaten und Rebellen befinden sich gegenwärtig im Park und seinem Umfeld – darunter 6000 Mann der kongolesischen Regierungsarmee, 4000 der CNDP, 1500 Mai-Mai (lokale Milizen unterschiedlicher Herkunft und Ziele, Anm. d. Redaktion) und 2000 Mann der FDLR (Democratic Forces for the Liberation of Rwanda, Anm. d. Redaktion), eine Hutu-Miliz, die sich nach dem Genozid in Ruanda und ihrer Flucht in den Kongo gebildet hatte. Auf jedem Quadratkilometer Park stehen durchschnittlich zwei Soldaten oder Rebellen.
Sie versorgen sich vor allem durch Buschfleisch, das sie im Schutzgebiet wildern, und tauschen Elfenbein gegen Waffen. Deshalb betrachten sie die Ranger, die durch den Park patrouillieren und die illegale Jagd bekämpfen, als größtes Hindernis für ihre Geschäfte. Stoßen sie auf Wildhüter, attackieren sie diese. Und sie überfallen auch Außenposten der Ranger, um deren Einflussmöglichkeiten und Bewegungsspielräume einzuengen, damit sie die Tiere nicht mehr schützen können.
spektrumdirekt: Reguläre Truppen und Milizen nutzen den Park also nicht nur als Aufmarschgebiet, sondern leben tatsächlich auch darin?
Muir: Exakt. Der Park ist ein Schlachtfeld. Es gibt dort Rebellenlager und Truppenstützpunkte, und jeder bekämpft jeden. Trotzdem versuchen die Ranger, ihn zu schützen.
spektrumdirekt: Was wird getan, um die Sicherheit Ihrer Leute zu verbessern? Wie werden sie unterstützt?
Muir: Die Frankfurter Zoologische Gesellschaft versucht beispielsweise zwischen den Rangern und den UN-Friedenstruppen zu vermitteln und Kooperationen zu vereinbaren. Wir haben es jetzt geschafft, dass beide öfter zusammen auf Patrouille gehen – vor allem in jenen Teilen des Parks, die besonders gefährlich sind. Die Vereinten Nationen schicken Blauhelm-Soldaten, die zusammen mit unseren Leuten in diese Ecken vorstoßen: Auf jeden Ranger kommt dann ein Blauhelm-Soldat.
Wir trainieren unsere Mitarbeiter auch und bringen sie mit hochprofessionellen Experten aus Afrika und Europa zusammen, damit sie sich selbst helfen können, wenn sie unter Beschuss genommen werden, in einen Hinterhalt geraten oder ihre Stationen überfallen werden. Ihnen wird beigebracht, wie sie in feindlichem Umfeld handeln können. Jeder Ranger weiß mittlerweile genau, wie er in jeder erdenklichen Gefahrensituationen zu reagieren hat.
spektrumdirekt: Dürfen sich die Ranger wehren, wenn sie angegriffen werden?
Muir: Sie sind bewaffnet und verteidigen sich, wenn man sie attackiert und ihr Leben bedroht ist. Dazu sind sie auch offiziell ermächtigt. Sie versuchen aber, keine Gewalt anzuwenden, wenn es nicht zu ihrem eigenen Schutz absolut notwendig ist.
spektrumdirekt: Was bedeutet den Rangern ihre Arbeit?
Muir: Sie bedeutet ihnen wirklich alles! Die Ranger glauben leidenschaftlich daran, dass das, was sie tun, richtig ist. Sie wollen den Park und seine Tiere nicht nur für sich und ihre Kinder oder Enkel schützen, sondern für die gesamte Menschheit. Es macht sie stolz, dass diese globale Verantwortung auf ihren Schultern ruht. Jeder von ihnen sorgt sich, was mit dem Schutzgebiet oder seiner Tierwelt passiert und fühlen sich ihm verpflichtet. Und sie sind bereit, für dessen Schutz ihr Leben zu geben. Natürlich tragen sie diese Angst einflößenden Gedanken mit sich herum, dass sie im Dienst sterben könnten. Aber sie sind bereit, dies zu ertragen.
spektrumdirekt: Nun könnte man sich vorstellen, dass die Ranger trotzdem priviligiert sind im Vergleich mit den Flüchtlingen, die rund um den Park leben: Sie haben Arbeit und Einkommen. Führt dies zu Problemen zwischen beiden Gruppen?
Muir: Sie haben zwar Jobs, doch wurden sie teilweise über Jahre nicht regelmäßig bezahlt. Ab und zu erhalten sie Zuzahlungen und Unterstützung von Spendern, die ihnen manchmal 30 Dollar für einen Monat zukommen lassen. Das ist natürlich nicht viel Geld, und die Ranger könnten leicht andernorts besser bezahlte Arbeit finden. Die meisten von ihnen bleiben aber trotzdem, weil sie eben daran glauben, was sie tun.
