Fötale Bildgebung: Botschaften vom werdenden Leben
Bereits im Mutterleib reagieren Babys auf bestimmte Umweltreize. Mit Hilfe hochmoderner Technologien untersuchen die Neurowissenschaftler Hubert Preißl, Franziska Schleger und Jana Münßinger von der Universität Tübingen, wie das Gehirn des Ungeborenen Informationen verarbeitet.
"Unser Kleiner hat sich heute das erste Mal allein gedreht!", sagt die stolze Mutter. "Dabei kommt es mir vor, als hätte ich ihn erst gestern geboren." Nicht nur junge Eltern sind fasziniert davon, wie schnell sich ihre Sprösslinge entwickeln und wie viel sie jeden Tag dazulernen. Eben noch ein vermeintlich hilfloses Bündel, beginnen sie plötzlich nach Dingen zu greifen, heben den Oberkörper, robben durch die Wohnung. Und irgendwann ertönt das erste "Mama".
Doch nicht erst ab der Geburt entwickeln sich die Kleinen rasant. Babys erwerben schon im Mutterleib kontinuierlich neue Fähigkeiten. Was im Bauch einer Schwangeren vor sich geht, lässt sich allerdings ohne technische Hilfsmittel nicht beobachten.
Bereits ab der zweiten Schwangerschaftswoche entstehen erste Nervenzellen in dem winzigen Organismus und wandern an ihren Bestimmungsort. Ab der achten Woche beginnt sich daraus das Gehirn zu entwickeln. Wie prägend diese Phase im Mutterleib ist, macht sich häufig erst dann bemerkbar, wenn etwas schiefläuft, etwa durch Erkrankungen der Mutter sowie bei Tabletten- oder Alkoholmissbrauch während der Schwangerschaft.
Im Jahr 2008 belegten Lynn T. Singer und ihre Mitarbeiter von der Western Reserve University in Cleveland (US-Bundesstaat Ohio), dass Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft Kokain konsumierten, sich mit neun Jahren schwerer tun, logisch und abstrakt zu denken, als Altersgenossen. Ähnliche Konsequenzen zieht der Griff zur Flasche nach sich. Aber auch ein (Schwangerschafts-)Diabetes kann die kognitiven Funktionen von Kleinkindern wie etwa das Wiedererkennen von Objekten verschlechtern. Dies fand eine Forschergruppe um Charles Nelson von der Harvard Medical School in Boston 2007 heraus, als sie die Hirnströme von achtmonatigen Kindern miteinander verglich.
Die ersten 38 Wochen
Wie aber entwickelt sich das Gehirn eines Ungeborenen während der durchschnittlich 38 Wochen im Bauch unter normalen Umständen? Anatomisch gesehen, haben wir darüber dank moderner bildgebender Verfahren in den letzten 20 Jahren viel gelernt. So erlaubt die Magnetresonanztomografie (MRT) einen zuverlässigen Blick ins menschliche Denkorgan – selbst in das heranreifende Babyhirn im Mutterleib.
Schnelle Verbindungen verbessern die Kommunikation
Auch die Zusammensetzung der Hirnmasse verändert sich in diesem Zeitraum. Im letzten Drittel der Schwangerschaft macht die weiße Substanz, die die für eine reibungslose Kommunikation zwischen den Hirnarealen wichtigen Nervenverbindungen enthält, eine entscheidende Entwicklung durch. In dieser Phase legen sich die Axone, die Fortsätze der Neurone, ihre charakteristische Myelinscheide zu. Diese Isolationsschicht sorgt für eine besonders schnelle Weiterleitung elektrischer Signale an den Nervenfortsätzen. Während in der 29. Schwangerschaftswoche, also zu Beginn des dritten Schwangerschaftstrimesters, der Myelinanteil noch gering ist, verfünffacht er sich zwischen der 35. und 41. Woche.
