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Krebsforschung: Dem Tumor auf der Spur

Neue bildgebende Verfahren ermöglichen ganz neue Einblicke in die Dynamik von Tumoren und machen Hoffnung auf ungeahnte Ansätze, Krebs zu bekämpfen.
LMP-Tumor der Eierstöcke

Mikala Egeblad war ganz aus dem Häuschen, als sie ihre ersten Filmaufnahmen in lebenden Mäusen machte. Bis dahin hatte sie an Mikroskopiepräparaten gearbeitet, bei denen die Tumorzellen ganz ruhig und wie eingefroren zu sehen sind. In einem lebenden Tier beobachtet, zeigen sie ihre ganze Aktivität. "Wenn man das Mikroskop einschaltet und in die lebende Maus hineinschaut, sieht man die Zellen wie wild herumrennen", sagt die Krebsforscherin vom Cold Spring Harbor Laboratory in New York. "Diese Beobachtung hat mein ganzes Denken verändert."

LMP-Tumor der Eierstöcke | Neue bildgebende Verfahren zeigen: Tumoren und ihre Zellen sind hochdynamisch.

Inzwischen nutzen immer mehr Krebsforscher die Möglichkeit, Tumorzellen in ihrer natürlichen Umgebung zu untersuchen. An statischen Zellkulturen können die Wissenschaftler nur von anderen Ergebnissen ableiten, was die Tumorzellen und ihre Nachbarn tun und wie sie vielleicht miteinander interagieren. Wenn man aber Tumoren in lebenden Tieren über längere Zeit hinweg beobachtet, kann man diese Interaktionen wirklich sehen. Mit der als Intravitalmikroskopie bezeichneten Methode lassen sich auch gezielt die wenigen, aber gefährlichen Zellen verfolgen, die eine Krebserkrankung vorantreiben oder behandlungsresistent machen.

Die Bildgebungstechnik ist noch sehr jung, und im Moment wird in den Labors daran gearbeitet, wie die gigabytegroßen Videodateien analysiert werden können. Die Intravitalmikroskopie wird immer häufiger eingesetzt und hat dazu beigetragen, den zeitlichen Ablauf von Schlüsselereignissen auf zellulärer und molekularer Ebene besser zu verstehen, wie zum Beispiel die Invasion von Tumorzellen in Blutgefäße. Die neuen Befunde haben inzwischen auch schon neue Hypothesen über Wachstum, Ausbreitung und Therapieresistenz der unterschiedlichen Krebsarten beflügelt. All die neuen Informationen könnten auch für die Entwicklung von Medikamenten wichtig sein und zur Erklärung beitragen, warum manche Krebszellen den Therapien widerstehen.

In einer Kultur der Videofreaks kommen bildgebende Verfahren gut an. "Alle sind ganz aus dem Häuschen, wenn sie in unseren Filmen sehen, wie sehr sich Tumoren ständig verändern", sagt Peter Friedl von der Radboud Universität Nimwegen in den Niederlanden. "Die Aufnahmen ändern völlig unser Bild vom Tumor."

Abtauchen ins Innere des Körpers

Tumorbiologen haben die Technik der Intravitalmikroskopie erstmals in den späten 1990er Jahren genutzt, als sie hochauflösende Mikroskope direkt auf das Gewebe einer lebenden, betäubten Maus richteten. Nachdem man inzwischen immer weiter ins Gewebe hineinleuchten kann – mittlerweile schon bis zu 20 Zellschichten tief – und auch schwächere Signale auswertbar sind, gewinnt die Methode an Interesse. Dank einer wachsenden Zahl an verfügbaren molekularen Markern machen die Wissenschaftler nun bis zu acht verschiedene Zellarten und Strukturen sichtbar, darunter Immunzellen und Endothelzellen der Gefäßwände. "Die Marker und die neue Mikroskopietechnik sind eine sehr gute Kombination", meint Frederic de Sauvage, der Vizepräsident der Abteilung für Molekulare Onkologie von der Biotechnologiefirma Genentech in South San Francisco in Kalifornien, nachdem er die neue Technologie auch schon in der Anwendung gesehen hat.

Wenn man alles zusammennimmt, erkennt man den Tumor als ein komplexes Ökosystem verschiedener Zellen, die sich bewegen, sich teilen und miteinander interagieren. Auch wenn schon lange klar ist, dass die Zellen in einem Tumor genetisch heterogen sind, so hat doch erst die Intravitalmikroskopie gezeigt, dass sich auch einzelne Zellen schon in ihrem Verhalten sehr unterscheiden können. So wandern beispielsweise Krebszellen je nach Tumortyp und Umgebung einzeln oder in festen Verbünden.

