Menschwerdung: Besuch im Urzeitrestaurant
Was aßen unsere Vorfahren? Neue Methoden revidieren unser Bild vom Speisezettel unserer Vorfahren: ein Nussknacker, der kaum Nüsse knackte, und Neandertaler mit Appetit auf Salat.
Antilopensteaks vielleicht? Obstsalat? Oder eine nahrhafte Nussmischung? Was bei der frühen Menschenverwandtschaft vor Zehntausenden oder gar Millionen von Jahren auf dem Speiseplan stand, ist heute nicht so leicht zu rekonstruieren. Schließlich hat bisher noch niemand einen Menschenmagen gefunden, in dem die Reste eines Urzeitmenüs versteinert wären. Wer sich für die Geschichte des Essens interessiert, muss daher einiges an Detektivarbeit leisten.
Es gilt, noch die kleinsten Indizien aus den frühen Tagen der Menschheit auszuwerten. So sind Wissenschaftler in den letzten Jahren dazu übergegangen, den Vor- und Frühmenschen immer genauer auf den Zahn zu fühlen. Und das hat sich gelohnt, berichten Peter Ungar von der University of Arkansas in Fayetteville und Matt Sponheimer von der University of Colorado in Boulder [1]. Mit verschiedenen Methoden lassen sich die Beißwerkzeuge inzwischen so genau analysieren, dass sie immer neue Details über die Mahlzeiten ihrer Besitzer verraten. Überraschungen inklusive.
Isotopen verraten Lieblingsspeise
Interessante Informationen liefert zum Beispiel eine chemisch-physikalische Untersuchung des Zahnschmelzes. Darin hinterlässt die Nahrung eine Art Fingerabdruck aus stabilen Isotopen, etwa den Kohlenstoffvarianten 12C und 13C. Pflanzen bauen beim Wachsen beide Isotope in ihre Blätter und Stängel ein – allerdings je nach Art in unterschiedlichem Verhältnis. Entscheidend ist dabei, auf welchem Weg das jeweilige Gewächs seine Energie aus Sonnenlicht gewinnt. C3-Pflanzen wie Bäume, Büsche und Kräuter nutzen dafür eine etwas andere Form der Fotosynthese als C4-Pflanzen wie tropische Gräser und Seggen. Also enthalten sie auch andere Kombinationen der beiden Kohlenstoffvarianten.
Dieses typische Isotopenverhältnis aber überträgt sich auch auf Tiere oder Menschen, die das Gewächs verspeisen. Analysiert man in den Zähnen oder Knochen eingelagerte Isotope, kann man daher Rückschlüsse auf ihre Ernährung ziehen. So lässt sich mit der Methode recht gut bestimmen, ob man die Zähne eines Obstfans oder eher die eines Grasfressers vor sich hat. Mehr als 75 Vertretern verschiedener Vor- und Frühmenschenarten haben Wissenschaftler auf diese Weise die Kauleiste analysiert.
Die Ergebnisse dieser Studien haben Peter Ungar und Matt Sponheimer für ihren Überblicksartikel im Fachmagazin "Science" zusammengetragen. Demnach dürfte es auch in grauer Vorzeit schon sehr unterschiedliche Vorstellungen von einer guten oder zumindest annehmbaren Mahlzeit gegeben haben. Ardipithecus ramidus, der vor etwa 4,4 Millionen Jahren durch Äthiopien streifte und als möglicher Vorfahr der späteren Gattungen Australopithecus und Homo gilt, scheint zum Beispiel eine große Vorliebe für C3-Pflanzen gehabt zu haben. Wahrscheinlich hat er seinen Hunger ganz ähnlich gestillt wie heutige Schimpansen, nämlich vor allem mit den Früchten und Blättern von Waldpflanzen.
