Kohlendioxideinlagerung: »CCS ist keine Universallösung für den Klimaschutz«
Soll Kohlendioxid, das als Treibhausgas die Erderwärmung vorantreibt, auch in Deutschland tief im Untergrund eingelagert werden, um es aus der Atmosphäre fernzuhalten? 2012 hatte die damalige schwarz-gelbe Koalition das so genannte »Carbon Capture and Storage« (CCS) wegen Angst vor Protesten aus der Bevölkerung auf Eis gelegt. Nun soll es einen neuen Anlauf geben. Im Interview erklärt die Geophysikerin Susanne Buiter vom Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) in Potsdam, ob und unter welchen Bedingungen CCS zum Klimaschutz beitragen kann und wie sie über Risiken denkt.
Frau Buiter, woher kommen aus Ihrer Sicht diese tief sitzenden Bedenken und auch Ängste in der Gesellschaft, wenn es um CCS geht?
Viele Menschen sind erst mal beunruhigt, wenn sie hören, dass etwas im Untergrund eingelagert werden soll. Der Untergrund wird schon für andere Sachen in Anspruch genommen, zur Erdgasförderung und -speicherung, für Geothermie, für die Endlagerung radioaktiver Abfälle. Wenn nun zusätzlich Kohlendioxid eingelagert werden soll, ist das zunächst ein weiterer Eingriff. Da ist es auch richtig und verständlich, dass Bevölkerung und Umweltorganisationen Fragen stellen. Die Diskussion sollte nur bitte sachlich laufen und auf Fakten basieren.
Welche falschen Behauptungen begegnen Ihnen?
Es stimmt zum Beispiel nicht, dass bei CO2-Speichern Lecks sehr wahrscheinlich sind und dass CCS automatisch den Anstrengungen schadet, den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren.
Welche Rolle kann Deutschlands größtes Geoforschungszentrum in der Debatte spielen?
Wir können vor allem die Erkenntnisse und Erfahrungen aus unserem Forschungsprojekt in Ketzin westlich von Berlin einbringen. Dort haben wir zwischen 2008 und 2013 die Einlagerung von Kohlendioxid in 650 Meter Tiefe im Pilotmaßstab unter industriellen Bedingungen erprobt und erforscht.
Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Entscheidend für die lokale Akzeptanz des Projektes war, dass wir vom ersten Moment an Bevölkerung und Behörden den offenen Dialog angeboten und immer transparent informiert haben. Wir haben den Standort dann intensiv untersucht und schließlich – unter permanentem Monitoring – 67 000 Tonnen CO2 eingespeichert. Unsere Nachuntersuchungen über fünf Jahre hinweg haben anschließend gezeigt, dass der Speicher dicht ist, also kein Kohlendioxid entweicht. Dann haben wir das Gelände zurückgegeben. Auf dem Gelände stehen heute eine Biogasanlage und ein Windrad. Das CO2 liegt tief im Untergrund.
Wie ging es mit der CCS-Forschung weiter?
Gar nicht. Das CCS-Gesetz der damaligen Bundesregierung hätte zwar für kurze Zeit noch Forschungsprojekte erlaubt, aber im Kern wurde dem Ganzen damals ein Riegel vorgeschoben, und das ist bis heute so geblieben. Ketzin ist deshalb das einzige größere CO2-Speicherprojekt in Deutschland geblieben.
Hat Deutschland wegen des Verbotsgesetzes der schwarz-gelben Koalition bei CCS zwölf wertvolle Jahre verloren?
Ich halte es nicht für sinnvoll, jetzt in der Vergangenheit zu stochern, sondern würde lieber nach vorne schauen. Wir alle kennen die Aussagen des Weltklimarats IPCC, wie schnell und drastisch die CO2-Emissionen sinken müssen. Das heißt volle Fahrt voraus beim Ausbau der erneuerbaren Energien und dem Auslaufen fossiler Energien, volle Fahrt voraus beim natürlichen Klimaschutz, wo Moore, Aufforstungen und andere natürlichen Kohlenstoffsenken ausgebaut werden. Und es heißt – auch das empfiehlt der IPCC –, CCS nach Möglichkeit dort zu nutzen, wo Emissionen nicht auf andere Art reduziert werden können und wo man das Kohlendioxid gut einsammeln kann. In diesem Kontext wäre es gut, wenn Deutschland jetzt ein neues Gesetz bekäme, das CCS mit den nötigen Auflagen erlaubt.
Viele Menschen denken bei einem CO2-Speicher an eine Kaverne im Untergrund. Wie sieht so etwas wirklich aus?
Nein, es geht bei CCS auf gar keinen Fall darum, ein großes Loch nahe der Oberfläche zu graben. Das Gas wird vielmehr mit Druck zwischen 600 und 1200 Meter tief ins Gestein verpresst, entweder in erschöpfte Erdgaslagerstätten oder in Schichten, zum Beispiel Sandstein, die Salzwasser führen. Darüber gibt es immer Deckschichten, die den Speicher nach oben abdichten.
