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Ernährung: Was soll ich essen, Siri?

Mit Hilfe von Big Data wollen Forscher ergründen, wie man Diäten maßschneidern kann. Die Technik ist dabei weniger limitierend als die Frage, welche Daten sinnvoll sind – und ob die Empfehlungen wirklich gesund erhalten.
Ernährungsberatung per Smartphone?

Es war eine beeindruckende und bis dahin ungewöhnliche Studie, die die beiden israelischen Forscher Eran Segal und Eran Elinav im Jahr 2015 veröffentlichten. Sie sammelten eine Woche lang Daten von rund 800 Personen über deren Blutzuckerwerte, Sport- und Schlafgewohnheiten, Größe und Gewicht sowie über die Mikrobengemeinschaft im Darm. Auch mussten die Teilnehmer in Ernährungstagebüchern akribisch notieren, was sie in dieser Zeit aßen. Da die Blutzuckerwerte mittels eines Sensors unter der Haut im Fünf-Minuten-Takt gemessen wurden, hatten die Wissenschaftler des Weizman Institute of Science am Ende allein mehr als 1,5 Millionen Glukosewerte zusammen. Diese wurden nun mit den Ernährungstagebüchern verglichen.

Das erstaunliche Ergebnis: Die Menschen reagierten völlig unterschiedlich auf die Aufnahme von Kohlenhydraten aus Zucker oder aus Weiß- und Sauerteigbrot. Bei einigen schoss der Blutzucker in die Höhe, während bei anderen keine Wirkung zu verzeichnen war. Auch auf die Zufuhr von Fett oder Salz waren die Reaktionen höchst unterschiedlich. Zuckerwerte sind von Bedeutung, da ein starker Anstieg im Blut nach einer Mahlzeit für sich allein ein Risikofaktor für Diabetes, Fettleibigkeit, Herzleiden und andere Stoffwechselstörungen ist.

Und auch das Mikrobiom, also die Myriaden an Bakterien, die friedlich unseren Darm besiedeln, veränderte sich je nach Lebensmittelverzehr. Generell gilt eine möglichst diverse Mikrobengemeinschaft als gesundheitsförderlich. Allerdings waren hier die Unterschiede der Wirkung der einzelnen Speisen auf das Darmmilieu zwischen den jeweiligen Personen ebenfalls frappierend. Ein Algorithmus, der auch die anderen gesammelten Daten verarbeitete, half den israelischen Forschern dabei, maßgeschneiderte Speisepläne für jeden Probanden individuell zu erstellen. In einer kleineren Studie prüften die Forscher dann ihre Ergebnisse, indem sie 100 Probanden Menüs gemäß den speziellen Empfehlungen kredenzten. Die Blutzuckerwerte sanken tatsächlich, und das Mikrobiom diversifizierte sich.

»Jeder Mensch reagiert anders auf bestimmte Speisen. Man kann nicht eine einzige Ernährung für alle empfehlen«
Eric Topol

Die israelische Studie hat somit bestätigt, was schon lange vermutet wurde. »Jeder Mensch reagiert anders auf bestimmte Speisen«, sagt Eric Topol, Kardiologe und Direktor des Scripps Research Translational Institute. »Und es ist damit klar, dass man nicht eine einzige Ernährung für alle empfehlen kann.« So tun es aber bislang die Fachgesellschaften. Für jeden heißt es: Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte, Vollkorngetreide, Nüsse, Fisch und geringe Mengen an Milch, Eiern und Fleisch gelten als gesund, während zu viel tierische Lebensmittel sowie Weißmehl und Zucker als ungesund angesehen werden. Eine solche Ernährung soll nicht nur alle nötigen Nährstoffe liefern, sondern auch Einfluss auf Krankheiten wie Herzkrankheiten, Schlaganfall, Diabetes und Krebs haben.

Doch es gibt immer mehr Forschungsprojekte ebenso wie Start-ups, die versuchen, mit Hilfe der Auswertung großer Datenmengen mit so genannter künstlicher Intelligenz personalisierte Speisepläne zu entwerfen. Dies ist auch dem technischen Fortschritt zu verdanken: Wearables, also tragbare Computer wie Glukosesensoren, sammeln viele Daten ohne Aufwand, Massenspektrometer scannen in wenigen Stunden tausende Genome oder erkennen andere Substanzen in einer Probe. Derweil wird an smarten Toiletten gearbeitet, die direkt Daten aus Stuhl oder Urin ans Handy senden, um die Nahrungsauswahl zu erleichtern. Versprochen wird vor allem, dass damit Pfunde purzeln und sportliche Leistungen verbessert werden.

