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Olympia: Zuckermessung als Leistungsbooster

Glukosesensoren bewahren Menschen mit Diabetes zuverlässig vor einer gefährlichen Unterzuckerung. Doch immer mehr Leistungssportler – auch bei Olympia – schwören auf die kontinuierliche Blutzuckermessung. Erhöht sie die Chancen auf einen Sieg und sorgt womöglich für einen unfairen Wettbewerbsvorteil?
Die Siegerin Demi Vollering aus den Niederlanden und die Drittplatzierte Kristen Faulkner aus den USA feiern mit einer Champagnerdusche ihre Erfolge beim Eintagesrennen Strade Bianche 2023
Kristen Faulkner (rechts) feiert nach dem Radrennen »Strade Bianche« neben der Siegerin Demi Vollering ihren dritten Platz. Doch der Glukosesensor, der an ihrem linken Arm unter dem Trikot zu sehen ist, sorgt nachträglich für ihre Disqualifikation.

Kristen Faulkner tritt kräftig in die Pedale. Die Startnummer auf dem Rückenteil ihres blauen Trikots ist schon ganz zerknittert. Die US-Amerikanerin hat sich von der Gruppe gelöst und radelt mehr als 30 Kilometer ganz allein durch die Toskana.

Die kurzen und steilen Schotteranstiege machen das Eintagesrennen »Strade Bianche« (auf Deutsch: weiße Straßen) zu einem besonderen Wettbewerb. Insgesamt 136 Kilometer haben die Teilnehmerinnen zu bewältigen. Zum Ende hin schmilzt Faulkners Vorsprung, die Konkurrenz ist stark. Im letzten Anstieg holen die Niederländerin Demi Vollering und Lotte Kopecky aus Belgien sie ein. Die beiden jagen, um wenige Zentimeter versetzt, über die Ziellinie auf der Piazza von Siena. Immerhin, Faulkner ist Dritte!

Leider nein. Zwar steht die Rennradfahrerin am 4. März 2023 stolz auf dem Podest. Doch zwei Wochen später wird ihr die Platzierung wieder aberkannt. Der Grund: ein kleines, weißes Plättchen an ihrem Arm. Ein Glukosesensor.

Alarm am Arm

Glukose, auch als Traubenzucker bekannt, ist eine der wichtigsten Energiequellen des menschlichen Körpers. Vor allem Hirn- und Muskelzellen sind auf den Einfachzucker angewiesen. Die Glukosekonzentration im Blut ist also ein Maß für den Energiezustand des Körpers. Über einen komplizierten Regelkreis, an dem zahlreiche Hormone und Enzyme beteiligt sind, wird der Pegel normalerweise einigermaßen konstant gehalten. Denn eine Unterzuckerung kann gefährlich sein, vor allem für Menschen mit Diabetes. Ihnen fehlt das Hormon Insulin – oder ihre Zellen reagieren nicht mehr richtig darauf.

Kontinuierlich arbeitende Glukosesensoren, wie Faulkner einen trug, wurden ursprünglich für Menschen mit Diabetes entwickelt. Der US-Pharmakonzern Abbott hat mittlerweile die dritte Version seines Sensors herausgebracht. Er ist nur noch so groß wie zwei übereinandergestapelte Fünf-Cent-Münzen. Üblicherweise wird der Sensor an der Rückseite des Oberarms befestigt. Eine Nadel, etwa doppelt so dick wie ein Haar, ragt wenige Millimeter in die Haut hinein. Sie misst über eine enzymatische Reaktion den Glukosegehalt im Gewebe und ist mit einem Mikrochip verbunden, der die Daten an ein gekoppeltes Gerät wie ein Handy oder eine Smartwatch überträgt. Sinkt der Pegel zu stark ab (den genauen Wert kann man selbst einstellen), gibt das Gerät eine Warnung: höchste Zeit für Kohlenhydrate!

Zucker ist nicht gleich Glukose

Lebensmittel enthalten meist eine Mischung aus verschiedenen Mehrfach- und Einfachzuckern, die unter dem Begriff Kohlenhydrate zusammengefasst werden. Fast alle können durch Enzyme in den Einfachzucker Glukose (Traubenzucker) gespalten oder umgewandelt werden. Auch andere Nährstoffe, etwa Fett und Eiweiße, können indirekt in Glukose umgewandelt werden. Das dauert aber deutlich länger und erfordert Sauerstoff.

