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Bildung: Gut unterrichtet - nach dem Pisa-Schock

Die Ergebnisse der PISA-Studien zeigen, dass Deutschland beim Lernerfolg allenfalls im MIttelfeld liegt: 2023 sieht es sogar besonders schlecht aus. Dabei mangelt es nicht am Engagement vieler Lehrkräfte. Trotzdem fällt es ihnen oft schwer, die Klasse für ihr Fach zu begeistern. Was hilft?
Gruppe von Schülern zeigen Daumen hoch im Klassenzimmer
Schülerinnen und Schüler profitieren von engagierten Lehrkräften.

Die meisten können sich noch lebhaft an ihre eigene Schulzeit erinnern. Manche denken zurück an gute Freundinnen und Freunde, andere an gemeinsame Erlebnisse als Klasse oder an aufregende Prüfungssituationen. Wie ist das bei Ihnen? Vielleicht entsinnen Sie sich einer Lehrkraft, bei der Sie besonders viel gelernt haben. Falls ja, was machte diese eigentlich anders? Notieren Sie doch einmal spontan zwei, drei Merkmale, die für Sie rückblickend den gelungenen Unterricht ausmachten.

Lehrer(in) __________________ – das fand ich gut:

  1. ______________________________
  2. ______________________________
  3. ______________________________

Der Sportlehrer, an den ich (A.-K. J.) mich erinnere, war zwar ziemlich streng, aber immer freundlich und respektvoll im Umgang. In einer Stunde wollten eine Klassenkameradin und ich unbedingt die 15-Punkte-Marke im Hochsprung knacken. Der Unterricht war längst vorbei, und alle anderen waren schon gegangen. Doch der Lehrer blieb da und unterstützte uns. Bis wir es schafften.

Vielleicht glauben Sie, dass Kinder und Jugendliche für manche Fächer leichter zu begeistern sind als für andere. Lehrerinnen und Lehrer stehen allerdings immer vor der Herausforderung, den Unterricht so zu gestalten, dass er möglichst alle Schüler und Schülerinnen anspricht. Zugleich haben Lehrkräfte den Auftrag, Kinder und Jugendliche bestmöglich auf ihre berufliche Zukunft vorzubereiten und sie auf ihrem Weg zu selbstverantwortlichen Mitgliedern der Gesellschaft zu unterstützen. Dazu müssen sie immer wieder auf neue Entwicklungen reagieren, ohne dass die Qualität des täglichen Unterrichts darunter leidet.

Zu den aktuellen Herausforderungen gehören etwa der sprunghaft gestiegene Anteil an Kindern, denen sprachliche Voraussetzungen fehlen, Lehrkräftemangel oder der Umgang mit digitalen »Tools« – von Lern- und Lehr-Apps bis hin zu KI-Anwendungen wie ChatGPT. Auch die Unterrichtsformen wandeln sich mitunter schneller als gedacht; man denke nur an den Distanzunterricht während der pandemiebedingten Schulschließungen.

Was genau also zeichnet guten Unterricht heutzutage aus? Wie misst und beurteilt man seine Qualität, und wie können Lehrkräfte »erfolgreiches« Unterrichten lernen? Wie müssen sich Schulen und die Lehramtsausbildung weiterentwickeln, um aktuellen Herausforderungen gerecht zu werden? Das sind nur einige Fragen, mit denen wir uns am Tübinger Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung beschäftigen.

Sehr viele von Ihnen haben vermutlich in ihrer Schulzeit erlebt, dass den individuellen Lerninteressen der Schülerinnen und Schüler wenig Raum gegeben wurde und die Lehrkraft vor der Klasse stand, wo sie das Wissen für alle im Gleichschritt bereitstellte. Das ist meist auch heute noch so, obwohl es Schulen gibt, die versuchen, diese Strukturen zu verändern. Fast überall aber wird inzwischen mehr Wert auf ein gelingendes Zusammenspiel der Lehrkraft mit den Schülern und Schülerinnen gelegt, das sich in den vergangenen Jahrzehnten als entscheidend für die erwünschten Lehr- und Lernprozesse herausgestellt hat.

