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Internationale Supercomputer-Konferenz: Neues aus der Klimamodellierung

Eine japanische Arbeitsgruppe räumt mit einigen Beschränkungen auf, die sich die Berechner von Wetter und Klima bislang notgedrungen auferlegt haben. Größere Rechnerkapazitäten machen es möglich.
Schäfchenwolken an einem sonnigen Tag

Wie berechnet man das Wetter von morgen oder auch das Klima der Zukunft? Darüber haben die numerischen Mathematiker schon seit langer Zeit ziemlich klare Vorstellungen; sie konnten sie bloß bislang aus Mangel an Rechenleistung nur sehr unvollkommen umsetzen. Das ändert sich mit der wachsenden Leistungsfähigkeit der Superrechner. Auf der Internationalen Supercomputer-Tagung gab Hirofumi Tomita vom japanischen Forschungsinstitut RIKEN einen Überblick über die neuesten Entwicklungen. Die Physik der Atmosphäre bietet im Prinzip keine großen Geheimnisse. Die Kräfte, die das Wettergeschehen bestimmen, lassen sich durch Differenzialgleichungen ausdrücken. Die setzen die zeitliche Änderung einer Zustandsgröße wie der lokalen Windgeschwindigkeit in Beziehung mit den räumlichen Änderungen dieser und anderer Zustandsgrößen, jeweils in Abhängigkeit von Ort und Zeit.

Eigentlich ist unter "Änderung" die Ableitung zu verstehen, also eine Änderungsrate im Grenzwert unendlich kurzer Zeiträume oder Entfernungen. Damit kann man zahlenmäßig nicht rechnen; also überzieht man die Erde mit einem Netz von Punkten – es sind viele Netze in verschiedenen Höhen über dem Meeresspiegel, um genau zu sein – und ersetzt die Ableitungen ("Differenzialquotienten") durch Differenzen zwischen den Werten in dem jeweiligen Gitterpunkt und seinen unmittelbaren (räumlichen wie zeitlichen) Nachbarn. Durch diese "Diskretisierung" führt man einen Fehler in das Gleichungssystem ein; dieser ist einleuchtenderweise umso geringer, je kleiner die Maschenweite des Netzes ist. Stand der Technik sind einige zehn Kilometer in der Horizontalen und einige hundert Meter in der Vertikalen.

Im RIKEN arbeitet man zurzeit mit einer Maschenweite von 7 Kilometern und plant für die nächsten Jahre, das Netz in der Horizontalen mit einem Faktor 2 zu verfeinern, also gewissermaßen zu jedem vorhandenen Faden einen weiteren einzuziehen. Und das dreimal hintereinander, so dass man bei einer Maschenweite von 860 Metern und der 64-fachen Anzahl an Knoten landet. Dadurch wächst der Rechenaufwand allerdings nicht nur um den Faktor 64, sondern wesentlich stärker, weil im Gleichschritt mit der räumlichen auch die zeitliche Maschenweite verringert werden muss. Das ist die berühmte Courant-Friedrichs-Lewy-(CFL)-Bedingung, die sich folgendermaßen erklären lässt: In jedem Zeitschritt kriegt jeder Knoten vom globalen Geschehen nur das mit, was in den unmittelbar benachbarten Knoten passiert. Wenn also an einem Ort der Wind so schnell weht – sagen wir ostwärts –, dass die Luft in einem Zeitschritt zwei Maschenweiten zurücklegt, dann müsste der Knoten zwei Maschen weiter östlich darauf reagieren – kann er aber nicht, weil das Verfahren übernächste Nachbarn nicht verknüpft. Also liefert das Verfahren nicht nur physikalisch falsche Ergebnisse (es kann Windgeschwindigkeiten oberhalb einer gewissen Grenze nicht wiedergeben), sondern der Diskretisierungsfehler wird unbeherrschbar und macht die ganze Rechnung unbrauchbar. Wegen dieser Stabilitätsbedingungen sind Netze mit unterschiedlich großen Maschen ungünstig. Denn die kleinste Masche begrenzt über die CFL-Bedingung die Größe des Zeitschritts. Für die großen Maschen, in denen der Wind jede Menge Zeit hat, um vom einen zum anderen Ende zu wehen, ist das eine Verschwendung von Rechenaufwand.

Weite Maschen im Klimamodell

Die bisher üblichen Netze orientieren sich am klassischen Gradnetz und sind daher weitmaschig am Äquator und eng an den Polen. Überdies sind die Maschen, wenn man die Weite in Richtung der geografischen Breite konstant wählt, in den Tropen liegende Rechtecke, in höheren Breiten stehende; und ein Seitenverhältnis, das allzu stark von dem Wert 1 abweicht, ist ebenfalls unbekömmlich für die Genauigkeit.

