Zoologie: Bockiges Schaf
Mit Ausnahme der Amazonen und Hyänen gelten bewaffnete Händel üblicherweise als Domäne des männlichen Geschlechts - zumindest unter Säugetieren. Ausgerechnet eine Gruppe von Tieren, die gemeinhin als eher friedlich und schicksalsergeben gelten, belegt nun das Gegenteil: Bei den Soay-Schafen der schottischen Insel Hirta boxen sich auch die Frauen durch.
Die St. Kildas sind ein besonderes Fleckchen Erde: Siebzig Kilometer westlich von den Äußeren Hebriden Schottlands inmitten des Atlantiks gelegen, beheimaten die winzigen Inseln seit langem außergewöhnliches Leben. Hier finden sich beispielsweise einige der größten Seevögel-Brutplätze im Atlantik. Nur auf diesen Eilanden leben zwei Unterarten des Zaunkönigs und der Waldmaus, die sich in der Abgeschiedenheit des Archipels entwickeln konnten. Und die wenigen Menschen, die über Generationen hinweg seit der Bronzezeit dort lebten, bauten eine für Europa fast einmalige lokale Wirtschaft auf, die vornehmlich auf der Ausbeutung von Eiern und Tieren der reichen Vogelbestände beruhte.
Alte Schafzucht
Durch die raue See meist isoliert vom Rest des britischen Inselreichs konnten sich die Einwohner nicht auf Handel verlassen, und die schwierigen Wetterverhältnisse vereitelten meist den Fischfang. Landwirtschaft wiederum war auf den Inseln nur eingeschränkt möglich, da saure Böden, kühle Temperaturen und hohe Niederschläge sowie die ständig sprühende salzige Gischt der Brandung allenfalls kümmerliche Ernten an Kartoffeln oder Gerste eintrugen. Immerhin gedieh Vieh auf den St. Kildas, sodass die Menschen wenigstens etwas Milch oder Wolle erzeugen konnten.
Matthew Robinson und Loeske Kruuk von der Universität Edinburgh etwa widmeten sich der Behornung der Tiere, die bei den einzelnen Individuen der Hirta-Population sehr unterschiedlich ausfällt: Einige der Männchen und Weibchen tragen ein sehr imposantes geschwungenes Widder-Gehörn, andere dagegen nur eine verstümmelte Kurzversion, und eine dritte Gruppe – die ausschließlich aus Weibchen besteht – muss sogar gänzlich ohne den Kopfschmuck auskommen. Bei den Herren der Schaf-Schöpfung scheint der Fall klar zu sein, sie tragen ihre Hörner, um damit ihren Harem zu beeindrucken oder sie sich im Kampf um die Damenwelt an der Konkurrenz abzustoßen: Je umfangreicher die Auswüchse sind, desto größer ist meist der Erfolg – auch bei den Soay-Schafen der St. Kildas wie vorherige Studien gezeigt haben.
Warum wachsen die Hörner jedoch auch den Schafweibchen bisweilen aus dem Schädelknochen? Sind sie einfach stammesgeschichtliche Relikte, die noch tief im Erbgut schlummern, aber langsam im Schwinden sind? Oder vielleicht doch ein aktives Signal an die Männchen, dass die Trägerin so gesund und kräftig ist, dass sie sich ebenfalls Zierrat leisten kann und damit eine hervorragende Partnerin abgäbe? Letzteres konnte die Forschung mittlerweile klären und mit Nein beantworten, da sich die Paarungshäufigkeit zwischen beiden Gruppen nicht unterscheidet. Auch Robinson und Kruuk wiesen auf Hirta derartige Unterschiede nicht nach – auf der Insel steht seit mehr als zwanzig Jahren eine Population der Schafe mehr oder weniger unter Dauerobservierung.
Ihre Beobachtungen während der letzten Wurfperiode im Frühjahr 2006 belegen allerdings, dass die Hörner der Weibchen tatsächlich eine aktive Bestimmung haben. Die Biologen notierten, welche Tiere Nachwuchs gebaren, wie alt sie dabei waren, ob sie Kopfschmuck besaßen und wie sie sich Artgenossen gegenüber gebärdeten: Insgesamt 51 Mal trugen die weiblichen Schafe Händel untereinander aus, bedrohten ihre Geschlechtsgenossinnen, attackierten sie mit Kopfstößen oder vertrieben sie aus ihrem unmittelbaren Umfeld.