Bereits seit 1995 findet alle vier Jahre eine international vergleichende Leistungsuntersuchung für die Fächer Mathematik und Naturwissenschaften statt, die so genannte TIMS-Studie (Trends in International Mathematics and Science Study). An ihr beteiligen sich inzwischen mehr als 40 Länder. Die deutschen Schülerinnen und Schüler schnitten darin bisher bestenfalls mittelmäßig ab.

Die Erkenntnisse der Studie beschränken sich aber nicht nur auf den Lernstand. In ihrem Rahmen entstanden auch Videoaufnahmen von Mathematikstunden, deren Analyse Aufschluss darüber gab, wie es Lehrkräften gelingt, die Bedingungen für erfolgreiche Lehr- und Lernprozesse zu schaffen. Sie bildeten den Ursprung eines im deutschsprachigen Raum mittlerweile weithin akzeptierten Modells, das fächerübergreifend drei grundlegende Dimensionen der Unterrichtsqualität benennt: eine strukturierte Klassenführung, konstruktive Unterstützung und kognitive Aktivierung.

Unter dem Eisberg | Als so genannte »Tiefenstrukturen« sind die Big-3 des erfolgreichen Lehrens von außen nicht unbedingt direkt zu beobachten. Dennoch machen sie den weitaus größten Teil des Unterrichts-»Eisbergs« aus. Sie bilden immer die Grundlage, egal welche Sozialformen (etwa Gruppenarbeit, Frontalunterricht, Einzelarbeit), Methoden (wie Stationsarbeit, Rollenspiele, ...) oder Organisationsformen (zum Beispiel jahrgangsübergreifendes Lernen, Förderunterricht) für alle erkennbar (»Sichtstrukturen«) angewendet werden.

Fundament für gelungenen Unterricht

Diese »Big-Three« (Big-3) ermöglichen eine »lernwirksame« Beziehung zwischen der Lehrkraft und den Schülerinnen und Schülern und bilden so gewissermaßen das Fundament, auf dem sich der Unterricht in seinen vielen Formen entfaltet (siehe »Unter dem Eisberg«).

Doch was genau verbirgt sich hinter den drei Begriffen? In zahlreichen Studien hat man versucht, empirisch jene Merkmale des Unterrichts herauszufiltern, die besonders eng mit dem Wissens- und Kompetenzerwerb von Schülern und Schülerinnen zusammenhängen. Forschungsteams haben beispielsweise untersucht, wodurch sich das Vorgehen in den Siegerländern der internationalen Lernstands-Vergleichsstudie Pisa (Programme for International Student Assessment) auszeichnet. Andere ergründeten im Rahmen der Expertise-Forschung, wie sich die Arbeitsweise von angehenden und gestandenen Lehrkräften unterscheidet. Immer wieder stieß man auf sehr ähnliche Erfolgsfaktoren, die sich den drei Basisdimensionen zuordnen lassen.

Die Ergebnisse der PISA-Studie 2023 sind desaströs: Im internationalen Vergleich rutschen 15-Jährige hierzulande teils massiv ab. Insgesamt liegt Deutschland nun nur noch knapp über dem Mittel aller OECD-Ländern.

So ermittelte die PISA-Studie im Bereich Lesekompetenz in Deutschland einen Wert von 480 Punkten – nach 498 im Jahr 2018 (OECD-Schnitt 2022: 476). In Mathematik sank Deutschlands Punktzahl von 500 auf 475 (OECD: 472), in den Naturwissenschaften von 503 auf 492 (OECD: 485). Spitzenreiter ist jeweils Singapur mit Werten zwischen 543 und 575.

Zugleich beobachtet die Studie auch im OECD-weiten Durchschnitt einen nie dagewesenen Leistungsabfall, insbesondere in Mathematik. Der starke Rückgang der Leistungen könne nur teilweise mit der Corona-Pandemie erklärt werden, schreiben die Autorinnen und Autoren der Studie.

