Raumfahrt: Billiger ins Warme fliegen
Mars: kühl, atmosphärisch sehr dünnhäutig, verbirgt irgendwo Wasser. Nur wo? Dagegen Venus: verdammt heiß, wahrscheinlich überall Vulkane, kaum Durchblick in der Dampfkochtopf-Suppenküchen- Atmosphäre. Da sollten doch wissensdurstige Sondentouristen beim Besuch der beiden ungleichen Erdnachbarn auch ziemlich unterschiedliche Outdoor-Ausrüstungen mitbringen müssen. Die Esa sieht das anders.
Steckbrief Venus
Durchmesser:
12 103 Kilometer
Temperatur:
470 Grad Celsius
Abstand:
38,3 bis 260,9 Millionen Kilometer
Tageslänge:
243 Erdtage
Luftdruck:
92 000 Hektopascal
Kohlendioxid:
96,5 Prozent
Stickstoff:
3,5 Prozent
Venus Express – die am Mittwochmorgen vom kasachischen Baikonur aus starten soll, um der Venus Geheimnisse zu entreißen – ähnelt verdächtig ihrem älteren, seit Monaten um den Roten Planeten kreisenden Bruder Mars Express. Dafür gibt es gute Gründe, und nur einer davon ist das liebe Geld: "VEX", so die liebevolle Abkürzung, ist eine sowohl behutsam aufgepeppte als auch entschlackte Kopie von "MEX", erleichtert um Überflüssiges, wie etwa den fehlgeplanten, chronisch unterfinanzierten und letztlich stumpfsinnig auf dem Marsboden zerschellten Lander Beagle 2. Durchmesser:
12 103 Kilometer
Temperatur:
470 Grad Celsius
Abstand:
38,3 bis 260,9 Millionen Kilometer
Tageslänge:
243 Erdtage
Luftdruck:
92 000 Hektopascal
Kohlendioxid:
96,5 Prozent
Stickstoff:
3,5 Prozent
Recycelt wurden für VEX dagegen bereits im Einsatz getestete Instrumente, die bei der Untersuchung der Venus genauso gute Dienste leisten können wie bei der des Mars – oder der des Kometen 67P/Churymov-Gerasimenko. Dieser wird von der im März 2004 gestarteten Sonde Rosetta angesteuert, die ihr Ziel im August 2018 erreichen soll. Komet, Mars und Venus werden von Rosetta, MEX und VEX mit einigen baugleichen Instrument analysiert: Während für Planung und Entwicklung der ältesten Sonde Rosetta und ihren Instrumenten noch rund eine Milliarde Euro ausgegeben wurde, war Mars Express nur rund 300 Millionen Euro teuer – und das auf einem identischen Chassis montierte Schwesterschiff VEX nur 220 Millionen Euro. Was aber leistet das kostengünstige Recycling-Instrumentarium, das für den kühlen Mars und den eisigen Kometen entworfen wurde, im Orbit der wolkenverhangenen Venus?
Gebrauchter Gerätepark
Schon Rosetta wurde mit Instrumenten losgeschickt, die bei Venus-Express nun als VIRTIS, VeRa und MAG wieder verwendet werden. MAG, ein hochempfindliches Magnetometer, soll eine Antwort auf eine uralte Frage der Sonnensystemforscher liefern: Besitzt Venus tatsächlich keine Spuren eines Magnetfeldes, wie alle bisherigen Sonden zur Venus schon vor Jahrzehnten gefunden hatten? Neben winzigen magnetischen Spuren eines Restmagnetfeldes kann das Gerät von VEX zudem die Interaktion von Sonnenwind und Atmosphäre analysieren.
Auch VeRa und VIRTIS sollen in die Wolkenschichten der Venus spähen – wie überhaupt die Untersuchung der dicken Atmosphäre bei Venus Express naturgemäß eine größere Rolle spielen wird als bei dem Schwesterschiff im Orbit des Roten Planeten. Die unteren Schichten der Gashülle soll VIRTIS durchleuchten, das Visible and Infrared Thermal Imaging Spectrometer. Die Venushülle ist für Infrarotwellen bis in Höhen von unter 50 Kilometern durchlässig – bis auf den Boden kann allerdings auch VIRTIS nicht sehen. Dafür kann das Gerät auch die Verteilung von Molekülen in der Atmosphäre bestimmen – und auch "echte" Bilder im sichtbaren Wellenlängenbereich knipsen. Darauf dürfte man allerdings nur die obersten Wolkengrenzen erkennen, etwa 70 Kilometer über dem Venusboden.
VeRa durchpeilt die Atmosphäre mit anderen Mitteln: Dichte, Druck und Temperatur in verschiedenen Höhen über Venus-Normalnull werden dadurch ermittelt, dass das ohnehin zur Erde gesendete Funksignal je nach Orbitposition der Sonde durch die Gashülle zur irdischen Empfangsstation gesendet wird, oder von der Oberfläche als Echo abprallt – die Veränderung des Signals lässt dann auf der Erde so manche Rückschlüsse zu. Auch subtile Veränderungen der Ionosphäre und des Schwerkraftfeldes können irdische Lauscher so ausmachen.
