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Genetik: Beutler-Bauplan

Zahlreiche Säugetierarten - einschließlich des Menschen - haben ihr Erbgut längst preisgegeben. Ein Beuteltier fehlte allerdings bislang noch in der Genomsammlung. Jetzt schließt ein kleines, graues Wesen diese Lücke: Monodelphis domestica.
Monodelphis domestica
Mit einem Gewicht von etwa einhundert Gramm und einer Körperlänge von bis zu 16 Zentimeter (wozu sich noch ein 8 Zentimeter langer Schwanz gesellt) wirken die grauen Tiere eher unscheinbar. Dennoch hat sich Monodelphis domestica – wie die Haus-Spitzmausbeutelratte von Zoologen genannt wird – in den Forschungslaboratorien der Welt zu einem wichtigen Mitarbeiter gemausert.

Monodelphis domestica | Die Haus-Spitzmausbeutelratte (Monodelphis domestica) hat ihr Erbgut preisgegeben. Damit liegt jetzt das erste entzifferte Genom eines Beuteltiers vor.
Trotz ihres rattenähnlichen Äußeren haben die Spitzmausbeutelratten mit Nagetieren wenig zu tun. Kängurus und Koalas zählen vielmehr zu ihrer Verwandtschaft – es sind Beuteltiere, die sich auf dem südamerikanischen Kontinent eingerichtet haben. Monodelphis domestica fühlt sich vor allem in Südbrasilien, Paraguay und Nordargentinien wohl, wo der nachtaktive Einzelgänger als Vertilger von Mäusen, Ratten und Schaben ein gern gesehener Hausgast ist.

Beutelloses Beuteltier

Im Gegensatz zum verwandten Opossum zeichnen sich die Spitzmausbeutelratten durch eine Besonderheit aus, die für Beuteltiere eher ungewöhnlich erscheint: Sie besitzen keinen Beutel. Die Jungen saugen sich vielmehr an den Zitzen der Mutter fest, um hier heranzureifen. Und genau diese augenfällige Präsentation gewährt Biologen interessante Einblicke: Der Entwicklungsstand eines Monodelphis-Neugeborenen entspricht einem sechs Wochen alten menschlichen Fötus.

Da die Beutler sich auch noch durch eine ausgeprägte Regenerationsfähigkeit des Rückenmarks auszeichnen, dienen sie Medizinern als Modellorganismen für Verletzungen der Wirbelsäule. Auch ihre Neigung zu Hautkrebs und erhöhten Cholesterinwerten macht sie für Forscher interessant. Und so hat sich bei der Southwest Foundation for Biomedical Research im texanischen San Antonio in den 1980er Jahren – beginnend mit 27 Tieren – eine erkleckliche Haus-Spitzmausbeutelrattenzucht etabliert, die mit inzwischen 80 000 Nachkommen zahlreiche Labors versorgen konnte.

Aus dieser Zucht hat jetzt ein Weibchen ein bis dato ungelüftetes Geheimnis preisgegeben. Es offenbarte einem internationalen Zusammenschluss von über einhundert Forschern, die sich um Kerstin Lindblad-Toh vom Broad-Institut im amerikanischen Cambridge geschart hatten, das erste entzifferte Genom eines Beuteltiers [1].

Monster-Chromosomen

Schätzungsweise 18 000 bis 20 000 für Proteine kodierende Gene konnten die Forscher ausmachen, von denen die meisten Entsprechungen im menschlichen Erbgut besitzen. Allerdings begnügt sich die Spitzmausbeutelratte mit neun Chromosomen, wobei es die acht Nicht-Geschlechtschromosomen, die Autosomen, mit 257 bis 748 Millionen Basenpaaren durchaus in sich haben. Damit übertrifft selbst der kleinste der Beuteltier-Erbfäden das größte menschliche Chromosom bei Weitem.

Diese Kuriosität zeigt durchaus Konsequenzen, wie die Forscher um Leo Goodstadt von der Universität Oxford herausfinden konnten, die sich die riesigen Beutelratten-Chromosomen näher angeschaut hatten [2]. "Wo ein bestimmtes Gen liegt, ist durchaus von Bedeutung", erläutert Goodstadt. "Gene in der Mitte der Chromosomen werden mit geringerer Wahrscheinlichkeit bei der Übertragung auf die nächste Generation durchmischt. Von daher kann die Evolution gut Mutationen an den Chromosomenenden loswerden, aber eher schlecht, wenn sie in der Mitte sitzen."

Väterliches Schweigen

Ganz anders sieht das Geschlechtschromosom des Beutler aus: Mit 76 Millionen Basenpaaren erscheint das X-Chromosom geradezu winzig; es ist kleiner als die X-Chromosomen aller bisher untersuchten Höheren Säugetiere. Bekanntermaßen besitzen die Weibchen der Säuger zwei X-Chromosomen, wovon eines über ein so genanntes X-Inaktivierungszentrum stillgelegt wird. Monodelphis scheint jedoch auf diesen Mechanismus zu verzichten. Vielmehr ist grundsätzlich das vom Vater geerbte X-Chromosom zum Schweigen verurteilt. Daraus schließen die Genetiker, dass die X-Inaktivierung erst nach der Aufspaltung zwischen Beutel- und Echten Säugetieren erfunden wurde, die seit etwa 180 Millionen Jahren getrennte Wege gehen.

Eine Überraschung erlebten die Forscher auch, als sie die 1528 immunologischen Gene der Beutelratte näher unter die Lupe nahmen, mit denen sich vor allem Katherine Belov von der Universität Sydney und ihre Kollegen beschäftigt hatten [3].
"Das Beutelratten-Genom wurde mit Transposons bombardiert"
(Andrew Gentles)
Bisher wurden den Beuteltieren als "primitive" Säuger auch nur ein unterentwickeltes Immunsystem zugetraut. Die Entdeckung eines neuen T-Zell-Rezeptors belehrte die Biologen eines Besseren.

Und schließlich erwies sich die Menge der so genannten Transposons als ungewöhnlich, die als "springende Gene" für Bewegung im Erbgut sorgen, wie die Forscher um Andrew Gentles von der Universität Stanford herausgefunden haben [4]. "Das Beutelratten-Genom wurde mit Transposons geradezu bombardiert", meint Gentles. "Sie überdecken etwa 52 Prozent des Erbguts, was mehr ist als bei jedem bisher untersuchten Wirbeltier."

Welche Rolle diese Transposons bei Monodelphis tatsächlich spielen, bleibt noch unklar. So liefert der jetzt vorliegende genetische Beutler-Bauplan nur einen ersten Einblick in die Evolution der Beutel- und Säugetiere. Und all seine Geheimnisse wird das kleine, graue Wesen vermutlich so schnell nicht preisgeben.

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