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Smarte Landwirtschaft: Sichert Big Data die Zukunft der Ernährung?

Der Trend in der Landwirtschaft heißt "Digitalisierung". Damit sollen Ressourcen gespart und Erträge gesteigert werden. Die Abhängigkeit von großen Unternehmen generiert dabei jedoch neue Probleme.
Traktor beim Pflügen

Eigentlich ist es kaum vorstellbar, wie der Mensch das hinbekommen will: Im Jahr 2050 soll die Erdbevölkerung auf neun bis zehn Milliarden Menschen angewachsen sein. Die Nachfrage nach Fleisch und Milch wird sich laut Mark Rosegrant vom Food Policy Research Institute bis 2050 verdoppeln, die Nachfrage nach Getreide um 50 bis 60 Prozent steigen. Dabei sind die Ackerflächen aber auf rund 1,4 Milliarden Hektar begrenzt. Manche Böden sind für Feldfrüchte schlicht unbrauchbar, andere werden für den Anbau von Energiegetreide genutzt. Rund 15 Prozent der weltweiten Maisernte gehen bereits heute in die Bioethanolproduktion. Weitere Ackerflächen könnten nur noch durch Abholzung des Regenwalds gewonnen werden – das wäre ein Desaster für das Klima. Schon jetzt gelangen 590 Tonnen CO2-Äquivalente pro gerodetem Hektar brasilianischen Regenwalds in die Atmosphäre.

Neben Ackerflächen werden unabdingliche Rohstoffe wie Öl, Phosphor und Kali (Dünger) knapp. Zudem leiden vielerorts Böden und Gewässer unter der derzeit ausgebrachten Pestizid- und Düngerfracht. Obendrein verbraucht die Landwirtschaft rund 70 Prozent der Süßwasserressourcen. Die Europäische Kommission warnte bereits 2011: "Viele der heutigen Lebensmittel produzierenden Systeme gefährden die Kapazität der Erde, in Zukunft genug Lebensmittel zu generieren." Es besteht also dringender Handlungsbedarf: "Ressourcenschonung" lautet das Schlagwort unter Agrarwissenschaftlern.

Nachdem klar ist, dass die Gentechnik in dieser Sache, wenn überhaupt, nur eine geringfügige Rolle spielen wird, setzen Forscher und Bauernverbände seit einigen Jahren auf die Digitalisierung der Landwirtschaft. Denn durch die so genannte "Präzisionslandwirtschaft" lassen sich Wasser, Diesel, Pflanzenschutz- und Düngemittel gezielt sparen. Die EU-Kommission und das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) fördern derzeit massiv entsprechende Forschungsprojekte. Einige Akteure sprechen gar von einer Revolution.

Feldroboter arbeitet wie ein Tausendfüßler

Doch wie funktioniert Big Data auf dem Acker? Dabei werden mittels Sensoren Informationen gesammelt und dem Bauern an Computer oder Smartphone zur Verfügung gestellt. Landmaschinen, Feldroboter, Drohnen, Flugzeuge oder Satelliten können als Trägersysteme fungieren. Mit Hilfe des so genannten "Geophilus electricus" kann ein Landwirt beispielsweise etwa Beregnungswasser, Düngemenge oder Bearbeitungstiefe genau an die Bodenbeschaffenheit seiner Felder anpassen. Namensgeber für das rollende Messsystem war eine Tausendfüßler-Art, die unter der Erde sehen kann, genauso wie sein elektronisches Pendant. Es vermisst Stück für Stück die elektrische Leitfähigkeit von Böden in einer Tiefe von bis zu zwei Metern. Da die Leitfähigkeit insbesondere von Wassergehalt und Korngrößen beeinflusst wird, kann der Roboter-Wurm daraus Bodenkarten erstellen, und der Bauer kann etwa ersehen, wo sein Acker verdichtet oder an welchen Stellen der Tongehalt der Erde höher ist. Ein hoher Tongehalt bedeutet, dass viel Stickstoff gebunden wird, der Bauer also weniger düngen muss; bei einem verdichteten Boden sollte der Bauer nur noch zu bestimmten Zeiten mit schwerem Gerät über die Äcker fahren oder seinen Traktor optimieren. Was also früher der Bauer mühsam mit Bodenproben und Einträgen auf Karteiblättern erstellen musste, übernimmt nun ein Feldroboter.