»Die kontinuierliche Glukosemessung hat für Menschen, die Insulin spritzen müssen, die Therapie revolutioniert«, sagt Martin Heni, Endokrinologe und Diabetologe am Universitätsklinikum Ulm. Bis dahin mussten sich die Patientinnen und Patienten für jede Messung in den Finger piksen – drei-, vier-, fünf-, vielleicht auch achtmal am Tag. Mit diesen wenigen Momentaufnahmen habe man die Therapie – mehr schlecht als recht – gesteuert, erklärt Heni. »Jetzt sehen wir, was den ganzen Tag über passiert.«

Ihren Blutzucker kontinuierlich im Blick zu haben, könnte auch für Sportler und Sportlerinnen hilfreich sein. Denn alle fürchten ihn, den Moment, wenn »der Mann mit dem Hammer kommt« oder man »gegen die Wand läuft«. Sinkt der Blutzucker stark ab, versagen die Muskeln ihren Dienst. Das ist zwar nicht lebensgefährlich, aber leistungsmindernd. Man fühlt sich plötzlich tonnenschwer, kommt kaum mehr vom Fleck. Der ganze Körper schreit nach einer Pause. Können Glukosesensoren einen solchen »Hungerast« verhindern? Kann die Technik Athletinnen und Athleten vielleicht sogar helfen, ihre Leistung zu verbessern?

Auch bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris werden einige »weiße Knöpfe« zu sehen sein. Der niederländische Marathonläufer Abdi Nageeye beispielsweise trägt einen. Der Kenianer Eliud Kipchoge, der als erster Mensch einen Marathon in weniger als zwei Stunden bewältigte (wenn auch nicht unter regulären Wettkampfbedingungen), nutzt schon seit 2021 einen solchen Sensor. Auch Triathleten wie Jan Frodeno und Gustav Iden vertrauen angeblich darauf. Um die Zielgruppe der Sportlerinnen und Sportler zu erschließen, arbeitet der Pharmakonzern Abbott mit weiteren Unternehmen zusammen, zum Beispiel mit Supersapiens. Der Sporttechnologievertreiber hat unter anderem den »Glucose Sport Biosensor« verkauft – samt zugehöriger App zum Tracken der Daten.

Vom Homo sapiens zum Supersapiens?

Supersapiens-Gründer Phil Southerland ist selbst von Typ-I-Diabetes betroffen. Der ehemalige Radprofi trainierte ein Team, das ausschließlich aus Menschen mit Diabetes bestand. Er ist überzeugt davon, dass die Übersicht über ihre Glukosedaten auch Athleten und Athletinnen ohne Diabetes helfen kann. »Supersapiens ist für jeden, der aktiv versucht, besser zu werden«, heißt es auf der Homepage. Dort finden sich jede Menge begeisterte Stimmen von Hobby- und Profisportlern. Laut einer Umfrage des Unternehmens konnten 72 Prozent der Kunden ihre Performance verbessern oder eine neue Bestleistung aufstellen.

Verschafft der Sensor Athletinnen und Athleten also tatsächlich einen Vorteil? Wie die Disqualifikation von Kristen Faulkner zeigt, ist der Detektor bei offiziellen Radsportwettkämpfen verboten. In den aktuellen Regeln des Dachverbands, der Union Cycliste Internationale (UCI), ist es Radfahrern und Radfahrerinnen zwar erlaubt, ihre Herzfrequenz, Körpertemperatur oder Schweißrate zu messen. Doch »Geräte, die andere physiologische Daten wie zum Beispiel Glukose oder Laktat erfassen, sind im Wettbewerb nicht zugelassen.« Die einzige Ausnahme: Wer an Diabetes erkrankt ist, kann eine Genehmigung beantragen. Offenbar hat die UCI Bedenken, dass die Sensoren ihren Trägern einen unfairen Vorteil verschaffen könnten. Zwar stehen sie nicht auf der Verbotsliste der Welt-Anti-Doping-Agentur. Jeder Sportverband kann aber spezifische Regelungen erlassen, die den Einsatz der Sensoren während der Wettkämpfe einschränken oder verbieten. Die UCI ist bislang der einzige, der das getan hat. Andere Verbände oder Wettkampforganisatoren sehen hier kein Problem. Im Gegenteil: Die Veranstalter der Ironman-Triathlons sind sogar eine Sponsoring-Partnerschaft mit Supersapiens eingegangen.