Schwerstarbeit fürs Nussknackergebiss
Eine ganz andere Geschichte erzählt dagegen der Zahnschmelz des späteren Paranthropus boisei, der vor etwa 2,3 bis 1,4 Millionen Jahren in Ostafrika lebte und wegen seiner gewaltigen Kaumuskeln und riesigen Backenzähne auch den Spitznamen "Nussknackermensch" trägt. Seine Nahrung dürfte laut Isotopenanalyse zu 75 bis 80 Prozent aus C4-Pflanzen bestanden haben. Ein so großes Faible für Gras haben Wissenschaftler bisher noch bei keinem anderen Vertreter der Menschenverwandtschaft entdeckt. Peter Ungar und Matt Sponheimer fühlen sich eher an die Kost von Warzenschweinen, Flusspferden oder Zebras erinnert.
"Da gab es erst mal einiges Rätselraten über die Frage, wie das überhaupt sein kann", erinnert sich Ottmar Kullmer, der sich am Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum in Frankfurt am Main mit frühen Menschenformen und ihrem Speiseplan beschäftigt. Doch die Antwort ist aus seiner Sicht ganz einfach: Ein Nussknackergebiss eignet sich eben nicht nur, um mit einer kurzen Kraftanstrengung harte Schalen zu zertrümmern. Es ist auch praktisch, wenn man immer wieder geduldig große Mengen zähes Riedgras zerkauen muss. "Die Menschenverwandtschaft war offenbar so anpassungsfähig, dass sie unterschiedliche Nahrung mit dem gleichen Gebiss zerkleinern konnte", erläutert der Senckenberg-Forscher. Ein ganz ähnliches Kunststück schaffen heute noch die Elefanten, die mit den Kanten und großen Mahlflächen ihrer Backenzähne sowohl harten, trockenen Ästen als auch zarten Sprossen zu Leibe rücken.
Schwierige Kost
Waren die Paranthropus-Arten also vielleicht gar keine Spezialisten fürs Nüsseknacken? Eigentlich hatte die Geschichte ihrer Entwicklung ja ganz logisch geklungen. Nach einer gängigen Theorie hatten die ganz frühen Vertreter der Menschenverwandtschaft noch relativ kleine Beißwerkzeuge mit dünnem Zahnschmelz, weil ihre Kost ähnlich wie die der Schimpansen aus weichen Früchten und zarten Blättern bestand. Doch als sich das Klima änderte und der Wald der Savanne wich, wurde die zur Verfügung stehende Pflanzenkost zunehmend härter. Daraufhin betrat vor etwa 4,2 Millionen Jahren die Vormenschengattung Australopithecus mit ihren kräftigen Kiefern, den breiten, flachen Backenzähnen und dem dicken Zahnschmelz die Bühne und nahm die Herausforderung der harten Nüsse, Samen und Knollen an. Und um die Kunst des Nussknackens zu perfektionieren, tauchten schließlich noch die Paranthropus-Arten auf, die mit noch härterer Kost fertigwurden.
Zu dieser Vorstellung aber passt das Grasmenü von Paranthropus boisei nicht so recht. Und auch ein genauer Blick auf die Oberfläche der Vormenschenzähne verrät, dass es ganz so einfach wohl doch nicht gewesen ist. Dort hinterlassen die einzelnen Nahrungsbestandteile nämlich mikroskopisch kleine Abnutzungserscheinungen, die jeweils eine typische Form haben. Zertrümmert ein Tier oder Mensch zwischen seinen Zähnen vor allem harte, spröde Nahrung wie Nüsse oder Knochen, bleiben viele winzige Gruben zurück. Gräbt sich das Gebiss dagegen häufig durch weicheres, aber zäheres Material wie Fleisch oder Blätter, entstehen eher lange Striemen.
