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News: Bis drei zählen reicht hier nicht

Bakterien übernehmen die unterschiedlichsten Tätigkeiten von der Verursachung von Krankheiten und bis zur Fixierung von Stickstoff in der Erde. Sie sind überall. Jetzt wurde erstmals die Gesamtzahl aller auf der Erde lebenden Bakterien geschätzt: Das Ergebnis läßt die Summe der Menschen wahrlich winzig erscheinen.
Die Gruppe von Wissenschaftlern der University of Georgia unter Leitung des Mikrobiologen William B. Whitman schätzt, daß es sich um fünf Millionen Billionen Billionen handelt – also eine Fünf, gefolgt von 30 Nullen. Anders ausgedrückt: Wäre jedes Bakterium nur etwa so breit wie ein Pfennig, wäre die Geldkette drei Billionen Lichtjahre lang. "Es gab bis dato einfach keine Schätzungen über die Anzahl der Bakterien auf der Erde", erzählte Whitman. "Da sie so vielfältig und bedeutend sind, dachten wir, daß es durchaus sinnvoll wäre, eine Vorstellung über ihre Menge zu bekommen."

Um die Gesamtzahl der Bakterien auf der Erde abzuschätzen, teilte die Wissenschaftler der University of Georgia unseren Planeten in verschiedene Bereiche ein. Hierzu zählten Ozeane und andere aquatische Bereiche, der Erdboden sowie Lebensräume wie die Luft, das Innere von Tieren und die Oberfläche von Blättern. Die Studie, die im Juni 1998 in den Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlicht wurde, brachte einige Überraschungen ans Tageslicht. "Indem wir direkte Messungen der Anzahl prokaryotischer Zellen, also der Bakterien, in verschiedenen Lebensräumen kombinierten, erfuhren wir, daß die Gesamtzahl der Zellen viel größer war, als wir erwartet hatten", erklärte Whitman.

Nachdem die Gruppe eine Liste der bekannten Bakterienlebensräume erstellt hatte, durchforstete sie die wissenschaftliche Literatur nach direkten Messungen der Zellenanzahl sowie der Menge an Kohlenstoff in Zellen aus den betreffenden Lebensräumen. Auf diese Art ermittelten die Wissenschaftler, daß sich die große Mehrheit der Bakterien im Seewasser, im Erdboden sowie im unter der Oberfläche von Ozeanen und Böden aufhält. Dann begannen sie, diese Lebensräume weiter zu erforschen.

Es wurden zahlreiche Direktmessungen der Bakterien-Gesamtzahl in den Ozeanen vorgenommen. Ferner wählte man Mittelwerte aus, die die drei Hauptlebensräume in den Ozeanen repräsentieren: die oberen 200 Meter, die Tiefsee und die oberen 10 Zentimeter der Tiefseesedimente.

Der Erdboden wurde in Wald- und Nicht-Wald-Gebiete aufgeteilt. Dann nutzten die Forscher detaillierte Direktmessungen zweier für diese Bodenarten repräsentativen Studien, um die Gesamtzahl der Bodenbakterien zu berechnen. Für die Oberfläche waren nur neun Datensätze verfügbar, doch Whitman nutzte mittelbare Beweise, um das Bild der Oberflächenbakterien abzurunden. "Wir haben geschätzt, daß ungefähr 92 bis 94 Prozent der auf der Erde lebenden Prokaryonten an der Bodenoberfläche zu finden sind", sagte Whitman. "Unserer Auffassung nach, umfaßt der Untergrund Meeresablagerungen unterhalb von etwa zehn Zentimetern und Landlebensräume unterhalb von etwa neun Metern."

Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Studie war die Abschätzung des Kohlenstoffanteils in Bakterien. Kohlenstoff stellt bei zahllosen Naturvorgängen ein bedeutendes Element dar. Deshalb kann das Wissen über sein mengenmäßiges Vorkommen die Kenntnisse über die Kohlenstoffzyklen bedeutend verbessern. Die Wissenschaftler nehmen an, daß der Kohlenstoff in den Bakterien, die im Boden und in unterirdischen Bereichen leben, etwa die Hälfte ihres Trockengewichtes ausmacht. Das Team fand somit heraus, daß die Gesamtzahl des Kohlenstoffs der Bakterien in Boden und im Untergrund eine weitere schwindelerregende Zahl darstellt: 5 mal 1017 g...

Überraschenderweise entdeckten die Wissenschaftler, daß die Gesamtmenge des Bakterienkohlenstoffes fast genau der in den Pflanzen gefundenen Gesamtmenge an Kohlenstoff entspricht. Die Einbeziehung dieses Kohlenstoffs in globale Modelle wird die berücksichtigte Menge des in lebenden Organismen vorhandenen Kohlenstoffs immens erhöhen. Gleichfalls könnte die neue Schätzung die Vorstellungen von der relativen Menge anderer wichtiger Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor in Pflanzen verändern. "Zuvor wurde angenommen, daß 50 Prozent des auf der Erde befindlichen lebenden Protoplasmas mikrobisch ist. Unsere neuen Zahlen legen indes nahe, daß diese Schätzung wahrscheinlich viel zu vorsichtig war", erklärte Whitman.

Die Studie könnte auch in Bezug auf die Mutationsrate von Bakterien interessant sein. Außerdem zeigen die neuen Zahlen, daß Vorgänge, die im Laboratorium äußerst selten ablaufen, in der Natur dagegen ziemlich häufig passieren könnten: Da die Anzahl der Bakterien so überaus groß ist, laufen Ereignisse, die im Laboratorium einmal in 10 Milliarden Jahren passieren, in der Natur vielleicht jede Sekunde ab.

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