Wie streng die UCI die Regeln auslegt, zeigt der Fall Faulkner: Allein das Tragen eines solchen Sensors disqualifiziert den Fahrer oder die Fahrerin. Denn Faulkner sagte aus, das Gerät sei während des Rennens gar nicht aktiv gewesen.

»Die Sportlerinnen und Sportler müssen sich optimal verpflegen können. Gerade im Radsport finde ich es gefährlich, wenn jemand unterzuckert«Kuno Hottenrott, Sport- und Trainingswissenschaftler

»Völlig unverständlich« findet Kuno Hottenrott, Sport- und Trainingswissenschaftler an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, das Verbot. Warum dürfe man seine Herzfrequenz messen, nicht aber den Energiestatus beziehungsweise das Feedback des Körpers auf Kohlenhydrate? »Die Sportlerinnen und Sportler müssen sich optimal verpflegen können. Gerade im Radsport finde ich es gefährlich, wenn jemand unterzuckert.« Stürze können schlimme Folgen haben, ganze Massencrashs verursachen. Durch eine rechtzeitige Verpflegung ließen sich manche davon vielleicht verhindern.

»Mann mit dem Hammer« ist schon da

Aber kann einem der Sensor überhaupt so genau sagen, wann es Zeit für Zuckernachschub ist? Fachleute sagen: eher nicht. Denn das Gerät misst nicht die Glukosekonzentration im Blut, sondern die im Gewebe. Bis der Zucker dort ankommt, dauere es im Schnitt 15 Minuten, erklärt Hottenrott, der die Sensoren von Abbott schon an etwa 1000 Sportlern und Sportlerinnen getestet hat. Dabei habe er auch schon deutlich kürzere beziehungsweise längere Verzögerungszeiten festgestellt. Die genauen Ursachen dafür kenne man noch nicht, sagt Hottenrott. Jeder Arm ist ein bisschen anders. »Einige haben mehr Muskeln, andere mehr Fettgewebe. Und bei manchen ist das Fettgewebe übersäuert.« All das wirke sich auf den Glukosetransport aus. Doch egal, ob die Verzögerung nun 5 oder 20 Minuten beträgt: Greift der Sportler oder die Sportlerin erst dann zum Riegel, wenn die Glukosekonzentration im Gewebe einen Tiefstand erreicht hat, ist »der Mann mit dem Hammer« bereits da.

Hinzu kommt: Die meisten Profisportler haben bereits einen ausgefeilten Ernährungsplan (»Fueling-Strategie«) für Trainings und Wettkämpfe. So sollte ein gefährlicher Hungerast eigentlich vermieden werden. Die Arbeitsgruppe Sporternährung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung gibt zudem detaillierte Empfehlungen, wie viel Gramm Kohlenhydrate man bei welcher Dauer und Art von Belastung zu sich nehmen sollte – währenddessen, aber auch schon im Vorfeld. »Wenn ich mich daran halte, kann es eigentlich zu keinem so starken Abfall kommen«, sagt Hans Braun von der Sporthochschule Köln, der besagter Arbeitsgruppe angehört. Der Sport- und Ernährungswissenschaftler berät am Olympiastützpunkt Leistungssportlerinnen und -sportler, die ihre Ernährung optimieren wollen. Ein Hungerast komme manchmal vor, »wenn man seinen Job nicht richtig gemacht oder eine Situation unterschätzt hat«.