Eine strukturierte Klassenführung zeichnet sich demnach vor allem durch einen reibungslosen Unterrichtsablauf aus. Er entscheidet letztlich darüber, wie viel Zeit in der Schulstunde überhaupt für den Wissenserwerb genutzt werden kann. Die Lehrkraft hat das Klassengeschehen stets im Blick, reagiert bei Störungen unmittelbar und fair, und sie gibt ihrem Unterricht eine klare Struktur. Häufig wird eine gelungene Klassenführung als Grundlage für die beiden anderen Dimensionen betrachtet.

Konstruktive Unterstützung erfahren die Schüler und Schülerinnen, wenn es der Lehrkraft gelingt, eine respektvolle, angstfreie und wertschätzende Atmosphäre in der Klasse zu schaffen. Dazu gehören eine motivierende Rückmeldung nach Fehlern und die Möglichkeit, eigenständig verschiedene Lösungswege auswählen oder die nächsten Lerninhalte mitbestimmen zu können. Auch trägt das Gefühl, dass der Lehrkraft der eigene Fortschritt und das Wohlbefinden wirklich wichtig sind, entscheidend zu einem guten Lernklima bei.

Kognitive Aktivierung meint die Bereitstellung von anregenden Lerninhalten, die eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Schulstoff ermöglichen. Dies kann etwa durch herausfordernde Aufgaben, durch die Diskussion verschiedener Lösungswege, durch wechselnde Perspektiven auf einen Sachverhalt oder durch das Herausstellen von Übereinstimmungen und Unterschieden geschehen. Im Gegensatz zum reinen Abarbeiten von Aufgaben fördert ein solches Vorgehen ein tieferes und nachhaltigeres Verständnis des Unterrichtsstoffs.

Der neuseeländische Bildungsforscher John Hattie wertete mehr als 800 Übersichtsarbeiten aus und erstellte so eine Rangliste verschiedener Einflussgrößen auf den Schulerfolg. Die viel beachteten Ergebnisse wurden erstmals 2009 in einem Buch mit dem Titel »Visible Learning« publiziert. Wenig verwunderlich sagten individuelle Eigenschaften der Heranwachsenden wie die Selbsteinschätzung des eigenen Leistungsniveaus oder der IQ ihr Abschneiden am stärksten vorher. Gleich dahinter rangierten aber bereits Merkmale der Lehrkraft, die unmittelbar den Big-3 zuzuordnen sind. Dazu zählten ihre Klarheit beim Unterrichten, ob sie konstruktives Feedback gab und ob die den Schülerinnen und Schülern gestellten Aufgaben das richtige Maß an Herausforderung boten.

Doch woher weiß man, wie gut eine Lehrerin oder ein Lehrer diese – nicht auf den ersten Blick erkennbaren – Elemente umsetzt? Daten zur Unterrichtsqualität zu erfassen, ist alles andere als trivial. In der Forschung werden dazu verschiedene Quellen genutzt: Selbstberichte der Unterrichtenden, Unterrichtsbeobachtung durch externe Personen und Einschätzungen durch Schüler und Schülerinnen.

In Selbstberichten machen Lehrkräfte Angaben zu ihrer Unterrichtspraxis, zum Beispiel anhand von Fragebögen, welche die Qualitätsdimensionen messen. Die eigenen Stärken und Schwächen zu reflektieren, ist aber naturgemäß schwierig, weshalb Selbstberichte für eine objektive Einschätzung weniger geeignet sind. In Studien beurteilen daher oft geschulte Beobachter die Qualität anhand einer per Video aufgezeichneten Unterrichtsstunde oder direkt im Klassenzimmer. Diese Aufgabe könnten auch Mitglieder des eigenen Kollegiums übernehmen. Allerdings ist die Methode relativ zeitaufwändig und liefert bloß einen kurzen, nicht unbedingt repräsentativen Einblick in das Unterrichtsgeschehen.

