Landwirtschaft: Biokohle – das neue alte Wundermittel?
Mehr als 150 Jahre dienten die Hallen der Brooklyn Navy Yard als Schiffswerft. Heute wird diese weitläufige Industrieanlage in New York City von Künstlern, Architekten und sogar von Schwarzbrennereien genutzt. Auch Biogemüse wird auf dem Gelände angebaut – von Leuten wie Ben Flanner. An einem regnerischen Tag im Herbst streift dieser durch ein Meer aus rotem und grünem Salat, gepflanzt auf einem 6000 Quadratmeter großen Dachgarten.
Der Ackerboden sieht auf den ersten Blick gewöhnlich aus, aber Flanner greift sich eine Hand voll und schaut genauer hin. Inmitten der braunen Erdklumpen lassen sich kleine schwarze Partikel erkennen – Überreste von Pflanzenkohle, die er vor zwei Jahren unter die Erde mischte. Flanner zufolge habe dieses kohlenstoffreiche Material, die "Biokohle", angebaute Pflanzen besser gedeihen lassen und vielleicht sogar ihren Ertrag gesteigert. Und er hofft, diesen Trend auch in den kommenden Jahren weiter fortsetzen zu können.
In den Vereinigten Staaten ist der Absatz dieses Bodenhilfsstoffs mit Langzeitwirkung in den vergangenen Jahren stark angestiegen und verdreifacht sich einigen Schätzungen zufolge seit 2008 jährlich. Das Unternehmen The Biochar Company in Berwyn, Pennsylvania – von dem auch Flanner seine Biokohle bezieht – verkauft sowohl über den Großhandel als auch direkt an den Verbraucher, über Internetplattformen wie Amazon und einige Biosupermärkte. In Ländern von China bis hin zu Schweden setzt man Pflanzenkohle sowohl auf landwirtschaftlichen Flächen als auch in städtischen Grünanlagen ein.
Befürworter sehen ein großes Potenzial in dem Bodenverbesserer, der durch Erhitzen von biologischem Material wie Spreu und anderen Abfällen aus der Landwirtschaft in einer sauerstoffarmen Kammer hergestellt wird. Biokohle kann als Nebenerzeugnis aus der Produktion von Biotreibstoffen hervorgehen, daher spekulieren einige Firmen schon darauf, beide Produkte zu vermarkten. Immerhin steigt ja die Nachfrage nach umweltfreundlicheren Energieformen.
Auch unter Wissenschaftlern wächst das Interesse an Pflanzenkohle, und so laufen inzwischen zahlreiche Studien, um deren Potenzial zu überprüfen. Insbesondere will man erforschen, wie sich die chemischen und physikalischen Eigenschaften der Kohlepartikel auf den Wassertransport durch den Erdboden auswirken, wie sie Schadstoffe herausfiltern, Lebensgemeinschaften von Mikroorganismen verändern und die Emission von Treibhausgasen reduzieren. Die Hoffnung: Biokohle könnte Landwirten auf der gesamten Welt zugutekommen, insbesondere in Afrika und anderen Entwicklungsregionen, wo Bauern häufig mit schlechten Böden zu kämpfen haben.
Verschiedene Sorten der Biokohle "haben das einzigartige Potenzial, mehrere von der Bodenqualität herrührende Hemmnisse für die landwirtschaftliche Produktivität abzubauen – beispielsweise in stark verwitterten und sandigen Böden", so Johannes Lehmann, der sich an der Cornell University in Ithaca, US-Bundesstaat New York, mit Pflanzen- und Bodenkunde beschäftigt.
Allerdings sind bezüglich Biokohle noch längst nicht alle Fragen geklärt. Insbesondere gilt es sicherzustellen, dass sie bezahlbar bleibt und tatsächlich einen positiven Effekt auf den Boden hat. Denn in einigen Studien schmälerte die Substanz die Erträge, anstatt sie zu steigern. Pflanzenkohle lässt sich aus allen Arten von Biomasse und mit verschiedenen Temperaturen und Geschwindigkeiten herstellen, wodurch sich die Ausgangsstoffe stark unterscheiden können – und ebenso die damit erzielten Ergebnisse. "Ich sage das andauernd: Man sollte nicht einmal im Singular von 'Biokohle' sprechen", kommentiert Lehmann, denn "es gibt nur 'Biokohlen'."