Spurensuche auf dem Zahnschmelz
Um diese Indizien auszuwerten, haben Ungar und Sponheimer winzige Ausschnitte aus den Zahnoberflächen verschiedener Vormenschen analysiert – und bei keinem einzigen Australopithecus-Fossil das typische Abnutzungsmuster eines Spezialisten für harte Nahrung gefunden. Auch der angebliche Extremnussknacker P. boisei scheint seinem Gebiss keine übermäßig harte Kost zugemutet zu haben. Seine Zahnmuster ähneln jedenfalls verdächtig denen der Australopithecus-Arten. Sein südafrikanischer Kollege P. robustus dagegen hatte zwar durchaus die eine oder andere Nuss zu knacken. Allerdings tat er das wohl nur, wenn gerade keine bessere Nahrung zur Verfügung stand. Die Mikroschleifspuren an seinen Zähnen sehen jedenfalls ganz ähnlich aus wie bei heutigen Affenarten wie den Grauwangenmangaben und Haubenkapuzinern, die ebenfalls nur in Notzeiten auf harte Kost zurückgreifen. Auch in diesem Fall scheint der Urzeitspeiseplan also komplexer gewesen zu sein, als Forscher lange angenommen hatten.
Die Abriebmuster auf den Zähnen liefern allerdings ein eher flüchtiges Bild von den Essgewohnheiten längst verstorbener Gourmets. Denn so schnell sie entstehen, so schnell verschwinden sie auch wieder. "Wenn ein Gebiss drei Tage lang Grassamen gekaut hat und anschließend fünf Tage lang Früchte und Blätter, sieht das Muster schon wieder anders aus", erläutert Ottmar Kullmer. Die Experten sprechen daher scherzhaft von den "Spuren des letzten Abendmahls".
Formbarer Kauapparat
Lieber als die winzigen Schleifspuren betrachten die Frankfurter Forscher darum das gesamte Relief des Zahns. Denn auch das verändert sich je nach Nahrung. Ein frisch gewachsener Zahn hat zwar schon eine vorgegebene Form, so ganz passt er aber noch nicht zu seinem Gegenüber. Und obwohl das Hydroxylapatit des Zahnschmelzes die härteste Substanz im menschlichen Körper ist, werden beim Kauen mit der Zeit immer wieder winzige Teilchen davon abgerieben. Dadurch passen sich die gegenüberliegenden Zähne immer besser aneinander an, der Biss wird effektiver. "Das ist ähnlich wie bei einem Neuwagen, den man ja auch erst einfahren muss", sagt Kullmer.
Kullmer und Kollegen nahmen beispielsweise die Zähne von Naturvölkern wie den Inuit der Arktis, den Buschleuten im südlichen Afrika oder den Aborigines Australiens unter die Lupe [2]. "Wir haben dabei keine heute lebenden Menschen untersucht, sondern Zähne aus alten Museumssammlungen", erläutert der Forscher. Denn die Globalisierung des Essens hat dazu geführt, dass sich heute kaum noch Menschen auf ganz bestimmte Lebensmittel spezialisieren. Vor etlichen Generationen aber hatte ein Inuit keine andere Möglichkeit, als sich vorwiegend von Fleisch zu ernähren. Viel anderes gab sein karger Lebensraum eben nicht her. Genauso ging es früher den Indianern auf der kanadischen Insel Vancouver Island oder den Ureinwohnern von Feuerland im äußersten Süden Südamerikas.
Die Forscher nahmen Abdrücke von den Museumsgebissen und fertigten damit exakte Kopien, die sich anschließend im Labor mit einem Hochleistungsscanner untersuchen ließen. Mit Hilfe von Computerprogrammen haben sie dann die Zahnreliefs der verschiedenen Völker genau verglichen. Und tatsächlich zeigen die Fleischfans rund um den Globus ganz ähnliche Muster. Die Buschleute und Aborigines, bei denen traditionell mehr vegetarische Kost auf den Tisch kam, haben ihre Zähne dagegen auf andere Weise abgekaut.
Vergleich mit Neandertalern
Wenn man die Fingerabdrücke der Nahrung kennt, kann man natürlich auch in den deutlich älteren Gebissen der frühen Menschenverwandtschaft danach suchen. Und siehe da: Auf den Zähnen von Neandertalern, die vor mehr als 30 000 Jahren lebten, fanden die Frankfurter Forscher ganz ähnliche Muster wie bei den Fleischspezialisten der jüngeren Vergangenheit. So weit passte das Ergebnis gut zu dem Bild, das Wissenschaftler lange vom Neandertaler gemalt hatten: ein leidenschaftlicher Jäger, der für vegetarische Kost nicht viel übrig hatte.
