Vogelzug: China hat das größte »Futterhäuschen« der Welt
Zweimal im Jahr brechen die Pfuhlschnepfen (Limosa lapponica) zu einer epischen Reise auf: Sie fliegen von Alaska, wo sie brüten, nach Neuseeland ins Winterquartier und wieder zurück. Dabei legen sie mehr als 11 000 Kilometer über den Pazifik hinweg nonstop zurück. Nach diesem Flug benötigen sie energiereiche Nahrung für die nächsten Etappen und vor allem auch für die anstehende Balz und das Brutgeschäft. Zu den wichtigsten Raststätten der Tiere gehört deshalb das Yalu-Jiang-Naturreservat im nordöstlichen China nahe der Grenze zu Nordkorea. Dort machen jährlich im Frühjahr 250 000 Watvögel Pause, um Muscheln, Krebschen und Würmer für die Weiterreise in die Arktis zu fressen. Doch dieses Mal drohte eine große Hungersnot, wie die neuseeländische Umweltbehörde Anfang April 2018 berichtete: Der kälteste Winter in der Region seit 70 Jahren hatte die Wirbellosenfauna des Feuchtgebiets beträchtlich reduziert und zum Beispiel nur fünf Prozent der durchschnittlichen Muschelbestände überleben lassen.
Das rief jedoch Wissenschaftler und Vogelschützer auf den Plan, die nicht tatenlos zusehen wollten, wie die ohnehin gefährdeten Watvögel dieses Zugkorridors noch weiter unter Druck geraten sollten. Mitarbeiter der Fudan University in China kamen deshalb auf die Idee, die weltgrößte Vogelfütterung zu organisieren, um den Tieren ausreichend Nahrung anzubieten: Muscheln aus Aquazuchten in anderen Teilen Chinas sollten angekauft und innerhalb des Reservats ausgebracht werden, so dass sich die Vögel satt fressen können. Unter anderem das Pukorokoro Miranda Shorebird Centre in Neuseeland sammelte darauf schnell Spendengelder ein, um dieses Unterfangen zu sichern. Rasch kamen dazu 365 000 US-Dollar zusammen – genug, um das Projekt zu starten und 500 Tonnen Muscheln zu kaufen.
Die Zeit drängte, denn ab Mitte April tauchen die meisten Watvögel in Yalu Jiang auf. Neben den Pfuhlschnepfen galt vor allem den Großen Knutts (Calidris tenuirostris) erhöhte Aufmerksamkeit. Ein Viertel des Weltbestands – bis zu 80 000 Exemplare – rastet hier. Ohne die Zusatznahrung könnte ihre globale Population um ein Zehntel zurückgehen, so viele Tiere würden an Entkräftung sterben, rechneten die Wissenschaftler. Bis Anfang Mai soll die Aktion noch laufen, dann ziehen die Tiere weiter in die Arktis, wo sie nisten.
Der ostpazifische Zugkorridor zwischen Sibirien und Alaska im Norden sowie Australien und Neuseeland im Süden gilt als eine der am stärksten gefährdeten Flugrouten für Wat- und Seevögel weltweit. In den letzten Jahren gingen vor allem in Ostasien rund um das Gelbe Meer zahlreiche Rastplätze verloren, weil Marschland und Wattflächen zerstört und durch Deiche in Industrieanlagen oder Ackerland umgewandelt wurden. Einige Arten wie der Löffelstrandläufer (Eurynorhynchus pygmeus) gelten deshalb als vom Aussterben bedroht. Allein die Vernichtung des südkoreanischen Wattenmeergebiets von Saemangeum hat zum Bestandseinbruch vieler Watvögel geführt, die hier eines ihrer wichtigsten Rastgebiete hatten. 20 bis 30 Prozent des Weltbestands der Großen Knutts gingen dadurch verloren.
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