Bioenergie: Brachliegende Treibstoffreserven?
Die Regierungen von mehr als 35 Ländern, darunter die USA, Brasilien und Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, haben Richtlinien erlassen, mit denen sie die Produktion und den Einsatz von Biotreibstoffen fördern [1]. Dahinter steckt das Bestreben, unabhängiger vom Import fossiler Brennstoffe zu werden und die anthropogenen Auswirkungen auf das Klima zu reduzieren. Der positive Effekt für das Klima ist jedoch stark umstritten: Bisher fehlen überzeugende Hinweise, dass Biotreibstoffe insgesamt weniger Kohlendioxidemissionen als fossile Energieträger verursachen, wenn ihr vollständiger Lebenszyklus von der Produktion bis zu ihrem Einsatz berücksichtigt wird.
Forscher um Ilya Gelfand von der Michigan State University in East Lansing berichten nun, dass die Vegetation auf Grenzertragsstandorten, also für die Landwirtschaft derzeit ungeeigneten Flächen, als Energiepflanzen genutzt werden könnten und dabei im Vergleich mit fossilen Brennstoffen in der Klimabilanz wesentlich besser abschneiden [2]. Sie konkurrieren sogar mit traditionellen Energiepflanzen wie Mais.
Wenn der potenzielle Klimanutzen von Agrartreibstoffen erfasst werden soll, sind auch die Konsequenzen des Nutzungswandels auf den Anbauflächen und deren Düngung zu berücksichtigen [3,4] – insbesondere Veränderungen im Kohlenstoffhaushalt der betroffenen Ökosysteme und im Ausstoß von Lachgas, einem hochwirksamen Treibhausgas, das von Bodenbakterien produziert wird. Entscheidend ist außerdem, ob der Anbau von Energiepflanzen lokal die biologische Vielfalt oder den Wasser- und Nährstoffhaushalt beeinträchtigt [5].
Da Energiepflanzen derzeit vor allem auf ertragreichen Ackerflächen angebaut werden, wird zudem diskutiert, ob sie nicht die Nahrungsmittelproduktion gefährden – auch als "Nahrungs-, Energie- und Umwelttrilemma" bezeichnet [6]. Um von der Gesellschaft akzeptiert zu werden, müssen entsprechende Strategien also beweisen, dass sie die Treibhausgasemissionen stark reduzieren, ohne gleichzeitig durch die Konkurrenz um Anbauflächen die Nahrungsmittelproduktion für Mensch und Tier zu bedrohen. Und darüber hinaus dürfen sie auch nur einen geringen Einfluss auf die Umwelt haben.
Gelfand und seine Kollegen verglichen für einen Zeitraum von 20 Jahren die Ausbeute der Biotreibstoffproduktion, die Treibhausgasemissionen, Veränderungen im bodengebundenen Kohlenstoff und den Energiebedarf für den Betrieb von sechs verschiedenen Systemen zum Energiepflanzenanbau im Mittleren Westen der USA. Diese Daten unterzogen sie einer gründlichen Ökobilanz hinsichtlich der Klimawirkung der einzelnen Verfahren. Angesichts der langfristigen Daten ist dies die erste überzeugende Analyse, welchen Effekt Biokraftstoffe auf das globale Klima haben. Bisherige Studien setzten dagegen nur auf Modelle oder kürzere Untersuchungen von weniger verschiedenen Systemen.
Die Autoren zeigen, dass alle die von ihnen untersuchten Systeme als Kohlenstoffsenken für atmosphärisches Kohlendioxid wirken, sofern man in die Analyse mit einbezieht, dass dafür fossile Treibstoffe vermieden werden – also die Summe aller eingesparten Kohlendioxidemissionen aus der Produktion und der Verbrennung fossiler Energieträger [7]. Mit großer Überraschung stellen die Autoren fest, dass bei vergleichbarer Energieausbeute insbesondere wilde, mehrjährige Stauden, die beispielsweise wenig fruchtbare Grenzertragsflächen wiederbesiedeln, weitaus besser in der Klimabilanz abschnitten als gezielt angepflanzte Arten wie Mais, Luzerne, Pappel oder ein Fruchtwechsel aus Mais und Soja. Darüber hinaus demonstrieren die Forscher, dass moderate Stickstoffdüngung die Energieausbeute in diesen "wilden" Systemen um etwa die Hälfte steigert, während die Lachgasemissionen nur geringfügig zunehmen.
