Lesen: Buchstabe um Buchstabe
Wieder ein Buch verschlungen, die Augen nur so durch die Seiten gerast. Aus Lesefehlern wissen wir, dass wir nicht jedes Wort genau erfassen. Und doch ist es gerade die Abfolge der Buchstaben, die unser Lesetempo bestimmt.
"Im Zirkus ist was los." Das "im" kommt flüssig über die Lippen, der Zirkus fordert die kleine Leserin schon mehr – nur stockend rutscht der Zeigefinger vorwärts, während sie sich durchbuchstabiert. Erleichtert und schnell folgen die letzten drei Worte, die sie schon kennt. Ein Stückchen weiter im Text verliert sie dann mal ein "e" am Ende, und ganz zum Schluss, etwas ungeduldig geworden, liest sie sogar "deinen" statt "denen". Halt, nochmal, schau genau hin: Nun klappt's.
Lesen lernen heißt erst einmal Buchstaben lernen. Mit deren anwachsendem Schatz lässt sich zunehmend die Wortwelt erschließen. Für Fibelautoren ein besonderes Problem: Spannende kleine Geschichten und Aufgaben sollen Erstklässlern den Weg in die gedruckte Sprache weisen, doch das zumindest zu Beginn noch mit stark beschränkten Möglichkeiten.
Von den Fähigkeiten erwachsener Leser, Wörter an ihrer Form oder aus dem Kontext zu erschließen, sind die Kleinen zunächst noch weit entfernt – doch die Anfängerfehler zeigen, dass sie recht schnell ähnlich vorgehen. Und manche Lehrstrategien zielen auch darauf ab, Kinder darin zu schulen, das nächste Wort vor allem aus dem Zusammenhang zu folgern oder sich ihre äußere Gestalt durch ständige Wiederholung als festes Bild einzuprägen, statt es sich Buchstabe für Buchstabe zu erschließen.
Welcher der drei Prozesse aber ist entscheidend für die Lesegeschwindigkeit? Die Buchstabenfolge, die Form oder der Kontext? Manche Experimente hatten darauf hingedeutet, dass wir das Objekt Wort eher als Ganzes denn als Summe seiner Bestandteile – der Buchstaben – erfassen. Doch bemängeln Denis Pelli und Katharine Tillmann von der New-York-Universität das Studiendesign: Bisher sei die jeweilige Alternative nicht bewusst ausgeschaltet worden.
Darum wählten sie ein Verfahren, in dem jeweils einer der drei Lese-Prozesse maskiert wurde. Sie stellten die einzelnen Wörter im Satz um, sodass der Zusammenhang keinen Hinweis mehr geben konnte: "Ist los Zirkus was im". Zum Zweiten spielten sie mit Groß- und Kleinschreibung, um die Gestalt zu verändern: "iM zIRkuS isT WaS LOs." Und schließlich ersetzten sie manche Buchstaben, erhielten dabei aber die Gestalt, in etwa: "lm Zinkus isf wes lcs." Damit nicht genug, kombinierten sie diese Hürden auch noch, was vergleichsweise enden konnte in: "iM IsF LcS zINkuS weS." Sie manipulierten allerdings keinen Fibeltext, wie hier zur Demonstration, sondern eine Mördergeschichte von Mary Higgins Clark. Dann baten sie elf Freiwillige zum Schnelllesetest, die sich laut und leise durch die erschwerte Lektüre wühlten.
Im Ergebnis hing die Lesegeschwindigkeit vor allem von der Buchstabenfolge ab – sie machte 62 Prozent des Tempos aus. An zweiter Stelle folgte der Kontext mit 22 Prozent und an dritter die Wortgestalt. Obwohl der Einfluss des Kontextes individuell durchaus schwankte und wahrscheinlich die Leseerfahrung der Teilnehmer widerspiegelte, blieben die Größenordnungen insgesamt gesehen verhältnismäßig gleich für alle Probanden.
Ist daraus zu folgern, dass es drei eigenständige Leseprozesse gibt? "So einfach ist es nicht", erklären die Forscher. Denn bei korrekter Buchstabenfolge – die sich als stärkster Geschwindigkeitsfaktor herausgestellt hatte – müsste der Einfluss der beiden anderen Aspekte größer werden. Was aber nicht geschah. Es sei vielmehr so, dass die jeweiligen Prozesse nicht bei jedem Wort greifen. Stolpert ein Leser also bei einem Begriff über die Gestalt, würde sich gleichzeitig die Zeit, die der Kontrolle der Buchstabenabfolge zukäme, verkürzen oder ganz wegfallen. Kontext und Wortform könnten sogar eine übergeordnete Rolle spielen, indem sie diesen grundlegenden, aber aufwändigen Schritt unterdrücken.