Besonders hervor taten sich dabei die ältere Hornträgerinnen, die deutlich häufiger aggressiv auftraten als ihre jüngeren Konkurrentinnen mit verkümmerten oder gar fehlenden Auswüchsen. Gerade diese Gruppe war bevorzugtes Ziel der Aggressionen – vor allem wenn die Herden sehr groß waren und damit mehr Stress herrschte. Die Angriffe gingen dann zwar während der eigentlichen Geburtsphase der Lämmer zurück, weil sich die werdenden Mütter von ihren Begleiterinnen absonderten, um die Neugeborenen größtmöglich zu schützen. Anschließend nahm ihre Zahl jedoch wieder zu.
Boxen für den Nachwuchs?
Schafe mit Nachwuchs und Horn waren dabei zwar etwas weniger angriffslustig als solche mit Kopfschmuck, aber ohne Zöglinge, doch könnte die Versorgung der Lämmer nach Meinung der Forscher dennoch einer der Hauptgründe für das Verhalten und die körperliche Ausstattung sein. Denn über den Winter weiden die Schafe das Gras exzessiv ab, sodass es zur frühjährlichen Geburtsstunde mangelt. Gleichzeitig ist der Bedarf daran dann am höchsten, um Milch für die Jungen zu produzieren. Durchsetzungsfähigere Mütter dürften deshalb am ehesten die Versorgung ihrer Kleinen gewährleisten, da sie die Konkurrenz effektiv von den Weidegründen vertreiben: Das Horn geriete ihnen zum evolutionären Vorteil und bliebe deshalb zweckgebunden erhalten.
Ob diese Erklärung allerdings wirklich die richtige ist, sollen weitere Studien klären – etwa die Vitalität und Überlebensrate der Jungtiere behörnter Schafe verglichen mit jener schmuckloser Tiere. Insgesamt muss man sich um die Soay-Schafe jedenfalls keine Sorgen mehr machen, nachdem Hirta und andere Inseln des Archipels lange ihre letzte Hochburg waren: Mittlerweile haben Züchter sie weltweit entdeckt, denn sie sind pflegeleicht, robust und müssen nicht geschoren werden.
Alte Schafzucht
Durch die raue See meist isoliert vom Rest des britischen Inselreichs konnten sich die Einwohner nicht auf Handel verlassen, und die schwierigen Wetterverhältnisse vereitelten meist den Fischfang. Landwirtschaft wiederum war auf den Inseln nur eingeschränkt möglich, da saure Böden, kühle Temperaturen und hohe Niederschläge sowie die ständig sprühende salzige Gischt der Brandung allenfalls kümmerliche Ernten an Kartoffeln oder Gerste eintrugen. Immerhin gedieh Vieh auf den St. Kildas, sodass die Menschen wenigstens etwas Milch oder Wolle erzeugen konnten.
Und diese Nutztiere hatten und haben es in sich – auch wissenschaftlich. Denn abgeschieden von modernen Entwicklungen der Tierzucht überdauerte hier eine sehr alte Form des Hausschafs (Ovis aries): das Soay-Schaf, das womöglich die älteste noch erhaltene Zuchtlinie der Wolllieferanten bildet, womöglich ebenfalls seit der Bronzezeit auf den Inseln lebt und zumindest rein optisch noch sehr stark seinen wilden Vorfahren wie dem Mufflon ähnelt. Seit die letzten Menschen diesen zivilisatorischen Außenposten 1930 freiwillig verlassen haben, streunen die Schafe völlig auf sich allein gestellt und verwildert auf den Inseln Soay und Hirta umher und bieten Forschern seit etwa 1950 ein ideales Objekt, um Verhaltens-, genetische oder populationsbiologische Untersuchungen anzustellen.