Das Denkorgan reift aber nicht nur anatomisch, sondern auch funktionell. So ist das Ohr bereits im fünften Schwangerschaftsmonat "in Betrieb", und der Fötus reagiert etwa mit einer erhöhten Pulsrate oder unwillkürlichen Bewegungen auf Geräusche.
Dass reflexartige Bewegungen in der Fruchtblase tatsächlich im Zusammenhang mit einer akustischen Wahrnehmung stehen, belegen Untersuchungen mit Hilfe funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT). Der französische Neurowissenschaftler Renaud Jardri von der Université Lille (Frankreich) registrierte 2008 bereits bei Föten in der 33. Schwangerschaftswoche Reaktionen im primären auditorischen Kortex.
Demnach ist das Hörzentrum der Ungeborenen schon im letzten Schwangerschaftstrimester in der Lage, Töne zu verarbeiten. Spielt man den heranreifenden Kindern am Bauch ihrer Mutter Töne vor, so steigt die Hirnaktivität im Bereich ihres Schläfenlappens, dem wichtigsten Bereich für auditorische Reizverarbeitung.
Derartige Untersuchungen werfen jedoch Probleme auf: Zwar gelten die starken Magnetfelder, denen Mutter und Fötus ausgesetzt sind, nach derzeitigem Wissensstand als unschädlich; dennoch darf die Methode in Deutschland bei Schwangeren nur zu diagnostischen Zwecken eingesetzt werden. Zum anderen lässt sich die Hirnfunktion per fMRT nur indirekt messen, indem man etwa eine verstärkte Durchblutung bestimmter Areale nachweist.
Wir nutzen daher mit unserer Gruppe im Universitätsklinikum Tübingen eine andere Methode, um mehr über die Gehirnentwicklung beim Fötus zu lernen: die Magnetenzephalografie, kurz MEG genannt. Diese Technologie misst elektromagnetische Veränderungen im Gehirn, die durch die elektrischen Signale feuernder Nervenzellen entstehen. Das erlaubt es uns, dem Denkorgan ganz direkt bei der Arbeit zuzusehen.
Schwächste Magnetfelder messen
Schon im Jahr 1984 berichteten Neurowissenschaftler der FU Berlin um Thomas Blum, dass sie mit dieser Methode Babyhirne im Mutterleib untersuchten. Sie verwendeten dazu einen Sensor auf der Bauchdecke der Schwangeren, der in der Lage war, selbst schwächste Magnetfelder zu erfassen. Blum zeigte, dass sich die Signale unterscheiden lassen und spezifische Reaktionen der Gehirne von Föten anzeigen.
Ende der 1990er Jahre entwickelte dann der Gynäkologe Curtis Lowery von der University of Arkansas in Little Rock (USA) in Zusammenarbeit mit Forschern der Universität Tübingen ein Gerät, das speziell für Studien mit schwangeren Frauen konzipiert war. Die Mutter setzt sich auf das Untersuchungsgerät und legt entspannt ihren Bauch in eine Schale, die die Sensoren enthält. Diese leiten von der gesamten Bauchfläche Signale aus dem Inneren ab und erlauben es, die Magnetfelder der Herzen von Mutter und Kind genau zu bestimmen und so die fötale Hirnantwort besser herauszufiltern. Das Gerät arbeitet so genau, dass die amerikanische Forschergruppe, zu der damals auch Hubert Preißl aus unserem Autorenteam gehörte, erstmals die Reaktionen von Föten im Mutterleib auf Lichtreize beobachten konnte.
Im fMEG-Zentrum der Universität Tübingen arbeiten wir heute mit einer weiterentwickelten Version des Geräts. Es verfügt über mehr Sensoren als sein Vorgänger und liefert daher auch genauere Ergebnisse. Außerdem wurde es noch besser an die Ergonomie der Schwangeren angepasst, so dass diese bequem sitzen kann und Untersuchungen über einen Zeitraum von bis zu einer guten halben Stunde problemlos möglich sind.
