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Danuvius und Buronius: Zweite Menschenaffenart im Ostallgäu entdeckt

Vor zwölf Millionen Jahren lebte neben Danuvius ein weiterer Hominide dort, wo heute das Ostallgäu liegt. Buronius manfredschmidi könnte der kleinste große Menschenaffe aller Zeiten gewesen sein.
Der Zahn stammt von der neuen Menschenaffenart Buronius manfredschmidi, die Paläontologen in der Fossilstätte Hammerschmiede in Bayerisch-Schwaben entdeckt haben.
Nur 7,7 Millimeter groß und rund zwölf Millionen Jahre alt – der Zahn stammt von der neuen Menschenaffenart Buronius manfredschmidi, die Paläontologen in der Fossilienstätte Hammerschmiede in Bayerisch-Schwaben entdeckten.

»Udo« schickte 2019 Schockwellen durch die Paläontologenwelt. Soll es doch vor rund zwölf Millionen Jahren im Ostallgäu einen Menschenaffen gegeben haben, der hangelnd und aufgerichtet auf zwei Beinen durchs Geäst lief. Und zwar gewohnheitsmäßig, nicht nur ab und an. Fachleute um die Paläontologin Madelaine Böhme von der Universität Tübingen hatten in der Tongrube Hammerschmiede beim schwäbischen Pforzen zahlreiche Skelettteile gefunden, die zu vier Individuen einer bis dahin unbekannten Menschenaffen- oder Hominidenart gehörten und wohl vom bislang frühesten bekannten Aufrechtgänger stammten: Danuvius guggenmosi –auch bekannt als »Udo«. Diesen Spitznamen verliehen die Ausgräber dem besterhaltenen Exemplar eines Männchens.

»Udo« war eine große Sensation, sagt Studienleiterin Böhme. Aber nun habe man noch eine weitere »kleine Sensation« vorzuweisen: Erneut entdeckte Böhmes Team in den fossilen Schichten der Hammerschiede Überreste eines Menschenaffen. Buronius manfredschmidi tauften die Forscher den Zuwachs im Primatenstammbaum, den Böhme, David Begun von der University of Toronto und ihr Team nun im Fachblatt »PLOS ONE« veröffentlichten. Und der Neue aus der Hammerschiede wartet ebenfalls mit einem Superlativ auf: Er könnte der kleinste große Menschenaffe aller Zeiten gewesen sein.

Unmittelbar neben den Fundplätzen der Danuvius-Knochen – dort, wo sich in der Epoche des mittleren Miozäns ein Fluss an einem Auwald entlangschlängelte – kamen die Überreste von Buronius zum Vorschein. Die Paläontologen bargen eine Kniescheibe nebst einem Backenzahn und etwas entfernt davon einen weiteren vorderen Backenzahn. Dass die drei Fossilien tatsächlich zu ein und derselben Art gehören, schließen Böhme und ihre Kollegen aus deren Größe. In den kleinen Proportionen würden sich die Fossilien ähneln. Dem stimmen auch andere Experten zu. »Zwar ist nicht ganz gesichert, dass die Zähne und die Kniescheibe wirklich derselben Spezies angehören«, erklärt die Anthropologin und Zahnexpertin Alejandra Ortiz von der New York University, die nicht an Böhmes Studie beteiligt war, »aber ausgehend von der Größe ist es das wahrscheinlichste Szenario.« Der Paläontologe Scott Williams, der auch an der New York University tätig ist, hält die These ebenfalls für nachvollziehbar.

Die Zahn- und Knochenstücke lagen im selben Fundhorizont wie die Überreste von Danuvius; die beiden Primaten lebten demnach sehr wahrscheinlich auch zur selben Zeit: vor etwa 11,62 Millionen Jahren, wie eine geologische Datierung der Schicht ergab.

Zwei Zähne und ein Stück Knie sind nicht viel von einem Skelett. Doch für Paläoanthropologen genügt bisweilen wenig, um eine Spezies zu bestimmen. Demnach ist klar: Buronius gehörte einer anderen Art an als Danuvius, beide streiften jedoch im selben Ökosystem umher. Allerdings war der Buronius-Vertreter deutlich kleiner gewachsen als »Udo«, ernährte sich anders und bewegte sich auf unterschiedliche Weise. Sehr wahrscheinlich besetzte er eine ganz andere Nische: Wie die Ausgräber annehmen, hauste er weit oben in den Bäumen und fraß vornehmlich Blätter, während Danuvius tiefer gelegen durchs Geäst im Kletterschritt unterwegs war und auch auf dem Erdboden laufen konnte.

