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Vier Jahre Volksbegehren »Rettet die Bienen«: Söder rettet lieber die CSU

Im Juli 2019 erzwang das bayrische Volk von der CSU-Landesregierung einen ambitionierten Öko-Fahrplan. Doch der Schwung ist verebbt: Kaum etwas wurde bisher umgesetzt.
Sonnenblumen leiden unter Dürre in Bayern
Nicht nur Sonnenblumen lassen (wegen der Dürre) in Bayern die Köpfe hängen: Umweltschützer stehen ernüchtert vor der Bilanz der Landesregierung. Ihren ambitionierten Maßnahmenkatalog von Naturschutzmaßnahmen gedenkt die Koalition offenbar nicht einzuhalten, zumindest nicht im Wahlkampf.

Sogar Medien aus Indien, Japan und Australien berichteten in Live-Schalten aus Bayern. Was war da los? »Eine außergewöhnliche Bewegung – ›Rettet die Bienen‹ – hat das deutsche Bundesland Bayern überrollt«, schwärmte die »New York Times«. »Die Europäer schlagen (im Kampf gegen das Insektensterben) zurück«, jubelte der australische Sender ABC. Und der britische »Guardian« staunte: »Der bayerische Erfolg von ›Rettet die Bienen‹ weckt grüne Hoffnungen in ganz Deutschland.«

In der Tat. Mit dem »Volksbegehren Artenvielfalt – Rettet die Bienen« katapultierte sich ausgerechnet das konservativste Bundesland vor genau vier Jahren vom Schlusslicht an die Spitze des Arten- und Naturschutzes in Deutschland. Mehr als 1,7 Millionen Menschen hatten sich weder von Eis noch Schnee noch langen Schlangen abhalten lassen und ein hier zu Lande bis dato beispielloses Massenbekenntnis für mehr Natur- und Artenschutz abgelegt.

Nach dem überwältigenden Erfolg der Initiative sah sich die von Markus Söder geführte Koalition aus CSU und Freien Wählern gezwungen, die Forderungen der Bürgerinnen und Bürger zu übernehmen. Am 17. Juli 2019, also vor genau vier Jahren, verabschiedete der Landtag das entsprechende Gesetz, das einen konkreten und ambitionierten Fahrplan für den Umwelt- und Naturschutz in Bayern vorsah.

Mehr blühende Wiesen und ungestört wuchernde Wälder, 30 Prozent Ökolandbau, ein verbundenes Netz aus Lebensräumen auf 15 Prozent der Landesfläche, Verzicht auf Pestizide in Schutzgebieten und ein Ende des massenhaften Mähtods für ganze Populationen von Vögeln und andere Tiere durch zu frühe Heuernte in der Landwirtschaft. So lauten einige der vor vier Jahren Gesetz gewordenen Forderungen des Volksbegehrens.

Der Zauber des Anfangs ist verflogen

Doch von der Euphorie der Anfangstage scheint nicht mehr viel übrig zu sein. Die Ziele des Bürgervotums würden von der bayerischen Staatsregierung »in allen Bereichen mit Füßen getreten«, sagt Ludwig Hartmann, der Vorsitzender der Grünen-Landtagsfraktion. Er war seinerzeit Mitglied des Trägerkreises für das Volksbegehren, das auf eine gemeinsame Initiative von ÖDP, Grünen, einer Umweltstiftung und dem Vogel- und Naturschutzverband LBV zurückgeht. »Der Schwung für mehr Naturschutz, der durch den Erfolg 2019 von Bayern ausging, droht zu verebben«, sagt auch Norbert Schäffer. Der Vorsitzende des LBV gehörte wie Hartmann von Beginn an zum Team hinter dem Volksbegehren.

Unerwarteter Erfolg | Ludwig Hartmann (ganz links), Agnes Becker (Mitte) und Norbert Schäffer (ganz rechts) feierten im Februar 2019 mit weiteren Mitgliedern des Initiatorenteams den erstaunlichen Zuspruch zum Volksbegehren.