Viel früher als gedacht
So haben wir im Lauf der letzten Jahre noch tiefere Einblicke ins fötale Gehirn gewonnen. Schon länger weiß man: Das Gehirn von Neugeborenen kann Töne verschiedener Frequenzen unterscheiden – eine unabdingbare Voraussetzung für die spätere Sprachentwicklung. Unsere Untersuchungen legen jedoch den Schluss nahe, dass diese grundlegende Fähigkeit schon viel früher festgelegt wird. Bereits in der 28. Schwangerschaftswoche nehmen die Ungeborenen offenbar nicht nur allgemein Geräusche außerhalb des Bauchs wahr, sie unterscheiden auch verschiedene Töne voneinander, wie die Aktivitätsmuster im MEG belegen.
Wie wir gemeinsam mit unseren Kollegen in Little Rock erkannt haben, besitzen Ungeborene diese Fähigkeit bereits im dritten Trimester der Schwangerschaft. So untersuchte die Amerikanerin Carolin Sheridan bei 25 Föten im Alter von 29 bis 37 Wochen nach Befruchtung, wie diese auf wiederholte Lichtblitze an der Bauchdecke reagierten. Bei knapp jedem dritten Kind nahm die Hirnaktivität nach dem ersten Blitz ab. Bei Neugeborenen klappte die Habituation noch besser, und bei allen untersuchten Babys ging die Reaktionsstärke vom ersten Lichtsignal an kontinuierlich zurück.
Wir selbst untersuchten in Tübingen in einer aktuellen Studie, wie sich Föten im Mutterleib an auditorische Reize gewöhnen. Dazu spielten wir 41 ungeborenen Probanden – alle in der 33. bis 39. Schwangerschaftswoche – fünfmal hintereinander denselben Piepton vor, dann einen anderen und schließlich wieder zweimal den ersten. Die Föten reagierten, wenn auch relativ schwach, auf den ersten Pieps. Danach sank die Gehirnaktivität in der Antwort ab dem zweiten Signal. Erst der neue, fremde Ton löste wieder eine stärkere Reaktion aus; das Wiederholen des ersten ließ die Aktivität dann erneut abflachen.
Wichtige Spontanaktivität
Diese Untersuchungen demonstrieren, dass das Gehirn des Fötus bereits im Mutterleib grundlegende Fähigkeiten zum Verarbeiten von externen Reizen besitzt. Ob sich das Denkorgan gut entwickelt, hängt aber auch von der so genannten Spontanaktivität ab: Von Neugeborenen wissen wir, dass spontane Bewegungen immer mit spezifischen Aktivierungsmustern im Gehirn einhergehen. Dies ist ein wichtiger Feedbackmechanismus, mit dessen Hilfe die Kleinen lernen, ihre Motorik zu steuern.
Im Verlauf der letzten Jahre erkannten wir, dass auch Ungeborene bereits über eine solche Spontanaktivität verfügen. Wir ließen dazu Schwangere auf dem Untersuchungsgerät Platz nehmen und beobachteten über einen längeren Zeitraum, was in ihren Bäuchen passiert. Tatsächlich detektierten wir im MEG wieder Gehirnaktivität beim Baby – obwohl wir ihm keinerlei Reize zur Verfügung stellten.
Zwar können wir nicht in den Bauch hineinblicken und überprüfen, ob damit auch tatsächlich eine Bewegung einherging. Doch das Wissen über Ruhe- und Bewegungsphasen beim heranreifenden Fötus lässt durchaus den Schluss zu, dass die charakteristischen MEG-Muster auf spontanes Zappeln und Zucken zurückzuführen sind.
Noch dienen die meisten MEG-Untersuchungen von Föten der Grundlagenforschung. Wir wollen damit herausfinden, wie sich das Gehirn des heranreifenden Babys im Mutterleib entwickelt und welche Fähigkeiten es erwirbt, noch bevor es das Licht der Welt erblickt. Doch wie heute bereits absehbar ist, lernen wir mit Hilfe dieser Technologie, in Zukunft auch mögliche Probleme im Reifungsprozess besser zu verstehen.