Ein großer Vorzug solcher natürlichen Sukzessionsgesellschaften gegenüber anderen Energiepflanzen ist, dass sie trotz magerer Böden und schwierigen Lokalklimas auf Grenzertragsflächen produktiv sein können. Demnach könnte dieses "Ödland" eine interessante Alternative für den Anbau von Energiepflanzen darstellen – was angesichts des Mangels an fruchtbaren Böden für die Landwirtschaft sehr hilfreich wäre [8,9].
Energieverbrauch bei Ernte und Transport?
Um die regionale Bedeutung ihrer Studie zu untersuchen, ermittelten die Wissenschaftler um Gelfand in zehn Bundesstaaten des Mittleren Westens geeignete Grenzertragsstandorte für die Biokraftstoffproduktion. Konkret nutzten sie die Informationen aus einer geografischen Datenbank in einem biogeochemischen Modell, um die Effekte von Boden und Klima auf die Biotreibstoffausbeute zu ermitteln.
Ein Problem bei der Biokraftstoffherstellung ist der Energieverbrauch bei der Ernte und dem Transport der Pflanzen. Gelfand und seine Kollegen zeigen, dass für eine optimale Biokraftstoffproduktion die Pflanzen innerhalb eines Radius von 80 Kilometern um die Raffinerien geerntet werden müssen. Eine solche Produktionsstrategie könnte etwa 21 Milliarden Liter Ethanol liefern, bei einer Anbaufläche von elf Millionen Hektar Grenzertragsland. Das entspricht etwa 25 Prozent des vom US-amerikanischen Energieministerium in seinem "Biomass Programm" für 2022 festgelegten Ziels für die Biokraftstoffproduktion auf Zellulosebasis (also aus Lignozellulose, einem Hauptbestandteil von Holz und Gras). Es entspricht außerdem einer Vermeidung von grob 40 Teragramm Kohlendioxid-Äquivalenten pro Jahr (ein Teragramm sind 1012 Gramm) aus fossilen Brennstoffen – so viel pusten etwa zehn Millionen Mittelklassewagen bei einer Fahrleistung von 20 000 Kilometern jährlich in die Luft.
Also wäre Biosprit aus Wildwuchs eine rundum gute Sache? Wohl nicht. Die Studie von Gelfand und seinen Mitarbeitern beantwortet beispielsweise nicht, ob überhaupt all die als geeignet klassifizierten Flächen ohne negative Auswirkungen auf Umwelt und Artenvielfalt für die Treibstoffgewinnung genutzt werden könnten. Ganz abgesehen davon könnte Land, das heute als ungeeignet gilt, morgen doch für die Landwirtschaft gebraucht werden, um den Bedarf einer wachsenden Weltbevölkerung zu decken.
Eine weitere Frage stellt sich hinsichtlich der Treibhausgasvermeidung: Die Forscher beobachteten, dass bei den begutachteten Anbausystemen neben der Reduktion von fossilen Brennstoffen eine Zunahme des Kohlenstoffvorrats in den Böden hauptverantwortlich für die positive Klimabilanz ist. Doch diese Zunahme wird sich mit der Zeit abschwächen und nach wenigen Jahrzehnten ein Gleichgewicht erreichen [10]. Um eine wirklich umfassende Bilanz der Langzeiteffekte von Biotreibstoffen auf das Klima zu erhalten, müssen auch die räumlichen und zeitlichen Kohlenstoffspeicherpotenziale der Böden genau untersucht werden.
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