Erneuerbare Energie: Biogasanlagen - Zukunft für ein Schmuddelkind
Ein kalter Novembermorgen des Jahres 1776. Der italienische Physiker Alessandro Volta steuert sein Boot durch den dichten Nebel in den Schilfgürtel des Lago Maggiore. Im flachen Wasser nahe dem Ufer stochert er kräftig im Schlick am Seegrund, fängt die aufsteigenden Bläschen in einem Glaszylinder auf und bringt seinen unsichtbaren Schatz an Land. Später beobachtet er, dass das Gas mit einer rußfreien blauen Flamme verbrennt. Die Entdeckung des Methans.
Heute bestellen deutsche Bauern über 1,2 Millionen Hektar Land, um den gleichen Schatz zu heben. Sie bauen Energiepflanzen an, die sie täglich an die stets hungrigen Mikroben in ihren Biogasanlagen verfüttern. Wie im Ufersediment des Lago Maggiore, im Pansen der Kuh oder im Darm des Menschen leben in der Gärkammer einer Biogasanlage Methan bildende Urbakterien, die unter Luftabschluss organische Substanz in Methan, Kohlendioxid und Wasserdampf verwandeln. Die Bakterien sind äußerst genügsam. Sie verbrauchen nur einen Bruchteil der in den Pflanzen gespeicherten Sonnenenergie. Der Löwenanteil wird im Methan gespeichert und kann durch Verbrennung in einem angeschlossenen Kraftwerk als Strom und Wärme genutzt werden.
Schon Volta erkannte das energetische Potenzial seiner Entdeckung und konstruierte eine methanbetriebene Lampe. Heute, keine 250 Jahre später, stemmen rund 8000 landwirtschaftliche Biogasanlagen 4,4 Prozent der deutschen Stromproduktion, was etwa derjenigen von drei mittleren Atomkraftwerken entspricht. Eine Erfolgsgeschichte, sollte man meinen; und trotzdem ist Biogas in Verruf geraten. Wie konnte das passieren?
Dank staatlicher Förderung durch das EEG (Erneuerbare-Energien-Gesetz) schossen die Kuppeln der Gärkammern seit der Jahrtausendwende wie Pilze aus dem ländlichen Boden. Inzwischen sind nicht mehr alle begeistert von der rasanten Entwicklung der grünen Energie. Die Liste der Kritikpunkte ist lang: Aus Landwirten würden reine Energiewirte, sie produzierten Gärsubstrat statt Nahrungsmittel – infolgedessen überzögen nun Maismonokulturen die Landschaft, Güllewellen und undichte Silos würden Bäche und Grundwasser vergiften, Anwohner unter Geruchsbelästigung und Traktorenverkehr leiden. Zudem weiß niemand genau, wie viel klimaschädliches Methan aus den Anlagen in die Atmosphäre entweicht. Und nicht zuletzt bemängeln Kritiker, der Eigenenergieverbrauch bei der Produktion sei schlicht viel zu hoch.
Aus Biogas mach Biomethan
Sind Biogasanlagen also ein Auslaufmodell? "Nein, auf keinen Fall!", sagt Hans Oechsner, Leiter der Landesanstalt für Agrartechnik und Bioenergie an der Universität Hohenheim. "Wir brauchen das Biogas für die Energiewende, denn es lässt sich im Gegensatz zu Wind und Sonne leicht speichern." Oechsners Ziel ist es, das Biogas direkt aus der Gärkammer ohne zusätzliche Reinigung in das Erdgasnetz einzuspeisen. Dazu haben er und sein Team das Verfahren der Druckmethanisierung entwickelt, bei der die Gärkammer unter einen Druck von 10 bis 100 Bar gesetzt wird. Dadurch bleibt das während der Gärung entstehende Kohlendioxid in der Flüssigkeit gelöst. Das gasförmige Methan hingegen lässt sich nutzen.