So belegen erste Studien: Negative Einflüsse wie etwa Stress oder Suchtmittelmissbrauch während der Schwangerschaft bremsen die Entwicklung der neuronalen Verarbeitung bereits im Mutterleib. Erst jüngst führte unsere Kollegin Isabelle Kiefer-Schmidt von der Universitätsfrauenklinik in Tübingen eine erste Studie mit Föten durch, die auf Grund einer Fehlfunktion der Plazenta unterversorgt waren.
Die Forscherin stellte fest, dass die betroffenen Kinder gesunden nicht nur in der körperlichen Entwicklung hinterherhinkten. Auch die neuronalen Antworten auf akustische Reize waren bei ihnen verzögert. Offenbar wird also auch das Gehirn von solchen Mängeln in Mitleidenschaft gezogen.
Derzeit können wir die Hirnentwicklung im Mutterleib wie auch mögliche Störungen nur beobachten und beschreiben. Doch indem wir mittels fötaler Bildgebung das bisher Unsichtbare sichtbar machen, lernen wir auch immer mehr über die zu Grunde liegenden Vorgänge. Das lässt hoffen, dass wir künftig Abweichungen in der normalen Entwicklung früher und besser erkennen – und eines Tages sogar Wege finden, um Spätfolgen zu vermeiden.
Doch nicht erst ab der Geburt entwickeln sich die Kleinen rasant. Babys erwerben schon im Mutterleib kontinuierlich neue Fähigkeiten. Was im Bauch einer Schwangeren vor sich geht, lässt sich allerdings ohne technische Hilfsmittel nicht beobachten.
Sicher, das Ungeborene sendet Lebenszeichen: zuerst an seine Mutter, die etwa zwischen der 16. und 20. Schwangerschaftswoche erstmals spürt, wie es sich bewegt. Später macht es sich durch kräftige Tritte gegen die Bauchdecke bemerkbar und teilt so auch Vater oder Geschwistern mit, dass es da ist. Und natürlich wächst der Fötus, wodurch der Bauch der Mutter zunehmend praller wird.
Bereits ab der zweiten Schwangerschaftswoche entstehen erste Nervenzellen in dem winzigen Organismus und wandern an ihren Bestimmungsort. Ab der achten Woche beginnt sich daraus das Gehirn zu entwickeln. Wie prägend diese Phase im Mutterleib ist, macht sich häufig erst dann bemerkbar, wenn etwas schiefläuft, etwa durch Erkrankungen der Mutter sowie bei Tabletten- oder Alkoholmissbrauch während der Schwangerschaft.
Im Jahr 2008 belegten Lynn T. Singer und ihre Mitarbeiter von der Western Reserve University in Cleveland (US-Bundesstaat Ohio), dass Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft Kokain konsumierten, sich mit neun Jahren schwerer tun, logisch und abstrakt zu denken, als Altersgenossen. Ähnliche Konsequenzen zieht der Griff zur Flasche nach sich. Aber auch ein (Schwangerschafts-)Diabetes kann die kognitiven Funktionen von Kleinkindern wie etwa das Wiedererkennen von Objekten verschlechtern. Dies fand eine Forschergruppe um Charles Nelson von der Harvard Medical School in Boston 2007 heraus, als sie die Hirnströme von achtmonatigen Kindern miteinander verglich.
Die ersten 38 Wochen
Wie aber entwickelt sich das Gehirn eines Ungeborenen während der durchschnittlich 38 Wochen im Bauch unter normalen Umständen? Anatomisch gesehen, haben wir darüber dank moderner bildgebender Verfahren in den letzten 20 Jahren viel gelernt. So erlaubt die Magnetresonanztomografie (MRT) einen zuverlässigen Blick ins menschliche Denkorgan – selbst in das heranreifende Babyhirn im Mutterleib.