Geteilter Meinung | Verschiedene Schüler und Schülerinnen einer Klasse beurteilen eine Lehrkraft nicht unbedingt gleich. In manchen Klassen etwa stimmen die Einschätzungen recht stark überein (links), in anderen liegen sie teils weit auseinander. Gezeigt ist hier eine Bewertung für den Teilaspekt »Klarheit und Verständlichkeit«, der zur Hauptdimension »konstruktive Unterstützung« gehört. Ermittelt wurde sie durch Zustimmung zu vier verschiedenen Aussagen (zum Beispiel: »Unsere Lehrkraft erklärt besonders an schwierigen Stellen ganz langsam und sorgfältig«). Obwohl sich die Klassen im Mittelwert kaum unterscheiden, gibt es in Klasse b (rechts) offenbar manche, die sehr gut mitkommen, und andere, die sich abgehängt fühlen. Hier würde sich eine Diskussion darüber anbieten, wie der Unterricht so verändert werden kann, dass mehr Schülerinnen und Schüler davon profitieren.

Feedback aus der eigenen Klasse

Das ist anders beim Feedback durch Schüler und Schülerinnen, die den Unterricht tagtäglich erleben. Deren Bewertungen sind nicht nur für die Forschung interessant, sondern helfen vor allem Lehrkräften, die sich weiterentwickeln wollen. Neben Fragebögen, die etwa zum Ende des Halbjahrs ausgeteilt werden, kann eine wiederholte mündliche Blitzabfrage während der Schulstunde Aufschluss darüber geben, wie der Unterricht ankommt. Zudem existiert eine Reihe wissenschaftlich geprüfter Onlinetools. Sie lassen sich ohne große Vorbereitung einsetzen und erstellen automatisiert Ergebnisberichte, welche die Lehrkraft dann für sich selbst nutzen kann.

Die Ergebnisse der PISA-Studie 2023 sind desaströs: Im internationalen Vergleich rutschen 15-Jährige hierzulande teils massiv ab. Insgesamt liegt Deutschland nun nur noch knapp über dem Mittel aller OECD-Ländern.

So ermittelte die PISA-Studie im Bereich Lesekompetenz in Deutschland einen Wert von 480 Punkten – nach 498 im Jahr 2018 (OECD-Schnitt 2022: 476). In Mathematik sank Deutschlands Punktzahl von 500 auf 475 (OECD: 472), in den Naturwissenschaften von 503 auf 492 (OECD: 485). Spitzenreiter ist jeweils Singapur mit Werten zwischen 543 und 575.

Zugleich beobachtet die Studie auch im OECD-weiten Durchschnitt einen nie dagewesenen Leistungsabfall, insbesondere in Mathematik. Der starke Rückgang der Leistungen könne nur teilweise mit der Corona-Pandemie erklärt werden, schreiben die Autorinnen und Autoren der Studie.

Ob und inwiefern Schülerinnen und Schüler in der Lage sind, sinnvolles Feedback zum Unterricht zu geben, ist inzwischen gut erforscht. Unsere Studien haben gezeigt, dass sie die Qualitätsdimensionen differenziert beurteilen können. Sie geben beispielsweise unterschiedliche Einschätzungen ab, was die Qualität des Feedbacks durch ihre Lehrkraft oder deren Unterstützung beim selbstständigen Lernen betrifft.

Ihre Wahrnehmung hängt jedoch auch eng mit ihrem Erfolg in dem Fach zusammen. In einer Studie gemeinsam mit Ulrich Trautwein untersuchten wir, wie sich die erzielten Noten bei rund 6500 Fünft- bis Zehntklässlern in Mathematik und Deutsch auf die Beurteilung der Unterrichtsqualität auswirkten. Erwartungsgemäß gingen bessere Fachnoten mit positiveren Bewertungen des Unterrichts einher. Außerdem schienen die Schüler und Schülerinnen die Zensuren in den Fächern bei der Beurteilung miteinander zu vergleichen. Erhielten sie etwa in Mathematik eine bessere Note als in Deutsch, wurde die Deutschlehrkraft schon allein auf Grund des nachteiligen Vergleichs abgewertet. Die Schülerinnen und Schüler urteilten also nicht unvoreingenommen.