Für Grundschullehrer ist damit klar: Sich Wörter Buchstabe um Buchstabe zu erschließen, macht den wichtigsten Teil beim Lesen aus und bleibt damit sicher der sinnvollste Weg, Kinder in die Welt gedruckter Worte einzuführen. Form und Kontext kommen von ganz allein dazu. Auch der Zirkus klappte am nächsten Tag schon auf Anhieb, ohne dass der Zeigefinger entlang rutschte – Wort sofort erkannt.
Lesen lernen heißt erst einmal Buchstaben lernen. Mit deren anwachsendem Schatz lässt sich zunehmend die Wortwelt erschließen. Für Fibelautoren ein besonderes Problem: Spannende kleine Geschichten und Aufgaben sollen Erstklässlern den Weg in die gedruckte Sprache weisen, doch das zumindest zu Beginn noch mit stark beschränkten Möglichkeiten.
Von den Fähigkeiten erwachsener Leser, Wörter an ihrer Form oder aus dem Kontext zu erschließen, sind die Kleinen zunächst noch weit entfernt – doch die Anfängerfehler zeigen, dass sie recht schnell ähnlich vorgehen. Und manche Lehrstrategien zielen auch darauf ab, Kinder darin zu schulen, das nächste Wort vor allem aus dem Zusammenhang zu folgern oder sich ihre äußere Gestalt durch ständige Wiederholung als festes Bild einzuprägen, statt es sich Buchstabe für Buchstabe zu erschließen.
Welcher der drei Prozesse aber ist entscheidend für die Lesegeschwindigkeit? Die Buchstabenfolge, die Form oder der Kontext? Manche Experimente hatten darauf hingedeutet, dass wir das Objekt Wort eher als Ganzes denn als Summe seiner Bestandteile – der Buchstaben – erfassen. Doch bemängeln Denis Pelli und Katharine Tillmann von der New-York-Universität das Studiendesign: Bisher sei die jeweilige Alternative nicht bewusst ausgeschaltet worden.
Darum wählten sie ein Verfahren, in dem jeweils einer der drei Lese-Prozesse maskiert wurde. Sie stellten die einzelnen Wörter im Satz um, sodass der Zusammenhang keinen Hinweis mehr geben konnte: "Ist los Zirkus was im". Zum Zweiten spielten sie mit Groß- und Kleinschreibung, um die Gestalt zu verändern: "iM zIRkuS isT WaS LOs." Und schließlich ersetzten sie manche Buchstaben, erhielten dabei aber die Gestalt, in etwa: "lm Zinkus isf wes lcs." Damit nicht genug, kombinierten sie diese Hürden auch noch, was vergleichsweise enden konnte in: "iM IsF LcS zINkuS weS." Sie manipulierten allerdings keinen Fibeltext, wie hier zur Demonstration, sondern eine Mördergeschichte von Mary Higgins Clark. Dann baten sie elf Freiwillige zum Schnelllesetest, die sich laut und leise durch die erschwerte Lektüre wühlten.
Im Ergebnis hing die Lesegeschwindigkeit vor allem von der Buchstabenfolge ab – sie machte 62 Prozent des Tempos aus. An zweiter Stelle folgte der Kontext mit 22 Prozent und an dritter die Wortgestalt. Obwohl der Einfluss des Kontextes individuell durchaus schwankte und wahrscheinlich die Leseerfahrung der Teilnehmer widerspiegelte, blieben die Größenordnungen insgesamt gesehen verhältnismäßig gleich für alle Probanden.
Ist daraus zu folgern, dass es drei eigenständige Leseprozesse gibt? "So einfach ist es nicht", erklären die Forscher. Denn bei korrekter Buchstabenfolge – die sich als stärkster Geschwindigkeitsfaktor herausgestellt hatte – müsste der Einfluss der beiden anderen Aspekte größer werden. Was aber nicht geschah. Es sei vielmehr so, dass die jeweiligen Prozesse nicht bei jedem Wort greifen. Stolpert ein Leser also bei einem Begriff über die Gestalt, würde sich gleichzeitig die Zeit, die der Kontrolle der Buchstabenabfolge zukäme, verkürzen oder ganz wegfallen. Kontext und Wortform könnten sogar eine übergeordnete Rolle spielen, indem sie diesen grundlegenden, aber aufwändigen Schritt unterdrücken.
Für Grundschullehrer ist damit klar: Sich Wörter Buchstabe um Buchstabe zu erschließen, macht den wichtigsten Teil beim Lesen aus und bleibt damit sicher der sinnvollste Weg, Kinder in die Welt gedruckter Worte einzuführen. Form und Kontext kommen von ganz allein dazu. Auch der Zirkus klappte am nächsten Tag schon auf Anhieb, ohne dass der Zeigefinger entlang rutschte – Wort sofort erkannt.
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