Die Technik liefert hoch aufgelöste Bilder, die Rückschlüsse zulassen, wann verschiedene Hirnstrukturen entstehen. Das nutzte Ellen Grant, Professorin an der Harvard Medical School und Direktorin des Fetal-Neonatal Neuroimaging and Developmental Science Center in Boston, als sie in einer 2005 veröffentlichten Studie die Gehirne normal geborener mit denen frühgeborener Babys verglich. Sie fand heraus, dass im letzten Schwangerschaftsdrittel zunächst der frontale Großhirnbereich an Volumen zulegt, dann folgen Schläfen-, Scheitel- und Hinterhauptslappen sowie die Bereiche im limbischen System. Allgemein reifen dabei jene Hirnareale zuerst, die dafür zuständig sind, externe Reize zu verarbeiten.
Schnelle Verbindungen verbessern die Kommunikation
Auch die Zusammensetzung der Hirnmasse verändert sich in diesem Zeitraum. Im letzten Drittel der Schwangerschaft macht die weiße Substanz, die die für eine reibungslose Kommunikation zwischen den Hirnarealen wichtigen Nervenverbindungen enthält, eine entscheidende Entwicklung durch. In dieser Phase legen sich die Axone, die Fortsätze der Neurone, ihre charakteristische Myelinscheide zu. Diese Isolationsschicht sorgt für eine besonders schnelle Weiterleitung elektrischer Signale an den Nervenfortsätzen. Während in der 29. Schwangerschaftswoche, also zu Beginn des dritten Schwangerschaftstrimesters, der Myelinanteil noch gering ist, verfünffacht er sich zwischen der 35. und 41. Woche.
Das Denkorgan reift aber nicht nur anatomisch, sondern auch funktionell. So ist das Ohr bereits im fünften Schwangerschaftsmonat "in Betrieb", und der Fötus reagiert etwa mit einer erhöhten Pulsrate oder unwillkürlichen Bewegungen auf Geräusche.
Physikalische Grundlagen
Jeder elektrische Stromfluss erzeugt ein Magnetfeld, dessen Stärke in Tesla gemessen wird. Das statische Magnetfeld der Erde beträgt ungefähr 10–4 Tesla. Magnetfelder, die im Körper entstehen, sind um viele Größenordnungen kleiner. Das mütterliche Herz erzeugt ein Magnetfeld von rund 10–12 Tesla, das des Fötus 10–13 Tesla und sein Gehirn 10–15 Tesla. Derart schwache Magnetfelder lassen sich nur mit supraleitenden Sensoren messen. Dabei handelt es sich um so genannte SQUIDs (Superconducting Quantum Interference Devices), die mit flüssigem Helium gekühlt werden.
Solche Sensoren verwenden Forscher seit den 1970er Jahren dazu, an Erwachsenen Hirn- und Herzaktivität zu registrieren. Im Lauf der Zeit entstanden Geräte mit einer hohen Sensoranzahl (mehr als 300), die es erlauben, auch Messungen an ganzen Organen durchzuführen. Die Messung der magnetischen Aktivität ist heute ein etabliertes Verfahren, das hauptsächlich in der Grundlagenforschung Verwendung findet.