Programme finden Muster in Daten

Als Daten kommen nicht nur Glukose und die Zusammensetzung des Mikrobioms in Frage. Auch Genvarianten, Stoffwechselprodukte (Metabolite) oder Parameter wie Puls, Blutdruck und Blutfettwerte können in Programmen zusammengeführt werden, um mögliche Muster oder Gesetzmäßigkeiten zwischen einzelnen Lebensmitteln und der Gesundheit zu erkennen. »Die Programme selbst sind weit entwickelt und basieren größtenteils auf Arbeiten im Deep Learning«, sagt Karsten Suhre, Bioinformatiker am Weill Cornell Medical College in Katar. »Die Engstelle sind nicht mehr die Programme, sondern die Daten, die man einspeist.«

Glukosemessungen hält er für klinisch relevant. Die Aussagekraft von Mikrobentests zweifelt er hingegen an: »Stuhlproben reflektieren bei Weitem nicht alles, was im Darm passiert«, sagt Suhre. »Und auch die Varianz des Mikrobioms in Abhängigkeit von der Ernährung ist so groß, dass mit ein oder zwei Stuhlproben sehr wenig ausgesagt werden kann.« Hinzu komme, dass viele Methoden nur grobe Aussagen über die vorhandenen Bakterienfamilien machen können. »Dabei kann etwa von zwei E.-coli-Stämmen einer toxisch und der andere nützlich sein«, so der Bioinformatiker.

Eric Topol ist hingegen von dem israelischen Studiendesign überzeugt. Er hat sich selbst einer solchen Analyse unterzogen. Die entsprechenden Tests kann heute jeder bei dem Start-up »DayTwo« bestellen. Die Konsumenten können sie direkt über das Internet beziehen. Andere auf dem Markt befindliche Tests ziehen ihre Schlüsse aus den Erbanlagen. So gibt es etwa Gentests wie »DNANudge«. Der Kunde schickt per Wattestäbchen eine Speichelprobe und damit Informationen über seine Erbanlagen an das Unternehmen und erhält dafür an sein eigenes Genprofil angepasste Einkaufszettel direkt auf das Smartphone. Jemandem, der beispielsweise hohen Blutdruck hat, werden dann eher salzarme Produkte empfohlen. Derzeit wird das System von Forschern des Imperial College London auf seine Tauglichkeit getestet, Risikofaktoren zu minimieren.

Bei Übergewicht spielt das Erbgut eine Rolle

Basis für die Gentests ist die so genannte Nutrigenomik. Hierbei wird untersucht, wie Ernährung und Gene gemeinsam die Gesundheit beeinflussen. Denn: Zu 99,9 Prozent gleicht sich zwar das Genom zweier Menschen; so genannte »single nucleotide polymorphisms« (SNPs) sorgen jedoch für die oft drastischen Unterschiede bei der Anfälligkeit für Krankheiten wie Übergewicht oder Diabetes. Das FTO- und das MC4R-Gen spielen etwa bei Übergewicht eine Rolle.

Zudem wird fieberhaft nach Nährstoffen gesucht, die negative Wirkungen dieser Varianten blockieren. So weiß man etwa aus der Predimed-Studie, dass eine mediterrane Diät den schädlichen Effekt abpuffert, den die Genvariante TCF7L2 auf das Risiko für Herzleiden hat. Das Wissen um einzelne Gene hat jedoch wenig Aussagekraft. So offenbarte eine Übersichtsstudie aus dem Jahr 2015, dass die in marktgängigen Erbgutanalysen verwendeten Gene nicht mit bestimmten Lebensmitteln oder Stoffwechselerkrankungen in Zusammenhang stehen. Die Gene zeigen zwar einen Einfluss, der ist jedoch häufig sehr marginal. Die Euphorie in Wissenschaftskreisen ist darum abgeebbt.

