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Gliedertiere : Bernsteinleichen beleuchten Insektenevolution

Vor Millionen von Jahren beendete Baumharz das junge Leben von vier neugeborenen Florfliegen. In Bernstein konserviert erzählen sie heute über die Evolution der Insekten.
Rekonstruktion von uralten Florfliegen

Die Florfliegen oder Goldaugen (Chrysopidae) sind ein alter Familienzweig der Insekten, der vor allem in den Tropen vorkommt, auch in Deutschland aber als ungemein nützlicher Schädlingsvertilger (»Blattlauslöwe«) bekannt und beliebt ist. Schon seit Langem sahen Florfliegen dabei ähnlich aus wie heute, wie man aus in Bernstein gefangenen Exemplaren weiß – und sie kannten auch schon lange die gleichen Kniffe der besonderen Florfliegenbiologie, wie ein hübscher Zufallsfund nun belegt, der Florfliegenforschern in uraltem Bernstein aus dem Libanon gelang. Im Fachblatt »Paleotology« illustrieren sie die unverzichtbaren anatomischen Instrumente, ohne die sich einst wie heute schlüpfende Larven nicht aus dem widerstandsfähigen Hüllmaterial der Eier schälen könnten.

Im Bernstein fanden Ricardo Pérez-de la Fuente vom Oxford University Museum of Natural History und seine Kollegen gleich vier Exemplare der bislang unbeschriebenen Art Tragichrysa ovoruptora, die fließendes Baumharz vor 130 Millionen Jahren beim Ausruhen nach dem Schlüpfen in flagranti erwischt und bis heute konserviert hat. Besonderes Augenmerk legten die Forscher dabei auf die winzigen spezialisierten anatomischen Werkzeuge zum Aufbrechen der Eihüllen von innen, die funktional den kleinen Eizähnen auf den Schnäbeln von gerade geschlüpften Küken entsprechen. Heutige Florfliegen schlitzen das Ei dabei von innen mit einer Art abstreifbarer Kopfmaske mit gezackten Schneideflächen auf, die nach dem Schlüpfen an den Resten der Eihülle verbleibt. Ganz ähnliche Reste erkennen die Forscher nun auch bei den alten Bernsteinflorfliegen.

Larven in Bernstein | Vier Larven von Tragychrysa ovoruptora mit den Resten ihrer Eihüllen. Am rechten Tier sind die Eischlitzmasken der Insekten zu erkennen.

Der Werkzeugeinsatz beim Schlüpfakt hat sich demnach in Millionen Jahren auch in Details nicht verändert, schlussfolgern die Wissenschaftler. Natürlich sei es für die Tiere überlebenswichtig, problemlos aus dem Ei schlüpfen zu können, weshalb die dazu notwendige Anatomie sich rein theoretisch im Lauf der Evolution auch kaum verändern dürfte. Eben dies sei aber bei anderen Arten geschehen, erklärt der Koautor Enrique Peñalver: In manchen Insektenlinien könne durchaus eine Art über Eischneidewerkzeuge verfügen und eine Schwesterspezies nicht. Der neue Fund belege nun immerhin, dass Florfliegen den Trick auch schon vor 130 Millionen Jahren entwickelt hatten.

In anderen anatomischen Details weicht Tragichrysa ovoruptora (übersetzt etwa »eierschlitzende Tragikgoldene«) sonst doch vom modernen Design ab. Damals wie heute tarnen sich die räuberischen Florfliegelarven mit Bruchstücken und Erdpartikeln, die bei modernen Formen aber eher an den Beulen und Dellen der Oberfläche festhängen, während T. ovoruptora sie offenbar mit länglichen Röhrenschlingen verschnürte. Schon die alten Florfliegen hatten aber wie die modernen Vertreter kurz nach dem Schlüpfen eine besonders bedrohte Lebensphase zu überstehen: Sie mussten in den ersten Minuten unbewegt darauf warten, dass Unterkiefer und Oberkiefer sich zum Blattlausfressergebiss zusammenschlossen und das Chitin ihres Exoskeletts aushärtet. In eben dieser Wartezeit hat die nun gefundenen Larven zwar kein hungriger Räuber, aber der Bernstein erwischt.

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