Im Jahr 1994 machten Peter Hepper und Sarah Shahidullah von der Queen’s University Belfast (Nordirland) eine wichtige Beobachtung: Ungeborene nehmen sukzessive eine immer größere Bandbreite an Tönen wahr. Die beiden Forscher sahen in ihren Untersuchungen, dass Föten bereits in der 19. Woche unwillkürlich zu zappeln beginnen, wenn sie ihnen akustische Signale mit einer Frequenz von 500 Hertz vorspielten. Etwas später reagierten die Babys dann auch auf tiefere Töne von 100 und 200 Hertz und schließlich auch auf Geräusche mit höheren Frequenzen. In der 27. Schwangerschaftswoche beginnen 96 Prozent der Ungeborenen zu strampeln, wenn akustische Signale von 250 und 500 Hertz erklingen. Spätestens ab der 35. Woche reagieren sie dann auch auf Frequenzen von 1000 oder 3000 Hertz, also auf Geräusche mittlerer Tonhöhe. Jeder elektrische Stromfluss erzeugt ein Magnetfeld, dessen Stärke in Tesla gemessen wird. Das statische Magnetfeld der Erde beträgt ungefähr 10–4 Tesla. Magnetfelder, die im Körper entstehen, sind um viele Größenordnungen kleiner. Das mütterliche Herz erzeugt ein Magnetfeld von rund 10–12 Tesla, das des Fötus 10–13 Tesla und sein Gehirn 10–15 Tesla. Derart schwache Magnetfelder lassen sich nur mit supraleitenden Sensoren messen. Dabei handelt es sich um so genannte SQUIDs (Superconducting Quantum Interference Devices), die mit flüssigem Helium gekühlt werden.
Solche Sensoren verwenden Forscher seit den 1970er Jahren dazu, an Erwachsenen Hirn- und Herzaktivität zu registrieren. Im Lauf der Zeit entstanden Geräte mit einer hohen Sensoranzahl (mehr als 300), die es erlauben, auch Messungen an ganzen Organen durchzuführen. Die Messung der magnetischen Aktivität ist heute ein etabliertes Verfahren, das hauptsächlich in der Grundlagenforschung Verwendung findet.
Dass reflexartige Bewegungen in der Fruchtblase tatsächlich im Zusammenhang mit einer akustischen Wahrnehmung stehen, belegen Untersuchungen mit Hilfe funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT). Der französische Neurowissenschaftler Renaud Jardri von der Université Lille (Frankreich) registrierte 2008 bereits bei Föten in der 33. Schwangerschaftswoche Reaktionen im primären auditorischen Kortex.
Demnach ist das Hörzentrum der Ungeborenen schon im letzten Schwangerschaftstrimester in der Lage, Töne zu verarbeiten. Spielt man den heranreifenden Kindern am Bauch ihrer Mutter Töne vor, so steigt die Hirnaktivität im Bereich ihres Schläfenlappens, dem wichtigsten Bereich für auditorische Reizverarbeitung.
Derartige Untersuchungen werfen jedoch Probleme auf: Zwar gelten die starken Magnetfelder, denen Mutter und Fötus ausgesetzt sind, nach derzeitigem Wissensstand als unschädlich; dennoch darf die Methode in Deutschland bei Schwangeren nur zu diagnostischen Zwecken eingesetzt werden. Zum anderen lässt sich die Hirnfunktion per fMRT nur indirekt messen, indem man etwa eine verstärkte Durchblutung bestimmter Areale nachweist.
Wir nutzen daher mit unserer Gruppe im Universitätsklinikum Tübingen eine andere Methode, um mehr über die Gehirnentwicklung beim Fötus zu lernen: die Magnetenzephalografie, kurz MEG genannt. Diese Technologie misst elektromagnetische Veränderungen im Gehirn, die durch die elektrischen Signale feuernder Nervenzellen entstehen. Das erlaubt es uns, dem Denkorgan ganz direkt bei der Arbeit zuzusehen.
Schwächste Magnetfelder messen
Schon im Jahr 1984 berichteten Neurowissenschaftler der FU Berlin um Thomas Blum, dass sie mit dieser Methode Babyhirne im Mutterleib untersuchten. Sie verwendeten dazu einen Sensor auf der Bauchdecke der Schwangeren, der in der Lage war, selbst schwächste Magnetfelder zu erfassen. Blum zeigte, dass sich die Signale unterscheiden lassen und spezifische Reaktionen der Gehirne von Föten anzeigen.
In den folgenden Jahren nutzten vor allem verschiedene deutsche Forschergruppen diese Methode. Sie fanden heraus, dass mit fortschreitender Schwangerschaft die neuronale Antwort des Ungeborenen auf einen akustischen Reiz immer schneller auftritt.
