Brain-Computer-Interface: Handschriftlich kommunizieren mit Gedankenkraft
»Mir geht es gut so weit, und bei dir so?«. Eine Standardfloskel, die schnell nebenbei auf dem Handy oder der Tastatur getippt ist. Menschen, die nicht in der Lage sind, eigenständig zu schreiben, kostet dieser Satz deutlich mehr Zeit: Rund eine Minute würden sie brauchen, um ihn über eine spezielle Mensch-Maschine-Schnittstelle, ein Brain-Computer-Interface (BCI), auf den Bildschirm zu bringen. Nun ermöglicht ein neuartiges BCI gelähmten Menschen, mehr als doppelt so schnell wie bisher am Computer zu schreiben. Dazu misst es über implantierte Elektroden die Hirnaktivität, die entsteht, wenn sich der Benutzer vorstellt, einen Buchstaben per Hand zu schreiben. Ein Dekodiergerät übersetzt dann die Hirnsignale in einzelne Buchstaben und Zeichen. Über seine Arbeit berichtet das Forscherteam um Francis Willett von der Stanford University in »Nature«. Mit Hilfe dieses BCI konnte der Proband bis zu 90 Zeichen pro Minute schreiben. Zu über 94 Prozent stimmten die Zeichen. Damit erreichte das BCI fast das Tempo von Menschen derselben Altersgruppe, die im Schnitt 115 Zeichen pro Minute auf ihrem Smartphone tippen.
Der 65-jährige Proband war seit einem Unfall am Rückenmark vom Nacken abwärts querschnittsgelähmt. Lediglich minimale Bewegungen und Zuckungen der Hand waren ihm möglich. Um das BCI nutzen zu können, wurden ihm Hirnelektroden bis in den Bereich des Großhirns implantiert, der für die Bewegung der Hände zuständig ist. Das Forscherteam wies ihn an, sich vorzustellen, handschriftlich Wörter und Sätze zu schreiben. Währenddessen maßen die Elektroden die entstehenden elektrischen Signale. Zunächst lernte das BCI das Alphabet. In einem nächsten Schritt stellte sich der Proband vor, Wörter und Sätze nachzuschreiben.
Je öfter er mit dem BCI übte, desto besser wurde die Software: Anhand der vorherigen Sätze berechnete das Programm, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein bestimmter Buchstabe als Nächstes vorkommen würde, was seine Fehlerquote gering hielt. Auch als der Proband sich eigene Sätze ausdachte, erreichte das BCI fast 74 Zeichen pro Minute bei einer Fehlerquote von 8,5 Prozent. Während der über mehrere Tage andauernden Versuchsreihe mussten die Forscherinnen und Forscher den Algorithmus immer wieder mit veränderten Übungssätzen füttern, um ihn neu zu kalibrieren. Dies war notwendig, da sich die gemessenen Nervensignale mit der Zeit leicht änderten, etwa durch minimale Bewegungen der Elektroden oder durch Umbauprozesse im Gehirn.
Lohnt der Nutzen den heiklen Eingriff?
BCIs bieten Menschen, die nicht mehr sprechen oder sich nicht mehr bewegen können, neue Möglichkeiten zur Kommunikation. Bisher nutzten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Signale, die entstehen, wenn sich jemand grobmotorische Bewegungen vorstellt. Die Forschung konnte zeigen, dass die Aktivitätsmuster, mit denen das Gehirn solche Bewegungen steuert, noch viele Jahre nach einer Lähmung im Gehirn hervorgerufen werden können. Gängige BCIs nutzen dazu allerdings keine implantierten Elektroden, sondern herkömmliches EEG. Dabei wird die elektrische Hirnaktivität über Elektroden außen am Schädel gemessen, was nur ein wesentlich gröberes Bild der Hirnaktivität vermittelt; das aber genügt, um Probanden beispielsweise einen Cursor auf dem Computerbildschirm steuern zu lassen. Ein Vorteil ist, dass dies keinen chirurgischen Eingriff notwendig macht.
Bei früheren Experimenten mit implantierten Elektroden schaffte es das Team der Stanford University, seine Patienten mit maximal 40 Zeichen pro Minute schreiben zu lassen. Auch hierbei sollten die Nutzer sich Bewegungen vorstellen – in diesem Fall, als würden sie mit Hand und Arm auf einer Computertastatur schreiben. Kleine und komplexere Bewegungen, wie das Schreiben von Hand, könnten zur schnelleren Kommunikation genutzt werden. Willett und sein Team vermuten, dass mit Hilfe ihres BCI auch deshalb so viel schneller geschrieben werden kann, weil die Signalmuster im Gehirn, die die Buchstaben auslösen, sehr unterschiedlich sind. Dadurch kann das Programm die Zeichen leichter unterscheiden als etwa geradlinige Bewegungen eines Cursors.
Das BCI könnte künftig Patientinnen und Patienten mit Locked-in-Syndrom eine neue Möglichkeit zur Mitteilung eröffnen. Die Betroffenen sind nicht mehr in der Lage, die allermeisten ihrer Muskeln willentlich zu steuern. Dazu kann es beispielsweise nach einem Schlaganfall des Hirnstamms oder im Rahmen einer fortgeschrittenen amyotrophen Lateralsklerose (ALS) kommen.
Trotzdem sagen Willett und sein Team, dass ihr BCI noch nicht alltagstauglich ist. Bevor die Software im Alltag angewandt werden kann, müsse sie beständige Ergebnisse liefern, ohne permanent neu kalibriert werden zu müssen. Zunächst stünden weitere Versuche mit mehreren Probanden an. Hier werde sich zeigen, ob das BCI bei anderen Menschen genauso gut funktioniere. Gleichzeitig stehe die Frage im Raum, ob die Technik einen so großen Vorteil bringe, dass die Implantation von Hirnelektroden gerechtfertigt sei, merken Pavithra Rajeswaran und Amy Osborn in einem begleitenden Artikel in »Nature« an.
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