Mittels Intravitalmikroskopie wurde auch ein rätselhaftes Verhalten von Makrophagen aufgedeckt. Diese zum Immunsystem zählenden Zellen verschlingen normalerweise Pathogene, beseitigen tote Zellen und stimulieren die Immunantwort. Sie können auch andere Immunzellen dazu bringen, gegen Krebszellen vorzugehen – aber noch öfter machen sie genau das Gegenteil und fördern Wachstum und Ausbreitung der Krebszellen.

"Alle sind ganz aus dem Häuschen, wenn sie in unseren Filmen sehen, wie dynamisch Tumoren tatsächlich sind"

Die Intravitalmikroskopie macht auch sichtbar, wie Makrophagen zusammen mit Tumorzellen und Endothelzellen ein Gefüge bilden, das die Tumorzellen in den Blutstrom hineinpumpt – eines der Schlüsselereignisse der Metastasierung. Die Gruppe um John Condeelis vom Albert Einstein College of Medicine in New York untersucht an Nagetieren, wie sich Brustkrebszellen verändern, wenn sie auf Makrophagen treffen. Die Krebszellen werden invasiver, bauen die proteinreiche Matrix um die Blutgefäße herum ab und quetschen sich zwischen den Endothelzellen hindurch. Die Makrophagen unterstützen diesen Vorgang, indem sie den Kontakt der Endothelzellen untereinander lockern, so dass die Tumorzellen durch die Löcher in der Gefäßwand aus dem Gewebe heraus in den Blutstrom übertreten können.[1][2]

Condeelis Team wies inzwischen diese "Pumpe" auch in humanen Brustkrebszellen nach. Außerdem konnten die Forscher für jeden der drei Zelltypen der "Pumpe" einen molekularen Marker identifizieren, mit dem sie sich im Tumor nachweisen lassen. In einer Studie[3] mit 60 Brustkrebspatienten fand man auch tatsächlich, dass sich bei Patienten mit höherer Expression der "Pumpe" häufiger Metastasen in anderen Organen entwickelten als bei Patienten mit niedriger Expression. Die Start-up-Firma MetaStat in Montclair in New Jersey hält das Patent auf diese Prognosetechnik und arbeitet gerade an einem Test, der das Metastasenrisiko bei Brustkrebspatienten vorhersagen soll. Der Test soll bis Ende des Jahres in klinische Studien gebracht werden. Condeelis Gruppe arbeitet nun bereits daran, die "Pumpe" mittels Magnetresonanz-Imaging nachzuweisen, einer Methode, bei der nicht einmal eine Biopsie vom Patienten genommen werden muss.

Andere setzen die Intravitalmikroskopie zum Aufspüren von Tumormedikamenten im Körper ein und wollen damit herausfinden, warum manche Behandlungen versagen. Normalerweise bestimmt man die Wirkung einer Chemotherapie im Mausmodell, wo Veränderungen in Größe und Wachstum von Tumoren untersucht werden. Mittels Intravital-Imaging lässt sich direkter nachweisen, welche Zellen das Medikament aufnehmen und ob diese Zellen dann überleben oder sterben.

Die Gruppe um Egeblad hat Filmaufnahmen mit dem fluoreszierenden Krebsmedikament Doxorubicin in der Maus gemacht. Hierbei ist zu erkennen, wie das Chemotherapeutikum in Brusttumoren eindringt. Alle waren überrascht, wie stark sich schon nahe nebeneinander gelegene Tumorregionen in der Aufnahme von Doxorubicin und in der Anzahl der abgetöteten Zellen unterscheiden. Als wichtiger Faktor erwies sich dabei die Durchlässigkeit der Blutgefäße im Tumor.[4] Tumoren mittleren Stadiums haben porösere Blutgefäße als frühe oder späte Tumoren und reagieren sensibler auf das Medikament. Deshalb will Egeblad zur Therapie zusätzlich Substanzen einsetzen, welche die Gefäße durchlässiger machen, um so die Aufnahme des Medikaments in die Tumorzellen zu verbessern.

Ein Guckfenster zum Tumor

Bei Videoaufnahmen an lebenden Mäusen war anfangs nur ein einziger Filmtermin möglich. Aber die Wissenschaftler wollten natürlich lieber Tumoren in einem Tier über mehrere Tage oder Wochen beobachten, um auch längerfristige Veränderungen zu erkennen. Viele nutzten deshalb eine Technik, bei der ein Glasplättchen mit Rahmen in die Haut der Maus implantiert wird. Durch dieses Fenster kann man in Regionen wie das Gehirn, den Bauch oder die Brustdrüse hineinblicken – und dies in derselben Maus viele Male im Lauf der Zeit. Nach jedem Aufnahmetermin wachen die Mäuse dann wieder auf und leben in ihren Käfigen weiter wie zuvor.