Ende der 1990er Jahre entwickelte dann der Gynäkologe Curtis Lowery von der University of Arkansas in Little Rock (USA) in Zusammenarbeit mit Forschern der Universität Tübingen ein Gerät, das speziell für Studien mit schwangeren Frauen konzipiert war. Die Mutter setzt sich auf das Untersuchungsgerät und legt entspannt ihren Bauch in eine Schale, die die Sensoren enthält. Diese leiten von der gesamten Bauchfläche Signale aus dem Inneren ab und erlauben es, die Magnetfelder der Herzen von Mutter und Kind genau zu bestimmen und so die fötale Hirnantwort besser herauszufiltern. Das Gerät arbeitet so genau, dass die amerikanische Forschergruppe, zu der damals auch Hubert Preißl aus unserem Autorenteam gehörte, erstmals die Reaktionen von Föten im Mutterleib auf Lichtreize beobachten konnte.
Im fMEG-Zentrum der Universität Tübingen arbeiten wir heute mit einer weiterentwickelten Version des Geräts. Es verfügt über mehr Sensoren als sein Vorgänger und liefert daher auch genauere Ergebnisse. Außerdem wurde es noch besser an die Ergonomie der Schwangeren angepasst, so dass diese bequem sitzen kann und Untersuchungen über einen Zeitraum von bis zu einer guten halben Stunde problemlos möglich sind.
Viel früher als gedacht
So haben wir im Lauf der letzten Jahre noch tiefere Einblicke ins fötale Gehirn gewonnen. Schon länger weiß man: Das Gehirn von Neugeborenen kann Töne verschiedener Frequenzen unterscheiden – eine unabdingbare Voraussetzung für die spätere Sprachentwicklung. Unsere Untersuchungen legen jedoch den Schluss nahe, dass diese grundlegende Fähigkeit schon viel früher festgelegt wird. Bereits in der 28. Schwangerschaftswoche nehmen die Ungeborenen offenbar nicht nur allgemein Geräusche außerhalb des Bauchs wahr, sie unterscheiden auch verschiedene Töne voneinander, wie die Aktivitätsmuster im MEG belegen.
Mehr noch: Das Ungeborene lernt bereits im Mutterleib, Reize auszublenden. Auch das ist wichtig, um Informationen sinnvoll zu verarbeiten. So enthält etwa das gleichförmige Dröhnen des Staubsaugers keine relevanten Informationen für das Baby, die Stimmen der Eltern dagegen schon. Vom erwachsenen Gehirn wissen wir, dass die neuronale Antwort abnimmt, wenn sich beispielsweise ein und derselbe Ton permanent wiederholt, ohne dass dies irgendwelche Konsequenzen nach sich zieht oder eine Handlung erwartet wird. Experten sprechen hierbei von Habituation (Gewöhnung).
Wie wir gemeinsam mit unseren Kollegen in Little Rock erkannt haben, besitzen Ungeborene diese Fähigkeit bereits im dritten Trimester der Schwangerschaft. So untersuchte die Amerikanerin Carolin Sheridan bei 25 Föten im Alter von 29 bis 37 Wochen nach Befruchtung, wie diese auf wiederholte Lichtblitze an der Bauchdecke reagierten. Bei knapp jedem dritten Kind nahm die Hirnaktivität nach dem ersten Blitz ab. Bei Neugeborenen klappte die Habituation noch besser, und bei allen untersuchten Babys ging die Reaktionsstärke vom ersten Lichtsignal an kontinuierlich zurück.
Wir selbst untersuchten in Tübingen in einer aktuellen Studie, wie sich Föten im Mutterleib an auditorische Reize gewöhnen. Dazu spielten wir 41 ungeborenen Probanden – alle in der 33. bis 39. Schwangerschaftswoche – fünfmal hintereinander denselben Piepton vor, dann einen anderen und schließlich wieder zweimal den ersten. Die Föten reagierten, wenn auch relativ schwach, auf den ersten Pieps. Danach sank die Gehirnaktivität in der Antwort ab dem zweiten Signal. Erst der neue, fremde Ton löste wieder eine stärkere Reaktion aus; das Wiederholen des ersten ließ die Aktivität dann erneut abflachen.