Zum Teil scheinen Schülereinschätzungen durch die Klassenzusammensetzung beeinflusst zu sein. Jeder weiß, dass manche Klassen insgesamt lernwilliger und manche störanfälliger als andere sind. Wie etwa die Führung durch die Lehrkraft bewertet wird, hängt auch schlicht ab vom Anteil an Jungen und der Zahl an Kindern, die gut in Mathematik sind – das ergab die Auswertung von Pisa-Daten von rund 260 Schulklassen (9./10. Schuljahr) im Rahmen einer Studie unseres Instituts. Deshalb ist es sinnvoll, die Befragungsergebnisse im Kontext der jeweiligen Klasse zu interpretieren.

In jedem Fall liefern die Rückmeldungen aus der Klasse wichtige Informationen über das Lernerleben der Schüler und Schülerinnen. Die Zustimmung zu einer Aussage, etwa »Meine Mathelehrkraft unterrichtet so verständlich, dass man auch schwierige Sachen begreift«, kann die Wahrnehmung der gesamten Klasse als Ganzes abbilden. Liegen die einzelnen Antworten dagegen weit auseinander (siehe »Geteilter Meinung«), bietet sich eine gemeinsame Diskussion darüber an, warum manche dem Unterricht problemlos folgen, andere ihn jedoch als unverständlich empfinden. Solche Gespräche können maßgeblich zu einer Verbesserung beitragen, womit sich der Kreis schließt im Hinblick auf das gewünschte Zusammenspiel von Lehrkräften mit den Schülerinnen und Schülern.

Bisher ist das systematische Einholen von Schüler-Feedback an Schulen nicht sehr verbreitet. Einzelne Bundesländer wollen künftig die Einführung unterstützen. Voraussetzung ist, dass alles im Rahmen einer »positiven Feedback-Kultur« stattfindet. Es muss darum gehen, selbstverantwortlich gemeinsam mit den Schülern und Schülerinnen den Unterricht weiterzuentwickeln.

Aber sind Lehrerinnen und Lehrer überhaupt dazu in der Lage, ihren Unterrichtsstil wesentlich zu verändern? Untersuchungsbefunde zeigen eindeutig, dass es nicht »die geborene Lehrkraft« gibt. Weder bestimmte Persönlichkeitseigenschaften noch Merkmale wie der IQ konnten als Voraussetzung für einen erfolgreichen Unterricht identifiziert werden. Vielmehr müssen die Big-3 erlernt werden – aber wie?

Auch Erklären will gelernt sein

Eine Arbeitsgruppe um Jürgen Baumert und Mareike Kunter am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung initiierte 2003 ein Forschungsprogramm namens COACTIV. In seinem Rahmen wurden unter anderem das mathematische Fachwissen sowie die fachdidaktischen Kenntnisse jener Mathematiklehrkräfte erhoben, die an der deutschen Pisa-Untersuchung 2003/2004 teilgenommen hatten. Um Letzteres zu testen, forderte man sie etwa auf, ein mathematisches Konzept (Flächenberechnungen, Multiplizieren mit negativen Zahlen, ...) auf möglichst verständliche oder vielfältige Weise zu erklären. Später wurden entsprechende Daten auch von Lehramtsstudierenden im Lauf des Studiums sowie am Ende des Referendariats erhoben.