Das Zieldatum für die vollständige Umsetzung aller Maßnahmen ist 2030. Wie weit man auf dem Weg dorthin gekommen ist, lässt das Bündnis alljährlich durch ein Team von Wissenschaftlern um den Umweltplaner Roman Lenz von der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt im baden-württembergischen Nürtingen überprüfen. Seine Bilanz am vierten Jahrestag fällt gemischt aus.

Denn aller Ernüchterung der Protagonisten zum Trotz ist in den vergangenen Jahren in Bayern nicht nichts passiert. Vor allem dort, wo sich mit finanzieller Unterstützung und ohne größere Interessenskonflikte geräuschlos etwas machen ließ, zeigte sich die Landesregierung spendabel. So wurden die Prämien für naturnahe Weidetierhaltung, Vertragsnaturschutz und insektenfreundliche Blühflächen erhöht. Mit zahlreichen Verbänden schloss die Söder-Regierung einen »Streuobst-Pakt«. Darin wird vereinbart, mit fast 700 Millionen Euro den Erhalt von sechs Millionen Obstbäumen zu fördern und eine weitere Million neu anzupflanzen. Zeitrahmen: 15 Jahre. Alte Streuobstgärten gelten als besonders wertvolle Hotspots der Artenvielfalt in der Kulturlandschaft und sind gleichzeitig besonders stark von Zerstörung etwa beim Bau von Umgehungsstraßen oder durch Dorferweiterungen bedroht.

Wo Maßnahmen mehr als nur Geld kosten, stagniere der ökologische Umbau dagegen, kritisieren Fachleute. Oder er komme nicht schnell genug voran, um mit der Krise Schritt zu halten. Ausgerechnet in den für die großflächige Erholung der Natur besonders wichtigen Bereichen laufe wenig oder nichts.

Ziele für »fünf nach zwölf«

Schon in den 1980er Jahren sei im Land ein dramatischer Verlust von Biodiversität offenkundig geworden, sagt Lenz. »Seitdem hat sich nichts verbessert, vieles ist schlechter geworden.« Das Volksbegehren kam seiner Einschätzung nach in allerletzter Minute, um in der Artenkrise gegenzusteuern. Umso wichtiger ist für den emeritierten Professor eine wirklich konsequente Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen gegen die Krise. »Ziele, die man sich nicht um zwölf, sondern um fünf nach zwölf gesetzt hat, müssen besonders qualitativ hochwertig umgesetzt werden«, mahnt der Wissenschaftler.

Eine »hochwertige Umsetzung« können Lenz und seine Leute der Regierung von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) aber ausgerechnet in den zentralen Feldern des Naturschutzes nicht attestieren – im Gegenteil. »Der Abbau des Pestizideinsatzes, die Vernetzung von Lebensräumen durch einen Biotopverbund und mehr Ökolandbau sind die zentralen Stellschrauben für die Steigerung der Artenvielfalt«, sagt Lenz. Doch hier klaffen weiter große Lücken zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Beispiel Ökolandbau: Das Ziel, dass bis 2030 auf 30 Prozent der bayerischen Agrarflächen ökologisch gewirtschaftet wird, ist de facto bereits jetzt außer Reichweite. Es ist der erste zentrale Pfeiler des Volksbegehrens, der aller Voraussicht nach einstürzen wird. Der Zuwachs fällt so gering aus, dass auch vier Jahre nach dem Schub durch das erfolgreiche Bürgervotum gerade einmal gut 13 Prozent der Agrarflächen von Biobäuerinnen und -bauern bewirtschaftet werden. Flächen in Staatsbesitz schneiden sogar noch schlechter ab, obwohl dort diejenigen das Sagen haben, die für den ökologischen Umbau eintreten müssten.