"Viele der heutigen Lebensmittel produzierenden Systeme gefährden die Kapazität der Erde, in Zukunft genug Lebensmittel zu generieren"Europäische Kommission

In einem anderen System ermitteln Bodensensoren vor dem Traktor die Blattfärbung des Getreides oder spüren Unkräuter auf. Passgenau können Dünger oder Herbizide gespritzt werden. Moderne Mittel werden etwa als Mikrospray gezielt auf die unerwünschten Gewächse appliziert, was den Verbrauch laut Hans Griepentrog, Agraringenieur an der Universität Hohenheim, auf vier Gramm Herbizid pro Hektar sinken lässt. Das bekannteste Herbizid Glyphosat wird im Schnitt derzeit in einer Dosis von mehr als 1000 Gramm pro Hektar benötigt, weil es blindlings auf das ganze Feld versprüht wird.

Spezielle Drohnen können mit Hyperspektralkameras den Stand des Pflanzenwachstums, Pilzbefall oder Überschwemmungen überwachen. Solche Luftbilder werden mit Satellitendaten gekoppelt und besagen, von welchem Schädling eine Pflanze gerade befallen ist, noch bevor sie Symptome zeigt. Entsprechende Giftmittel können dann, in sehr niedrigen Dosen gespritzt, den Bestand retten. Moderne Landmaschinen generieren dabei nicht nur Informationen, sie können diese auch empfangen. So können Traktoren automatisch gelenkt und über GPS gesteuert Zeit sparend und zentimetergenau über das Feld fahren – das verhindert Überdüngung, zu starke Wässerung oder doppelte Saatgutausbringung an bestimmten Stellen. Auch einer Bodenverdichtung wird damit vorgebeugt. Entsprechende Bodendaten stellt etwa Sentinel-1, ein Erdbeobachtungssatellit des europäischen Copernicus-Programms, zur Verfügung.

Apps raten zur Sojaernte

Doch die Vernetzung geht noch weiter. Firmen wie Climate Corporation simulieren Wetterszenarien für US-amerikanische Äcker und übersenden diese als Entscheidungshilfe interessierten Landwirten direkt auf das Smartphone. Hier wird etwa vorhergesagt, wann am besten die Sojaernte einzufahren ist oder welches Pflanzenschutzmittel optimalerweise wann zu verwenden ist. "Verschiedenste vormals isolierte Systeme können vernetzt werden", sagt Reiner Brunsch vom Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie in Potsdam-Bornheim. Bauern einer Region können etwa ihre Daten in einem Portal einspeisen und so aus den Erfahrungen der Kollegen lernen. Oder man koppelt die Daten des Bauern mit Umweltdaten, beispielsweise Schadstoffe im Boden oder Kröten-Wanderrouten.

In einem wissenschaftlichen Gutachten des EU-Parlaments vom Dezember 2016 setzt man große Hoffnungen in Big Data: Es ließen sich damit zehn Prozent Dieselkraftstoffe bei der Feldarbeit einsparen, Bodenabträge könnten von derzeit 17 Tonnen pro Hektar auf eine Tonne schrumpfen, Herbizide könnten um 80 Prozent, Nitratrückstände im Boden um 50 Prozent reduziert werden. Auch im Tierstall gibt es Potenziale für Big Data. Im vernetzten Stallsystem kann eine Kuh, die auffällig viel liegt oder wenig trinkt und frisst, über Sensoren am Halsband erkannt werden; auch hier wird der Bauer über das Smartphone alarmiert. "Solche Daten geben Aufschluss über die Gesundheit des Tiers und damit indirekt auch über das Tierwohl", erklärt Eva Gallmann, Agrartechnikerin an der Universität Hohenheim. Trotzdem werde der Bauer damit nicht von seiner Pflicht entbunden, regelmäßig in den Stall zu gehen, um nach seinen Tieren zu sehen. "Aber er kann aus den Daten ableiten, welches Tier er vielleicht besser als Erstes begutachten sollte", so Gallmann.