Ursprung in Südamerika
Die Pflanzenkohle findet unter Landwirten erst langsam Anklang, ihre Ursprünge reichen indes weit zurück. Vor Hunderten bis Tausenden von Jahren stellten Ureinwohner des Amazonasgebiets die Kohle durch Erhitzen von organischen Materialien her und mischten sie in ihre Äcker, um fruchtbare Erde – die so genannte Terra preta – zu erhalten. Diese Praxis wurde jedoch aufgegeben, als die Europäer in Südamerika einfielen, und andernorts setzten nur wenige Bauern regelmäßig Biokohle ein. Etwa vor einem Jahrzehnt zeigten Wissenschaftler erstmals verstärktes Interesse an der Substanz. Damals schlugen einige von ihnen vor, mit Hilfe von Biokohle große Mengen an Kohlenstoff im Erdboden zu speichern und so den Klimawandel abzubremsen. Der Glaube an den Sinn dieses Vorhabens hat inzwischen zwar etwas nachgelassen, doch erforschen Bodenkundler nun unter anderem den Nutzen von Pflanzenkohle in der Landwirtschaft.
Im Fokus steht dabei vor allem, wie sich die Kohlepartikel auf den Wassertransport in einem Substrat auswirken. Rebecca Barnes vom Colorado College in Colorado Springs ging dieser Frage zusammen mit ihren Kollegen nach, indem sie Biokohle unter verschiedene Materialien mischte. In Sand, durch den Wasser typischerweise sehr schnell dringt, verlangsamte Pflanzenkohle dessen Bewegung durchschnittlich um 92 Prozent. In tonigen Bodenschichten, die Wasser üblicherweise zurückhalten, beschleunigte Biokohle den Wassertransport um mehr als 300 Prozent.
Infolge der zugesetzten Biokohle bewege sich das Wasser anders durch die Lücken zwischen den einzelnen Bodenbestandteilen, nehmen die Forscher an. "Tonerden bestehen in der Regel aus flachen Körnern, Sand ist eher rundkörnig; Biokohle dagegen sehr amorph – und dadurch sorgt sie für diese ungewöhnlichen Transportkanäle: durch sich selbst und durch diese Zwischenräume", erläutert Barnes. Die Biogeochemikerin und ihr Team vermuten, dass diese komplizierten Pfade den Abfluss des Wassers in Sand verlangsamen und in Tonen beschleunigen.
Letzteres sei durchaus relevant, so Barnes, denn obwohl tonige Böden große Mengen an Wasser halten können, gelangt die Feuchtigkeit nur schwer durch die Körner bis an die Pflanzenwurzeln. Einige Studien haben gezeigt, dass Pflanzen in Substraten mit Biokohle besser gedeihen als in unbehandelten Böden oder in solchen, denen lediglich Kompost beigegeben wurde.
Außerdem untersuchen Wissenschaftler den Einfluss von Pflanzenkohle auf die mikrobielle Aktivität im Boden. Mikroben agieren typischerweise als Gemeinschaft; beispielsweise greifen viele pathogene Bakterien die Wurzeln einer Pflanze erst dann an, wenn sie so zahlreich vorhanden sind, dass sie die Immunabwehr des Wirts überwältigen können. Mit Biokohle ließe sich ein solcher Angriff verhindern, fanden Caroline Masiello von der Rice University in Houston, US-Bundesstaat Texas, und ihre Mitarbeiter heraus. Denn an den Kohlepartikeln bleiben die Signalmoleküle haften, mit denen Bakterienzellen ihre Aktivität koordinieren. "Die Telefonleitungen wurden also gekappt, und nun denken alle, sie seien allein", erläutert Masiello. Mit weiterer Forschung sei es vielleicht möglich, so die Biogeochemikerin, diese Eigenschaft von Biokohle präzise anzupassen und dadurch Infektionen von Pflanzen zu reduzieren.
Andere Wissenschaftler erforschen, inwieweit Pflanzenkohle auf landwirtschaftlich genutzten Flächen die Emission von Distickstoffmonoxid senken könnte. Laut Xiaoyu Liu von der Landwirtschaftlichen Universität Nanjing in China und seinen Kollegen nahm der Ausstoß dieses Treibhausgases auf Mais- und Weizenfeldern im Lauf von fünf Anbauperioden – das entspricht einem Zeitraum von drei Jahren – ab, nachdem sie Biokohle eingesetzt hatten. Auch in anderen Studien lässt sich eine solche Reduktion beobachten. Unklar bleibt bislang, was genau diesen Effekt bewirkt. Das Einbringen von Biokohle "kann auch einige Bodeneigenschaften, etwa die Kaliumverfügbarkeit, sowie den Gehalt an organischen Stoffen verbessern", so Liu, dessen Forschung teils von Biokohleherstellern finanziert wurde.