Man darf dabei natürlich ganz und gar nicht vergessen, dass Virunga und der östliche Kongo nicht nur ein ökologisches, sondern auch humanitäres Krisengebiet sind. Die Ranger versuchen deshalb auch, den Park vor der Holzkohle-Mafia zu bewahren: Jeden Sack Holzkohle, den sie konfiszieren, verteilen sie an die Flüchtlinge in den Lager. Allein dieses Jahr haben sie 95 000 Tonnen beschlagnahmt und kostenlos an die Menschen gegeben, um deren Bedarf an Energie zu decken und ihr Los zu erleichtern. Die Ranger sorgen sich wirklich sehr um die Flüchtlinge, die häufig vom gleichen Volk sind und aus der Umgebung des Parks gewaltsam vertrieben worden waren. Sie haben viel Sympathie und Verständnis für diese Menschen.
spektrumdirekt: Wie viel Wald wurde zerstört, um diese Menge an Holzkohle herzustellen?
Muir: Das lässt sich nicht genau sagen. Aber 30 Säcke, von denen jeder etwa 60 bis 70 Kilogramm wiegt, entsprechen etwa drei großen Bäumen.
spektrumdirekt: Was wird noch getan, um das Holzkohleproblem zu entschärfen?
Muir: Die Hilfsorganisatoren versorgten die Flüchtlinge in den Lagern, die mit massiver Unterstützung der Vereinten Nationen rund um Virunga errichtet wurden, mit Nahrung, Wasser, Beratung, Unterkünften oder Medizin, aber nicht mit Feuerholz. Das war eigentlich das Einzige, das sie nicht zur Verfügung stellten. Die Menschen bekamen also Essen, jedoch nichts, womit sie es zubereiten konnten. Sehr schnell zogen die Leute dann in den Park und schlugen dort Holz. Daraus hat sich schließlich ein sehr lukratives Geschäft entwickelt, denn die beteiligten Flüchtlinge verkaufen ihre Waren nun auch in Goma. Es ging also bald nicht mehr nur um Feuerholz zum Überleben der eigenen Familie, es entstand auch ein schwungvoller Handel. Der ICCN versucht deshalb nicht nur den Einschlag im Park zu unterbinden, sondern auch die Menschen in den Lagern für die Problematik zu sensibilisieren.
spektrumdirekt: Kommen wir zu den Gorillas, die in der Vergangenheit ebenfalls getötet wurden. Was können Sie zu deren momentanen Situation sagen? Werden sie bejagt?
Muir: Man nimmt sie nicht gezielt ins Visier, doch geraten sie immer wieder in die Schusslinie, wenn Gefechte in ihrem Lebensraum ausbrechen. Die sieben Gorillas, die bislang erschossen aufgefunden wurden, starben jedoch nicht wegen des Krieges. Das hatte vielmehr mit Bestrebungen der Wildhüter zu tun, die Holzkohlemafia in den Griff zu bekommen und zu verhindern, dass der Lebensraum der Affen wie die umliegenden Wälder zerstört werden. Einschlag und Handel haben industrielle Ausmaße angenommen, die jährlich 30 bis 40 Millionen Dollar Einnahmen erlösen.
Um die Ranger einzuschüchtern, führten sich die Beteiligten am Holzkohlegeschäft wie Ökoterroristen auf. Sie bedrohen die Wildhüter, dass sie ihnen wirklich wehtun können, wenn sie sich nicht zurückziehen. Diese Leute haben die Gorillas getötet, was wirklich ein Schock war. Doch die Männer des ICCN blieben standhaft und übten trotz des hohen Risikos Gegendruck aus: Ihnen ist es zu verdanken, dass der Park und seien Gorillas nicht als Geisel genommen wurde. Ohne sie gäbe es keinen Wald und kein Schutzgebiet mehr. Gegenwärtig ruhen ihre Bemühungen allerdings wieder, weil die Kämpfe ausgebrochen sind.
spektrumdirekt: Manche der Gorillas sind an den Menschen gewöhnt. Gefährdet sie das während eines Krieges zusätzlich?
Muir: Ich denke schon. In Friedenszeiten ist es absolut notwendig, dass die Tiere Menschen gegenübertreten, denn das erlaubt den überaus wichtigen Tourismus. Diese Gorilla-Besuche helfen dem Naturschutz im Kongo, obwohl sie nur eine sehr kleine Fläche betreffen. Die Einnahmen decken jedoch den ganzen Etat der kongolesischen Nationalparks. Sie bezahlen die gesamte Ausrüstung, den Lohn und das Benzin der Ranger; die Kongolesen benötigen diese Gelder unbedingt, um ihr Schutzgebietssystem aufrechtzuerhalten und zu betreuen. Im Krieg setzt die Gewöhnung die Gorillas allerdings zusätzlichen Gefahren aus, denn sie werden zu sehr leichten Zielen für jeden, der sie töten will. Die Affen vertrauen den Menschen und kennen es nicht, dass man sie auf diese Weise bedroht.
spektrumdirekt: Warum wuchs trotz dieser Probleme ihre Zahl in den letzten Jahren?