Auch wenn sich vermutlich kein heutiger Mensch gerne die Menüs der Neandertaler auf den Teller füllt, könnte der eine oder andere auch ganz praktisch von den Ergebnissen der Frankfurter Forscher profitieren [3]. "Wir arbeiten eng mit Zahntechnikern und Zahnärzten zusammen", sagt Kullmer. Aus den Kaumustern auf einem Zahn lässt sich beispielsweise das verlorene Gegenüber detailliert rekonstruieren. Dadurch kommt es nicht zu Fehlbelastungen, und der Biss des Ersatzzahns ist so präzise und effizient wie der seines natürlichen Vorgängers. Kullmer und Kollegen haben sogar an der Entwicklung eines kommerziellen Kunstzahns mitgearbeitet, der je nach Alter des Patienten in verschiedenen Abnutzungsstufen erhältlich ist. Dank den Methoden der Frühmenschenforscher und ihrem Wissen um die Zähne von gestern werden also zumindest einige Patienten auch morgen noch kraftvoll zubeißen können.
Es gilt, noch die kleinsten Indizien aus den frühen Tagen der Menschheit auszuwerten. So sind Wissenschaftler in den letzten Jahren dazu übergegangen, den Vor- und Frühmenschen immer genauer auf den Zahn zu fühlen. Und das hat sich gelohnt, berichten Peter Ungar von der University of Arkansas in Fayetteville und Matt Sponheimer von der University of Colorado in Boulder [1]. Mit verschiedenen Methoden lassen sich die Beißwerkzeuge inzwischen so genau analysieren, dass sie immer neue Details über die Mahlzeiten ihrer Besitzer verraten. Überraschungen inklusive.
Isotopen verraten Lieblingsspeise
Interessante Informationen liefert zum Beispiel eine chemisch-physikalische Untersuchung des Zahnschmelzes. Darin hinterlässt die Nahrung eine Art Fingerabdruck aus stabilen Isotopen, etwa den Kohlenstoffvarianten 12C und 13C. Pflanzen bauen beim Wachsen beide Isotope in ihre Blätter und Stängel ein – allerdings je nach Art in unterschiedlichem Verhältnis. Entscheidend ist dabei, auf welchem Weg das jeweilige Gewächs seine Energie aus Sonnenlicht gewinnt. C3-Pflanzen wie Bäume, Büsche und Kräuter nutzen dafür eine etwas andere Form der Fotosynthese als C4-Pflanzen wie tropische Gräser und Seggen. Also enthalten sie auch andere Kombinationen der beiden Kohlenstoffvarianten.
Dieses typische Isotopenverhältnis aber überträgt sich auch auf Tiere oder Menschen, die das Gewächs verspeisen. Analysiert man in den Zähnen oder Knochen eingelagerte Isotope, kann man daher Rückschlüsse auf ihre Ernährung ziehen. So lässt sich mit der Methode recht gut bestimmen, ob man die Zähne eines Obstfans oder eher die eines Grasfressers vor sich hat. Mehr als 75 Vertretern verschiedener Vor- und Frühmenschenarten haben Wissenschaftler auf diese Weise die Kauleiste analysiert.
Die Ergebnisse dieser Studien haben Peter Ungar und Matt Sponheimer für ihren Überblicksartikel im Fachmagazin "Science" zusammengetragen. Demnach dürfte es auch in grauer Vorzeit schon sehr unterschiedliche Vorstellungen von einer guten oder zumindest annehmbaren Mahlzeit gegeben haben. Ardipithecus ramidus, der vor etwa 4,4 Millionen Jahren durch Äthiopien streifte und als möglicher Vorfahr der späteren Gattungen Australopithecus und Homo gilt, scheint zum Beispiel eine große Vorliebe für C3-Pflanzen gehabt zu haben. Wahrscheinlich hat er seinen Hunger ganz ähnlich gestillt wie heutige Schimpansen, nämlich vor allem mit den Früchten und Blättern von Waldpflanzen.