Nicht nur der Sport, sondern auch die Ernährung muss trainiert werden. Dabei könne einem der Sensor möglicherweise helfen, sagt Braun, der selbst schon Studien damit durchgeführt hat. Athletinnen und Athleten könnten damit herausfinden, wie sie beim Sport auf bestimmte Lebensmittel reagieren – auch auf spezielle Sportnahrung wie Gele, die während eines Wettbewerbs schnell Energie liefern sollen. Wichtig sei aber auch, die Wettkampfsituation zu simulieren. Denn hier kann vieles anders sein. »Einige bekommen plötzlich Verdauungsprobleme. Andere verlieren vor Nervosität ihre Gele und können deshalb nichts zu sich nehmen«, berichtet der Ernährungswissenschaftler. Da hilft dann auch der Sensor nicht.

Ein weiterer Punkt: Unter Stress schüttet die Nebenniere mehr Adrenalin aus. Das Hormon sorgt dafür, dass Zuckervorräte in der Leber abgebaut werden und Glukose ins Blut übertritt. Man fühlt sich wach, der Körper ist kurzfristig leistungsfähiger – ein uralter Mechanismus. Schließlich könnte es sein, dass irgendwo ein Säbelzahntiger lauert. Beobachtet man den Anstieg der Glukose, nimmt man vielleicht weniger Kohlenhydrate zu sich als geplant. Zumal man sich in solchen Situationen oft nicht auf sein Hungergefühl verlassen kann. Doch die Muskulatur verbraucht weiterhin Glukose, vielleicht sogar mehr als im Training. Manche Sportler blühen im Wettkampf zu Höchstleistungen auf. Fehlt der Nachschub, kann der Blutzucker dann plötzlich und rasch abfallen und der Hungerast ist da.

Mehr Zucker, mehr Leistung?

Wenn ein hoher Glukosespiegel kurzfristig leistungsfähiger macht, wäre es dann nicht von Vorteil, ihn langfristig oben zu halten? Ja und nein. Damit die Muskulatur optimal arbeiten kann, muss die Glukose erst einmal dort landen. Insofern ist es also gar nicht schlecht, dass der Sensor die Konzentration im Gewebe misst und nicht im Blut. Allerdings hat die Muskulatur ihre eigenen Energiespeicher: in Form von Glykogen. Diese riesigen Zuckermoleküle kann der Sensor nicht messen.

Die Glykogenvorräte im Muskel reichen – je nach Füllstand und Belastung – für etwa 60 bis 90 Minuten intensiver sportlicher Aktivität. Erst dann wird Nachschub notwendig. »Wenn Sie eine halbe Stunde im Wald joggen, brauchen Sie kein Gel oder Sportgetränk«, verdeutlicht Braun. Legt man aus Sorge zu viel oder zu oft nach, flutet man den Körper womöglich mit mehr Zucker, als er aufnehmen und verarbeiten kann. Das kann zu Magen-Darm-Beschwerden und Leistungseinbrüchen, schlimmstenfalls sogar zu einer Bewusstlosigkeit führen. Kuno Hottenrott sind ähnliche Fälle bekannt. Einmal bat ihn ein Triathlet um Rat, nachdem er mitten im Wettkampf zusammengebrochen war. »Ich habe mir seine Aufzeichnungen angesehen und festgestellt: Er hatte allein während des Radfahrens 24 Gele eingenommen.« Das entspricht umgerechnet etwa 125 Stück Würfelzucker – ganz klar zu viel.

Der Blutzucker von gesunden Menschen liegt im nüchternen Zustand zwischen 70 und 100 Milligramm pro Deziliter. Nach dem Essen kann er auf 140 bis 180 ansteigen. Mit welchen Werten sollten Sportlerinnen und Sportler in den Wettbewerb gehen? Steigert ein hoher Blutzucker womöglich die Chancen auf den Sieg? Eine kleine Studie mit trainierten Rennradfahrern aus Südafrika ergab, dass höhere Glukosespiegel keine bessere Leistung bringen. Die Athleten fuhren eine Strecke von 100 Kilometern bei einer Glukosekonzentration von 180 Milligramm pro Deziliter nicht schneller als mit 90 Milligramm pro Deziliter im Blut.