"Im Moment erreichen wir bis zu 85 Prozent Methangehalt im Biogas, wir wollen das aber noch weiter optimieren", erläutert Oechsner. In herkömmlichen, druckfreien Gärkammern werden je nach Substrat Methangehalte zwischen 50 und 60 Prozent erreicht. Für eine direkte Einspeisung ins Erdgasnetz sind aber über 90 Prozent nötig. Zur Reinigung des Biogases auf Erdgasqualität gibt es bereits verschiedene Verfahren. Allen gemeinsam ist ein hoher technischer Aufwand, der sich nur bei sehr großen Anlagen rechnet. Bis heute speisen nur etwa 160 der 8000 deutschen Anlagen gereinigtes Biogas, welches dann Biomethan genannt wird, direkt ins Erdgasnetz ein. Alle übrigen müssen ihr Gas über Blockheizkraftwerke in Strom und Wärme umwandeln.
Auch die Wasserstoffmethanisierung, das zweite viel versprechende Verfahren aus den Hohenheimer Forschungslabors, könnte reines Biomethan liefern. Dabei wird mit überschüssigem Strom aus Sonnen- oder Windkraftanlagen durch Elektrolyse Wasserstoff erzeugt. Der wird in die Biogasanlage eingeleitet, und die dort arbeitenden Mikroorganismen produzieren aus Kohlendioxid und Wasserstoff ein weitgehend reines Methan. Die Hohenheimer Forscher hoffen, dass die neuen Verfahren in den nächsten zwei bis fünf Jahren praxistauglich werden und möglichst dezentral, also auch in kleineren Anlagen, zum Einsatz kommen können.
Kleinere und effizientere Biogasanlagen
Deutsche Biogasanlagen haben eine durchschnittliche Leistung von 450 Kilowatt. Nach der EEG-Novelle von 2014 erhalten Neuanlagen nur noch bis zu einer maximalen Leistung von 75 Kilowatt die höchste Förderung. Denn die schiere Größe und geringe Flexibilität ist eines der größten Probleme bestehender Biogasanlagen. Das meint auch Martin Falger, Geschäftsführer der in Karlsruhe ansässigen wusoa GmbH, die sich der Entwicklung von Kleinbiogasanlagen verschrieben hat: "Meines Erachtens sind die meisten Biogasanlagen zu groß gebaut worden, was dazu geführt hat, dass in Deutschland die Pacht- sowie die Grundstückspreise so in die Höhe schossen, dass kleinere und mittlere Landwirtschaftsbetriebe sich keine neuen Flächen mehr leisten können. Zudem müssen teilweise Substrate aus immensen Entfernungen angekarrt werden, um einen kostendeckenden Betrieb der Anlage zu gewährleisten. Wir wollen kleinere Anlagen bauen, die anfallende Abfall- und Reststoffe wie Gülle, Festmist, Bioabfälle und Grünschnitt direkt vor Ort in Energie umsetzen."
Dazu haben Falger und sein Team ein neues Anlagenkonzept entwickelt: "Die kleinstmögliche Anlage ist für einen Bauern mit 15 Kühen konzipiert, aber unsere Anlagen sind modular aufgebaut, das heißt, sie sind flexibel erweiterbar und auch wieder demontierbar. Die einzelnen Module bestehen aus Holz und einer Spezialfolie, und mit unserem nach dem Vorbild der Entenfüße entwickelten Paddel-Rührwerk lässt sich bei der Durchmischung des Substrats viel Energie sparen", erläutert Falger. Ab August 2015 wollen der Agrarwissenschaftler Oechsner und sein Team das neue bionische Rührwerk in der Versuchsanlage der Universität Hohenheim mehrere Monate auf seine Praxistauglichkeit prüfen. Nach Oechsners Berechnungen ließen sich durch 20 Prozent weniger Energieverbrauch bei der Rührwerkstechnik deutschlandweit jährlich 40 Millionen Euro einsparen. Die wusoa GmbH will außerdem in Kürze eine Pilotanlage mit seiner Modultechnik in Baden-Württemberg bauen.
