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Chemische Evolution: Biomoleküle bilden selbstständig Protozellen

Kompartimente
Wie das Leben auf der Erde entstand, beschreiben Hypothesen mittlerweile nachvollziehbar, wenn auch lückenhaft. Man ist sich zum Beispiel recht sicher zu wissen, woher die notwendigen biomolekularen Bausteine des Lebens stammen. Auch welche entscheidende Rolle später das Entstehen von Zellen spielte: Sie dienten als Kompartimente, in denen chemische Reaktionen in von der Umwelt abgeschotteten hochkonzentrierten Molekülgemischen ablaufen konnten. Umstritten bleibt aber, wie sich aus der Ursuppe, dem Inventar des frühirdischen Chemiebaukastens, die ersten Vorläuferzellen überhaupt bilden konnten. Eine nicht ganz neue Erklärung haben nun Stephen Mann von der Bristol University und seine Kollegen verfeinert: Ganz bestimmte Peptide und Nukleotide könnten sich autonom zusammengelagert und dann weiterentwickelt haben.

Kompartimente als Protozellen | Mikroskopaufnahme der Tröpfchen, die die Vorläufer heutiger Zellmembranen sein könnten. Die eingefärbten Kompartimente sind nur wenige Mikrometer groß.
Die Forscher schließen das aus einer langen Reihe von chemischen Experimenten, bei denen sie unterschiedliche Biomoleküle unter verschiedenen Bedingungen miteinander reagieren ließen. Verzichten wollten die Forscher dabei auf den Einsatz von Lipiden, die heute die Basis aller Biomembranen und damit der Zellhüllen bilden. Membranlipide sind allerdings recht komplex aufgebaut und haben daher wahrscheinlich auf der präbiologischen Urerde gefehlt. Als Keimzelle der allerersten Zellhüllen kommen sie daher kaum in Frage.

Schon Pioniere der präbiotischen Evolutionsforschung wie der russische Biochemiker Alexander Oparin hatten aber im vergangenen Jahrhundert vermutet, dass Makromoleküle in wässrigen Lösungen unter bestimmten Bedingungen Lipide zum Aufbau einer chemischen Grenzschicht überflüssig machen können. So lagern sich Polyelektrolytgemische – etwa aus Peptiden und Nukleotiden – zu Mikrosphären zusammen: tröpfchenförmigen Gebilden mit membranartigen Grenzschichten, die teilweise durchlässig sind. Sie lassen also einen dynamischen Reaktionsraum entstehen, der den Anforderungen an Vorläufer biologischer Zellen nahekommt.

Eben solche Mikrosphären ließen nun Mann und Co. aus ausgewählten niedrigmolekularen Mononukleotiden und kurzen positiv geladenen Peptiden im Labor entstehen. Die Peptid-Nukleotide lagerten sich dabei spontan zu Mikrosphären zusammen, die bei schwankenden pH-Werten wachsen oder schrumpfen und bei unterschiedlicher Temperatur und Salinität stabil blieben. Zudem reichern sich in ihnen Nanopartikel, Peptide und sogar Enzyme an, die in die Lösung gegeben werden. Dabei entstanden teilweise zellähnliche Gebilde, in denen die von den eingesammelten Enzymen vermittelten Prozesse verstärkt ablaufen konnten. Ein Gemisch aus abiotisch entstandenen Peptiden und Mononukleotiden könnte also durchaus zur Protozelle auf der Urerde geworden sein, schlussfolgern die Wissenschaftler. Biomembranen, heute unverzichtbar für die Kompartimentierung der Zellen, seien dann womöglich erst später entstanden. (jo)

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