Ernährung: Bienenlarven mit Rhabarberessig
Frittierte Skorpione oder Käfer sind auf den Straßenmärkten in Thailand oder Kambodscha keine Seltenheit. In Nigeria werden Termiten verspeist, in Mexiko gibt es mit Schokolade überzogene Heuschrecken. Rund 1900 Insektenarten stehen auf den Speisekarten dieser Welt, zwei Milliarden Menschen verspeisen sie regelmäßig. In Thailand zum Beispiel erzeugt man die Tiere in industriellem Maßstab, aber auch das Sammeln in der Wildnis oder die Zucht in der heimischen Küche ist verbreitet. Dagegen taugt hier zu Lande gerade mal der Wurm im Mezcal zur Mutprobe – Insekten und ihren Maden haftet ein Ekelimage an, sie gelten als Schädlinge und Ungeziefer.
Wenn es nach der Welternährungsorganisation FAO geht, sollte sich das ändern. Auch Menschen in westlichen Gesellschaften wird empfohlen, in naher Zukunft mehr Insekten zu essen. Schließlich wird die Erdbevölkerung im Jahr 2050 auf schätzungsweise neun Milliarden Menschen angewachsen sein, dann müssten 70 bis 80 Prozent mehr tierisches Eiweiß erzeugt werden. Unklar ist bislang, wie dies gelingen soll, schließlich wird die fleischlastige Kost vieler Länder mit ihrem hohen Verbrauch an Futterpflanzen, Land, Dünger und Pestiziden für die regionalen Ökosysteme irgendwann nicht mehr tragbar sein.
Krabbeltiere auf den Teller!
Entomophagie, wie das Fachwort für das Verspeisen von Insekten heißt, könnte hier eine geeignete Alternative sein. Denn: Die Krabbeltiere sind gleichzeitig nahrhaft und ressourcenschonend. Sie liefern mit rund 50 Prozent gut dreimal mehr Eiweiß als andere tierische Produkte. Dabei steckt in ihnen hochwertigeres Protein als in Pflanzen. Die Larven des Palm-Rüsselkäfers (Rynchophorus phoenicis) enthalten etwa die essenziellen Aminosäuren Lysin und Leucin, wie eine aktuelle Auswertung britischer und japanischer Forscher unter der Leitung von Charlotte Payne von der Rikkyo University in Tokio zu Tage brachte. Zudem sind Insekten meist reicher an ungesättigten Fettsäuren, sie konkurrieren in dieser Hinsicht sogar mit einigen Seefischarten. Zudem enthalten sie Mikronährstoffe wie Kupfer, Eisen, Magnesium, Kalzium, Mangan, Phosphor, Selen und Zink sowie B-Vitamine. Einige Arten sind reich an Folsäure.
Allerdings relativiert Payne die Aussage, dass Insekten generell besser als Fleisch seien: "Die Nährstoffprofile sind extrem unterschiedlich." Vor allem in Ländern, die bereits mit Überernährung kämpfen, sind Insekten als Fleischersatz nicht pauschal empfehlenswert, weil sie teilweise mehr Energie, Natrium und gesättigte Fettsäuren liefern als Huhn, Rind und Schwein. Bei unterernährten Menschen seien etwa Grillen, Larven des Rüsselkäfers und Mehlwürmer jedoch gesünder als Fleisch. Schließlich sind sie reicher an Mikronährstoffen, die in einer kargen Kost oft fehlen.
Besieht man sich die Klimabilanz, sind die Krabbeltiere jedoch eindeutig Gewinner. Als Kaltblüter müssen sie nämlich keine Energie zur Körpererwärmung aufbringen. So wandeln sie Futter effizienter um als andere Nutztiere: Insekten benötigen für eine Gewichtszunahme von einem Kilogramm im Schnitt zwei Kilogramm Futter, während Hühner dafür 2,5 Kilogramm, Schweine rund fünf Kilogramm und Rinder sogar zehn Kilogramm benötigen. Laut einer aktuellen Studie der Universität Wageningen unter Leitung von Dennis Oonincx verstoffwechseln vor allem die Argentinische Schabe und die Soldatenfliege besonders verlustarm. Mit dem geringen Futtermittelbedarf sinkt auch der Wasser- und Landverbrauch.
Insekten sind zudem genügsam. Sie machen aus Biomüll hochwertiges Protein. Schätzungsweise ein Drittel aller Lebensmittel, 1,3 Milliarden Tonnen, gehen während Ernte, Transport und Produktion verloren. Mit Lebensmittelabfällen wie Melasse, Kartoffelschalen, Bierhefe oder Keksresten nehmen die Tiere genauso vorlieb wie mit Holzspänen aus der Forstwirtschaft oder Ausscheidungen von Tier oder Mensch. Laut der holländischen Studie ergeben sich jedoch auch Änderungen im Nährstoffgehalt der Tiere je nach Futterzusammensetzung und Art. Wenn Schaben viel eiweißreiche Bierhefe fraßen, enthielt ihr Fleisch auch mehr Eiweiß. Bei anderen Insekten hingegen spielte die Diät kaum eine Rolle.
Auch in Sachen Treibhausgasen können Insekten punkten: Verglichen mit Schweinen produzieren beispielsweise Mehlwürmer pro Kilogramm Körpermasse 10- bis 100-mal weniger klimaschädliche Gase wie Methan und Kohlendioxid. Auch Ammoniakverluste kommen auf Insektenfarmen kaum vor.