Das fachdidaktische Wissen nahm in den ersten Ausbildungsjahren enorm zu, wie ein Team um den Kieler Forscher Thilo Kleickmann nach Analyse der Daten 2012 feststellte. Das galt sowohl für die angehenden Gymnasiallehrkräfte als auch für die Lehrerinnen und Lehrer, die später an weiterführenden Schulen lediglich bis zur 10. Klasse Mathematik unterrichten würden. Demnach vermittelte das Lehramtsstudium in jedem Fall relevante pädagogische Kenntnisse zum Unterrichten des mathematischen Fachs. Gymnasiallehrkräfte mit langjähriger Praxis verfügten über noch etwas mehr didaktisches Fachwissen als Berufseinsteiger und schnitten darin wesentlich besser ab als ebenso erfahrene Kollegen und Kolleginnen an den anderen weiterführenden Schulen (siehe »Lernkurve im Lehren«).

Gutes Fachwissen ist eine notwendige Voraussetzung für fachdidaktisches Wissen. Aber auch beides zusammen reicht noch nicht aus, um in einer konkreten Klassensituation einen lernwirksamen Unterricht zu gestalten. Um es einsetzen zu können, muss die Lehrperson die Big-3 beherrschen: Was nützt es, wenn man etwas gut erklären könnte, mangels Klassenführung jedoch gar nicht dazu kommt oder niemand zuhört? So ergab die COACTIV-Studie, dass die Mehrheit der Befragten sich selbst nach Beendigung des Referendariats nicht gut genug auf die Erfordernisse des Lehrberufs vorbereitet fühlte und nach der Einstellung einen »Praxisschock« erlitt.

In den vergangenen Jahren hat in der Lehreraus- und -fortbildung daher ein Umdenken stattgefunden. Das Lehramtsstudium an den Hochschulen und Universitäten beinhaltet mittlerweile nicht nur mehr Schulpraktika, sondern ist insgesamt stärker praxisfokussiert, um lernwirksames Unterrichten früh zu trainieren. Studierende üben etwa konkrete Handlungsroutinen ein, die sie in speziellen Unterrichtssituationen anwenden können. Sie lernen explizit, das Unterrichtsgeschehen aufmerksam zu beobachten, wie man die Lernphasen der Schülerinnen und Schüler lenkt, Verständnisprobleme antizipiert und den Unterrichtsverlauf danach anpasst. Inzwischen gibt es zudem eine umfangreiche Sammlung an Unterrichtsvideos, die als Anschauungsbeispiele in der Aus- und Fortbildung verwendet werden. Sie ermöglichen, das reale Geschehen in einem Klassenzimmer »von außen« zu beobachten und zu reflektieren.

Die gute Nachricht lautet also: Erfolgreiches Lehren kann man im Studium lernen, wenn solide Fachkenntnisse und fachdidaktisches Wissen durch Praktika sowie praxisfokussierte Kurse ergänzt werden, in denen die fächerübergreifenden Big-3 eingeübt werden. Natürlich beschränkt sich der schulische Alltag nicht aufs Unterrichten. Elternabende, Elterngespräche, Verwaltungsaufgaben, IT-Probleme, Korrekturen, Konferenzen, Fachschaftstreffen und vieles mehr finden in der Lehramtsausbildung bisher wenig oder keine Beachtung. Sie fressen beim Berufseinstieg eine Menge Zeit, die dann für die Unterrichtsvorbereitung und -weiterentwicklung fehlt, was schnell in eine Überforderung mündet.

Aber kommen wir auf Ihre Notizen vom Beginn zurück. Ziemlich sicher lassen sich alle Ihre aufgeschriebenen Merkmale einer oder mehreren der drei Qualitätsdimensionen zuordnen. Eine schöne Eigenschaft der Big-3 besteht darin, dass sie nicht nur für verschiedene Fächer, sondern auch für unterschiedlichste Unterrichtsformen gelten.