Gewitter über Feld | Zieht ein Gewitter auf? Spezielle Apps helfen Landwirten, die Ernte abhängig vom Wetter besser zu planen.

In der Schweine- und Geflügelproduktion sorgen Klimaführungssysteme für ein besseres Wohlbefinden der Tiere. Sie halten Luftqualität und Temperatur in den Ställen automatisch auf einem optimalen Niveau. Dagegen könnten GPS-Sensoren und das so genannte "virtuelle Einzäunen" zu einer Renaissance der Weidehaltung von Rindern führen. Dabei weisen akustische Signale die Rinder auf die Weidegrenzen hin, und die Tiere können per GPS auch in weitläufigen Arealen sicher geortet werden. Doch nicht nur in den USA und Europa ist Big Data auf dem Vormarsch: "Auch in Entwicklungs- und Schwellenländern ist die Digitalisierung schon weit verbreitet", bemerkt Brunsch. Mit Hilfe von Agrar-Apps lassen sich Zwischenhändler reduzieren, bessere Preise erzielen oder Erträge steigern. Auch kommen Apps zur Krankheitsbekämpfung in der Viehhaltung und bei Pflanzen zur Anwendung: Auf der Basis einfacher Smartphone-Fotos etwa, die an einen Experten versandt werden, können Kleinbauern frühzeitig Krankheiten erkennen und eindämmen.

Zu wenig Breitband in ländlichen Gebieten

Erstaunlicherweise haben deutsche Landwirte nur wenig Berührungsängste mit Robotern. In Deutschland nutzt laut einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom von Ende 2015 einer von fünf landwirtschaftlichen Betrieben solche Technologien, bei den großen Höfen mit über 100 Mitarbeitern ist es jeder dritte. Landwirte sind heute oftmals Hightech-Spezialisten. Kritisiert wird jedoch, dass in vielen ländlichen Gebieten keine ausreichenden Breitbandnetze verlegt sind, die die vollständige Nutzung solcher Systeme erst möglich machen. "Zudem sind oft die Technologien verschiedener Hersteller nicht kompatibel", erwähnt Brunsch. "Das bessert sich derzeit jedoch."

Ein weiteres Manko, auf das das BMEL hinweist: Die Maschinen könnten auf lange Sicht gesehen Arbeitsplätze vernichten. Sorgen bereitet den Bauern jedoch aktuell vor allem der Datenschutz. Dass diese Sorgen nicht unbegründet sind, zeigt das Beispiel Monsanto: Der umstrittene Saatguthersteller hat das Unternehmen Climate Corporation aufgekauft. Die Befürchtung vieler US-Bauern: Monsanto könnte bei bestimmten Wetterbedingungen seine Preise für ein bestimmtes Saatgut künstlich verteuern. Der Deutsche Bauernverband rät den Landwirten indes, auf Hersteller übergreifender Farmmanagementsysteme zu setzen. Mittlerweile gibt es mehr als 50 solcher Systeme. "Momentan stehen die ungelösten Fragen zur Datensicherheit einer umfassenden Nutzung von Landwirtschaft 4.0 im Weg", meint Griepentrog.

Dass eine Abhängigkeit von großen Unternehmen nicht ratsam ist, meinen auch die Wissenschaftler der "Innovationsinitiative Landwirtschaft 4.0". Die Forscher der Leibniz-Institute, darunter Brunsch, stellten im Mai 2016 ein Positionspapier vor. Sie fordern darin, dass die Vernetzung öffentlich gefördert werden sollte, um einen monopolisierten Zugriff auf die Daten zu verhindern. Denn das kann im Zweifelsfall nicht nur für einzelne Bauern ein Problem sein. "Die Ernährung eines ganzen Landes gerät hier in Abhängigkeit, gleichzeitig geht Wissen verloren", gibt Brunsch zu bedenken. Und wenn dies einträte, dann wären viele Ziele der digitalen Landwirtschaft, wie etwa, die Weltbevölkerung ausreichend zu ernähren, passé.

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