Abwechslungsreicheres Futter für die Mikroben
Der intensive Maisanbau mit all seinen negativen Folgen steht besonders in der Kritik. Von den 11,9 Millionen Hektar Ackerland in Deutschland wurden im Jahr 2014 2,6 Millionen Hektar mit Mais bestellt. Die Ernte von einem guten Drittel dieser Fläche (900 000 Hektar oder zehnmal der Fläche Berlins) landete als Maissilage in den Biogasanlagen. Neben Silomais sind Gülle und Mist die Hauptsubstrate. Bioabfall und andere Reststoffe aus Industrie und Landwirtschaft machten im Jahr 2013 gerade einmal acht Prozent aus. Bei der energetischen Verwertung von organischen Reststoffen gibt es also noch viel Luft nach oben. Ein Blick in die Labors der Forscher zeigt, was alles möglich ist. Das Spektrum reicht von Hopfenranken und Fruchtschalen (Apfel- oder Weintrester) über Pferdemist und Gras aus der Landschaftspflege bis hin zu Grünschnitt und dem Biomüll der Kommunen.
Zu einer größeren Substratvielfalt könnte auch der von Bernd Linke entwickelte Schwimmbettfermenter beitragen. Linke ist Leiter der Abteilung Bioengineering am Leibniz-Institut für Agrartechnik in Potsdam-Bornim. In seiner kontinuierlich beschickten, zweistufigen Anlage wird die Biomasse zunächst von einer Flüssigkeit durchrieselt, bevor der flüssige Anteil in die zweite Gärkammer kommt. Durch die Trennung von fester und flüssiger Phase lassen sich Substrate mit hohem Feststoffanteil wie Stroh oder Grasschnitt effizienter vergären.
Linkes Forschung beschränkt sich nicht auf Deutschland. Gerade hat er gemeinsam mit Wissenschaftlern aus Nigeria eine Studie zur Verwertung von Melonen-, Bananen- und Kartoffelschalen veröffentlicht: "Die Methanausbeuten bewegen sich irgendwo zwischen Rindergülle und Maissilage, also durchaus in einem interessanten Bereich. Generell sehe ich ein großes Potenzial in Schwellen- und Entwicklungsländern." Und sein Hohenheimer Kollege Oechnser ergänzt: "Wenn Sie Fruchtsäfte herstellen, Ananas eindosen oder Kaffeebohnen vom Fruchtfleisch trennen, also überall dort, wo bei der Weiterverarbeitung von Früchten viel organische Masse anfällt und gleichzeitig viel Energie für die Verarbeitung benötigt wird, ist die Biogasnutzung ideal."
Das anfallende Substrat könnte dann vor Ort energetisch genutzt und die erzeugte Energie direkt wieder für die Produktion verbraucht werden. Ein Problem dabei: Die lokalen Energiepreise sind oft so niedrig, dass die Betreiber vor Investitionen zurückschrecken, erklärt Oechsner: "Es ist ein Dilemma. Einerseits soll der Strom für die Bevölkerung bezahlbar sein, andererseits verhindert die massive Subventionierung konventioneller Energien vielfach die Entwicklung und Nutzung der erneuerbaren."
Der Trend hin zu flexibleren Biogasanlagen ist mit Sicherheit eine gute Nachricht. Das sieht auch Lutz Ribbe so. Als politischer Direktor der Naturschutzstiftung EuroNatur und Experte für Agrarpolitik hat er die politische Dimension im Blick: "Bei der Energiewende geht es immer mehr um die Frage, ob wir viele kleine Anlagen, dezentral und in der Hand von Bürgern und Kommunen, wollen oder ob sich wieder zentrale Strukturen in der Hand weniger großer Energieversorger etablieren. Biogas kann dabei als dezentrale und gut speicherbare Energiequelle eine wichtige Rolle spielen."
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