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Ozeane: Ursprung eines mysteriösen Geräuschs geklärt?

Ein mysteriöses Geräusch aus der Tiefsee stellte Biologen lange vor ein Rätsel. Es könnte auf eine wenig bekannte, seltene Walart zurückgehen.
Ein Brydewal taucht im Golf von Thailand mit geöffnetem Maul auf. Kleine Fische springen im Maul und außen hoch. Erkennbar sind Barten. Wasser und Wal sind grau
Brydewale sind relativ unbekannte Großwale, die sich im Gegensatz zu verwandten Arten ganzjährig in tropischen und gemäßigten Gefilden aufhalten.

»Biotwang«, so nannten Forscher ein unerklärliches Geräusch, das sie 2014 erstmals im Pazifischen Ozean aufzeichnen konnten: ein tiefes, sonores Grunzen, gefolgt von einem quietschenden, mechanischen Echo. Es klinge wie ein Frosch, der im Weltraum rülpst, so wurde der Laut damals beschrieben, auch wenn die Beschreibung sicher Fragen aufwirft. »Man hört dieses niederfrequente Stöhnen«, sagt Lauren Harrell, Datenwissenschaftlerin bei Google Research AI for Social Good, und begleitet den Satz mit ihrer eigenen Version eines herzhaften Stöhnens. »Und dann gibt es noch eine höherfrequente Komponente, die sich für mich wie die frühere Star-Trek-Enterprise anhört – ich nenne es das ›Bip boo, bip boo‹-Geräusch.«

Autonome Tauchroboter hatten 2014 erstmals die seltsamen Klänge aufgezeichnet, die durch den sehr tiefen und langen Marianengraben hallten. Die Forscher konnten die Quelle damals nicht identifizieren, hatten aber einige Theorien. »Es gibt genug andere künstliche wirkende und nach ›Star Wars‹ klingende Walrufe«, weshalb sie vermuteten, dass »Biotwang« ebenfalls von einem Bartenwal stammen könnte, so Ann Allen von der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) der USA. Allerdings käme niemand, der sich nicht mit Walen auskennt, auf die Idee, dass dieses Geräusch von einem Tier stammt.

Auf der Suche nach dem »Biotwang«

Tatsächlich herauszufinden, welches Meerestier diese merkwürdigen Töne abgibt, ist allerdings kompliziert: Es erfordert einen Menschen an Bord, der die Quelle genau dann sieht und identifiziert, wenn das Geräusch zu hören ist. »Man braucht viel Zeit und Mühe sowie eine gehörige Portion Glück«, so die Forscherin. Allen, Harrell und ihre Kollegen konnten schließlich das Rätsel des »Biotwangs« lösen. Während sie Wale vor den Marianen, einer Inselgruppe in der Nähe des gleichnamigen Grabens im Nordpazifik, beobachteten, sahen die NOAA-Forscher insgesamt zehnmal Brydewale(Balaenoptera edeni), eine wenig erforschte Art von Meeressäugern, die weit über den riesigen offenen Ozean verstreut vorkommen. Bei neun Gelegenheiten, bei denen Brydewale auftauchten, hörten die Forscher gleichzeitig den »Biotwang«. »Einmal ist es ein Zufall«, sagt Allen: »Beim zweiten Mal ist es ein glücklicher Zufall. Bei neun Malen ist es definitiv ein Brydewal.«

Nach der Beobachtung folgte die Fleißarbeit

Nachdem das Team die Quelle identifiziert hatte, untersuchte es über Jahre gesammelte Audiodaten von Unterwassermikrofonen, um mehr über die Verbreitung dieses spezifischen Walgeräuschs herauszufinden. Die stetig wachsende Datenbank der NOAA enthält jedoch mehr als 200 000 Stunden solcher Aufnahmen. »Diese Daten können unmöglich manuell analysiert werden«, sagt Olaf Meynecke von der Griffith University in Australien, der nicht an Allens Studie beteiligt war.

Bei der Analyse von Audiodaten für ein anderes Projekt war Ann Allen von den riesigen zu verarbeitenden Datenmengen überwältigt. »Lass das doch einfach Google für dich machen, schlug mein Vater vor«, erzählt sie. Also wandte sich die Forscherin an Mitarbeiter des Unternehmens, die zu ihrer Überraschung zustimmten. Das Unternehmen stellte KI-Tools zur Verfügung, die die Analyse beschleunigten, indem sie Audiodaten in Spektrogramme umwandelten und dann Algorithmen trainierten, um mit Hilfe der Bilderkennung nach bestimmten Frequenzen zu suchen.

Die Daten bestätigten, dass die von den Forschern untersuchten Brydewale eine eigene Population bilden. Zudem konnten sie zeigen, wo die Tiere im Pazifik zu verschiedenen Jahreszeiten und in verschiedenen Jahren zu finden waren. Das war zuvor unmöglich, weil Wissenschaftler die verschiedenen Populationen der mysteriösen Wale nicht auseinanderhalten konnten. Als 2016 ein starker El Niño das Nahrungsangebot der Wale – hauptsächlich Krill, Sardinen und Sardellen – in andere Regionen verschob, ertönten viele »Biotwangs« sogar rund um die nordwestlichen Hawaii-Inseln. In das Gebiet wagen sich diese Wale nur unter bestimmten klimatischen und ozeanografischen Bedingungen.

Sobald man wisse, wo und wann die Wale unterwegs sind, könnten KI-Modelle diese Daten mit Klima- und Umweltfaktoren in Verbindung bringen und so den Schutz der Art unterstützen, hofft Lauren Harrell. »Wenn sich durch den Klimawandel beispielsweise El Niño und La Niña ändern, müssten diese Wale vielleicht weiterziehen und mehr Energie aufwenden, um Nahrung zu finden«, sagt Allen.

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