Um dem abzuhelfen, griffen Tomita und seine Kollegen auf ein Mittel zurück, das schon der Architekt Buckminster Fuller für seine geodesic domes mit großem Erfolg angewandt hat: Sie legen ein reguläres Ikosaeder über die Erde, zerlegen jede seiner 20 Dreiecksflächen in so viele kleinere Dreiecke, dass die Maschen die vorgesehene Weite haben, und blasen den Körper zur Kugelform auf. Die Beziehungen zwischen den einzelnen Knoten des Netzes sind etwas komplizierter, aber die Gleichmäßigkeit der Maschen macht den erhöhten Programmier- und Rechenaufwand mehr als wett.

Ikosaeder zur Kugel aufgeblasen | Das Dodekaeder wird "allmählich" auf die Oberfläche einer Kugel projiziert. Am Ende muss man sich die Kanten als Großkreisbögen auf der Kugel vorstellen.

Bei der Gelegenheit verabschiedeten sich die japanischen Numeriker von einer weiteren Vereinfachung: Sie unterstellen nicht mehr wider besseres Wissen, die Luft sei inkompressibel. Diese Annahme war bislang gängig, weil sie bei mäßiger Verfälschung der Realität den Rechenaufwand erheblich minderte; aber das ist nicht mehr so dringend erforderlich.

Das mit diesen Zutaten erstellte numerische Modell NICAM (non-hydrostatic icosahedral atmospheric model) hat inzwischen seine ersten Bewährungsproben bestanden, indem es zu bekannten Bedingungen aus der Vergangenheit mit seinen Vorhersagen dem echten – inzwischen bekannten – Wetter näher kam als die Konkurrenz. Darüber hinaus ermöglicht ihnen die kleinere Maschenweite, ein Problem mit frischer Kraft anzugehen, das den Klimarechnern seit jeher großes Kopfzerbrechen bereiten: Wolken.

Einerseits haben sie einen großen Einfluss auf das Wettergeschehen; andererseits sind sie so kleinräumig, dass sie von einer der früher üblichen großen Maschen höchstens einen kleinen Teil bedeckten. Da man ihre Ausdehnung also ohnehin nicht richtig erfassen konnte, blieb nichts übrig, als ihren Einfluss mit irgendwelchen Formeln wiederzugeben, an denen man so lange herumgebastelt hatte, bis die Modelle das echte Wetter einigermaßen reproduzierten. Das war umso mühsamer, als noch nicht einmal das Vorzeichen dieses Einflusses klar ist: Wolken wirken kühlend, indem sie an der Oberseite Sonnenstrahlung in den Weltraum reflektieren, und aufheizend, indem sie (Treibhauseffekt) an der Unterseite Infrarotstrahlung von der Erdoberfläche am Entweichen hindern. Allmählich arbeiten sich Tomita und seine Kollegen auf dieses schwierige Terrain vor: zuerst die hohen Kumuluswolken, die zumindest in der Vertikalen mehrere Maschen überdecken.

Es bleibt, die einmal gefundenen Rechenverfahren so in Computerprogramme umzusetzen, dass ein Hochleistungsrechner gut damit zu Rande kommt und vor allem seinen Geschwindigkeitsvorteil ausfahren kann. Hier sind die bisherigen Ergebnisse ernüchternd: Über 10 Prozent Nutzung kommen die Algorithmen bis jetzt nicht hinaus. Den Verfahren fehlt die Regelmäßigkeit ihrer Vorgänger, die Voraussetzung für das fließbandartige Abarbeiten der Rechenvorschriften ist.

Man könnte die Nutzung verbessern, indem man mehr auf jedem einzelnen Zahlenwert herumrechnet und damit relativ weniger Zeit für die Kommunikation zwischen den einzelnen Prozessoren eines Supercomputers verschwendet. Leider ist nicht klar, ob dadurch die Ergebnisse besser werden. Was hilft es, den zeitlichen Diskretisierungsfehler herunterzudrücken, wenn man am räumlichen nichts ändern kann?

Immerhin trauen sich die Japaner, die Werte zum jeweils neuen Zeitpunkt nicht einfach so aus den alten zu errechnen, sondern sie lösen ein großes Gleichungssystem, das benachbarte Werte zum neuen Zeitpunkt miteinander verknüpft. Diese impliziten Verfahren sind im Prinzip besser und können unter Umständen sogar die CFL-Bedingung aushebeln, waren aber bisher wegen des hohen Rechenaufwands gefürchtet.

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