Ein etwas anderes Bild ergab eine Studie aus Japan: Hier wurden die Glukosespiegel von sieben Läufern und Läuferinnen mittels Sensor überwacht, während diese einen Ultramarathon über 160 Kilometer absolvierten. Hier war es zwar ebenfalls nicht so, dass die Personen mit den höchsten Glukosespiegeln am schnellsten rannten. Doch die Forschenden notierten auch, was und wie viel die Langstreckenprofis während des Laufs aßen und tranken. Bei der Auswertung stellten sie fest: Je mehr Kohlenhydrate diese zu sich genommen hatten, desto schneller waren sie.

Für den Ernährungsexperten Hans Braun ist das nicht überraschend. Wer konstant eine hohe Leistung bringen wolle, müsse nachlegen. Kohlenhydrate sind der perfekte Treibstoff, denn sie liefern leicht verfügbare Glukose, die der Muskel schnell umsetzen kann. Wirklich sinnvoll sei dies aber erst bei intensiven Belastungen, die länger als eine Stunde dauern, sagt Braun.

Seinen Glukosespiegel mit Hilfe von Kohlenhydraten oben zu halten, ist also nur im Ausdauerbereich relevant. Bei manchen Sportarten ist der Wettkampf schon vorüber, bevor man überhaupt reagieren könnte. Zudem hängt es wohl auch von der Art der Belastung ab. Hottenrott erinnert sich an einen Profi-Gewichtheber, der den Sensor testete. »Mit erhöhtem Glukosespiegel war er nicht besser, im Gegenteil: Er fühlte sich im Training schlechter.« Möglicherweise haben die Muskelzellen des Kraftsportlers die überschüssige Glukose in Laktat, das Anion der Milchsäure, umgewandelt. »Das kann zur Übersäuerung und schnelleren Ermüdung führen«, weiß der Sportwissenschaftler.

Besser konstant als möglichst hoch

Die Zusammenhänge sind also komplex und noch nicht bis ins Detail erforscht. Klar ist allerdings: Wichtiger als ein möglichst hoher Glukosespiegel ist, dass dieser konstant bleibt. Dafür entscheidend sei auch die Art der Kohlenhydrate, die man zu sich nimmt, sagt Hottenrott. Reiner Traubenzucker treibt den Glukosespiegel bekanntlich schnell in die Höhe. Der Körper steuert dann gegen. So kann es zu großen Schwankungen kommen. Um den Glukosespiegel auf einem stabilen Niveau zu halten, sei es besser, mehr langkettige Kohlenhydrate aufzunehmen, erklärt der Forscher von der Uni Halle-Wittenberg. Bekannt ist zudem, dass die Reaktion des Blutzuckers auf ein bestimmtes Lebensmittel individuell verschieden ausfallen kann. Und es kommt darauf an, was man gut verträgt. Der Glukosesensor kann eventuell helfen, genau das herauszufinden und die Ernährung zu optimieren.

»Für Gesunde gibt es aus meiner Sicht keinen guten Grund, den Blutzucker kontinuierlich zu überwachen«Daniel Bizjak, Biochemiker

Der Biochemiker Daniel Bizjak begleitet seit einigen Jahren die TorTour de Ruhr, einen Ultramarathon, der von der Ruhrquelle bis nach Duisburg führt. Er verteilte an etwa 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in diesem Jahr Sensoren mit kontinuierlicher Glukosemessung. Die Läufer und Läuferinnen notierten genau, was sie wann gegessen und getrunken hatten. »Kuchen, Salami, Bier. Es war alles dabei, zum Teil in großen Mengen«, berichtet Bizjak. Die Kurven, die er gerade auswertet, zeigen trotzdem keine extremen Schwankungen. Die Werte lagen durchweg im Normbereich, »Hungeräste« gab es keine. »Dafür sind die Leute viel zu erfahren«, vermutet er. Beim Abendessen nach dem Zieleinlauf sei der Glukosespiegel bei manchen aber in die Höhe geschossen. »Klar, weil der konstante Verbrauch durch die Muskulatur wegfällt«, erklärt der Biochemiker.