Lernkurve im Lehren | Die in der COACTIV-Studie getesteten Lehramtsstudierenden für Mathematik besaßen zu Beginn der Ausbildung noch wenig fachdidaktische Kenntnisse – hier das Wissen, auf welche Weise man mathematische Zusammenhänge verständlich vermittelt. Diese Kompetenz nahm in den ersten Ausbildungsjahren stark zu, obwohl sich Niveauunterschiede ergaben, je nachdem, mit welchem (Schul-)Ziel studiert wurde. Gymnasiallehrkräfte mit langjähriger Berufserfahrung schnitten im fachdidaktischen Wissen deutlich besser ab als Lehrkräfte an anderen weiterführenden Schulen. Gezeigt sind in dieser Grafik jeweils die Mittelwerte der Ergebnisse für die einzelnen Gruppen.

Was zählt im Distanzunterricht?

Dies zeigten nicht zuletzt die Schulschließungen während der Covid-19-Pandemie. Der Unterricht veränderte sich auf einen Schlag so stark wie vermutlich nie zuvor. Von heute auf morgen wurden mehr oder weniger ausgearbeitete Konzepte zur Überbrückung des ausfallenden Präsenzunterrichts eingeführt. So lernten die Kinder und Jugendlichen über viele Wochen hinweg ausschließlich zu Hause mit Hilfe von E-Mails, Materialpaketen, Videomeetings oder Chats. Homeschooling war davor in Deutschland die absolute Ausnahme gewesen. Damit stellte sich hier zu Lande plötzlich die Frage, was im so genannten Distanzunterricht wichtig und sinnvoll ist und wie die Schülerinnen und Schüler in ihrem nun ausschließlich zu Hause stattfindenden Lernprozess unterstützt werden können.

Eine von uns zusammen mit Katharina Scheiter in Baden-Württemberg durchgeführte Studie mit mehr als 3100 Fünft- bis Zwölftklässlern bestätigte, dass die Big-3 auch für diese Unterrichtsform gelten. So erwiesen sich etwa Monitoring – das »Im-Blick-Haben« der Schüler und Schülerinnen –, regelmäßiges Feedback zu erbrachten Leistungen und die Bereitstellung anregender Aufgaben wieder als zentrale Voraussetzungen für die Lernmotivation von Schülerinnen und Schülern. Besonders gut kamen Formate an, die Kooperation erforderten und den persönlichen Austausch ermöglichten. Im Distanzunterricht offenbarte sich alles, was soziale Nähe und Interaktionen unterstützte, für das Lernen als noch wichtiger als zuvor.

Ein aktueller Anspruch der Kultusministerien an Schulen besteht darin, digitale Kompetenzen wie die Verwendung von Software oder erste Programmierkenntnisse zu vermitteln. Kinder und Jugendliche sollen zudem lernen, Medieninhalte kritisch zu reflektieren und zu selektieren sowie verantwortungsvoll zu nutzen. Spätestens seit den neuesten Entwicklungen der künstlichen Intelligenz wie ChatGPT stehen Lehrkräfte vor der Frage, wie sie damit umgehen sollen. Kann KI so eingesetzt werden, dass sie einen Mehrwert im Unterricht bietet? Ermöglicht sie vielleicht sogar mehr Bildungsgerechtigkeit, indem sie Sprachbarrieren umgeht und als individueller Lerntutor fungiert?

Klar ist: In der Schule soll über digitale Medien, vor allem aber auch mit ihnen gelernt werden, um digitale Kompetenzen aufzubauen. Und es geht nicht darum, die Lehrkraft zu ersetzen, sondern sie zu unterstützen – etwa dabei, das Lernmaterial schneller an die individuellen Lernstände anzupassen. Beispielsweise können Lern-Apps in selbstständigen Arbeitsphasen unmittelbares Feedback zu bearbeiteten Matheaufgaben geben und abhängig vom Ergebnis Übungen zur gezielten Wiederholung oder auf dem nächst schwierigeren Level bereitstellen.