Ministerpräsident Markus Söder | Der CSU-Politiker lässt sich gerne im Grünen fotografieren, hier bei einem Ortstermin zur Ausweisung dreier Naturwälder im Reichswald Nürnberg. Wie ernst es ihm mit dem Naturschutz ist, bleibt aber fraglich.

Die Stärkung des Öko-Landbaus ist nicht irgendein Ziel. Es ist die vielleicht wichtigste Einzelmaßnahme neben einer Reduktion von Pestiziden, will man mehr lebendige Vielfalt auf großer Fläche erreichen. »Ökolandbau ist der Schlüssel«, sagt auch Agnes Becker. Die ÖDP-Landesvorsitzende ist selbst Bio-Bäuerin und von Anbeginn Gesicht und wichtigste Stimme des Volksbegehrens. Man könne die Ökolandwirtschaft fördern mit einer verbindlichen Quote für Bio-Angebot in Kantinen von Kitas, Schulen und Ministerien, glaubt Becker. Solche garantierten Absatzmärkte würden den Umstieg erleichtern, ein »riesiges Potenzial« stecke darin.

Eigentlich müsste Bayern Weltspitze sein

Eigentlich hätte Bayern gleich doppelt guten Grund, das Volksbegehren offensiv umzusetzen, sehen sich doch Land und Landesvater gerne als Spitzenreiter im internationalen Vergleich. Was in Bayern vor vier Jahren zum Gesetz wurde, entspricht ziemlich genau dem, was Regierungen national, auf EU-Ebene und rund um den Globus als Ziel einer nachhaltigen Entwicklung erst noch erreichen wollen. Würden die Beschlüsse des Bürgervotums und weitere von Söder in einem »Volksbegehren-Plus-Paket« zusätzlich angekündigte Maßnahmen konsequent umgesetzt, wäre Bayern tatsächlich Weltspitze. Es würde als eines der ersten Länder überhaupt gleichzeitig viele der Beschlüsse des Weltnaturabkommens von Montreal, des europäischen Green Deal und der nationalen deutschen Biodiversitätsstrategie umsetzen.

Eine Zeit lang hat es so ausgesehen, als wolle Söder aus der Not eine Tugend machen und die ihm aufgezwungene ökologische Vorreiterrolle zu seinem Markenzeichen ausbauen. Der Freistaat allein könne »die Welt nicht retten, aber wir leisten unseren Beitrag für unser Land und zeigen damit anderen, wie es geht«, sagte er bei der Annahme der Volksbegehrensgesetze

Doch anstatt diesen Kurs weiter zu verfolgen, kommt seit Monaten ausgerechnet aus Bayern der heftigste Widerstand gegen mehr Naturschutz – national und auf EU-Ebene. Der stellvertretende CSU-Vorsitzende Manfred Weber führt als Vorsitzender der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament den Widerstand gegen eine Reform der Pestizidrichtlinie und gegen das Renaturierungsgesetz an – Gesetze, die mehr oder weniger inhaltsgleich das in Europa verankern wollen, was seine eigene CSU in Bayern sich umzusetzen verpflichtet hat. Söder selbst hat nach dem Sieg des Volksbegehrens angekündigt, den Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel bis 2028 bayernweit zu halbieren, obwohl diese Forderung in dem Bürgerbegehren nicht enthalten war. In Brüssel aber bekämpft Parteivize Weber nun vehement das Vorhaben, diese Zielmarke auch europaweit bis 2030 zu erreichen. Söder schweigt dazu.

»In Bayern sagt die CSU hü, in Brüssel hott – populistisches Verhalten wie dieses fördert massiv die Politikverdrossenheit«, klagt der LBV-Vorsitzende Schäffer. Söders Koalitionspartner und Vizeregierungschef Hubert Aiwanger (Freie Wähler) torpediert Bemühungen um weniger Pestizide auf den Äckern ohnehin. Leute, die so etwas forderten, seien »nicht artgerecht aufgewachsen«, zitierte die »Passauer Neue Presse« den bayerischen Wirtschaftsminister bei der Eröffnung eines Volksfestes.