Weitere drei Instrumente sind ursprünglich für Mars Express entwickelt worden: ASPERA, das PFS und das SPICAV – auch diese drei zur Atmosphären-Untersuchung. ASPERA, der Analyser of Space Plasmas and Energetic Atoms, achtet dabei auf entweichende Moleküle und Atome, die in den höchsten Schichten vom Solarwind herausgelöst werden könnten; SPICAV sucht nach Schwefelverbindungen und anderen Spurengasen, Wasser, molekularem Sauerstoff, bestimmt Temperaturen und führt Dichtemessungen durch.
PFS, das Planetare Fourier-Spektrometer war und ist auch eines der Star-Instrumente von Mars Express – und Sorgenkind, nachdem es zwischenzeitlich ausfiel und schon vermutet worden war, es hätte ohnehin falsche Daten geliefert. Die Venus-Express-Version soll, neben wieder anderen Atmosphärenstudien, besonders auch eine Frage klären: Wo auf der Venus-Oberfläche ist es besonders heiß? "Hotspots" könnten aktive Vulkane sein, und deren Vorhandensein würde einiges über die einzigartige Geologie der heißen Erdschwester verraten. Geologische Aktivitäten verlaufen auf Venus, so vermutet man bislang, gänzlich anders als auf der Erde, weil dem heißen Planeten die typische irdische Plattentektonik fehlt. Magmaausbrüche können daher nicht an Plattengrenzen stattfinden – stattdessen wird vielleicht die gesamte zusammenhängende Venuskruste lokal von innen hochgewölbt und verformt. Die von PFS gewonnen Daten könnten hier Aufklärung ins trübe Zwielicht auf der Venus bringen.
Von der Macht der Bilder
Die größten wissenschaftlichen Erkenntnisse von Mars Express sind übrigens nicht jene, welche auch die größte öffentliche Anerkennung fanden – letzteres waren jedenfalls die fantastischen Aufnahmen der Marsoberfläche mit der hochauflösenden HRSC-Kamera. Eine derartige Kamera wäre bei Venus-Express natürlich verschenkt. Dennoch soll dem Beobachter auch etwas fürs Auge geliefert werden, und zwar durch die neu entwickelte Venus Monitoring Camera (VMC). Die Weitwinkelkamera soll schöne Wolkenbilder im nahen Infrarot, ultravioletten und sichtbaren Wellenlängenbereich schießen – aus rund achtzig Bildern pro Orbit können dann Wolkenbewegungen filmisch wie im allabendlichen Fernseh-Wetterbericht präsentiert werden.
Insgesamt wird Venus Express mit ihrer Mischung aus bewährten und neuen Instrumenten also zum wertvollen Späher im Venusorbit. Ein wenig anders als Mars Express wird die Venus-Sonde dort übrigens schon aussehen: Beispielsweise muss sie in der relativen Sonnennähe eher gekühlt werden, als geheizt (wie ihr Zwilling am Mars). Zudem benötigt VEX zwei statt nur einer Sendeantenne – ab und zu muss die Sonde gedreht werden, um nicht einseitig im Sonnenlicht zu braten, ohne den Kontakt zur Erde zu verlieren.. Zudem ist die Erde von einem Planeten im Inneren des Erdorbits, wie der Venus, schwerer anzupeilen als vom Mars – von dort aus müssen Signale immer nur in einen bestimmten, vergleichsweise begrenzten Himmelssektor gefunkt werden.
Noch ein Unterschied zwischen MEX und VEX: Venus Express muss leider auf ein Bodenradar wie das MEX-Marsis verzichten. Zwar könnten damit sogar tiefere Bodenschichten der Venus untersucht werden – wegen interner Querelen wurde das Instrument aber gestrichen. Radarstrahlen hätten wohl tief im Inneren der Kruste Lavaströme und anderes geologisch Aufregendes ausmachen können, denn Wasser hätte die Radaruntersuchungen nicht gestört: Auf der Venus verdampfte es schon vor Jahrmillionen, rief einen sich selbst verstärkenden Treibhauseffekt hervor und wurde vom Sonnenwind schließlich aus der Atmosphäre geblasen. Heute besteht die Atmosphäre der Waschküche Venus fast nur aus Kohlendioxid.
Jede Menge zu entdecken also, auf dem Planeten Venus, der sich angesichts der weitaus häufigeren Sondenreisen zum Mars im Übrigen etwas vernachlässigt vorkommen könnte: Den letzten irdischen Besuch erhielt Venus von der nur mit einem Radarmessgerät ausgestatteten Nasa-Sonde Magellan. Zuvor besuchten die sowjetische Venera 16 die Venus – im Jahr 1983.
Woran die venusische Vernachlässigung liegen könnte, liegt nahe: Zum einen sind auf der Venus wegen ihrer undurchsichtigen Wolkendecke keine schönen, bunten Panoramabilder von der Oberfläche zu bekommen. Und zum anderen kann keinem einigermaßen Vorgebildeten erzählt werden, dass bei Temperaturen von gemessenen 465 Grad Celsius und einem Druck, der einer irdischen Wassertiefe von 900 Metern entspricht, irgendwo Leben zu entdecken sein wird. Drücken wir also die Daumen, dass VEX es mit russischer Starthilfe erstmal durch die irdischen Wolkenhüllen schafft – damit Europas neue Sonde der links liegen gelassenen Venus ein paar der bislang versteckten Geheimnisse entreißen kann. Hübsche Enthüllungsfotos sind dazu eigentlich gar nicht nötig.
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