Auch zeigte sich, dass Neugeborene demgegenüber schon weiter sind – sie erlernen die Fähigkeit zur Habituation also sukzessive: Bei 22 Babys im Alter zwischen 6 und 89 Tagen beobachteten wir, wie die spezifische Gehirnaktivität beim Erklingen des neuen Tons signifikant anstieg und die Reaktion auf das erneute Erklingen des ersten Signals deutlich abfiel.
Wichtige Spontanaktivität
Diese Untersuchungen demonstrieren, dass das Gehirn des Fötus bereits im Mutterleib grundlegende Fähigkeiten zum Verarbeiten von externen Reizen besitzt. Ob sich das Denkorgan gut entwickelt, hängt aber auch von der so genannten Spontanaktivität ab: Von Neugeborenen wissen wir, dass spontane Bewegungen immer mit spezifischen Aktivierungsmustern im Gehirn einhergehen. Dies ist ein wichtiger Feedbackmechanismus, mit dessen Hilfe die Kleinen lernen, ihre Motorik zu steuern.
Im Verlauf der letzten Jahre erkannten wir, dass auch Ungeborene bereits über eine solche Spontanaktivität verfügen. Wir ließen dazu Schwangere auf dem Untersuchungsgerät Platz nehmen und beobachteten über einen längeren Zeitraum, was in ihren Bäuchen passiert. Tatsächlich detektierten wir im MEG wieder Gehirnaktivität beim Baby – obwohl wir ihm keinerlei Reize zur Verfügung stellten.
Zwar können wir nicht in den Bauch hineinblicken und überprüfen, ob damit auch tatsächlich eine Bewegung einherging. Doch das Wissen über Ruhe- und Bewegungsphasen beim heranreifenden Fötus lässt durchaus den Schluss zu, dass die charakteristischen MEG-Muster auf spontanes Zappeln und Zucken zurückzuführen sind.
Noch dienen die meisten MEG-Untersuchungen von Föten der Grundlagenforschung. Wir wollen damit herausfinden, wie sich das Gehirn des heranreifenden Babys im Mutterleib entwickelt und welche Fähigkeiten es erwirbt, noch bevor es das Licht der Welt erblickt. Doch wie heute bereits absehbar ist, lernen wir mit Hilfe dieser Technologie, in Zukunft auch mögliche Probleme im Reifungsprozess besser zu verstehen.
So belegen erste Studien: Negative Einflüsse wie etwa Stress oder Suchtmittelmissbrauch während der Schwangerschaft bremsen die Entwicklung der neuronalen Verarbeitung bereits im Mutterleib. Erst jüngst führte unsere Kollegin Isabelle Kiefer-Schmidt von der Universitätsfrauenklinik in Tübingen eine erste Studie mit Föten durch, die auf Grund einer Fehlfunktion der Plazenta unterversorgt waren.
Die Forscherin stellte fest, dass die betroffenen Kinder gesunden nicht nur in der körperlichen Entwicklung hinterherhinkten. Auch die neuronalen Antworten auf akustische Reize waren bei ihnen verzögert. Offenbar wird also auch das Gehirn von solchen Mängeln in Mitleidenschaft gezogen.
Derzeit können wir die Hirnentwicklung im Mutterleib wie auch mögliche Störungen nur beobachten und beschreiben. Doch indem wir mittels fötaler Bildgebung das bisher Unsichtbare sichtbar machen, lernen wir auch immer mehr über die zu Grunde liegenden Vorgänge. Das lässt hoffen, dass wir künftig Abweichungen in der normalen Entwicklung früher und besser erkennen – und eines Tages sogar Wege finden, um Spätfolgen zu vermeiden.
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