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Sars-CoV-2: China will Virusforscher stärker kontrollieren

Jede Studie chinesischer Forscher über das Coronavirus braucht künftig einen Stempel des Ministeriums. Was bezweckt China mit der neuen Anweisung?
Symbolbild: Chinesische Forscher dürfen nicht mehr frei zum Coronavirus publizieren

Die chinesische Regierung kontrolliert offenbar immer stärker, welche Forschungsergebnisse über Covid-19 publiziert werden. Laut Dokumenten, die dem Wissenschaftsmagazin »Nature« vorliegen, hat China vor drei Monaten im Stillen eine Regelung eingeführt, nach der Wissenschaftler sich jede Veröffentlichung ihrer Ergebnisse genehmigen lassen müssen.

Das deckt sich auch mit Medienberichten, denen zufolge mindestens zwei chinesische Universitäten entsprechende Mitteilungen online gestellt haben. Forschungsarbeiten über den Ursprung des Virus müssten vom akademischen Ausschuss der Universität sowie vom Ministerium für Wissenschaft und Technologie oder dem Bildungsministerium genehmigt werden, heißt es in den Anweisungen.

Über Sinn und Zweck der Maßnahme sind sich chinesische Wissenschaftler uneins. Einige halten sie für eine sinnvolle Reaktion auf qualitativ schlechte, aber öffentlichkeitswirksame Studien über das Virus. Andere sehen darin den Versuch Chinas, Informationen über den Beginn des Ausbruchs unter Verschluss zu halten.

Offenbar ist die neue Regelung aber nicht allen Forschern, die in China am Virus arbeiten, bekannt, wie eine Umfrage von »Nature« ergab. Einige der Befragten gaben an, entsprechende Weisungen von ihren Institutionen erhalten zu haben, andere hingegen nicht. Auf den Websites der zuständigen Ministerien ließ sich bislang keine entsprechende Mitteilungen finden. Genauso wenig reagierten die beiden Ministerien auf die Bitte von »Nature«, die Existenz der Anweisung zu bestätigen.

Eine Maßnahme zur Qualitätssteigerung?

Forscher außerhalb Chinas fürchten, dass der Überprüfungsprozess die Veröffentlichung wichtiger Erkenntnisse verzögern könnte – und dass sich die chinesische Regierung in den wissenschaftlichen Überprüfungsprozess einmischt.

»Wissenschaftlern und ihren Instituten sollte es generell freistehen, ihr Wissen zu teilen, ohne dass es jemand absegnen muss. Vorausgesetzt, es wurde nach unseren geltenden ethischen Konventionen und Standards gewonnen«, sagt Ashley St. John, Virologin an der Duke-NUS Medical School in Singapur. »Alle Kontrollen oder Reviews sollten ausschließlich wissenschaftlich motiviert sein.«

Im März 2020 machte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums Zhao Lijian die bemerkenswerte Behauptung, das Virus könnte in Wahrheit aus den Vereinigten Staaten ins Land gekommen sein. Aussagen wie diese befeuern nun die Sorge, dass sich die chinesische Regierung bei ihrer offiziellen Linie nicht immer an die Wissenschaft hält. Zwar ist der genaue Ursprung des Virus noch unbekannt, doch Forscher sind sich hinreichend sicher, dass es wahrscheinlich von Fledermäusen stammt und dann auf ein Trägertier übertragen wurde, bevor es Ende letzten Jahres in Zentralchina die ersten Menschen infizierte.

Ministerien und Gremien müssen ihr Okay geben

Die staatliche Aufsicht über die Covid-19-Forschung scheint mit einer Anweisung an die Universitäten begonnen zu haben. Das legt ein »Nature« zugespieltes Dokument nahe, das anscheinend vom Bildungsministerium stammt und auf den 10. März datiert ist. Es fordert von den Einrichtungen, sich jede Veröffentlichung genehmigen zu lassen, sofern sie den Ursprung von Sars-CoV-2, seine Übertragungswege oder Behandlungen oder Impfstoffe berührt. Als zuständige Stellen werden das Ministerium selbst sowie der Gemeinsame Präventions- und Kontrollmechanismus genannt, ein Gremium, das vom mächtigen Staatsrat geleitet wird. Weiter heißt es in dem Dokument, die Universitäten sollten vor einer Publikation berücksichtigen, welche »Fragen der Gesellschaft Sorgen bereiten«. (»Nature« erhielt das Dokument, das den Stempel des Bildungsministeriums und den Namen eines Beamten der Behörde trägt, von einem Forscher, der sich nicht dazu äußern möchte).

Anschließend scheint das Bildungsministerium, nach einer Sitzung des Gemeinsamen Präventions- und Kontrollmechanismus am 25. März, eine weitere Anordnung erlassen zu haben. Das geht aus einer zweiten Mitteilung hervor, die aus demselben Ministerium zu stammen scheint und auf Pincong, einem chinesischsprachigen Forum, veröffentlicht wurde. In dieser Mitteilung vom 7. April heißt es, dass Studien über den Ursprung des Virus von einem akademischen Universitätsausschuss und der Abteilung für Wissenschaft und Technologie des Bildungsministeriums genehmigt werden müssen, bevor sie in einer Zeitschrift oder auf einem Preprint-Server oder Blog veröffentlicht werden dürfen. Akademische Ausschüsse müssten alle anderen Covid-19-Fachartikel auf »wissenschaftlichen Wert und Timing« hin überprüfen. Es wird auch gefordert, die Wirksamkeit von Impfstoffen oder Behandlungen in Studien nicht überzubewerten.