Erfolgversprechender scheinen hier Ansätze, die Gene und Metabolite gemeinsam zu studieren, da man dadurch das Risiko, das von der genetischen Signatur ausgeht, besser quantifizieren kann. Metabolite sind Substanzen, die beim Abbau von Nahrung oder auch Medikamenten gebildet werden – etwa Protonen, Säuren, Eiweißstoffe oder verschiedenartigste Zuckermoleküle, auch Glukose gehört dazu. Sie sind also abhängig vom Genom, können jedoch je nach Genaktivität unterschiedliche Muster bilden. Suhre hat 2014 in einer Studie einige Gene herausgefiltert, die einen prägenden Eindruck auf den Zucker- und Fettstoffwechsel haben. »Wir haben jetzt einen Punkt, an dem diese Tests anfangen zu funktionieren«, sagt Suhre. Solche verfeinerten Genanalysen werden derzeit etwa vom Kathiresan Lab, einer Ausgründung der Harvard University, entwickelt.

Nestlé sammelt Daten

Richtig viele Daten sammelt zurzeit auch der Lebensmittelmulti Nestlé. In Japan senden 100 000 Nutzer des »Nestlé Wellness Ambassador« laufend Fotos ihres Essens an den Konzern. Spezielle Programme können nun anhand dieser Fotos auf den Nährstoffgehalt der Speisen schließen. Parallel dazu gibt es ein Tool-Kit, das Blut- und DNA-Tests beinhaltet. Per App bekommen dann die User Empfehlungen zu einer gesünderen Ernährung. Zudem werden Kapseln, ähnlich wie Nespresso-Kapseln, mit vitaminisierten Tees an die Kunden verkauft, aber auch Smoothies und andere angereicherte Snacks. Das sehen Ernährungswissenschaftler skeptisch, weil nicht klar ist, ob Nahrungsergänzungsmittel wirklich gegen grassierende Volksleiden helfen.

Überhaupt ist die Langzeitwirkung einer personalisierten Ernährung ungeklärt. »Das ist völlig unerforscht«, moniert José Ordovás, Nutrigenetiker an der Tufts University. Die Frage ist also: Wenn man sich an diese Empfehlungen hält und dadurch Blutwerte oder das Mikrobiom in einem wünschenswerten Zustand bleiben, hilft das wirklich auf lange Sicht dabei, sich gesund zu erhalten? Schützt ein niedriger Glukosepegel im Blut tatsächlich vor Diabetes oder Herzkrankheiten?

»Personalisierte Ernährung fokussiert auf den Einzelnen. Doch wenn die Umwelt durch wenige Grünflächen und viele Fast-Food-Restaurants krank machend bleibt, helfen diese Maßnahmen kaum«
Angeline Chatelan

Um das zu beantworten, bräuchte es teure Langzeitstudien. Zudem sind Volksleiden multifaktoriell. »Personalisierte Ernährung fokussiert auf den Einzelnen«, meint Angeline Chatelan, Epidemiologin an der Université de Lausanne. »Doch wenn die Umwelt durch wenige Grünflächen und viele Fast-Food-Restaurants krank machend bleibt, helfen diese Maßnahmen kaum.«

Fraglich ist auch, ob die Tipps überhaupt umgesetzt werden. Zwar hat das Forscherteam »Food4Me« in einer Studie mit mehr als 1600 Teilnehmern aus sieben verschiedenen europäischen Ländern gezeigt, dass die Menschen sich durch individuelle Ratschläge auch langfristig besser ernähren. Weitere Studien müssten dies jedoch bestätigen. Der US-Kardiologe Topol weiß noch nicht, wie er mit den Diättipps verfahren soll, da sie vieles empfehlen, was er gar nicht mag, beispielsweise Bratwurst, und umgekehrt vieles verbieten, was er gerne isst, etwa Kürbis.

Wie man realistisch an die Menschen herankommen kann, beschäftigt derzeit auch Monika Wintergerst und Georg Groh, Informatiker an der TU München. Sie forschen zu Dialogsystemen für Mobilgeräte, die personalisierte Ernährungsempfehlungen wie Alternativvorschläge für Zutaten geben sollen. »Das muss insbesondere zeitnah geschehen. Es bringt wenig, wenn die Smartwatch sagt: ›Morgen solltest du Fisch mit Brokkoli essen‹, wenn man jetzt Hunger auf Pizza hat«, so Groh. »Die Systeme dürfen auch nicht mit dem erhobenen Zeigefinger kommunizieren. Denn dann ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass die Empfehlungen befolgt werden.« Überhaupt besteht die Sorge, dass sich vor allem gut betuchte Bürger mit der Technik ausrüsten, die eine personalisierte Ernährung verspricht. Und das sind eher Menschen, die sowieso schon über eine bessere Gesundheit verfügen.

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