Schwerstarbeit fürs Nussknackergebiss
Eine ganz andere Geschichte erzählt dagegen der Zahnschmelz des späteren Paranthropus boisei, der vor etwa 2,3 bis 1,4 Millionen Jahren in Ostafrika lebte und wegen seiner gewaltigen Kaumuskeln und riesigen Backenzähne auch den Spitznamen "Nussknackermensch" trägt. Seine Nahrung dürfte laut Isotopenanalyse zu 75 bis 80 Prozent aus C4-Pflanzen bestanden haben. Ein so großes Faible für Gras haben Wissenschaftler bisher noch bei keinem anderen Vertreter der Menschenverwandtschaft entdeckt. Peter Ungar und Matt Sponheimer fühlen sich eher an die Kost von Warzenschweinen, Flusspferden oder Zebras erinnert.
Grundsätzlich sei es ja keine Überraschung, dass Arten aus verschiedenen Epochen und Regionen auch unterschiedliche Speisen schätzten, meinen die US-Forscher. Gerade der Fall Paranthropus boisei aber hat sie doch verblüfft. Denn etwa zur gleichen Zeit wie dieser Ostafrikaner lebte in Südafrika eine verwandte Art namens Paranthropus robustus. Doch obwohl beide zur gleichen Gattung gehören und auch ein ganz ähnliches Nussknackergebiss vorweisen konnten, sind in ihrem Zahnschmelz vollkommen andere Kombinationen von Isotopen eingebettet.
"Da gab es erst mal einiges Rätselraten über die Frage, wie das überhaupt sein kann", erinnert sich Ottmar Kullmer, der sich am Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum in Frankfurt am Main mit frühen Menschenformen und ihrem Speiseplan beschäftigt. Doch die Antwort ist aus seiner Sicht ganz einfach: Ein Nussknackergebiss eignet sich eben nicht nur, um mit einer kurzen Kraftanstrengung harte Schalen zu zertrümmern. Es ist auch praktisch, wenn man immer wieder geduldig große Mengen zähes Riedgras zerkauen muss. "Die Menschenverwandtschaft war offenbar so anpassungsfähig, dass sie unterschiedliche Nahrung mit dem gleichen Gebiss zerkleinern konnte", erläutert der Senckenberg-Forscher. Ein ganz ähnliches Kunststück schaffen heute noch die Elefanten, die mit den Kanten und großen Mahlflächen ihrer Backenzähne sowohl harten, trockenen Ästen als auch zarten Sprossen zu Leibe rücken.
Schwierige Kost
Waren die Paranthropus-Arten also vielleicht gar keine Spezialisten fürs Nüsseknacken? Eigentlich hatte die Geschichte ihrer Entwicklung ja ganz logisch geklungen. Nach einer gängigen Theorie hatten die ganz frühen Vertreter der Menschenverwandtschaft noch relativ kleine Beißwerkzeuge mit dünnem Zahnschmelz, weil ihre Kost ähnlich wie die der Schimpansen aus weichen Früchten und zarten Blättern bestand. Doch als sich das Klima änderte und der Wald der Savanne wich, wurde die zur Verfügung stehende Pflanzenkost zunehmend härter. Daraufhin betrat vor etwa 4,2 Millionen Jahren die Vormenschengattung Australopithecus mit ihren kräftigen Kiefern, den breiten, flachen Backenzähnen und dem dicken Zahnschmelz die Bühne und nahm die Herausforderung der harten Nüsse, Samen und Knollen an. Und um die Kunst des Nussknackens zu perfektionieren, tauchten schließlich noch die Paranthropus-Arten auf, die mit noch härterer Kost fertigwurden.