»Es wäre gut, wenn Deutschland jetzt ein neues Gesetz bekäme, das CCS mit den nötigen Auflagen erlaubt«
Was passiert nach der Einlagerung mit dem Kohlendioxid?
Im Sandstein steckt das CO2 in den kleinen Poren zwischen den Sandkörnern, im Salzwasser wird es zu Kohlensäure.
Und dann?
Anfangs könnte man es noch zurückholen, wenn man das Bohrloch durch die Deckschicht intakt hält. Das könnte interessant werden, falls man Wege findet, das CO2 sinnvoll zu nutzen. Ansonsten wird das CO2 mit der Zeit immer stärker in der Tiefe gebunden. Im Sandstein verwandelt es sich in Kalzit, wird also fest, und gelöst in den Salzwasserschichten nimmt seine Dichte zu und es steigt dann nicht mehr auf. Das Kohlendioxid wird also langfristig Teil der Gesteinsschicht und bleibt dort, statt zur Erderwärmung beizutragen.
Was könnte bei CCS schiefgehen?
Nichts im Leben ist 100 Prozent risikofrei. Geologen könnten zum Beispiel die Deckschicht, die den Kohlendioxidspeicher nach oben verschließt, für dichter halten, als sie tatsächlich ist, oder Verwerfungen übersehen. Dem kann man aber durch intensive geologische Untersuchungen sehr gut vorbeugen. Schiefgehen könnte auch, dass das Bohrloch, das man in jedem Fall braucht, nicht gut genug verschlossen wird. Dann könnte Kohlendioxid wieder in die Atmosphäre entweichen, wo es sonst auch gelandet wäre. Da muss man eben sorgfältig vorgehen. In Deutschland existieren zum Glück schon seit mehr als 60 Jahren umfangreiche Erfahrungen mit unterirdischen Speichern beim Erdgas sowie mit dem Verschluss von Bohrungen.
Wie groß ist das Potenzial für CCS in Deutschland?
Geeignete Gesteinsschichten gibt es in der norddeutschen Tiefebene und unter der Nordsee sowie im Alpenvorland und im Oberrheingraben. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe schätzt das gesamte theoretisch verfügbare Potenzial auf neun Milliarden Tonnen CO2. Das entspräche den gesamten deutschen Emissionen über 13 Jahre hinweg.
Ist das aus Ihrer Sicht viel oder wenig?
Man muss ja davon ausgehen, dass nur ein Teil der Speicherkapazität ökonomisch sinnvoll erschlossen werden kann. Dann merken wir schnell: Es geht zwar um große Mengen, aber nein, CCS ist auf keinen Fall eine Universallösung für den Klimaschutz. Man muss sehr genau überlegen, für was man den Platz im Untergrund nutzen möchte. Er wird beispielsweise auch für Geothermie-Anwendungen und die Speicherung von Wasserstoff benötigt. Ich plädiere deshalb dafür, dass wir in Deutschland eine Raumplanung für den Untergrund einführen, an der Interessengruppen und Bevölkerung beteiligt werden. So etwas gibt es nämlich erstaunlicherweise noch nicht.
»Man muss sehr genau überlegen, für was man den Platz im Untergrund nutzen möchte«
Kürzlich haben sich erstmals zwei Umweltverbände, der WWF und der NABU, einem Thesenpapier von Wirtschaftsorganisationen angeschlossen, das die Einführung von CCS auf der Basis von wissenschaftlichen Szenarien befürwortet. Wie beurteilen Sie das?
Ich finde es sehr erfreulich, wenn so ein Papier nicht nur einfach davon ausgeht, was die Wirtschaft gerne hätte oder bräuchte, sondern Leitlinien auf der Grundlage von wissenschaftlichen Fakten fordert. Da gibt es ja nicht nur unsere Ergebnisse aus Ketzin, sondern die Ergebnisse von zahlreichen CCS-Projekten aus aller Welt, die man heranziehen kann. Als Wissenschaft können wir einbringen, warum das Verfahren grundsätzlich sicher ist, und zugleich übertriebene Hoffnungen eindämmen.
Andere Umweltverbände lehnen CCS aber strikt ab. Was hieße es hier, den Slogan »Follow the Science« der Klimabewegung anzuwenden?
Jedenfalls sollte es heißen, auf Fakten und Erfahrungen aus der Wissenschaft zu hören. Alles Weitere kann man dann in sachlichen Debatten besprechen – in denen Kritiker von CCS dann klar sagen sollten, wie man das Kohlendioxid vermeiden kann. Und am Ende entscheidet nicht die Wissenschaft, sondern Politik und Gesellschaft.
Die Kritiker warnen davor, dass die Möglichkeit zum CCS den Ambitionen bei der CO2-Reduktion schaden wird, weil man ja fossile Geschäftsmodelle fortsetzen und das Abfallgas einfach einlagern kann. Was halten Sie von dieser Kritik?
Wer in Wirtschaft und Politik glaubt, man könnte wegen CCS auf CO2-Reduktion verzichten oder langsamer damit machen, liegt falsch. Ich sehe zwei große Anwendungsfelder. Es kann einerseits eine kurzfristige Brückentechnologie sein, um die CO2 Konzentrationen in der Atmosphäre zu senken.