Doch Pflanzenkohle schneidet nicht in allen Studien als Wundermittel ab. In einigen Fällen verminderte sie die Ernteerträge, und eine Studie legt nahe, dass sie die Aktivität von pflanzlichen Genen herabsetzt, die bei der Abwehr von Insekten und Krankheitserregern eine Rolle spielen.
Diese Ergebnisse ließen sich vermutlich auf eine unsachgemäße Anwendung der Biokohle zurückführen, so Lehmann. Ihm zufolge waren die Böden in einigen der Studien, in denen die Erträge abnahmen, völlig in Ordnung. Dass eine falsche Kohlesorte nachteilige Folgen für die Mikroflora des Bodens und möglicherweise auch auf dessen Speicherkapazität für Kohlenstoff haben kann, dafür spricht eine weitere Studie. Eine Kohle aus Reisstroh wird sich beispielsweise anders auf einen bestimmten Boden auswirken als eine aus Holz oder Dung.
Insgesamt scheinen die positiven Effekte von Biokohle die negativen jedoch zu überwiegen. Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2011 stellte eine durchschnittliche Ertragssteigerung von 10 Prozent fest, in sauren Böden sogar von 14 Prozent. Das größte Potenzial der Biokohle mag in Regionen liegen, wo der Boden schlecht und Dünger knapp ist. Denn durch die Kohlepartikel kann die Erde die verfügbaren Nährstoffe besser halten. Andrew Crane-Droesch von der University of California in Berkeley erforscht im Westen Kenias den Einfluss von Pflanzenkohle auf solche Böden. Setzen Bauern den Hilfsstoff ein, so legen die vorläufigen Daten nahe, fallen die Erträge durchschnittlich um 32 Prozent höher aus als in der Kontrollgruppe.
Laut einem im Juni 2014 veröffentlichten Bericht der Weltbank dürfte sich Biokohle vor allem für Kleinbauern in Entwicklungsländern eignen – nicht nur, weil ihre Äcker am ehesten von dem Bodenverbesserer profitieren, sondern auch, weil Pflanzenkohle zentrales Element einer "klimafreundlichen" Landwirtschaft sein könnte [1]. Letztere greift auf Praktiken zurück, mit deren Hilfe sich der Klimawandel einerseits abschwächen und sich anderseits besser mit dessen Folgen umgehen lässt.
Schadstoffschlucker
Der eigentliche Ursprung der Biokohle mag zwar in der Landwirtschaft liegen, doch Forscher suchen längst nach weiteren Anwendungen. Das Material kann beispielsweise Schwermetalle in der Erde binden und so verhindern, dass diese von Pflanzen aufgenommen werden oder in Wasserspeicher gelangen. Diese Eigenschaft weckte das Interesse der US-amerikanischen Umweltschutzbehörde, der Environmental Protection Agency, sowie anderer Behörden und Unternehmen, die früher von der Bergbauindustrie genutzte Flächen wieder rekultivieren wollen. In einer Mine nahe Aspen im US-Bundesstaat Colorado trug 2010 eingebrachte Biokohle dazu bei, jahrzehntealte Rückstände unschädlich zu machen: Es bleiben nicht nur Metalle an ihr haften, durch sie kann der Abhang auch mehr Wasser speichern – dadurch wird es unwahrscheinlicher, dass verunreinigtes Wasser ins Tal abfließt. Laut dem Aspen Center for Environmental Studies förderte die Biokohle zudem das Pflanzenwachstum auf dem ehemals kahlen Hang.
Biokohle zeigt auch viel versprechende Resultate bei der Reinigung von verschmutztem Wasser und bietet damit vielleicht eine deutlich kostengünstigere Alternative zu Aktivkohle. Letztere kommt vielerorts zum Einsatz – von Wasseraufbereitungsanlagen bis hin zu Gebieten, die stark mit giftigen Chemikalien belastet sind. Die Kohlepartikel besitzen eine relativ große Oberfläche, die sich bei Kontakt mit Wasser sogar noch vergrößert. Dadurch gibt es viele Stellen, erläutert der pensionierte Chemiker Charles Pittman von der Mississippi State University in Starkville, an denen sich Schadstoffe anlagern können. Diese Eigenschaft der Biokohle könne sich insbesondere in Ländern als nützlich erweisen, in denen umfassende Wasseraufbereitungssysteme fehlen. Zudem könne Pflanzenkohle dazu beitragen, Antibiotika oder andere chemische Rückstände aus dem Abwasser zu entfernen – mit herkömmlichen Kläranlagen lassen sich diese Stoffe nur schwer herausfiltern.
