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News: Charismatische Führer begrenzen Überlebensaussichten

Kommunen mit zentralen charismatischen Führern scheitern grundsätzlich früher als undogmatisch-weltliche Gemeinschaften, da die Fixierung auf eine zentrale Persönlichkeit dem Streben nach Gleichheit und Brüderlichkeit im Wege steht.
Zu diesem Ergebnis kommt Christoph Brumann vom Institut für Völkerkunde der Universität zu Köln in seiner Untersuchung „Die Überlebensbedingungen kommunitärer Gruppen”. Hinsichtlich der Lebensdauer unterscheidet der Kölner Völkerkundler drei Modelle von Kommunen. Beim Modell mit einem sehr zentralen charismatischen Führer wird diesem eine übermenschliche oder gar göttliche Natur zugeschrieben, er genießt materielle, soziale und sexuelle Vorrechte und bestimmt sämtliche wesentlichen Überzeugungen der Kommune. Die Gruppe ist oftmals außergewöhnlich groß, gründet aber trotzdem keine Zweige, und wenn, dann sind diese der Zentrale deutlich untergeordnet. Meist sympathisiert sie mit Abweichungen von der Monogamie, ja versucht, durch ein Zölibat oder die – nur hier vorkommende – Gruppenehe die Kontrolle der Kommune über die Mitglieder zu verstärken.
Das Überzeugungssystem ist fast immer religiös geprägt, fast immer abweichend von herkömmlichen Traditionslinien auf den Führer zugeschnitten, der eine Verschmelzung verschiedener Religionen und Philosophien vorgenommen hat. Bei seinem Tode erlebt die Kommune oftmals einen Niedergang, da die interne Hierarchie völlig auf ihn ausgerichtet war. Durch einen Hang zum Extremen ist das Verhältnis zur Außenwelt nicht selten von erbitterten Konflikten geprägt. Spektakulärstes Beispiel für eine solche kurzlebige Kommune dürfte der Peoples Temple sein. Im Jahre 1978 begingen fast 900 Mitglieder auf Geheiß ihres Führers Jim Jones Selbstmord, indem sie, wie schon oftmals geprobt, Gift einnahmen.

Ein Modell mit weitaus besseren Überlebenschancen bietet die typisch dualistisch-religiöse Kommune ohne zentralen charismatischen Führer. Ihre Religion, meist traditionsnah christlich, hat asketische Ideale, die den Verzicht auf viele als sündig empfundene Praktiken der Rahmengesellschaft fordern. Weicht sie von deren monogamer Norm ab, dann in Richtung zölibatärer Enthaltsamkeit. Gibt es einen charismatischen Führer, dann ist dieser eher Heiliger als König und ordnet sich den gemeinschaftlichen Regeln und Überzeugungen unter. Gefahr für den Fortbestand besteht am ehesten dann, wenn die Kommune in der Pflege der sie von der Außenwelt distanzierenden religiösen Überzeugungen nachläßt. Wird dies jedoch vermieden oder auf bestimmte Bereiche beschränkt, sind alle Arten von Überlebenserfolgen möglich.
So erlebten die Hutterer bereits im 16. Jahrhundert eine Blütezeit in Mähren. Nach religiöser Verfolgung wanderten die Reste im 19. Jahrhundert in die USA aus und verlagerten schließlich ihren Schwerpunkt nach Kanada. Heute leben, hauptsächlich in den Great Plains-Bundesstaaten, etwa 30.000 Hutterer in über 400 Kolonien.

Ein weiteres Modell mit guten Überlebenschancen stellen die typisch undogmatisch-weltlichen Kommunen dar, deren bekannteste Vertreter die israelischen Kibbutzim sein dürften. Sie können sich kaum auf verbindliche Überzeugungen berufen, da diese dem Streben der Mitglieder nach Gleichheit und Toleranz zuwiderlaufen würden. Auch die dogmatische Einführung ungewöhnlicher Eheformen würde dem toleranten Grundbekenntnis nicht entsprechen, so daß ein monogames Familienleben die Norm ist. Gibt es charismatische Führer, dann bescheiden sich diese in ihren Selbsteinordnungen und Privilegien, und Ämter sind ganz allgemein eher mit Arbeit als mit Anerkennung verbunden und werden oftmals gemieden.

Diese Ergebnisse sind in Zeiten verbreiteter Unzufriedenheit mit herkömmlichen politischen, wirtschaftlichen und administrativen Institutionen nicht zu unterschätzen, zeigen sie doch, daß selbstorganisierte Kooperation in vielen Lebensbereichen möglich ist und eine ernstzunehmende Alternative darstellt. Dabei sollte nach Auffassung Brumanns nicht vergessen werden, daß unser Alltag von selbstorganisierter Kooperation durchzogen ist – etwa in Form von Wohngemeinschaften, Krabbelgruppen, Car-sharing oder Tauschringen. Zwar gehe es dort „nur” um alltagspraktische Probleme und das Teilen reiche längst nicht so weit wie in kommunitären Gruppen, bestimmte strukturelle Fehler dürften aber häufig wiederholt werden. Dies müßte – so der Völkerkundler – seltener der Fall sein, wenn bisherige Erfahrungen systematisch gesammelt, ausgewertet und die Ergebnisse zugänglich gemacht würden.

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