Das würde Ihrer Ansicht nach nicht den Druck mindern, Kohlekraftwerke stillzulegen?
Nein, weil die Richtung – Ausstieg aus fossilen Energiequellen – ja klar ist. Den Umstieg auf Windkraft, Solar, Geothermie können und dürfen wir damit nicht verschieben. Und da ist Deutschland ja zum Glück auch schon recht weit. Zusätzlich geht es darum, natürliche Kohlenstoffsenken wieder zu ertüchtigen, also vor allem Moore wiederzuvernässen.
Wie beurteilen Sie dann Planungen für neue Gaskraftwerke, die an einen CO2-Speicher angeschlossen würden?
Ich habe große Zweifel, ob man überhaupt neue fossile Kraftwerke planen sollte. Es sollten jetzt wirklich alle Anstrengungen und Mittel in erneuerbare, CO2-freie Energiequellen fließen.
Welches zweite große Anwendungsfeld sehen Sie?
Da geht es um Emissionen, die man auf längere Sicht nicht oder noch nicht auf andere Weise reduzieren kann. Das ist zum Beispiel bei der Zementherstellung der Fall und in manchen Sparten der Chemieindustrie. In Norwegen wird schon praktiziert, dass man die Emissionen aus einer Zementfabrik einfängt, mit einem Schiff aufs Meer bringt und dann dort im tiefen Untergrund einspeichert. Wenn man es schaffen würde, solche technisch unvermeidlichen Emissionen aus der Atmosphäre fernzuhalten, wäre das ein großer Erfolg. Man muss allerdings immer bedenken, dass der Speicherplatz, den man wirtschaftlich vertretbar nutzen kann, begrenzt ist.
Wie schnell könnte CCS, nachdem die Bundesregierung grünes Licht gegeben hat, zur Verfügung stehen?
Die Technologie ist anwendungsreif und sicher machbar, das haben wir in Ketzin unter industriellen Bedingungen gezeigt. Wenn man ein früheres Erdgasfeld nutzen kann, das geologisch schon intensiv erkundet und beschrieben wurde, kann man sehr schnell mit der Kohlendioxidspeicherung beginnen. Das hängt dann nur davon ab, wie lange der Genehmigungsprozess dauert. Muss man ein Gebiet vorher erst noch geophysikalisch charakterisieren, muss man dafür ein bis zwei Jahre zusätzlich veranschlagen. Aber generell würde ich sagen, dass man binnen weniger als fünf Jahren mit dem Einlagern beginnen könnte. Und dieses CO2 wäre dann sofort aus unserer Treibhausbilanz raus.
Im letzten Monitoringbericht der Bundesregierung zum CCS-Gesetz steht sehr klar, dass man an Land mit erheblichen Protesten aus der Bevölkerung rechnen muss.
Dem sollte man mit einem transparenten Dialog begegnen, wie wir das in Ketzin geleistet haben. Da haben wir uns gleich ganz zu Anfang mit allen an einen Tisch gesetzt. Wir haben alle Fragen ehrlich beantwortet und waren auch immer erreichbar. Zumindest in Ketzin hat es geklappt.
Klagen können Genehmigungsverfahren jedoch lange verzögern. Setzt die Bundesregierung deshalb auf die Nordsee?
Da ist die Zahl der Betroffenen natürlich deutlich geringer und Klagen sind weniger wahrscheinlich. Geologisch gesehen macht das keinen Unterschied. Das Sandgestein unter der Nordsee ist zum Einspeichern von Kohlendioxid genauso gut geeignet wie das an Land. Und sollte wirklich etwas entweichen, dann würden wir auch gleich sehen, dass es da blubbert.
»Die Technologie ist anwendungsreif und sicher machbar, das haben wir in Ketzin unter industriellen Bedingungen gezeigt«
Damit CCS beginnen kann, muss einiges an Infrastruktur aufgebaut werden. Würde sich das überhaupt lohnen?
Das müssen eher Fachleute aus der Ökonomie beantworten als aus der Geologie. Und die Gesellschaft muss sich fragen, was es ihr wert ist, CO2 aus der Atmosphäre fernzuhalten. Meine Kolleginnen und Kollegen vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Geomar rechnen mit 150 bis 250 Euro pro Tonne CO2 an Vermeidungskosten.
Eine Tonne CO2 auszustoßen, kostete Kraftwerksbetreiber in der EU auf dem Emissionsmarkt vor einem Jahr etwa 100 Euro, derzeit sind es 62 Euro.
Da muss dann die Industrie entscheiden, was besser ist. Geologinnen und Geologen sind dafür zuständig, eine sichere Einlagerung zu ermöglichen, falls diese erwünscht ist, und Begleitforschung zu machen. Und es gibt ja zum Glück im europäischen Ausland – vor allem den Niederlanden und Norwegen – und auch weltweit genug Erfahrungen mit CCS, von denen deutsche Unternehmen auch in Fragen der Wirtschaftlichkeit lernen können.
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