Stadtökologie: Beschleunigungsgrünstreifen
Wolkenkratzer, staubige Straßen, Lärm und Hitze: Das Ökosystem Stadt ist extrem und schwierig. Dennoch nehmen es viele Tiere und Pflanzen als neue Heimat an - eigene evolutionäre Wandlung in Zeitraffer inbegriffen.
New York, Rio, Tokio – mehr als die Hälfte der Menschheit lebt in Städten, und die Zahl der Bewohner wächst so schnell wie die der Straßen, Supermärkte, Wohnhäuser oder Parkplätze. Wo sich der Siedlungsbrei allerdings ausbreitet, muss zumindest ein Teil der Natur weichen: Betontürme ersetzen Wälder, Asphalt die Wiesen und Kanäle die Flüsse und Bäche. Nur an wenigen Stellen kann sich domestiziertes Grün halten wie in Parks, Schrebergärten oder im so genannten Straßenbegleitgrün.
Die Tiere und Pflanzen profitieren davon, dass in Städten im Normalfall nicht gejagt werden darf, weshalb sie wie Fuchs oder Wildsau auch die Scheu verlieren und sich offen im Tageslicht zeigen. In Stadtparks oder auf Friedhöfen stehen alte Bäume, wie sie in den Fichtenforsten auf dem flachen Land oft nicht mehr zu finden sind: Eulen, Bilche oder Fledermäuse finden daher reichlich Unterschlupf. Verwilderte Brachflächen entlang von Bahngleisen oder auf alten Industriearealen bieten Nahrung und Deckung zuhauf, während draußen die industrialisierte Landwirtschaft gerade dies verwehrt.
Das Leben in den Städten ist aber nicht nur paradiesisch, denn die landflüchtigen Arten müssen teilweise mit extremen Bedingungen zurechtkommen. In den zugebauten und versiegelten Ballungsräumen ist es wärmer, aber trockener, denn Teer und Gestein heizen sich zügig auf, während Wasser durch die Kanalisation schnell abgeleitet wird. Städte gelten deshalb als Wärme- und Trockenheitsinseln verglichen mit ihrem Umland. Auf der anderen Seite überschütten Autoabgase oder Hobbygärtner die Stadtnatur mit Stickstoffdünger und sorgen so für Wachstumsbeschleuniger. Und schließlich verschwinden Lebensräume rasch durch Überbauung, während sie andernorts ebenso rasch neu entstehen, wenn Fabriken schließen und ihr Gelände zurückerobert wird.
Doch das Mini-Biotop hat seinen Preis. Der Heilige Pippau setzt bei der Fortpflanzung wie ein Großteil seiner Korbblütler-Verwandtschaft auf Masse statt Klasse sowie den Wind, um seine Samen in der Welt auszubreiten. Was in natürlichen Umwelten jedoch kein Problem bedeutet, da die meisten Samen irgendwann auf fruchtbaren Boden fallen, wird in den steinigen Metropolen zur Überlebensfrage: Geeignete Standorte sind Mangelware, und deshalb enden viele der Samen auf dem Asphalt oder im Rinnstein, wo sie vertrocknen, zusammengekehrt oder auf Nimmerwiedersehen in den Kanal geschwemmt werden.
Crepis sancta nutzt allerdings eine Doppelstrategie, um sicherzugehen, dass er sich fortpflanzt. Der eigene Standort hat sich ja schon als tauglich für die Art erwiesen. Was läge also näher, als den Nachwuchs an Ort und Stelle fallenzulassen? Folglich produziert der Pippau zwei verschiedene Samen: einen leichteren mit Gleitschirm, der weit segeln kann und einen schwereren ohne Fähnchenanhang, der einfach zu Boden plumpst.
Wie Pflanzen auf Inseln – deren Fortpflanzungsprodukte stets durch Verdriftung hinaus auf das Meer gefährdet sind – haben sich die Heiligen Pippaus von Montpellier evolutionär an ihre begrenzte Umwelt angepasst. Als nächstes wollen die Biologen verfolgen, ob sich die jeweiligen Anteile zukünftig weiter verschieben. Auf Dauer wirkt sich die Entwicklung jedoch vielleicht nachteilig für die Pflanzen aus: Sie isolieren sich durch die Strategie selbst und verhindern den genetischen Austausch – Erbgutschäden und verkümmernde Populationen wären mögliche Folgen. Aber auch das Gegenteil könnte eintreffen, denn eine dauerhafte Trennung fördert die Artenbildung: Die städtische Vielfalt würde wachsen.
Dennoch tummelt sich in den Städten eine reichhaltige Flora und Fauna – die sich nicht nur auf Biergartenkastanie, Wanderratte oder Straßentaube beschränkt. So leben drei Viertel der rund 200 deutschen Brutvogelarten auch in Berlin und hausen allein in Münchens Grünanlagen mehr als 3000 Tier- und Pflanzenspezies. Füchse errichten ihre Baue auf dem Wiener Zentralfriedhof, Wanderfalken ihren Horst auf dem Kölner Dom, und Wildschweine rotten sich im Berliner Grunewald zusammen. Selbst Raritäten wie Heidelerche, Blauflügelige Ödlandschrecke oder Sandgrasnelke überdauern in Naturschutzgebieten wie der fränkischen Sandachse im unmittelbaren Stadtbereich von Nürnberg, Fürth oder Erlangen.