Zu dieser Vorstellung aber passt das Grasmenü von Paranthropus boisei nicht so recht. Und auch ein genauer Blick auf die Oberfläche der Vormenschenzähne verrät, dass es ganz so einfach wohl doch nicht gewesen ist. Dort hinterlassen die einzelnen Nahrungsbestandteile nämlich mikroskopisch kleine Abnutzungserscheinungen, die jeweils eine typische Form haben. Zertrümmert ein Tier oder Mensch zwischen seinen Zähnen vor allem harte, spröde Nahrung wie Nüsse oder Knochen, bleiben viele winzige Gruben zurück. Gräbt sich das Gebiss dagegen häufig durch weicheres, aber zäheres Material wie Fleisch oder Blätter, entstehen eher lange Striemen.
Spurensuche auf dem Zahnschmelz
Um diese Indizien auszuwerten, haben Ungar und Sponheimer winzige Ausschnitte aus den Zahnoberflächen verschiedener Vormenschen analysiert – und bei keinem einzigen Australopithecus-Fossil das typische Abnutzungsmuster eines Spezialisten für harte Nahrung gefunden. Auch der angebliche Extremnussknacker P. boisei scheint seinem Gebiss keine übermäßig harte Kost zugemutet zu haben. Seine Zahnmuster ähneln jedenfalls verdächtig denen der Australopithecus-Arten. Sein südafrikanischer Kollege P. robustus dagegen hatte zwar durchaus die eine oder andere Nuss zu knacken. Allerdings tat er das wohl nur, wenn gerade keine bessere Nahrung zur Verfügung stand. Die Mikroschleifspuren an seinen Zähnen sehen jedenfalls ganz ähnlich aus wie bei heutigen Affenarten wie den Grauwangenmangaben und Haubenkapuzinern, die ebenfalls nur in Notzeiten auf harte Kost zurückgreifen. Auch in diesem Fall scheint der Urzeitspeiseplan also komplexer gewesen zu sein, als Forscher lange angenommen hatten.
Die Abriebmuster auf den Zähnen liefern allerdings ein eher flüchtiges Bild von den Essgewohnheiten längst verstorbener Gourmets. Denn so schnell sie entstehen, so schnell verschwinden sie auch wieder. "Wenn ein Gebiss drei Tage lang Grassamen gekaut hat und anschließend fünf Tage lang Früchte und Blätter, sieht das Muster schon wieder anders aus", erläutert Ottmar Kullmer. Die Experten sprechen daher scherzhaft von den "Spuren des letzten Abendmahls".
Formbarer Kauapparat
Lieber als die winzigen Schleifspuren betrachten die Frankfurter Forscher darum das gesamte Relief des Zahns. Denn auch das verändert sich je nach Nahrung. Ein frisch gewachsener Zahn hat zwar schon eine vorgegebene Form, so ganz passt er aber noch nicht zu seinem Gegenüber. Und obwohl das Hydroxylapatit des Zahnschmelzes die härteste Substanz im menschlichen Körper ist, werden beim Kauen mit der Zeit immer wieder winzige Teilchen davon abgerieben. Dadurch passen sich die gegenüberliegenden Zähne immer besser aneinander an, der Biss wird effektiver. "Das ist ähnlich wie bei einem Neuwagen, den man ja auch erst einfahren muss", sagt Kullmer.
Welche Höcker, Schrägen und Kanten beim "Einkauen" des Gebisses entstehen, hängt stark von den Kieferbewegungen und damit auch von der Nahrung seines Besitzers ab. Nicht nur die winzigen Schleifspuren auf der Oberfläche, sondern auch das grobe Relief der Zähne kann daher wertvolle Hinweise auf die in den Urzeitrestaurants servierten Speisen liefern. Allerdings weiß bis heute noch niemand so genau, welches Nahrungsmittel im Gebiss welche Spuren hinterlässt. "Wir sind gerade erst dabei, das herauszufinden", erzählt der Senckenberg-Forscher.