Derzeit sind solche Produktionsanlagen in der EU allerdings noch gar nicht erlaubt. "Das ist ein großes Hindernis für die Akzeptanzsteigerung und die weitere Verbreitung in Europa", meint Paul Vantomme von der FAO. Dafür wird die Forschung mit 1,12 Millionen Euro gefördert. Und das ist gut so, denn es gibt noch erhebliche Wissenslücken, was die industrielle Produktion von Insekten angeht. Das geht aus einer im Herbst 2015 von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) mit Sitz in Parma veröffentlichten Meinung hervor.
Genügsame Futterverwerter
So weiß man wenig darüber, ob und in welchem Umfang chemische Schadstoffe wie Schwermetalle, Toxine und Hormone auf Insekten übergehen. Aus Thailand und Kuwait gibt es etwa Berichte, dass Insekten so stark mit Pestiziden belastet waren, dass sie ein Gesundheitsrisiko für Verbraucher darstellten. Das könnte laut einer aktuellen belgischen Studie der Universität Löwen auch für Mehlwürmer und Grashüpfer gelten, die mit Pflanzenabfällen gefüttert werden. Obendrein fand man Quecksilber und Blei in Insekten in Nordamerika, die für den menschlichen Konsum gedacht waren.
Zu möglichen Gefahren durch Bakterien, Viren, Parasiten oder Pilzen ist ebenso wenig bekannt. Salmonellen könnten etwa in den Produktionsanlagen vorkommen, eine Übertragung auf den Menschen wäre also möglich. Auch von Campylobacter und Escherichia coli, zwei weiteren Durchfallerregern des Menschen, weiß man, dass sie bis zu einer Woche in Insekten überleben können. "Solche Informationen sind wichtig, um Dynamiken in Insektenfarmen abzuschätzen", schreibt Simone Belluco, Veterinärmediziner an der Universität Padua in einem Übersichtsartikel im Jahr 2015. Allerdings werden bei der Verarbeitung der Tiere etwa zu Mehl Mikroben abgetötet. Nach der sechs- bis achtwöchigen Aufzucht in einer Farm werden diese nämlich gefriergetrocknet, was nur ganz hartgesottene Mikroben überleben. Derzeit kommen in Anlagen in Asien jedoch keine Antibiotika zum Einsatz – ohne gehäufte Erkrankungsfälle.
Letztlich, so meinen die EFSA-Forscher, sei auch das Thema Allergie noch zu wenig beleuchtet. Schließlich gibt es Allergien, die auf Insektenbefall bei Pflanzen zurückzuführen sind. So zeigten einige Menschen in Spanien allergische Symptome, nachdem sie Linsen gegessen hatten – diese waren mit dem Linsenkäfer Bruchus lentis infiziert. Auch in Thailand und China gab es gehäuft Fälle von Allergien und sogar anaphylaktischen Schocks nach dem Verzehr von Seidenraupen-Puppen, Mehlwürmern, Grashüpfern und Grillen. Chemiker haben Stoffe wie die Arginin-Kinase und Tropomyosin als potenzielle Allergene im Verdacht. Ihretwegen kommt es auch oft zu Kreuzreaktionen bei bereits bestehenden Allergien auf Krustentiere und Hausstaubmilben.
Trotz allem gehen die Risikoforscher in Parma davon aus, dass das Gefahrenpotenzial für Mensch und Umwelt dem anderer Tierproduktionssysteme ähnelt, wenn die zugelassenen Futtermittel verwendet werden. Laut EFSA haben Stubenfliegen, Mehlwürmer, Grillen und Seidenraupen das größte Potenzial in der EU. Ein schwedisches Architektenbüro hat bereits Pläne für eine riesige Insekten-Mastanlage in Stockholm vorgelegt. Im so genannten Buzzbuilding sollen irgendwann Grillen jährlich rund 800 Tonnen Eiweiß liefern. Auch Belluco meint: "Es ist an der Zeit, Insekten zu rehabilitieren."
Der Wurm muss auch dem Angler schmecken
Der Verkauf von Insekten für den menschlichen Verzehr ist derweil in einigen europäischen Ländern schon erlaubt. Im weltberühmten Noma in Kopenhagen serviert man auch mal Rindfleischtartar mit Ameisen. Und das benachbarte Nordic Food Lab erforscht die Verwendung von Insekten in der europäischen Küche. Ein Gin mit Roten Ameisen, der Anty Gin, ist bereits auf dem Markt. Er glänzt durch Ameisensäure und Pheromone mit einem Aroma von Zitrone und Karamell. "Die Menschen müssen weniger Fleisch essen, aber wenn wir ihnen keine wohlschmeckenden Alternativen liefern, wird das wohl nie passieren", meint Michael Bom Frost, Sensoriker an der Universität Kopenhagen. Er hat etwa herausgefunden, dass gebratene Bienenlarven wie Gänseleber schmecken. Mit Rhabarberessig mariniert sollen sie an Ceviche erinnern.
Erstaunlicherweise ist Entomophagie in Europa keine Neuheit. In Frankreich und Deutschland kannte man bis in die 1960er Jahre hinein die Maikäfersuppe, die geschmacklich an Krebsfleisch erinnerte. Noch heute gibt es auf Sardinien und in Frankreich Käse, der mit lebenden Fliegenlarven serviert wird. Doch bevor die Insekten-Kost wieder größere Akzeptanz erfährt, werden die Tiere wohl zuerst als Futtermittel Verbreitung finden. Denn: Laut einer EU-weiten Umfrage würden immerhin 70 Prozent der Befragten Fleisch essen, das mit Insekten im Tierfutter produziert wurde. Statt Soja oder Fischmehl versorgt dann Insektenpulver Schweine, Geflügel und Fische in Aquakultur mit der Extraportion Eiweiß. "Die EU könnte sich so weniger abhängig von Futtermitteln machen", meint Vantomme.
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