Muir: In den letzten zehn Jahren nahmen sie tatsächlich zu, und das ist ein sehr ermutigendes Zeichen. Ihre genaue Zahl kennen wir jedoch nicht, und sobald der Krieg endet, müssen wir einen Zensus durchführen. In der Vergangenheit hatten wir allerdings bei Weitem nicht die Schwierigkeiten, denen wir und die Gorillas uns momentan gegenübersehen. Besonders eine instabile Nachkriegsordnung bis zur Wiederherstellung staatlicher Ordnung könnte den Park noch stärker gefährden als alles, was wir bislang während des Krieges erlebten.
spektrumdirekt: Wie sieht es mit anderen Tierarten aus?
Muir: Die bewaffneten Einheiten im Park haben ganze Büffelherden ausgelöscht – innerhalb weniger Minuten töten sie ganz leicht eine komplette Gruppe der Tiere mit ihren Maschinengewehren. Weitverbreitet und häufig ist ebenfalls die Wilderei von Elefanten und Nilpferden, deren Elfenbein und Zähne gegen neue Waffen getauscht werden. Die gesamte Tierwelt wird zur Ernährung und für den Handel genutzt.
spektrumdirekt: Wer kauft das Elfenbein, obwohl dies verboten ist?
Muir: Wir haben die genauen Handelsrouten noch nicht aufgedeckt. Wir nehmen aber an, dass das Elfenbein nach Uganda und in den Sudan geschmuggelt wird. Und von dort nimmt es dann den Kurs nach Osten.
spektrumdirekt: Welchen Problemen sieht sich der Virunga-Park noch gegenüber?
Muir: Die Landwirtschaft dringt stark in das Schutzgebiet vor – unterstützt von lokalen Politikern. Um gewählt zu werden, haben sie versprochen, dass der Park genutzt werden dürfe. Das hängt auch damit zusammen, dass seit Jahren keinen Tourismus mehr in der Region existiert und deshalb keine Einnahmen an die örtliche Bevölkerung gingen. Sie sehen daher gegenwärtig keinen Sinn im Schutz des Reservats und seiner Funktionen. Nun gibt es aber Bemühungen, dies zu ändern – unter anderem mit Unterstützung der Europäischen Union. Sie engagiert sich stark und fördert die Entwicklung im Umfeld des Virunga – etwa Krankenhäuser, Infrastruktur oder Märkte.
Die örtlichen Gemeinden sehen allerdings oft noch keinen Zusammenhang zwischen diesen Projekten und dem Park selbst. Deshalb beuten sie ihn aus, ziehen auf dessen Gebiet, roden den Wald und betreiben Landwirtschaft. Auch hier versucht der ICCN alles erdenkliche, um das Reservat zu schützen, doch geschieht dies eben unter den schwierigen Bedingungen des Krieges.
spektrumdirekt: Gibt es denn auch Erfolge für die Ranger?
Muir: Das ist schwer zu sagen. Die Holzkohleproduktion ist jedenfalls vor dem neuen Gewaltausbruch zurückgegangen, doch nun kann sie wieder ungehindert stattfinden. Schon kleine Fortschritte sind im Kongo definitiv ein großer Erfolg.
spektrumdirekt: Könnte denn der Tourismus bald wieder aufleben, sobald Frieden herrscht?
Muir: Ich glaube fest daran, dass dieser sehr schnell wieder einsetzen könnte. Momentan bestehen zwar Reisewarnungen, so dass die großen Touranbieter den Kongo momentan nicht auf dem Plan haben. Aber selbst in kurzen Phasen des Friedens kamen immer wieder einzelne Touristen oder kleine Gruppen, die die Gorillas sehen wollten. ICCN plant bereits für die Zeit nach dem Krieg. Sie sind so umsichtig und wollen sicherstellen, dass sofort wieder die hohen Reisestandards gelten, sobald Friede im Park herrscht.
spektrumdirekt: Eine letzte Frage noch. Wie sehen Sie die Zukunft Virungas, seiner Berggorillas und der Wildhüter, wenn Frieden einkehrt?
Muir: Die Zukunft Virungas könnte großartig sein. Er hat das Potenzial zu einem der fantastischsten Nationalparks der Erde. Es gibt dort aktive und schlafende Vulkane, unglaubliche Landschaften, Gletscher, Felsen, Sümpfe, Wälder – er ist wohl eine der vielfältigsten Regionen des Planeten. Und er ist wohl der einzige Platz weltweit, wo drei Arten an Menschenaffen leben: Berggorillas, Flachlandgorillas, Schimpansen. Außerdem kommt das endemische Okapi dort vor.
Sobald es die Bedingungen zulassen und ein ordnungsgemäßes Parkmanagement stattfindet, kann der Tourismus wieder aufgenommen werden. Und dann dürfte Virunga wieder ein extrem schönes Reiseziel werden. Wir müssen eben einigermaßen durch diese unruhige Phase gelangen, widerständig bleiben und die kongolesischen Wildhüter unterstützen, wo es nur geht. Ich hoffe, wir sehen bald besseren Zeiten entgegen.
spektrumdirekt: Mr. Muir, vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für Sie und Ihre Kollegen im Kongo.
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