Auch in Öl- und Gasbohrungen verwendete Flüssigkeiten versuchten Wissenschaftler mit Biokohle zu behandeln. Sogar als Bestandteil von Druckertonern und Lacken kam das Material bereits testweise zum Einsatz. "Es gibt eine Reihe weiterer Anwendungsfelder, die noch nicht vollends erforscht wurden", sagt Kurt Spokas vom Agricultural Research Service des Landwirtschaftsministeriums der Vereinigten Staaten in St. Paul, Minnesota.
Ob und wann sich der Einsatz von Biokohle in der Landwirtschaft oder bei anderen Anwendungen wirtschaftlich rechnen wird, sei noch unklar, mahnen Experten. Schlechte Böden und Armut gehen oft miteinander einher. Nachdem Crane-Droesch in Kenia eine Ertragssteigerung beobachtet hatte, betrachtete er in denselben Gemeinden auch die ökonomischen Aspekte von Pflanzenkohle. "Fast niemand war bereit, so unser Ergebnis, die Biokohle zu kaufen, wenn deren Preis in etwa den Produktionskosten entsprach", berichtet der Forscher.
Die Preise für Biokohle variieren stark. In den USA kosten einige Sorten rund drei US-Dollar pro Kilogramm, vergleichbar mit bestimmten Düngemitteln, aber mehr als viele Pflanzenerden. Im industriellen Maßstab mag die Produktion von Biokohle nur dann ökonomisch sinnvoll sein, wenn Selbiges auch für die Biokraftstofferzeugung gilt – wenn sie beispielsweise subventioniert wird oder weil Klimaschutzmaßnahmen die Preise für fossile Brennstoffe in die Höhe treiben.
"Es gibt keine Biokohle – es gibt nur Biokohlen!"
Und sollte die Nachfrage tatsächlich einmal stark ansteigen, wie umweltverträglich ließe sich Biokohle herstellen? Ein entscheidender Faktor ist die Wahl des Ausgangsmaterials. China möchte beispielsweise Abfälle aus der Landwirtschaft wie Reis- und Weizenstroh nutzen, und einige Forscher in den USA verwenden Dung. Doch um Biokohle massenweise zu produzieren, mag sich keine der beiden als die effizienteste Methode herausstellen. Die Verwendung von Holz könnte dagegen Abforstung oder umweltschädliche Landnutzungsformen fördern.
"Wie es um die Nachhaltigkeit des Ausgangsmaterials steht, ist eine äußerst wichtige Frage", bestätigt Alfred Gathorne-Hardy von der englischen University of Oxford und Forschungsdirektor am dort ansässigen India Centre for Sustainable Development. "Diese Diskussion wird in der Welt der Biokohle noch zu wenig geführt, denke ich."
Wachstumsbranche
Womöglich wächst die Debatte mit dem Interesse der Verbraucher an Biokohle – und genau das steigt allmählich auf der gesamten Welt. Laut Björn Embrén, der in Stockholm für Landschaftsplanung und -schutz zuständig ist, setzt die Stadt seit 2009 auch Biokohle für die örtlichen Grünanlagen ein; und er schreibt dem Bodenverbesserer das gesündeste Baumwachstum in den vergangenen Jahren zu. Im September 2014 erhielt Stockholm von der in New York ansässigen Stiftung Bloomberg Philanthropies eine Million Euro für ein stadtweites Programm, in dem Gartenabfälle und irgendwann auch Speisereste und sogar Abwasser zu Biokohle verarbeitet werden sollen.
In Brooklyn begutachtet Flanner weiterhin seine Pflanzen. Wassertropfen funkeln an Kopfsalat und Karottengrün, während er in seiner leuchtend gelben Regenjacke vorsichtig durch die Reihen schreitet. Die Biokohle würde langfristig einen positiven Effekt auf seine Böden haben, meint Flanner, weil diese dadurch sowohl Nährstoffe als auch Wasser besser speichern können. "Beides ist sehr wichtig, vor allem auf einem begrünten Dach mit einer so gut entwässerten Erde", sagt er. "Nährstoffe und Wasser gehen hier eher schnell verloren."
Doch bevor Flanner die Biokohle auch unter weitere Gemüsebeete mischt, will er abwarten, wie sich die Pflanzen in den nächsten Jahren entwickeln. Wie auch die Wissenschaftler ist er gespannt, ob die Biokohle den hohen Erwartungen gerecht wird oder wie so viele andere vermeintliche Wundermittel zuvor schnell wieder von der Bildfläche verschwindet.
Der Artikel ist im Original "Agriculture: State-of-the-art soil" in "Nature" erschienen.
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