Wenn Schülerinnen und Schüler umgekehrt selbst Erklärvideos erstellen, vertiefen sie ihr Wissen zum Thema und erweitern es zugleich um die Anwendung konkreter Programme. Virtuelle Treffen mit »Zeitzeugen« machen im Geschichtsunterricht historische Ereignisse erlebbar, interaktive Apps veranschaulichen mathematische Gesetzmäßigkeiten – die Zahl speziell für die Schule konzipierter digitaler Medien wächst rasant. Sie müssen jedoch immer in das Fundament eines gut geführten, unterstützenden und kognitiv anregenden Unterrichts eingebettet werden. Sonst lässt sich ihr Potenzial nicht ausschöpfen.

Individualisierter Unterricht

In vielen Schulen steht auch heute noch die Lehrkraft vor der Klasse und schreibt Merksätze an die Tafel, die alle in ihr Heft übertragen. Danach werden die Schüler und Schülerinnen aufgefordert, eine bestimmte Seite im Buch aufzuschlagen und selbstständig Aufgaben zu bearbeiten, die danach gemeinsam verglichen werden. So oder ähnlich haben zumindest wir den Unterricht in der Sekundarstufe in den meisten Fällen erlebt.

Unterricht im Gleichtakt ist phasenweise zweckmäßig, etwa um in die Grundlagen eines Themas einzuführen und die Klasse mit bestimmten Aufgaben vertraut zu machen. Ein Zuviel davon wird jedoch den Schülerinnen und Schülern mit ihren individuellen Lernvoraussetzungen auf Dauer nicht gerecht und untergräbt ihr persönliches Engagement. Sinnvoller ist es etwa, wenn sie in weniger gut verstandene Lerninhalte mehr Zeit investieren und eigenverantwortlicher lernen können.

Mittlerweile gibt es an vielen Schulen Bestrebungen, Raum-, Zeit- und Ortsstrukturen aufzulösen. Vor dem Hintergrund des enormen Lehrkräftemangels in den kommenden Jahren wird das womöglich sogar unweigerlich notwendig sein. Mit Wochenplänen und kooperativen Lernformen sind Schülerinnen und Schüler in gewissem Rahmen flexibel darin, wann sie sich mit welchen Inhalten beschäftigen. Die Lehrkraft begleitet aber den Lernprozess und achtet darauf, dass die Aufgaben bis zu einem gewissen Zeitpunkt erledigt sind. Schüler und Schülerinnen können somit weitgehend im eigenen Tempo und zum Teil selbst organisiert in Gruppen arbeiten.

Doch auch solche alternativen Konzepte müssen sich an den drei bekannten Qualitätsmerkmalen orientieren. Vermutlich sind die Big-3 bei Lernformaten, in denen die Schülerinnen und Schüler eigenständiger arbeiten, sogar noch wichtiger für den Lernerfolg. Bei Partner- oder Gruppenarbeiten kann es eher zu unruhigen Phasen kommen. Während im Frontalunterricht falsche Lösungen quasi augenblicklich identifiziert werden, kann sich eine unbeobachtete Gruppe »verrennen«, wenn der Lehrer beziehungsweise die Lehrerin sie nicht sorgfältig im Blick behält. Am Ende bemisst sich guter Unterricht nicht danach, ob die neuesten Lernformate und die modernsten digitalen Hilfsmittel zum Einsatz kommen, sondern ob der Unterricht auf einem lernwirksamen Fundament steht, das die Lehrkraft in jeder Schulstunde bereitet.

  • Quellen

Göllner, R. et al.: Do student ratings of classroom management tell us more about teachers or about classroom composition? Zeitschrift für Pädagogik 66 (Beiheft), 2020

Jaekel, A.-K. et al.: Distance teaching during the Covid-19 crisis: Social connectedness matters most for teaching quality and students’ learning. AERA Open 7, 2021

Jaekel, A.-K. et al.: How students’ perceptions of teaching quality in one subject are impacted by the grades they receive in another subject: Dimensional comparisons in student evaluations of teaching quality. Journal of Educational Psychology 113, 2021

Kleickmann, T. et al.: Teachers’ content knowledge and pedagogical content knowledge: The role of structural differences in teacher education. Journal of Teacher Education 64, 2013

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