Hyperaktive Körperabwehr: Chronische Erschöpfung durch Immunreaktion?
Einen weiteren Hinweis, dass das bis heute rätselhafte chronische Erschöpfungssyndrom auf ein übermäßig aktives Immunsystem zurückgehen könnte, liefert eine aktuelle Studie an 54 Patientinnen und Patienten mit chronischer Hepatitis-C-Infektion sowie einer Kontrollgruppe. Wie das Team um Alice Russell vom King's College in London in »Psychoneuroendocrinology« berichtet, entwickelte ein Drittel der Versuchspersonen ein chronisches Erschöpfungssyndrom, nachdem sie gegen die Virusinfektion mehrere Monate lang mit Interferon-α behandelt wurden. Interferon-α stimuliert die zelluläre Immunabwehr, was bei einem Teil der Patientinnen und Patienten zu lang anhaltenden Erschöpfungszuständen führt – das Medikament liefert praktisch ein Modell des chronischen Erschöpfungssyndroms. Russell und ihr Team zeigten nun, dass die betroffenen Personen während der Behandlung stärker auf die Stimulierung des Immunsystems ansprachen – gemessen an einem stärkeren Anstieg der Signalstoffe Interleukin-6 und Interleukin 10.
Ein weiteres Indiz dafür, dass bestimmte Menschen durch ihr Immunsystem anfälliger für das chronische Erschöpfungssyndrom sind, liefert noch ein Befund der Arbeitsgruppe: Auch ein höherer Level an Interleukin vor der Behandlung scheint die Wahrscheinlichkeit einer langen Erschöpfungsphase nach der Behandlung zu erhöhen. Wie die biochemischen Veränderungen und das chronische Erschöpfungssyndrom genau zusammenhängen, ist dabei noch unklar. Ein möglicher Erklärungsansatz ist, dass auch die infektionstypische Erschöpfung keineswegs auf allgemeinen Energiemangel zurückgeht, sondern wohl vom Körper gezielt ausgelöst wird – und zwar ebenfalls durch Signalstoffe des Immunsystems. Diese und andere Hypothesen sind allerdings derzeit nur schwer zu überprüfen. Einerseits gibt es kein wirklich gutes Tiermodell für den Zustand, andererseits vermuten Fachleute, dass Erschöpfung je nach Situation über verschiedene Mechanismen ausgelöst wird.
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