Die Tiere und Pflanzen profitieren davon, dass in Städten im Normalfall nicht gejagt werden darf, weshalb sie wie Fuchs oder Wildsau auch die Scheu verlieren und sich offen im Tageslicht zeigen. In Stadtparks oder auf Friedhöfen stehen alte Bäume, wie sie in den Fichtenforsten auf dem flachen Land oft nicht mehr zu finden sind: Eulen, Bilche oder Fledermäuse finden daher reichlich Unterschlupf. Verwilderte Brachflächen entlang von Bahngleisen oder auf alten Industriearealen bieten Nahrung und Deckung zuhauf, während draußen die industrialisierte Landwirtschaft gerade dies verwehrt.
Das Leben in den Städten ist aber nicht nur paradiesisch, denn die landflüchtigen Arten müssen teilweise mit extremen Bedingungen zurechtkommen. In den zugebauten und versiegelten Ballungsräumen ist es wärmer, aber trockener, denn Teer und Gestein heizen sich zügig auf, während Wasser durch die Kanalisation schnell abgeleitet wird. Städte gelten deshalb als Wärme- und Trockenheitsinseln verglichen mit ihrem Umland. Auf der anderen Seite überschütten Autoabgase oder Hobbygärtner die Stadtnatur mit Stickstoffdünger und sorgen so für Wachstumsbeschleuniger. Und schließlich verschwinden Lebensräume rasch durch Überbauung, während sie andernorts ebenso rasch neu entstehen, wenn Fabriken schließen und ihr Gelände zurückerobert wird.
Fauna und Flora müssen daher rasch wie flexibel reagieren können – was sich bisweilen innerhalb weniger Generationen in ihrer Entwicklung niederschlägt. Beim Heiligen Pippau (Crepis sancta) beispielsweise, wie französische Biologen um Pierre-Olivier Cheptou vom CNRS in Montpellier nun entdeckten. Dieses zähe Kraut, verwandt mit Löwenzahn und Gänseblümchen, siedelt gerne in Baumscheiben: jenen kleinen Aussparungen im Beton oder den Platten des Trottoirs, die gerne von Hunden als Toilette genutzt werden und den Bäumen Luft wie Wasser zukommen lassen sollen. Trotz ihres kleinen Raums und der widrigen Bedingungen bilden sie Oasen des Lebens in einer ansonsten eher feindlichen Umwelt – zumindest für anspruchslose Gewächse.
Doch das Mini-Biotop hat seinen Preis. Der Heilige Pippau setzt bei der Fortpflanzung wie ein Großteil seiner Korbblütler-Verwandtschaft auf Masse statt Klasse sowie den Wind, um seine Samen in der Welt auszubreiten. Was in natürlichen Umwelten jedoch kein Problem bedeutet, da die meisten Samen irgendwann auf fruchtbaren Boden fallen, wird in den steinigen Metropolen zur Überlebensfrage: Geeignete Standorte sind Mangelware, und deshalb enden viele der Samen auf dem Asphalt oder im Rinnstein, wo sie vertrocknen, zusammengekehrt oder auf Nimmerwiedersehen in den Kanal geschwemmt werden.
Crepis sancta nutzt allerdings eine Doppelstrategie, um sicherzugehen, dass er sich fortpflanzt. Der eigene Standort hat sich ja schon als tauglich für die Art erwiesen. Was läge also näher, als den Nachwuchs an Ort und Stelle fallenzulassen? Folglich produziert der Pippau zwei verschiedene Samen: einen leichteren mit Gleitschirm, der weit segeln kann und einen schwereren ohne Fähnchenanhang, der einfach zu Boden plumpst.
Für Cheptou und seine Kollegen ein Grund, genauer hinzuschauen: Tatsächlich landeten nahezu alle Schwer-, aber nur 45 Prozent der Leichtgewichte innerhalb der beobachteten Baumscheiben. Ein klarer Vorteil, der nicht ohne Folgen bleibt, wie sich im Laborversuch bestätigte. Verglichen mit Land-Pippaus erzeugten die städtischen Crepis sancta um die Hälfte mehr schwere Samen. Insgesamt gehörten bei ihnen rund 15 Prozent zu dieser Kategorie, deren Anteil sich in der relativ kurzen Zeit von nur zehn Generationen vergrößert hatte.
Wie Pflanzen auf Inseln – deren Fortpflanzungsprodukte stets durch Verdriftung hinaus auf das Meer gefährdet sind – haben sich die Heiligen Pippaus von Montpellier evolutionär an ihre begrenzte Umwelt angepasst. Als nächstes wollen die Biologen verfolgen, ob sich die jeweiligen Anteile zukünftig weiter verschieben. Auf Dauer wirkt sich die Entwicklung jedoch vielleicht nachteilig für die Pflanzen aus: Sie isolieren sich durch die Strategie selbst und verhindern den genetischen Austausch – Erbgutschäden und verkümmernde Populationen wären mögliche Folgen. Aber auch das Gegenteil könnte eintreffen, denn eine dauerhafte Trennung fördert die Artenbildung: Die städtische Vielfalt würde wachsen.
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