Kohlendioxid-Entnahme: Ohne technische Verfahren geht es nicht
Rund 1300 Tonnen klimaschädliches CO2 pustet die Menschheit pro Sekunde in die Atmosphäre – und heizt damit den Planeten auf. Dass die Emissionen sinken müssen, um eine drohende Klimakatastrophe abzuwenden, ist wissenschaftlicher Konsens. Doch das allein reicht schon längst nicht mehr. Das Treibhausgas muss zusätzlich effektiv aus der Atmosphäre entfernt werden, um die Pariser Klimaziele zu erreichen.
»CO2-Entnahmen sind eine Notwendigkeit. Sie werden nicht vom Himmel fallen, sondern wir müssen uns darum kümmern«, sagte Jan Minx vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in einem Onlinegespräch vor Journalisten. Der Umweltökonom ist einer der Autoren eines aktuellen Berichts zum Thema. Darin kommt ein Forschungsteam aus Deutschland, Großbritannien, Australien und den USA zu dem Schluss: Die Staatengemeinschaft hat enormen Aufholbedarf beim »carbon dioxide removal« (CDR).
Der Bericht ist eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme, inwieweit Methoden zur Entnahme von klimaschädlichem CO2 aus der Atmosphäre bereits angewendet werden und wie sie genutzt werden müssten, um die internationalen Klimaziele zu erreichen. Nach Angaben des Teams ist er der erste umfassende seiner Art und soll der Auftakt einer Serie sein.
Klimaschutzpläne sehen die Entwicklung neuartiger CDR-Methoden bislang kaum vor
Die wichtigste Botschaft lautet: Obwohl es für die Einhaltung der Pariser Ziele unabdingbar ist, Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu entfernen und dauerhaft an Land, im Meer, in geologischen Formationen oder in Produkten zu speichern, sehen Staaten in ihren Klimaschutzplänen die Entwicklung neuartiger CDR-Methoden kaum bis gar nicht vor. Zwar werde auch heute schon CO2 aus der Atmosphäre entnommen, allerdings fast ausschließlich durch konventionelle Methoden wie etwa Aufforstung und die Bewirtschaftung bestehender Wälder.
Davon unterscheiden die Wissenschaftler neuartige Methoden wie die direkte CO2-Entnahme aus der Luft mit anschließender Speicherung (DACCS, Englisch für direct air carbon capture and storage). Oder auch das BECCS (bioenergy with carbon capture and storage) genannte Verfahren, bei dem – grob gesagt – Energie aus Pflanzen gewonnen und das bei der Nutzung entstehende CO2 gespeichert wird. Da die Pflanzen immer wieder nachwachsen, können sie der Atmosphäre auf diese Weise dauerhaft CO2 entziehen. Ohne solche neuartigen Methoden gehe es nicht, lautet die Einschätzung der Autoren des Berichts.
Aktuell werden mit den neuartigen Methoden dem Bericht zufolge gerade einmal 0,002 Gigatonnen CO2 pro Jahr gebunden. Zur Erreichung der Klimaziele müsste – über verschiedene Szenarien gemittelt – bis 2030 gut 30-mal so viel Kohlendioxid entnommen werden, bis Mitte des Jahrhunderts sogar 1300-mal so viel. »Da stehen wir wirklich noch total am Anfang, fast bei null«, sagt Experte Minx. Zum Vergleich: Schätzungen zufolge betrug der globale CO2-Ausstoß im Jahr 2022 40,6 Gigatonnen.
»Es geht nicht um entweder – oder. Wir brauchen beides«Oliver Geden, Stiftung Wissenschaft und Politik
Die Wissenschaftler warnen davor, die Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre als Alternative zu ambitioniertem Klimaschutz zu sehen. Eine rasche und tief greifende Verringerung der Emissionen sei zusätzlich zu den Reduktionszielen dringend notwendig. »Es geht nicht um entweder – oder. Wir brauchen beides«, sagte Mitautor Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik. In allen realistischen Szenarien, die zur Erreichung der Pariser Klimaziele vorlägen, sei eingeplant, CO2 aus der Atmosphäre zu entnehmen. Hier klaffe jedoch eine große Lücke zwischen dem Ziel und dem aktuellen Stand dessen, was die Länder bereits umsetzen oder konkret planen.
Die Weltgemeinschaft hatte im Jahr 2015 in Paris vereinbart, die Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Niveau deutlich unter 2 Grad zu halten, möglichst aber bereits bei 1,5 Grad zu stoppen. Damit sollen die Überschreitung gefährlicher Kipppunkte mit unumkehrbaren Konsequenzen vermieden und die schwerwiegendsten Folgen eines fortschreitenden Klimawandels abgewendet werden. Die bislang geplanten Maßnahmen der Staaten sind dafür jedoch längst nicht ambitioniert genug.
Die kommenden Jahre sind entscheidend
Kein Land lege mit seinen nationalen Klimazielen einen Plan vor, wie neuartige Entnahmemethoden bis 2030 bis zur nötigen Größe ausgebaut werden sollen, heißt es im Bericht. Selbst bei den langfristigeren Klimazielen bis 2050 werde dies bislang kaum eingeplant.
Gleichzeitig weisen die Forscher darauf hin, dass jedes Land oder Unternehmen, dass sich ein Netto-null-Emissionsziel – gemeinhin als Klimaneutralität bezeichnet – gesetzt habe, die Entnahme von CO2 bereits mit eingepreist habe. Denn es werde immer Restemissionen geben, die ausgeglichen werden müssen. Politik und Wissenschaft müssten daher klären, welche Methoden sie zur CO2-Entnahme einsetzen wollten, in welchem Ausmaß diese genutzt werden und – ganz wichtig – wer das bezahlen solle. »Wer darauf keine Antwort hat, dessen Netto-null-Ziel kann man eigentlich nicht richtig ernst nehmen«, sagte Sozialwissenschaftler Geden.
»Bislang wird die CO2-Entnahme und Speicherung so wenig diskutiert, dass es in der Öffentlichkeit kaum bekannt ist und nicht differenziert betrachtet wird.«Christine Merk, Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel
Die kommenden Jahre sind laut den Autoren entscheidend dafür, die Methoden zur CO2-Entnahme weiterzuentwickeln und politische Rahmenbedingungen für ihre Skalierung zu schaffen. Nur wenn dies geschehe, sei es realistisch, dass sie in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts auch in großem Maßstab zum Einsatz kämen.
Ob dies geschehe, hänge zudem von der öffentlichen Wahrnehmung des Themas ab, betonte Christine Merk vom Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, die den Bericht begutachtet hat. Ausschlaggebend dafür sei ebenso, wer wie über das Thema spricht, etwa in der Politik. »Bislang wird das so wenig diskutiert, dass es in der Öffentlichkeit kaum bekannt ist und nicht differenziert betrachtet wird.« Tendenziell sei die Zustimmung zu konventionellen, natürlichen Methoden wie der Aufforstung höher als zu unbekannteren Entnahmemethoden – auch wegen potenziell unbekannter Folgen neuer Verfahren. Doch die konventionellen Maßnahmen haben ihre Grenzen: So könnten die steigenden Temperaturen Wäldern so stark zusetzen, dass sie keine verlässlichen CO2-Speicher mehr sind, merkte Geden an. (dpa/kmh)
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