Kullmer und Kollegen nahmen beispielsweise die Zähne von Naturvölkern wie den Inuit der Arktis, den Buschleuten im südlichen Afrika oder den Aborigines Australiens unter die Lupe [2]. "Wir haben dabei keine heute lebenden Menschen untersucht, sondern Zähne aus alten Museumssammlungen", erläutert der Forscher. Denn die Globalisierung des Essens hat dazu geführt, dass sich heute kaum noch Menschen auf ganz bestimmte Lebensmittel spezialisieren. Vor etlichen Generationen aber hatte ein Inuit keine andere Möglichkeit, als sich vorwiegend von Fleisch zu ernähren. Viel anderes gab sein karger Lebensraum eben nicht her. Genauso ging es früher den Indianern auf der kanadischen Insel Vancouver Island oder den Ureinwohnern von Feuerland im äußersten Süden Südamerikas.
Die Forscher nahmen Abdrücke von den Museumsgebissen und fertigten damit exakte Kopien, die sich anschließend im Labor mit einem Hochleistungsscanner untersuchen ließen. Mit Hilfe von Computerprogrammen haben sie dann die Zahnreliefs der verschiedenen Völker genau verglichen. Und tatsächlich zeigen die Fleischfans rund um den Globus ganz ähnliche Muster. Die Buschleute und Aborigines, bei denen traditionell mehr vegetarische Kost auf den Tisch kam, haben ihre Zähne dagegen auf andere Weise abgekaut.
Vergleich mit Neandertalern
Wenn man die Fingerabdrücke der Nahrung kennt, kann man natürlich auch in den deutlich älteren Gebissen der frühen Menschenverwandtschaft danach suchen. Und siehe da: Auf den Zähnen von Neandertalern, die vor mehr als 30 000 Jahren lebten, fanden die Frankfurter Forscher ganz ähnliche Muster wie bei den Fleischspezialisten der jüngeren Vergangenheit. So weit passte das Ergebnis gut zu dem Bild, das Wissenschaftler lange vom Neandertaler gemalt hatten: ein leidenschaftlicher Jäger, der für vegetarische Kost nicht viel übrig hatte.
Ganz so einfach aber ist die Sache auch in diesem Fall nicht. Genau wie die Nussknackermenschen waren auch die Neandertaler flexibler, als man ihnen lange zugetraut hatte. Die Fleischanhänger unter ihnen waren nämlich vor allem in nördlichen Regionen zu Hause, wo Nadelwälder und Tundra nur wenig essbare Pflanzen boten. Auf Zähnen, die im Mittelmeerraum gefunden wurden, haben Ottmar Kullmer und seine Kollegen dagegen ganz andere Muster entdeckt. So haben die kroatischen Neandertaler vor 130 000 Jahren vermutlich eine ganz ähnliche Mischkost zu sich genommen, wie die Aborigines und Buschleute der jüngsten Vergangenheit.
Auch wenn sich vermutlich kein heutiger Mensch gerne die Menüs der Neandertaler auf den Teller füllt, könnte der eine oder andere auch ganz praktisch von den Ergebnissen der Frankfurter Forscher profitieren [3]. "Wir arbeiten eng mit Zahntechnikern und Zahnärzten zusammen", sagt Kullmer. Aus den Kaumustern auf einem Zahn lässt sich beispielsweise das verlorene Gegenüber detailliert rekonstruieren. Dadurch kommt es nicht zu Fehlbelastungen, und der Biss des Ersatzzahns ist so präzise und effizient wie der seines natürlichen Vorgängers. Kullmer und Kollegen haben sogar an der Entwicklung eines kommerziellen Kunstzahns mitgearbeitet, der je nach Alter des Patienten in verschiedenen Abnutzungsstufen erhältlich ist. Dank den Methoden der Frühmenschenforscher und ihrem Wissen um die Zähne von gestern werden also zumindest einige Patienten auch morgen noch kraftvoll zubeißen können.
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