Matthew Robinson und Loeske Kruuk von der Universität Edinburgh etwa widmeten sich der Behornung der Tiere, die bei den einzelnen Individuen der Hirta-Population sehr unterschiedlich ausfällt: Einige der Männchen und Weibchen tragen ein sehr imposantes geschwungenes Widder-Gehörn, andere dagegen nur eine verstümmelte Kurzversion, und eine dritte Gruppe – die ausschließlich aus Weibchen besteht – muss sogar gänzlich ohne den Kopfschmuck auskommen. Bei den Herren der Schaf-Schöpfung scheint der Fall klar zu sein, sie tragen ihre Hörner, um damit ihren Harem zu beeindrucken oder sie sich im Kampf um die Damenwelt an der Konkurrenz abzustoßen: Je umfangreicher die Auswüchse sind, desto größer ist meist der Erfolg – auch bei den Soay-Schafen der St. Kildas wie vorherige Studien gezeigt haben.
Warum wachsen die Hörner jedoch auch den Schafweibchen bisweilen aus dem Schädelknochen? Sind sie einfach stammesgeschichtliche Relikte, die noch tief im Erbgut schlummern, aber langsam im Schwinden sind? Oder vielleicht doch ein aktives Signal an die Männchen, dass die Trägerin so gesund und kräftig ist, dass sie sich ebenfalls Zierrat leisten kann und damit eine hervorragende Partnerin abgäbe? Letzteres konnte die Forschung mittlerweile klären und mit Nein beantworten, da sich die Paarungshäufigkeit zwischen beiden Gruppen nicht unterscheidet. Auch Robinson und Kruuk wiesen auf Hirta derartige Unterschiede nicht nach – auf der Insel steht seit mehr als zwanzig Jahren eine Population der Schafe mehr oder weniger unter Dauerobservierung.
Ihre Beobachtungen während der letzten Wurfperiode im Frühjahr 2006 belegen allerdings, dass die Hörner der Weibchen tatsächlich eine aktive Bestimmung haben. Die Biologen notierten, welche Tiere Nachwuchs gebaren, wie alt sie dabei waren, ob sie Kopfschmuck besaßen und wie sie sich Artgenossen gegenüber gebärdeten: Insgesamt 51 Mal trugen die weiblichen Schafe Händel untereinander aus, bedrohten ihre Geschlechtsgenossinnen, attackierten sie mit Kopfstößen oder vertrieben sie aus ihrem unmittelbaren Umfeld.
Besonders hervor taten sich dabei die ältere Hornträgerinnen, die deutlich häufiger aggressiv auftraten als ihre jüngeren Konkurrentinnen mit verkümmerten oder gar fehlenden Auswüchsen. Gerade diese Gruppe war bevorzugtes Ziel der Aggressionen – vor allem wenn die Herden sehr groß waren und damit mehr Stress herrschte. Die Angriffe gingen dann zwar während der eigentlichen Geburtsphase der Lämmer zurück, weil sich die werdenden Mütter von ihren Begleiterinnen absonderten, um die Neugeborenen größtmöglich zu schützen. Anschließend nahm ihre Zahl jedoch wieder zu.
Boxen für den Nachwuchs?
Schafe mit Nachwuchs und Horn waren dabei zwar etwas weniger angriffslustig als solche mit Kopfschmuck, aber ohne Zöglinge, doch könnte die Versorgung der Lämmer nach Meinung der Forscher dennoch einer der Hauptgründe für das Verhalten und die körperliche Ausstattung sein. Denn über den Winter weiden die Schafe das Gras exzessiv ab, sodass es zur frühjährlichen Geburtsstunde mangelt. Gleichzeitig ist der Bedarf daran dann am höchsten, um Milch für die Jungen zu produzieren. Durchsetzungsfähigere Mütter dürften deshalb am ehesten die Versorgung ihrer Kleinen gewährleisten, da sie die Konkurrenz effektiv von den Weidegründen vertreiben: Das Horn geriete ihnen zum evolutionären Vorteil und bliebe deshalb zweckgebunden erhalten.
Ob diese Erklärung allerdings wirklich die richtige ist, sollen weitere Studien klären – etwa die Vitalität und Überlebensrate der Jungtiere behörnter Schafe verglichen mit jener schmuckloser Tiere. Insgesamt muss man sich um die Soay-Schafe jedenfalls keine Sorgen mehr machen, nachdem Hirta und andere Inseln des Archipels lange ihre letzte Hochburg waren: Mittlerweile haben Züchter sie weltweit entdeckt, denn sie sind pflegeleicht, robust und müssen nicht geschoren werden.
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