Bekannt ist auch: Wer dauerhaft mehr Energie aufnimmt als benötigt, legt Gewicht zu. Überschüssige Glukose wird – unter anderem in Form von Fett – eingelagert. Zudem werden die Zellen weniger empfindlich für das Hormon Insulin. Das erhöht das Risiko, an Typ-II-Diabetes zu erkranken. Kann der Glukosesensor helfen, das zu erkennen? Endokrinologe Martin Heni ist skeptisch. »Für Gesunde gibt es aus meiner Sicht keinen guten Grund, den Blutzucker kontinuierlich zu überwachen. Denn wir haben im Moment noch keine Ahnung, was wir mit diesen Werten anfangen sollen.« Zu sehen, wie sich ihr Zuckerspiegel verhält, könne Menschen mit Übergewicht oder einer Vorstufe von Diabetes vielleicht motivieren, sich mehr zu bewegen oder weniger zu essen. »Aber die eigentliche Therapie ist die Veränderung des Lebensstils.« Das ist ein langer Weg – und nicht alle Menschen sind durch Zahlen motivierbar. Hinzu kommt der Kostenpunkt: Der aktuelle Sensor von Abbott kostet etwa 70 Euro und kann maximal 14 Tage lang getragen werden.

»Die Leistung kommt durchs Training, nicht durchs Messen«Hans Braun, Sport- und Ernährungswissenschaftler

»Man kann damit vielleicht etwas über sich in Erfahrung bringen, im Alltag oder auch im Sport«, sagt Hans Braun. Dass dieser Erkenntnisgewinn indirekt zu einer positiven Leistungsentwicklung führen kann, hält er für möglich. Von einer Leistungssteigerung mag er jedoch nicht sprechen. »Die Leistung kommt durchs Training, nicht durchs Messen.« Auch eine optimale Ernährung könne die Leistung nicht direkt steigern. »Ich kann nur dafür sorgen, dass mein Körper langsamer müde wird – vielleicht langsamer als der von der Konkurrenz.«

Ein Tool für die Zukunft?

Den Sensor hält er dennoch für ein »spannendes Tool«, mit dem man bestimmte Zusammenhänge genauer untersuchen könnte, etwa wie sich der Glukosespiegel auf den Schlaf auswirkt. Oder welche Rolle der Menstruationszyklus spielt. »Wir haben festgestellt, dass Frauen während der ersten Follikelphase etwas niedrigere Glukosespiegel haben, also offenbar sensibler auf Insulin reagieren«, berichtet Kuno Hottenrott, der aktuell eine Doktorarbeit zu diesem Thema betreut.

Für den Sport sei die Methode noch kein Durchbruch, insbesondere wegen der zeitlichen Verzögerung zwischen Gewebe- und Blutglukose, sagt Daniel Bizjak. Anders sähe es vielleicht aus, wenn die Software durch Kombination mit anderen Parametern wie Puls, Herzfrequenz oder Laktosekonzentration eine konkrete Vorhersage treffen könnte. »Iss jetzt eine halbe Banane« – eine solche Empfehlung, von Handy oder Uhr rechtzeitig ausgesprochen, könnte dem Athleten oder der Athletin vielleicht tatsächlich helfen. Das gibt die aktuelle Technik aber noch nicht her. Jedenfalls nicht die App, die Supersapiens bereitstellt. Dem Unternehmen geht es übrigens nicht gut. Berichten zufolge hat es bereits im Februar 2024 angekündigt, seine Geschäftstätigkeit einzustellen. Das liegt vermutlich auch daran, dass sich der Verkauf der Sensoren auf Europa beschränkte. In den USA sind sie für Menschen ohne Diabetes nämlich noch gar nicht zugelassen.

Die Technik wird sich sicherlich weiterentwickeln. Apple arbeitet beispielsweise schon sehr lange dran, einen Glukosesensor in seiner Smartwatch zu verbauen. Wie genau eine solche Messung sein kann und wann sie marktreif ist: ungewiss. »Vielleicht ist das noch ein langer Weg. Aber ich bin ziemlich optimistisch, dass man auch das schaffen wird«, sagt Hottenrott. Bleibt die Frage, ob es überhaupt wünschenswert und gesund ist, während des Sports sämtliche Parameter zu überwachen. Gerade Sportlerinnen und Sportler sollten ein gutes Gefühl für sich und ihren Körper haben. Womöglich wäre es manchmal besser, darauf zu vertrauen. Und sich die Wettkampfregeln vorher genau durchzulesen.

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