Mittels Intravital-Imaging lässt sich direkter nachweisen, welche Zellen das Medikament aufnehmen und ob diese Zellen dann überleben oder sterben

Mit Hilfe eines solchen Gucklochs konnte das Team um Jacco van Rheenen vom Hubrecht Institute in Utrecht in den Niederlanden an lebenden Mäusen beobachten, wie Dickdarmkrebszellen die Leber der Mäuse innerhalb von zwei Wochen besiedeln. Neu angekommene Krebszellen bewegten sich in den ersten Tagen innerhalb einer kleinen Region des Organs hin und her. Nach fünf Tagen aber hörten diese Wanderbewegungen auf, und es entstand ein dicht gepackter Zellhaufen. Wie die Forscher im Mausmodell auch zeigen konnten, entwickeln sich weniger Metastasen in der Leber[5], wenn die Mäuse im Frühstadium der Tumorausbreitung mit einem Inhibitor der Zellmigration behandelt wurden.

Nach einigen Jahren Erfahrung mit der Intravitalmikroskopie geht es nun weniger um spektakuläre Filmaufnahmen, sondern eher darum, Daten zu Geschwindigkeit und Richtung der sich bewegenden Zellen zu sammeln. Diese erlauben anschließend, das Verhalten der Zellen anhand mathematischer Modelle zu analysieren. So hofft Friedl, in ein paar Jahren voraussagen zu können, wie Tumorzellen in ein Gewebe eindringen.

Aber das Sammeln und Auswerten dieser quantitativen Daten ist schwierig und zeitraubend: So dauert es etwa 15-mal länger, einen Film zu analysieren als ihn aufzunehmen, weiß Egeblad. Außerdem gibt es nur wenig Software für die quantitative Imaging-Analyse, so dass viele Labors ihre eigenen Programme schreiben.

Und auch die Intravitalmikroskopie selbst bietet nach wie vor eine Reihe von technischen Herausforderungen. So kann lediglich Gewebe nahe der Körperoberfläche untersucht werden, was ihre Anwendung bei nur wenigen Tumortypen zulässt, sagt de Sauvage. Außerdem ist es schwierig, die Technologie mit klassischen Methoden der Molekularbiologie zu kombinieren, wie beispielsweise Fluoreszenzbiosensoren, mit deren Hilfe nachgewiesen wird, ob bestimmte Zellsignalwege eingeschaltet sind. Viele dieser Sensoren funktionieren sehr gut in vitro, wo Zellen so manipuliert werden können, dass Signalveränderungen verstärkt werden. Aber sie sind nicht sensitiv genug, um die feineren Variationen in vivo zu detektieren, fügt van Rheenen hinzu. Die Methoden könnten aber molekulare Schlupflöcher preisgeben, in denen sich Tumorzellen vor den Krebsmedikamenten verstecken, sagt der Krebsgenetiker Scott Powerd vom Cold Spring Harbor Institute. "Wir wüssten nur zu gerne, was biochemisch gesehen in der Zelle geschieht und wie das ihr Verhalten beeinflusst."

"Da gibt es ganz neue Dinge zu beobachten, die zuvor noch niemand beschrieben hat"

Egeblad kombiniert nun biochemische und genetische Methoden mit ihrer Imaging-Arbeit. Sie wird bald ein Projekt starten, in dem sie bestimmte Zellen in Brusttumoren von Mäusen über mehrere Wochen während ihres Wachstums beobachten kann. Am Ende werden ihre Mitarbeiter die Tumoren herausnehmen und das Genom der einzelnen Zellen untersuchen. Letztendlich soll für verschiedene Regionen eines Tumors die genetische Signatur mit biologischen Charakteristika, wie schnelles Wachstum oder Medikamentenresistenz, zusammengebracht werden. Die Forscher möchten auch die Aktivität von Schlüsselgenen von Krebs während des Tumorwachstums in der Maus durch Imaging nachverfolgen.

Egeblad stellt sich im Rahmen des neuen Projekts auch wieder Fragen aus den Anfängen der Intravitalmikroskopie: Wie schaffen es verschiedene Komponenten des Tumors und seines Milieus, sich gemeinsam zu entwickeln? Power gibt zu, dass ihm Egeblad und ihre Filme gezeigt haben, wie die Krebsentwicklung nicht nur durch die Genetik, sondern auch durch das Tumormilieu beeinflusst wird. "Wieso sollte das keine Rolle spielen?", bemerkt er. "Da gibt es ganz neue Dinge zu beobachten, die zuvor noch niemand beschrieben hat."

  • Quellen
[1] Cancer Res. 67, 2007, 2649–2656
[2] Oncogene 10.1038/onc.2013.377, 2013
[3] Clin. Cancer Res. 15, 2009 2433– 2441
[4] Nakasone, E. S. et al. Cancer Cell 21, 2012 488–503
[5] Ritsma, L. et al. Sci. Transl. Med. 4, 2012 158ra145

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