Archivierten Webseiten zufolge hat die Fakultät für Informationswissenschaften und Technologie der Fudan-Universität in Schanghai diese Mitteilung am 7. April online gestellt, anschließend jedoch wieder entfernt. Die britische Zeitung »The Observer« berichtete, dass ein ähnlicher Hinweis auf der Website der chinesischen Geowissenschaftlichen Universität in Wuhan veröffentlicht und dann entfernt wurde.

Überzogene Schlussfolgerungen könnten herausgeflltert werden

Mehrere Forscher in China halten das Überprüfungsverfahren für Covid-19-Studien für eine gute Idee. So etwa Alice Hughes, eine Naturschutzbiologin am Xishuangbanna Tropical Botanical Garden der Chinesischen Akademie der Wissenschaften (CAS). Die Maßnahme könnte die Verbreitung potenziell ungenauer und überzogener Forschungsergebnisse verhindern. Als Beispiel nennt sie einer kontroverse Studie, die am 22. Januar im »Journal of Medical Virology« veröffentlicht wurde und die nahelegte, dass Schlangen der ursprüngliche Wirt des Virus seien. Wissenschaftler hatten die Studie wegen ihres Mangels an Belegen kritisiert, trotzdem fand sie ein breites Medienecho.

Hughes sagt, der Direktor ihres Instituts habe ihr Ende Februar mitgeteilt, dass Forschung zu Covid-19 die Genehmigung des Ministeriums für Wissenschaft und Technik benötige. Sie habe selbst keine offiziellen Schreiben dazu gesehen. Anfang März habe sie ein eigenes Paper zunächst von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften und dann vom Wissenschaftsministerium innerhalb von 72 Stunden genehmigt bekommen.

Sie selbst will keine größeren Auswirkungen auf das Publikationswesen festgestellt haben: »Wie man sieht, werden in China auch mit diesem neuen System neue Paper über die Ursprünge des Virus veröffentlicht.«

Doch keine Anweisung erteilt?

Auch Zhang Zhigang, Evolutionsmikrobiologe an der Yunnan-Universität in Kunming, der über die Ursprünge des Ausbruchs publizierte, bevor der Überprüfungsprozess eingerichtet wurde, sieht darin eine gute Möglichkeit, die Qualität und Zuverlässigkeit der Forschung zu kontrollieren. Schlechte Forschung könnte den weltweiten Bemühungen zur Bekämpfung des Virus schaden, sagt er.

Offenbar haben aber nicht alle Wissenschaftler von den Richtlinien erfahren. So etwa Chen Jinping vom Guangdong Institute of Applied Biological Resources in Guangzhou. Ihm sei nicht gesagt worden, dass er für die Veröffentlichung seiner Forschung die Genehmigung des Ministeriums benötige, erklärt der Tiermediziner, der auch die Herkunft des Virus untersucht.

Selbst einigen Institutionen ist es offenbar unklar, welche Regelungen gelten. Fei Ma, Dekan für Forschung und Graduiertenstudien an der Xi'An Jiaotong-Liverpool University im chinesischen Suzhou hat nach eigenen Angaben nichts davon gehört, dass coronavirusbezogene Forschung vom Ministerium oder anderen Regierungsbehörden genehmigt werden müsse.

Auch die Duke Kunshan University in Kunshan habe kein offizielles Schreiben erhalten, sagt der geschäftsführende Vizekanzler der Einrichtung Denis Simon. Aber man diskutiere die Vorschrift: »Die Leute haben davon gehört, aber bei uns ist noch nichts angekommen.«

Jede Verzögerungen kann der Gesundheit schaden

Ashley St. John, die Singapurer Virologin, fürchtet, das Überprüfungsverfahren könnte die Freigabe wichtiger Forschungsarbeiten verzögern. »Im Moment brauchen wir dringend alle möglichen Studien über Sars-CoV-2: Von den ganz grundlegenden Dingen über Krankheitsmechanismen bis hin zu Impfstoffen und Therapeutika. Wir können uns im Moment keine Verzögerungen leisten.«

Genau zu wissen, woher das Virus stammt, sei außerdem wichtig für Frühwarnsysteme. Solche Mechanismen könnten künftig warnen, wenn wieder einmal ein Erreger von einem Tier auf den Menschen übergesprungen ist, sagt sie.

Sarah Cobey, die an der University of Chicago an Infektionskrankheiten forscht, hält es für sehr problematisch, wenn Ergebnisse aus China aus anderen Gründen als der Qualität gefiltert oder unterdrückt würden. Zu wissen, wie sich das Virus in verschiedenen Ländern ausbreite, sei von zentraler Bedeutung, wenn man Interventionsmaßnahmen wie etwa Social Distancing bewerten wolle, sagt Cobey.

»Eine verzerrte Forschungslage kann man sicher irgendwann mit Studien aus anderen Ländern wieder geraderücken«, sagt sie, »aber die Verzerrung und Verzögerung würde wahrscheinlich auf Kosten der menschlichen Gesundheit gehen.«

Dieser Artikel erschien unter dem Titel »China is tightening its grip on coronavirus research« in »Nature«.

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