Konventionell oder bio? Egal, Hauptsache: Aus Bayern

Aber auch der Regierungschef selbst unterläuft die Vorgaben des Volksbegehrens mittlerweile, offenbar im Buhlen um konservative Wähler. Zum Beispiel hatte sich seine Regierung darauf verpflichtet, zehn Prozent des Staatswalds in Naturwälder umzuwandeln – also forstlich gesprochen »stillzulegen«. »Ein stillgelegter Wald stirbt«, polemisierte Söder nun beim Bayerischen Waldtag vor Waldbesitzern. Und im gerade verabschiedeten CSU-Programm für die Landtagswahl im Oktober wird das 30-Prozent-Ziel für Biolandwirtschaft praktisch ausgehebelt: »Für uns ist nicht entscheidend, ob biologisch oder konventionell produziert wird«, heißt es dort. Wichtiger sei die regionale Herkunft aus Bayern.

Eine so offene Missachtung der eigenen Beschlüsse empört Becker. »Wir müssen erwarten dürfen, dass sich die Regierung an die eigenen Gesetze hält – und ganz besonders dann, wenn sie vom Volk selbst durchgesetzt wurden.« Der Arten- und Naturschutz sei zu wichtig, »als dass er im Getöse des Wahlkampfs untergehen darf«, mahnt sie.

Dass Söder die Anti-Naturschutz-Stimmung in Teilen der Bevölkerung für den Wahlkampf zu nutzen weiß, hat er zuletzt auch beim Thema Wolf gezeigt. »Wenn wir nichts tun, stirbt hier die Almwirtschaft aus«, sagte er und stilisierte damit die überschaubare bayrische Population der Raubtiere zur existenziellen Bedrohung für die Landwirtschaft. Damit »etwas getan« werden kann, verabschiedete sein Kabinett im April dieses Jahres die bisher schärfste Verordnung aller Bundesländer gegen die Raubtiere und erleichterte deren Abschuss in bundesweit einzigartiger Manier.

Wahlkampfgeplänkel oder Kurskorrektur?

Einige verbuchen Söders Attacken auf den Naturschutz noch als Wahlkampf. Umfragen zufolge muss die CSU bei der Wahl um das Überspringen der wichtigen 40-Prozent-Marke zittern. Die Klientel der Bauern und konservativen Landbewohner wird deshalb besonders umworben. Der CSU-Chef sei aber einfach »nicht zu lesen« und vertrete nach außen je nach Publikum jede Position – sei sie noch so widersprüchlich – mit größter Überzeugung, sagt ein Insider der Landespolitik.

Noch wollen die Macher und Macherinnen der Bürgerabstimmung den langfristigen Erfolg des Volksbegehrens nicht abschreiben. »Dazu ist es im Jahr vier viel zu früh«, sagt Schäffer. Klar sei aber, dass aus dem Rückenwind der Anfangstage mit dem beginnenden Wahlkampf ein strammer Gegenwind geworden sei. Allem Posieren des Regierungschefs vor Bäumen und Moorlandschaften zum Trotz.

Noch härter fällt das Urteil von Schäffers Mitstreiterinnen und Mitstreitern aus. »Bayern ist dabei, seine Vorreiterrolle aufzugeben«, sagt Grünen-Politiker Hartmann. Für Ökobäuerin und Volksbegehren-Urgestein Becker hat die »Stimmungsmache gegen Natur- und Artenschutz mittlerweile ein beängstigendes Niveau« erreicht. Ihr Fazit nach vier Jahren Volksbegehren fällt resigniert aus. Anfangs hätten manche ja noch geglaubt, die Regierung hätte das Volksbegehrensgesetz auch deshalb angenommen, weil sie die Biodiversitätskrise in ihrer Dramatik erfasst habe. »Diese Hoffnung ist zerplatzt«, sagt Becker.

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