Die beiden Primaten lebten somit »belegbar sympatrisch oder syntop«, erklärt Böhme. Das bedeutet, sie hielten sich »gemeinsam im selben Habitat« auf, kamen sich allerdings bei der Futtersuche nicht in die Quere. »Das ist für Europa einmalig«, betont die Paläontologin. Fossilfunde von Menschenaffen des Miozäns, das sich über einen Zeitraum von vor 23 bis vor 5,3 Millionen Jahren erstreckte, gibt es aus Europa zwar reichlich. Doch dass zwei oder mehr Arten von ihnen zur selben Zeit am selben Ort auftauchten, sei bislang nicht nachgewiesen. Die Artenvielfalt europäischer Hominiden könnte demnach in den vergangenen Jahrmillionen sehr viel größer gewesen sein, als Fachleute bislang vermuteten.

Eine neue Art! Aber von welcher Abstammung?

Der neue Artname lautet Buronius manfredschmidi. Er geht auf den in der Hammerschmiede tätigen Hobbysammler Manfred Schmid aus Marktoberdorf zurück. Buronius leiteten die Ausgräber von »Buron« ab, dem mittelalterlichen Namen von Kaufbeuren, der bayerischen Stadt unweit der Hammerschmiede. Die drei Fossilien, die bislang vorliegen, verglichen Böhme, Begun und ihre Kollegen mit den bekannten Skeletten zahlreicher ausgestorbener und noch lebender Primatenspezies. Bald stand für sie fest: Es muss sich um eine bislang unbekannte Art handeln. Die Forschenden rechnen Buronius zu den großen Menschenaffen, den Hominiden. Zu dieser Primatenfamilie gehören auch die Gorillas, die Orang-Utans und Schimpansen sowie wir Menschen samt unseren fossilen Vorfahren. Kleine Menschenaffen sind die Gibbons; die Baumbewohner bilden eine eigene Primatenfamilie. Die großen und die kleinen zählen gemeinsam zu den Hominoiden, den Menschenartigen, die einen Abstammungszweig der Altweltaffen bilden.

Dicker als bei Danuvius | Die linke Kniescheibe von Buronius manfredschmidi ist hier in drei Ansichten abgebildet: von vorn (A), von hinten (B) und von unten (C). Der Maßstab entspricht zehn Millimeter.

Buronius als neue Menschenaffenart zu bestimmen, halten auch Ortiz und Williams für plausibel. Laut Ortiz weisen die Fossilien »eine einzigartige Kombination von Größen- und Formmerkmalen auf, die bei keiner anderen bekannten Affenart« vorkämen. Offenbar »handelt es sich tatsächlich um eine neue Spezies«. Ob es sich aber auch um einen Kronenmenschenaffen handelt, also einen Hominiden, der bereits eine Verwandtschaft mit Gorillas und Schimpansen aufweist, wie es in der Studie heißt, dafür ist nach Ansicht von Ortiz die Beweislage noch zu dünn. Die Studie enthalte »keine phylogenetische Analyse«, Buronius’ Platz im Stammbaum der Primaten sei vorerst nicht genau verortet. »Und weil weitere Fundexemplare fehlen, wäre ich vorsichtiger«, so Ortiz in Bezug auf die exakte Bestimmung. Ihr zufolge könnte es sich zwar um einen großen Menschenaffen handeln, muss es aber nicht. Böhme und ihre Kollegen legen sich in ihrer Studie fest: Die Zähne und die Kniescheibe seien »zu klein und der Form nach zu unterschiedlich, um zu Danuvius guggenmosi oder irgendeinem anderen europäischen Catarrhini (Altweltaffen) des Miozäns zu gehören«.

Die neue Art dürfte ungefähr zehn Kilogramm auf die Waage gebracht haben – gemessen an der Kniescheibe. Damit war sie deutlich kleinwüchsiger als alle lebenden Hominiden und kleiner als Danuvius. Letzterer war nicht größer als einen Meter, das Männchen wog schätzungsweise 31 Kilogramm, die Weibchen um die 18 Kilogramm.

Die Form von Buronius’ Kniescheibe verrät den Paläontologen aber nicht nur etwas über dessen Körpergewicht, sondern auch über die Fortbewegungsweise des kleinen Hominiden. So sei seine Kniescheibe dicker und asymmetrischer als bei Danuvius. Vermutlich weil sich bei beiden die Oberschenkelmuskulatur unterschied. Folglich, so berichtet Böhme, vollführte »Buronius womöglich mit dem Knie Schnellkraftbewegungen«. Wenig wahrscheinlich sei hingegen, dass er seine Knie stark strecken konnte – anders als Danuvius. Dauerhaft auf allen vieren lief Buronius aber ganz sicher nicht, auch er konnte sich wohl aufrichten, selbst wenn nur zeitweise. Das plausibelste Szenario: Der bislang kleinste bekannte Menschenaffe aller Zeiten kraxelte und hangelte im Geäst der Bäume umher.

Der eine war Allesfresser, der andere Blattfresser

Der Tübinger Forscherin Böhme ist jedoch klar, dass allein mit einer einzigen Kniescheibe nicht die Bewegungsweise eines ganzen Lebewesen rekonstruiert werden könne. Doch dafür verrieten die Zähne freilich noch weitere Indizien, was Buronius so in den Bäumen getrieben haben könnte.

Backenzähne | Die Forscher fertigten von den Backenzähnen der beiden Menschenaffen einen ungefähr zehnfach vergrößerten 3-D-Druck an. Der sehr dünne, hier hell wiedergegebene Zahnschmelz von Buronius (links) weist darauf hin, dass er Pflanzenfresser war. Der dicke Zahnschmelz von Danuvius (rechts) weist ihn als Allesfresser aus.

Die Arbeitsgruppe nahm sich dafür nicht nur die Zähne von Buronius vor, sondern untersuchte mit Hilfe eines Computertomografen auch solche von »Udo« und seinen Artgenossen. In den Scans zeigten sich große Unterschiede: Der noch spitznamenlose Buronius-Vertreter hatte Zähne mit einem sehr dünnen Zahnschmelz. Zudem ist die Krone auffällig scharfkantig. Bei Danuvius hingegen umgab ein sehr dicker Schmelz das Zahnbein – ähnlich dick wie bei Menschen. Bei den heutigen Menschenaffen haben vor allem die Blattfresser und Vegetarier einen dünnen Zahnschmelz. Schlicht, weil sie beim Kauen ihrer Blätterkost nicht kräftig zubeißen müssen. Ihre Zähne nutzen sich deshalb weniger ab. Bei Allesfressern wie Homo sapiens ist das Gegenteil der Fall. Harte und zähe Nahrung beansprucht ihr Gebiss, ein dicker Zahnschmelz schützt somit vor starkem Abrieb.

Bei Danuvius fällt laut den Tübinger Paläontologen zudem auf, dass sein Schmelz gekerbt ist und die Höcker auf seinen Zähnen eher stumpf geformt sind. Das würde bestätigen, dass Buronius ein Blattfresser war und Danuvius ein Allesfresser – zumindest war er in der Lage, auch härtere Früchte wie Nüsse zu knacken.

Zwei Menschenaffen teilten sich einen Lebensraum

Ein geringeres Körpergewicht und eine andere Ernährungsweise – laut den Fachleuten aus Tübingen und Toronto schwang sich Buronius durch die Baumwipfel im Auwald der Hammerschmiede und tat sich an Blättern gütlich. Der mehr als doppelt so große »Udo«, der zweibeinig unterwegs war, durchstreifte hingegen tiefer gelegene Baumbereiche und womöglich insgesamt ein größeres Revier mit den Füßen auf dem Erdboden.

Ganz ähnlich, so erklären es die Studienautoren, teilen sich heute Gibbons und Orang-Utans, die auf Borneo und Sumatra leben, ihr gemeinsames Habitat. Die Gibbons bevorzugen weiche Früchte im Blätterdach, während die Orang-Utans mit ihrem dicken Zahnschmelz in ihrer Ernährung breiter aufgestellt sind. Dass ihre weit entfernten Verwandten in Europa vor 11,62 Millionen Jahren ebenfalls in einer solchen Syntopie lebten, halten auch Ortiz und Williams für wahrscheinlich.

Doch ob sich Buronius wirklich so fortbewegte, wie die Studienautoren bislang rekonstruieren, dafür seien laut Scott Williams noch mehr Fossilien nötig. Aus demselben Grund hoffen Böhme und ihr Team auf weitere Funde. Die Paläontologen werden jedenfalls 2024 in der Hammerschiede einen Grabungsbereich erreichen, der sie in jene Schicht und nah an diese Stellen führt, in der die Fossilien der beiden Menschenaffen steckten. Womöglich schlummern dort noch weitere Skelettteile von Buronius manfredschmidi.

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